MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

HANDELSIMMOBILIEN DER ZUKUNFT: SCHNELL, SCHÖN UND NAH

Manuel Jahn Quelle: Möllenhoff

Nachdem schon Qualität für die meisten deutschen Verbraucher kein Fremdwort mehr ist, gewinnen im Zuge von Digitalisierung und demografischem Wandel weitere Dimensionen des Einkaufens mehr und mehr an Bedeutung: Vor allem schnell und bequem soll es gehen, ob per App oder im Laden. Nach Einschätzung des Autors ist es deshalb sowohl für Investoren als auch Immobilienbewerter ratsam, mögliche Auswirkungen auf die Werthaltigkeit von Handelsobjekten sehr genau zu beobachten. Im folgenden Beitrag erörtert er, welche Faktoren über den zukünftigen Erfolg von Einzelhandelskonzepten entscheiden. Red.

Die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit 1990 und das Konsumklima auf dem höchsten Stand seit 2000. Die Kaufkraft folgt der guten Stimmung und ein Gutteil davon fließt in die schönen Dinge, die das Leben angenehmer machen. Auffallend viele Trends, für die die Konsumenten bereitwillig mehr Geld ausgeben, sind im Bereich Gastronomie und Food angesiedelt: Convenience, Bio, Regional, Superfood, Wellness, Protein, To Go. Gleichzeitig verlieren die für die Fußgängerzonen und Shoppingcenter unserer Städte bisher so wichtigen Leitsortimente wie Fashion und Elektrowaren dramatisch an Bedeutung und geraten zudem in den Fokus des Onlinehandels. Häufig müssen Flächen reduziert werden, um fallende Flächenproduktivitäten zu stabilisieren.

Hinwendung auf der einen, Abwendung auf der anderen Seite: Wir erleben, wie große Bestandteile des Umsatzkuchens im Einzelhandel und in den angrenzenden Sektoren des privaten Konsums zur Umverteilung anstehen. Dieser auch in anderen westeuropäischen Ländern zu beobachtende Langzeittrend legt offen, wie eine materiell gut versorgte, aber gleichzeitig gut informierte Konsumgesellschaft ihren Fokus zunehmend auf eine nichtmaterielle Bedürfnisbefriedigung legt. Die Immobilie wird vor diesem Hintergrund zur Bühne von Gefühlen und Einstellungen, Lifestyle und Gruppenzugehörigkeiten, die ein lange nicht gesehenes Wachstumspotenzial birgt.

Das Smartphone als Game Changer

Das Smartphone entwickelt sich zum wichtigsten Kommunikationsmittel zwischen Handel und Konsumenten. Bedürfnisse werden im Hier und Jetzt geweckt und nachgefragt und das nächstbeste Angebot findet sich oftmals nur einen Click entfernt. Über soziale und berufliche Netzwerke entstehen Verknüpfungen, die Grenzen auflösen und den Bedarf an Kommunikation, Wissen und Produkten ausweiten.

Ob Restauranttipps oder Heizungssteuerung, Autokauf oder Flugbuchungen: Das Internet of Things ist nicht länger ein Buzzword, wenn Produkte den Verbrauchern bereits dann zur Verfügung stehen, kaum dass sie den Wunsch geäußert haben. Zentrale Orte, die diese Wünsche nicht mehr erfüllen, geraten ins Hintertreffen, verlieren Frequenz und Umsatz. Konsumenten wenden sich vom Mittelmaß ab und entdecken im Internet oder in bunten Nachbarschaften interessantere Einkaufserlebnisse und kommunikativere Treffpunkte.

Vielfältige Auswirkungen auf Standorte, Konzepte und Immobilien

Tanja Reiß, Geschäftsführerin der HypZert, ist überzeugt, dass für die Immobilienbewertung, insbesondere im Rahmen der Kreditentscheidungen, langfristige Entwicklungen und Trends von enormer Bedeutung seien. Zu wissen, welche Immobilienarten beziehungsweise welche Qualitäten nachgefragt sind, sei das Fundament für eine nachhaltige Wertfindung. Denn Einkaufen ist für immer mehr Menschen Teil des Lifestyles und Ausdruck von Weltanschauungen. Auswahl heißt heute, dem Kunden Produkte und Services über den Nutzen des Einzelproduktes hinaus anzubieten, also auch Emotionen und Wertvorstellungen.

