Schwerpunkt Einzelhandel

Aktuelle Trends und Tendenzen im Handel

Bis Anfang der neunziger Jahre ist der Einzelhandel mit einigen wenigen Unterbrechungen kontinuierlich gewachsen. Im darauf folgenden Zeitraum, seit nunmehr fast 20 Jahren, stagnierte oder schrumpfte der Markt. Die Abbildung zeigt, dass im Zeitraum von 1995 bis 2011 der deutsche Einzelhandel im engeren Sinne (ohne Kfz, Tankstellen und Apotheken) nominal nur einen Umsatzzuwachs von 10,2 Prozent erzielen konnte, was einem preisbereinigten Minus von 1,4 Prozent entspricht. Gleichzeitig sind die Verkaufsflächen um 27,9 Prozent angewachsen, was zu einem Rückgang der Flächenleistung von 13,9 Prozent geführt hat.

Hohe Wettbewerbsintensität

Keine andere Kennziffer beschreibt die vorherrschende Wettbewerbsintensität besser als die Flächenleistung. Sie ist im europäischen Vergleich niedrig, ebenso wie die Umsatzrenditen im deutschen Einzelhandel. Eine sinkende Flächenleistung bedeutet aber auch: Die flächenbezogenen Kosten (Miete, Energie, Ladenbau, Warenpräsentation) sind im Verhältnis zum Umsatz deutlich gestiegen. Für die Immobilienwirtschaft stellt sich die Frage, ob und wann sich die sinkende Flächenleistung auf die Miethöhe auswirkt und für den Handel stellt sich die Frage, wie die höheren flächenbezogenen Kosten betriebswirtschaftlich kompensiert werden können. Bisher sind lediglich die Mieten in den 1a-Lagen der Innenstädte von Klein- und Mittelzentren sowie in den Nebenlagen unter Druck geraten. In vielen dieser Städte hat der Flächenzuwachs primär an peripheren Standorten zulasten der gewachsenen Innenstadtlagen stattgefunden. Die Mieten sind bei weitem noch nicht in dem Maße gesunken wie die Flächenleistung. Im Gegenteil: Bei Neuentwicklungen von Nahversorgungs- und Fachmarktzentren, in den 1a-Lagen der Ballungsräume und bei Shoppingcentern sind die Mieten sogar gestiegen.

Die Gründe dafür lassen sich erklären: Den leistungsstarken Handelsunternehmen und damit den Hauptmietern vieler Handelsimmobilienentwicklungen ist es bisher gelungen in einem Markt ohne Wachstum negative Auswirkungen des Anstiegs der flächenbezogenen Kosten auf die Rentabilität zu kompensieren. Eine wesentliche Maßnahme bestand in den vergangenen Jahren in der Substitution von Personal durch Fläche, wodurch der sinkenden Flächenleistung eine steigende Personalleistung gegenüber steht. So nahm zum Beispiel im Zeitraum von 1995 bis 2011 die Personalleistung im gesamten Einzelhandel um 21,6 Prozent zu. Die weiteren Maßnahmen bestanden in der Verbesserung der Handelsspanne durch Direktimporte, Vorwärts- und Rückwärtsintegration sowie Erhöhung der Eigenmarkenanteile.

Gestiegene Verbrauchererwartungen an Präsentation, Ruhezonen, Ladenlayout und Center außerhalb der City erklären zum Teil das starke Flächenwachstum, welches vor allem durch Filialisten generiert wird. Der zweite Erklärungsansatz für die hohe Flächenausweitung: Handelsimmobilien sind begehrte Anlageprodukte und Immobilienentwickler suchen Standorte für neue Investitionen wie zum Beispiel Shoppingcenter, Nahversorgungs- oder Fachmarktzentren. Nicht immer sind die Projektentwicklungen ausgelöst durch Expansionswünsche des Handels. In vielen Fällen reagiert der Handel erst auf die Opportunität des neuen Standortangebotes, womit der Wettbewerb zu bestehenden Standorten erst ausgelöst wird. Der Blick auf die Einzelhandelsentwicklung zeigt wenig Perspektive für reales Wachstum, auch wenn die Prognose für 2012 des HDE ein nominales Plus von 1,5 Prozent vorsieht. Der Anteil des Einzelhandels am privaten Verbrauch sinkt kontinuierlich - von 35,2 Prozent im Jahr 1995 auf 28,6 Prozent im Jahr 2011.

