ENTWICKELN UND BAUEN

DAS BAUEN MUSS NEU GEDACHT WERDEN

Dr. Moritz Püstow, Foto: KPMG Law

Die Treibhausgas-Emissionen im deutschen Gebäudesektor gehen zurück - aber zu langsam. Um 42 Prozent sind sie in den vergangenen 30 Jahren gesunken, doch bis 2030 müssten sie um weitere 44 Prozent sinken - also dreimal so schnell wie bisher. So steht es im Klimaschutzgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass den Staat eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Erreichung dieses Minderungsziels trifft. Der Gebäudesektor muss sich also schleunigst auf strenge Regularien und hohe Investitionen einstellen, mahnt der Autor dieses Beitrags. Unter dem Strich deute alles darauf hin, dass das Bauen neu gedacht werden muss. Red.

Der Bau und Betrieb von Gebäuden ist für 38 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, wie der Global Status Report for Buildings and Construction der Vereinten Nationen feststellt. Bauen muss neu gedacht werden, um die ehrgeizigen Reduktionsziele zu erreichen. Die Immobilienwirtschaft muss über die gesamte Wertschöpfungskette zusammenarbeiten, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen.

Das deutsche Klimaschutzgesetz gibt dabei jährliche CO2-Minderungsziele für den Gebäudesektor vor. Der Bund hat zu ihrer Erreichung im Oktober die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) eingeführt. Nach Einschätzung des Expertenrats der Bundesregierung für Klimafragen vom August 2021 werden hierdurch die Ziele des Klimaschutzgesetzes jedoch nicht erreicht. Auch die Eröffnungsbilanz Klimaschutz des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom Januar 2022 hat aufgezeigt, dass die Ziele des Klimaschutzgesetztes in 2021 zum zweiten Mal in Folge verfehlt wurden.

BVerfG-Urteil setzt Staat unter Handlungsdruck

Für den Staat begründet dies eine Handlungspflicht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat im März 2021 geurteilt, dass der Staat aus Artikel 20 a Grundgesetz zum Klimaschutz verpflichtet ist. Er muss einen Pfad zur Reduktion der Treibhausgase definieren und die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit dieser eingehalten wird. Möglich erscheint auch, dass Private und/ oder Umweltverbände die Zivil- oder Verwaltungsgerichte anrufen, um die Verwaltung, Immobilien- und Bauunternehmen auf Reduktion der Emissionen zu verklagen.

Vergleichbare Gerichtsverfahren wurden 2021 gegen Energie-, Automobil- und Textilunternehmen eröffnet. Der Ausgang ist offen. Nebelkerzen sind diese Verfahren nicht. In den Niederlanden etwa wurde Royal Dutch Shell mit vergleichbarer juristischer Argumentation gerichtlich zur Treibhausgasreduktion verpflichtet.

Nutzung und Betrieb stehen für drei Viertel der Gesamtemissionen

Die notwendigen Handlungsfelder sind bekannt: Knapp 75 Prozent der Emissionen entfallen auf Nutzung und Betrieb der Immobilien. Die stagnierende Sanierungsrate wird als eine der Hauptursachen für die anhaltend hohen Emissionen ausgemacht. Als Reaktion darauf schlägt die Europäische Kommission im Rahmen des Green Deal vor, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, mindestens drei Prozent der Gesamtfläche aller öffentlichen Gebäude jährlich zu sanieren.

Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag auch emissionsarme Neubauten fördern. In diesem Zusammenhang sollen die bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Vorschriften die nötigen Voraussetzungen für serielles und modulares Bauen und Sanieren schaffen. Zum 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden.

Der Betrieb von Gebäuden ist aber nicht alles. Bereits die Herstellung der Baumaterialien tritt im Status quo mit der Nachhaltigkeit in Konflikt. Gebäude sind auf Zement als Bindeglied für den Baustoff Beton angewiesen. Seine Produktion ist etwa für bis zu 8 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich, die Stahlerzeugung sogar für etwa 10 Prozent. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Zulassung innovativer Materialien und Technologien zu erleichtern.

Generell sollen durch die Schaffung von gesetzlichen Experimentierklauseln unternehmerische Freiräume geschaffen werden. In diese Richtung geht bereits die Innovationsklausel in § 103 des Gebäudeenergiegesetzes, die es ermöglicht, einen Neubau oder eine Sanierung nicht auf einen spezifischen Energiebedarf, sondern eine gleichwerte Begrenzung der Treibhausgasemission auszurichten (Absatz 1), und es erlaubt für die Erreichung der Einsparziele eine Quartiersbetrachtung anzustellen (Absatz 3).