Erfolgreiche Handelskonzepte wissen um die unterschiedlichen Anforderungen von Spaßeinkauf und Routineeinkauf. Emotionen am Point of Sale gehören dabei zu den wichtigsten Wachstumstreibern, unabhängig davon, ob Kürbiskerne, Uhren oder Gartengeräte gekauft werden. Insbesondere der Lebensmittelhandel ist ein Lehrstück über nachhaltigen Erfolg in einem sehr wettbewerbsintensiven Sektor. Branchen, die sich aktuell schwerer tun, haben im Onlinehandel den Sündenbock gefunden. Dabei bleibt oft unberücksichtigt, dass die Dynamik im E-Commerce deutlich nachgelassen hat. Häufig ist es die geschickte Kombination von Online- und Offlineangeboten, die Kunden zurückholt. Den Kunden auf seiner Customer Journey mit geeigneten Ideen und Mitteln abzuholen ist das Gebot der Stunde. Eine Aufgabe auch für die Immobilienwirtschaft.

Zeitsensible Kunden erwarten Zusatznutzen

Ein übergreifendes Phänomen ist, dass der Verbraucher unabhängig von seinem ursprünglichen Einkaufsmotiv neben wichtigen generellen Faktoren wie Preis und Verfügbarkeit einen - immateriellen - Zusatznutzen erwartet. Zusatznutzen können der Treffpunktcharakter, das Angebot an sozialen und kulturellen Einrichtungen, freies WLAN, die Lage auf dem Weg von oder zur Arbeit, die Erfüllung ökologischer Ansprüche oder ein Stück Heimatgefühl sein. Standorte mit diesen Qualitäten sind besonders dicht am Alltag der Menschen und können auf Trends und Ansprüche unmittelbar reagieren und profitieren.

Immobilien im Allgemeinen und Publikumsimmobilien im Besonderen sind schon heute umso erfolgreicher, je mehr Gebrauchsoptionen sie bieten. Das Maß ihrer Konnektivität, also der Möglichkeit Aktivitäten zu koppeln, im Verhältnis zur Zeitersparnis, bestimmt den Mehrwert für den Nutzer. Zeitersparnis in Gebäuden und Quartieren entsteht, wenn die Immobilienkonzeption durch eine Vielzahl von Verknüpfungsangeboten überzeugt, zum Beispiel durch (1) die Lage an Knotenpunkten starker Verkehrsträger, (2) die Bündelung von Aktivitäten an einem Ort, (3) die Entwicklung von Standortgemeinschaften, (4) Kernangebote des täglichen Bedarfs und (5) die digitale Vernetzung.

Standorte und Konzepte moderner Lebenswelten reüssieren also dort, wo die Menschen bereits sind oder wo sie mit gutem Grund immer gut und gerne hingelangen. Standorte, die dem Kunden Vorteile von Verknüpfungen bieten - kürzere Wege, vielfältigere Angebote, Zeitersparnisse, soziale Kontakte - sind aber auch für den Mieter attraktiv: durch höhere Frequentierung, Agglomerationsvorteile und starker Kundenloyalität. Und die Immobilienseite profitiert, wenn die Wertschöpfungskette durch neue Leistungen im Asset- und Facilitymanagement erweitert, die Vermietungssicherheit durch klare Zielgruppenansprache erhöht oder eine bessere Flächeneffizienz erreicht wird.

Digitalisierungsgewinner Nahversorgung

Der digital vernetzte Konsument fordert personalisierte, differenzierte und durch immaterielle Mehrwerte aufgeladene Angebote, die möglichst noch den persönlichen Lifestyle ausdrücken. Der Wunsch nach physischen Orten, die sowohl die praktische Erledigung des täglichen Bedarfs als auch persönlichen Zusatznutzen versprechen, unterstützt entsprechende Standorte und Immobilienkonzepte.

Der Lebensmitteleinzelhandel als natürlicher Mittelpunkt von Nachbarschaften ist Vorreiter bei der Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse wie auch täglichen Wohlbefindens. Nachdem es der Branche gelungen war, sich aus dem reinen Preiswettbewerb zu lösen, den Markt um schwächere Anbieter zu bereinigen und auf breiter Front ein Trading-up, also die Aufwertung der Läden und der Sortimente, durchzusetzen, werden sowohl höhere Flächenproduktivitäten als auch stetig wachsende Umsätze eingefahren.