Umfeldbedingungen

Die großen Veränderungen begünstigen tendenziell Großbetriebsformen, aber auch eine Reihe von neuen Nischenkonzepten des Fachhandels (Bio-Konzepte, "Senioren"), neue Standorte (Wohnquartiere und Transitstrecken wie regionale und überregionale Bahnhöfe, Omnibusbahnhöfe, Flughäfen, Tankstellen, Rasthöfe), Modifikationen von Fachgeschäftsstrategien (service-, convenience- und zielgruppenbezogen) und neue Vertriebsformen (Electronic- und Mobile-Commerce). Dadurch, dass viele Großbetriebsformen ihren Wettbewerbsvorteil durch Kosten- und Beschaffungsvorteile bei gleichzeitig hoher Werbepräsenz vor allem für ein herausragendes Preisimage einsetzen und zusätzlich eine dominante Grundorientierung der Verbraucher im "Smart Shoppen" liegt, sind nach wie vor Betriebsformen mit hoher Preisorientierung wie Discounter, Fachmärkte, aber auch eine Reihe von E-Commerce-Anbietern begünstigt.

Am schnellsten und am stärksten wirkt die technologische Entwicklung auf das Verbraucherverhalten und das Handelsmanagement. Electronic- und Mobile- Commerce wird nicht nur Konkurrenz zum stationären Handel, sondern auch Teil eines Multi-Channel-Ansatzes. Prognosen sehen die größte Verschiebung hin zum Mehrkanalhandel im Non-Food-Bereich, nämlich von 9,5 Prozent Umsatzanteil im Jahr 2009 auf 16,9 Prozent im Jahr 2015. Der Umsatzanteil des rein stationären Handels wird im gleichen Zeitraum von 83,6 auf 72,9 Prozent sinken und der reine Onlinehandel erhöht seinen Anteil von 6,9 auf 10,2 Prozent.1)

Während der stationäre Handel in allen Facetten seine Möglichkeiten der neuen Technologien prüft und ausdifferenziert, versuchen umgekehrt reine Onlinehändler oder Versandhändler wie zum Beispiel Bonprix, Manufactum oder Cyberport eigene stationäre Aktivitäten zu forcieren. Es gibt mittlerweile nicht eine Warengruppe, die nicht erfolgreich über E-Commerce vertrieben werden kann. Überhaupt wird das Verschmelzen von "Cyberspace" und Realität auch in zunehmendem Maße das Verhalten sowie die Kommunikation der Menschen und damit das Marketing radikal verändern. Im Extremfall kann das bedeuten: "Der Handel braucht den physischen Laden nicht mehr (nur) zum Verkauf, dafür umso mehr für andere Funktionen. Der Konsumraum wird zum Experimentierfeld, Begegnungsort oder Testlokal in der tatsächlichen Welt."2) Das Marketing im Handel steht vor der Herausforderung den optimalen Mix der neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen.

Vertikalisierung in unterschiedlichen Stufen

Wie insbesondere in der Bekleidungsbranche zu erkennen ist, gewinnen unterschiedlichste Stufen der Vertikalisierung an Bedeutung. Entweder im Zuge der Vorwärtsintegration von Herstellern, die eigene Retail-Stores betreiben werden (zum Beispiel WMF, Villeroy & Boch) oder der Rückwärtsintegration von Handelsunternehmen, die die Vorstufen der Beschaffung vereinnahmen (zum Beispiel Ikea). In dieser Entwicklung nehmen die Verbundgruppen für den Fachhandel eine wichtige Position ein, da sie gefordert sind, sich in die Produktionsund Distributionsprozesse stärker einzubringen.