Auch in der Möglichkeit zur Abweichung von technischen Baubestimmungen nach § 85 a Musterbauordnung ist eine Experimentierklausel angelegt. Deren Tauglichkeit hängt jedoch an ihrer praktischen Umsetzung. Als ein weiteres Instrument für Innovationsfreundlichkeit nennt die Regierung Reallabore, bei denen zeitlich und räumlich beschränkt im Rahmen des Rechts neue Lösungen erprobt werden sollen.

Ressourcenintensiver Sektor mit niedriger Recyclingquote

Der Bausektor zählt zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren. Eine Wirtschaftstätigkeit ist nach der Definition von Artikel 3 Buchstabe a) der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 jedoch nur dann ökologisch nachhaltig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der Umweltziele des Artikel 9 leistet, wozu auch der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zählt. Zu diesem gehört nach Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe g) der Taxonomie-Verordnung, dass die Abfallerzeugung, einschließlich der Erzeugung von Abfall bei der Gewinnung von Mineralien sowie bei Bau und Abriss von Gebäuden, vermieden oder verringert wird.

Insofern steht der Nachhaltigkeit entgegen, dass der Bau (außerhalb des Straßenbaus) bislang nur eine niedrige Recyclingquote ausweist. Bauabfälle machen heute nach Ermittlungen des Umweltbundesamtes mehr als die Hälfte des deutschen Müllaufkommens aus. Auch dies soll sich ändern. Die Mantelverordnung mit der Ersatzbaustoffverordnung regelt ab 2023 die Herstellung und die Verwendung von Recycling-Baustoffen. Die Regelungen werden im Markt jedoch als wenig praxistauglich kritisiert. Hier bleibt abzuwarten, ob Nachbesserungen erforderlich sind. Im Koalitionsvertrag jedenfalls ist die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft auch im Gebäudebereich jedenfalls als Ziel formuliert.

Es droht der Verlust der eigenen Wettbewerbsfähigkeit

Immobilienunternehmen, die die Klimabilanz ihrer Gebäude nicht ändern, werden dies mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit bezahlen. Denn die schlechte Klimabilanz der Gebäude trifft Mieter schon jetzt und nach den Plänen der Bundesregierung künftig auch Vermieter. Das Brennstoffemissionshandelsgesetz hat 2021 für die Verwendung von Erdöl, Erdgas und Kohle als Brennstoff die Pflicht zum Erwerb von Emissionsrechten (Emissionszertifikaten) eingeführt.

Der Preis pro Tonne CO2 steht für die ersten Jahre bereits fest. Er startete 2021 bei 25 Euro und erhöht sich bis 2025 auf 55 Euro. Ab 2026 soll sich der Preis am Markt bilden, im ersten Jahr noch in einem festgelegten Preiskorridor. Die Bundesregierung hat sich Anfang April darauf verständigt, dass Vermieter und Mieter sich den Preis für die Emissionszertifikate ab Januar 2023 teilen.

Für alle Wohngebäude einschließlich Wohn-, Alten- und Pflegeheimen und Gebäude mit gemischter Nutzung soll ein Stufenmodell greifen. Mit dem Stufenmodell wird die prozentuale Kostenbeteiligung der Vermieter und Mieter an den jährlichen CO2-Ausstoß des vermieteten Gebäudes pro Quadratmeter geknüpft. Weisen Gebäude mindestens den sehr effizienten Standard (EH 55) vor, sind die Vermieter von ihren Kostentragungspflicht befreit. Je mehr CO2 pro Quadratmeter aber emittiert wird, desto höher ist der Anteil der Vermieter an den Kosten.

Finanzwirtschaft als Treiber zu mehr Nachhaltigkeit

Bei Nichtwohngebäuden gilt zunächst eine 50:50-Aufteilung. Perspektivisch soll aber auch hier das Stufenmodell aktiviert werden. Zurzeit fehlt es angesichts der Heterogenität an fehlenden Datengrundlagen, um eine valide Berechnung der Abstufungen für Nichtwohngebäude vornehmen zu können.