Und Nahversorgung ist überall. Überall, wo Menschen wohnen, leben, arbeiten - und wo es schnell gehen soll, schneller, als mit jeder App gewährleistet werden könnte. Nahversorgung ist dabei mehr als nur der Supermarkt. Die "Nahversorgung im engeren Sinne" umfasst das Angebot von Gütern des täglichen Bedarfs, vor allem von Lebensmitteln, auch von Dienstleistungen, das zentral gelegen und fußläufig zu erreichen ist. Zur "Nahversorgung im weiteren Sinne" gehört ein umfassendes Angebot von Waren, in der Bandbreite von kurz- bis langfristigem Bedarfsbereich, aber auch von öffentlichen und privaten Dienstleistungen (Bank, Post, Gastronomie, Schulen, Kita, Ärzte, Kultur et cetera).

Starke Wachstumsdynamik

Allein der Umsatz mit Einzelhandelsprodukten der Nahversorgung umfasste im Jahre 2017 nach Berechnungen der GfK rund 241 Milliarden Euro, also nahezu 60 Prozent des gesamten deutschen Ladenumsatzes. Während der Einzelhandel mit Non-Food seit Jahren unter Preisverfall und rückläufigen Frequenzen leidet, legte der Lebensmitteleinzelhandel in den vergangenen zehn Jahren um fast 25 Prozent zu, die filialisierten Lebensmittelketten im selben Zeitraum um bis zu 60 Prozent.

Wer erinnert sich noch an die beige-braun gesprenkelten Fußböden, über die man den klappernden Einkaufswagen durch gleißendes Licht an endlosen Regalreihen und Europaletten an gestapelter H-Milch schob? Heute werden unsere Sinne gleich im Eingangsbereich von Früchten, Nüssen, Beeren und Salaten angeregt. Regionale Spezialitäten machen uns auf die Vielfalt heimischer Produkte aufmerksam, geben uns Sicherheit in einer immer komplexeren Welt. Das lassen wir uns gern etwas kosten, und zwar jährlich rund sechs bis sieben Milliarden Euro mehr.

Großteil in privatem Streubesitz

Aufgrund der gewaltigen absoluten Marktgröße in Verbindung mit dem hohen Innovationstempo und angeschoben durch das veränderte Verbraucherverhalten eröffnet sich in diesem Segment ein gewaltiges Entwicklungspotenzial auch für die Immobilienwirtschaft. Denn das Umsatzwachstum fließt vor allem in Immobilien, die sich zum weitaus größeren Teil in privatem Streubesitz befinden, und damit nur zum Teil dem Investmentmarkt zur Verfügung stehen. Angesichts der hohen Modernisierungs- und Erweiterungsdynamik - in Ballungsräumen auch Neubaudynamik - bieten sich immer attraktivere Projektierungs-, Finanzierungs- und Investment potenziale.

Die Ausdifferenzierung der Formate in Konzepte, die sich immer besser den örtlichen Bedingungen anpassen, kommt der Immobilienwirtschaft im Hinblick auf Projektqualität und/oder Projektgröße zugute: ob als winziger To-go-Store in einer Mixed-Use-Immobilie mit 100 Euro pro Quadratmeter Monatsmiete oder als Single-Tenant-Genusswelt für 25 Millionen Euro Investitionsvolumen.

Bisher waren die großen Tickets der Shoppingcenter und Geschäftshäuser Investor's Darling. Nicht zuletzt wegen klassischer Wertfaktoren wie Lage, Gebäudequalität und Mietermix galten sie als die einzig wahren Immobilien zur Wertaufbewahrung. Immobilien der Lebensmittelanbieter glichen dagegen nicht selten Wellblechhallen, gebaut, um Standardprodukte abzuverkaufen und pünktlich nach Ablauf des Mietvertrages einzustürzen. Mit den Veränderungen in der Gesellschaft und im Konsumverhalten haben sich die Zeiten maßgeblich gewandelt. Gespart wird nun bei Schuhen, Bekleidung und Elektrowaren. Ein Grundgesetz bei Standardprodukten?