Die deutsche Bevölkerung wird nach Schätzung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, je nach Zuwanderung, bis zum Jahr 2020 um etwa ein bis zwei Millionen abnehmen. Danach wird sich der Rückgang beschleunigen. Im Süden und Nordwesten Deutschlands sowie in den Randbereichen der Ballungsräume wird die Bevölkerung durch die innerdeutsche Wanderungsbewegung noch ein bis zwei Jahrzehnte zulasten der östlichen Gebiete wachsen. Die Bevölkerungspyramide verändert sich stark. Bis 2020 wird die Altersgruppe der Senioren 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Weniger Einwohner bedeuten auch weniger Käufer im Einzelhandel. Die dadurch bedingte Schrumpfung des Marktvolumens kann nur zum Teil durch höhere Konsumausgaben der älteren Bevölkerung kompensiert werden. Die über 50-Jährigen stellen bereits heute einen Anteil von 50 Prozent an den Konsumausgaben. Der Wirtschaftsfaktor Alter erfordert neue Konzepte in allen Branchen des Einzelhandels, aber auch in der Ausrichtung von Handelsimmobilien.3)

Der Wertewandel und das zunehmend als paradox zu bezeichnende Verbraucherverhalten erfordern vom Handel auf der einen Seite stärkere Kundenbindungssysteme, auf der anderen Seite ermöglichen sie die Ausdifferenzierung von neuen Konzepten wie Marken-Stores, Integration von Entertainment und Edutainment.

Handelsimmobilienkonzepte werden aber auch durch zwei weitere Trends beeinflusst: Erstens das Schaffen von sogenannten Third Places. Dieser Trend wird häufig am Beispiel von Starbucks erklärt. "consumers spend time at home, their first place; at work, their second place and then often have a favourite third place."4) Der "Dritte Raum" kann das Pub, das Restaurant oder das Fitness-Studio sein, aber auch das Kaffeehaus, das Shoppingcenter und ein einzelnes Geschäft. Es geht darum "Dritte Räume" bewusst zu schaffen, um Verbrauchern eine höhere Aufenthaltsqualität und neue Besuchsanreize jenseits der Einkaufsplanung zu geben.

Zweitens die Renaissance der Individualität: Zunehmende Uniformierung der Innenstädte und Verarmung der Vielfalt von Handelskonzepten durch die weiter voranschreitende Konzentration schaffen neue Nischen. Der Wunsch nach Individualität steigt. Eine Folge dieses Trends ist Lohas (lifestyle of health and sustainability) 5) als Lebenstil, was die Konsumenten mit dem Wunsch nach Nachhaltigkeit, Authentizität und Transparenz in den Produktionsprozessen anspricht.

Insgesamt gesehen ist allerdings davon auszugehen, dass auch weiterhin keine realen Umsatzzuwächse im Einzelhandel zu erzielen sind und individuelles Wachstum vor allem aus Verdrängungsumsätzen resultieren wird. Das bedeutet, dass in Zukunft neben einer sorgfältigen Standortanalyse mitsamt ihren genehmigungsrechtlichen Rahmenbedingungen auch die Konzepte der Betreiber und deren Fähigkeit sich auf die dynamische Entwicklung im Handel einzustellen auf den Prüfstand kommen muss.

Fußnoten

1) Accenture/GfK, Non-Food Multi-Channel-Handel 2015, Vom Krieg der Kanäle zur Multi-Channel-Synergie, 09/2010, S. 12.

2) German Council of Shopping Centers e.V., 2009, S. 5.

3) Vergleiche German Council of Shopping Centers e.V., 2009, S. 23/24.

4) Vergleiche Stanley, John (2005), Third Place Retailing - The New Battlefield. Zugriff am 1. August 2012 auf http://www.johnstanley.com.au/_blog/John's_Blog/post/Third_Place_Retailing_-_The_ New_Battlefield/.

5) Vergleiche Hinderfeld, Christoph, Regionale Qualitätsprodukte vermitteln Glaubwürdigkeit, in: Info3 - Anthroposophie im Dialog Nr. 4 (2009), S. 33.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem 3. CoRE Handelsimmobilientag in München.

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