Ein wesentlicher Treiber für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit kommt aus dem Finanzsektor. Die Finanzierung von Investitionen wird sich verteuern, wenn diese nicht den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, die seit Dezember 2021 in Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 zur Taxonomie-Verordnung genannt sind. Dort sind detaillierte Bewertungskriterien für die Herstellung von energieeffizienten Gebäuden und die Renovierung bestehender Gebäude genannt. Denn Finanzmarktteilnehmer müssen über die Offenlegungsverordnung (EU) 2019/2088 und die Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 bereits heute in vorvertraglichen Informationen und in der nichtfinanziellen Berichterstattung über die ökologische Nachhaltigkeit ihrer Investition und ihres Unternehmens informieren.

Ab dem 2. August dieses Jahres müssen Wertpapierfirmen im Rahmen der Anlageberatung ermitteln, welche Bedeutung ihre jeweiligen Kunden der Nachhaltigkeit als Anlagezielen beimessen und müssen ihre Empfehlungen daran ausrichten, vergleiche Artikel 54 Absatz 2a) der Verordnung (EU) 2017/565 in der durch die Verordnung (EU) 2021/1253 geänderten Fassung. Es ist damit zu rechnen, dass sich die Finanzierungskonditionen für nicht nachhaltige Investitionen in der Folge verschlechtern.

Ein potenzieller Deal Breaker

Die Anforderungen an den Nachweis der Nachhaltigkeit werden dabei immer strenger. So wird die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erheblich ausgeweitet. Im April 2021 hat die EU-Kommission einen Entwurf zur Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung vorgelegt (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD). Dadurch wächst der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen. Allein in Deutschland wären nicht mehr nur 500, sondern 15 000 Unternehmen berichtspflichtig. Die Unternehmen müssen ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung an den Kriterien der Taxonomie-Verordnung ausrichten und sich etwa zur Kompatibilität der Unternehmensplanung mit dem 1,5-Grad-Ziel äußern.

Die Berichterstattung ist künftig zwingend durch einen externen Prüfer zu bestätigen. Damit können Investoren, Banken, Versicherer und Vertragspartner sich ein Bild vom Beitrag des Planungs-, Bau- und Immobilienunternehmens machen. Der Grad der Nachhaltigkeit eines Unternehmens und seiner Projekte kann ein Deal Breaker sein, in Kaufpreisabzügen oder -erhöhungen resultieren und die Finanzierungskonditionen beeinflussen. Verstöße gegen die Transparenzpflichten könnten auch zu Schadenersatzansprüchen von Investoren und Anlegern führen.

Sicher ist auch: Nachhaltiges Bauen wird teurer und aufwendiger. Wirtschaftlichkeit kann nicht nur monetär und damit an der Höhe der Baukosten bemessen werden.

Daher verlangt etwa das Klimaschutzgesetz in § 13 Absatz 1, dass Träger öffentlicher Aufgaben bei Planungen und Entscheidungen die Treibhausgasminderungsziele des Gesetzes beachten müssen.

Nach Absatz 2 muss der Bund bei Investitionen und in der Beschaffung bei verschiedenen Alternativen deren jeweiligen Beitrag zum Klimaschutz abwägen. Er muss also eine Art Klimaschutzuntersuchung durchführen. Der "Leitfaden Nachhaltiges Bauen" des Bundesbauministeriums kann mit seinen Kriterien für die Nachhaltigkeitsbewertung und Instrumente für nachhaltiges Planen, Bauen und Betreiben von Immobilien eine Hilfestellung leisten.

Öffentliche Hand: um Klima- und Umweltkosten ergänztes Vergabeverfahren

Auch hier lohnt sich ein Blick. Die Regierungsparteien haben sich darauf verständigt, dass die öffentliche Hand sich für Vergabeverfahren am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten beteiligen will. Erste Auftraggeber bewerten die Nachhaltigkeit des Bauens bereits bei der Angebotswertung in Vergabeverfahren.

Alle Entwicklungen machen klar, dass das Bauen neu gedacht werden muss. Planung, Baustoffe und Bauprozesse müssen sich radikal ändern. Sanierungen müssen beschleunigt werden. Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen müssen sich am Lebenszyklus von Immobilien orientieren. Klimafolgekosten als externer Faktor werden unmittelbar durch die Bepreisung von CO2 und mittelbar durch die Finanzierungskonditionen zu einem bedeutenden Kostenelement.

Sicher ist, dass die Veränderungen dynamisch sein werden. Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit erfordert ein klares Bild der regulatorischen Anforderungen, den Blick nach vorne und den Mut zur Veränderung.

Moritz Püstow , Partner und Leiter Öffentliches Wirtschaftsrecht, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin
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