Erinnern wir uns noch einmal an die Lebensmitteldiscounter und Supermärkte in den neunziger Jahren: Der jahrzehntelange Höhenflug der marktführenden Discounter hatte seinen Zenit erreicht und drückte mit seinen Handelsmarken die Supermarkt ketten an die Wand. Der Verbraucher wurde auf den günstigsten Preis trainiert und eine Preissenkungsrunde folgte der nächsten. Die ohnehin engen Margen verfielen weiter und erforderten Einschnitte bei Ausstattung und Personal. Es folgte im deutschen Lebensmitteleinzelhandel eine beispiellose Konzentrationsphase, in der eine Vielzahl von Unternehmen wie Allkauf, Asko, AVA, Kriegbaum, Schaper oder Spar in neuen Konglomeraten aufgingen. Das vorerst letzte Kapitel dieses Anpassungsprozesses schrieben die Tengelmann-Gruppe sowie die Coop mit dem Verkauf ihres Filialnetzes an Edeka und Rewe.

Edeka und Rewe erzielen mit ihren neuen Konzepten ein Umsatzwachstum von rund vier bis fünf Prozent jährlich. Damit wird der Innovationsdruck auf die Discounter ausgeweitet, die ihrerseits beginnen, ihre Sortimente auszubauen und das Filialbild zu modernisieren. Das niedrige Zinsumfeld unterstützt dabei die Investitionsbereitschaft.

Vorteile des Lebensmittelhandels im Rahmen der Immobilienbewertung

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sehen seit zehn Jahren eine nie da gewesene Umsatzverschiebung von Non-Food zu Food. Dem Lebensmittelhandel gelingt es, eine gesättigte Konsumgesellschaft durch neue Produkte und schönere Läden Jahr für Jahr zu Mehrausgaben zu bewegen. Frische und Erlebnis machen nicht nur die Verbraucher glücklich, sondern erhöhen auch die Profitabilität des Sortiments. So können höhere Mieten erwirtschaftet und bessere Gebäude realisiert werden.

Die Lage als Kernkriterium jeder Immobilienbewertung ist im Lebensmitteleinzelhandel mit seinen 28 000 Filialen weniger ein konkreter Ort als die Summe spezifischer Eigenschaften, wie die gute Erreichbarkeit, ein ausreichendes Parkplatzangebot und eine gute Wettbewerbsposition. Vor allem sollte aber die vorhandene Verkaufsfläche in passender Relation zur Einwohnerzahl und Kaufkraft im Einzugsgebiet des Objektes stehen. Dann ist Lagequalität gleichzusetzen mit dem Nachfrage-, Umsatz- und damit Mietertragspotenzial.

Günstige Risikoprofile locken Institutionelle

Bei Analyse des Wettbewerbs ist zu unterscheiden zwischen typgleichen Märkten, die sich Konkurrenz machen und sich ergänzenden Angeboten, die zu Agglomerationsvorteilen und Synergieeffekten führen. Konzept- und Betreiberqualität sind entscheidend, um die vorhandenen Umsatzpotenziale im Einzugsgebiet auch tatsächlich abzuschöpfen. Auch bei Nahversorgungszentren mit mehreren Mietern ist es von Vorteil, wenn ein Eigentümer für Einheitlichkeit beim Erscheinungsbild, Werbeauftritt und Management sorgt und den Mietermix aufeinander abstimmt.

Die Lebensmittelbetreiber legen heute wachsenden Wert auf eine wertige Innenausstattung mit dem Ziel höherer Umsätze sowie auf die energieeffizientere technische Ausstattung der Objekte mit dem Zweck der Einsparung von Betriebskosten. Niedrigere Kosten und höhere Umsätze: oftmals Kriterien für ein höheres Mietniveau und längere Mietvertragslaufzeiten, die sich wiederum über eine längere Restnutzungsdauer positiv auf den Objektwert auswirken.

Kein Wunder, dass Immobilien mit starken Partnern des Lebensmittelhandels ein zunehmend günstigeres Risikoprofil aufweisen und immer beliebter auch bei institutionellen Investoren werden. Carolin Lutz-Herrmann, Mitglied der Fachgruppe Einzelhandel bei der HypZert, Vice President und Ansprechpartnerin Bewertung Individualobjekte Süd bei der Unicredit, merkt diesbezüglich an, dass langfristig orientierte Investoren dauerhafte Ertragsperspektiven schätzten und diese dürften im Nahversorgungssegment besser sein als in den meisten anderen Bereichen des Einzelhandels.

DER AUTOR MANUEL JAHN, Head of Business Development, Habona Invest GmbH, Frankfurt am Main und Mitglied der Fachgruppe Einzelhandel, HypZert GmbH, Berlin

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