Im Schneckentempo

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Realkredite: Konditionen Stand 25. April 2022 Quelle: Interhyp AG
Realkredite: Konditionen Stand 25. April 2022 Quelle: Interhyp AG

"Wir haben wahrscheinlich - jedenfalls für eine gewisse Zeit - den Höhepunkt unseres Wohlstands hinter uns." Dieses Zitat von CDU-Chef Friedrich Merz bringt es schmerzlich auf den Punkt: Derart hohe Inflationsraten, wie wir sie derzeit erleben, zerren massiv an der Kaufkraft der Haushalte und machen sie unter dem Strich erheblich ärmer. Ganz besonders diejenigen, die ohnehin wenig Geld zur Verfügung haben, müssen leiden. Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Postbank kann hierzulande mittlerweile etwa jeder siebte Erwachsene (15,2 Prozent) nach eigenen Angaben kaum noch seine Lebenshaltungskosten bestreiten.

Umso dringlicher wäre da eine entschlossene Geldpolitik, die der Bekämpfung der Inflation alles unterordnet. Doch die Europäische Zentralbank (EZB) tut sich sehr schwer damit, nach über einer Dekade extrem expansiver Geldpolitik den Schalter umzulegen. Verglichen mit anderen großen Notenbanken wie der Fed oder Bank of England, die den Ernst der Lage schnell erkannt und längst erste Leitzinsanhebungen getätigt haben, geht die EZB das Thema im Schneckentempo an. Trotz der Steilvorlage einer Euro-Rekord-Inflation von 7,5 Prozent im März blieb der EZB-Rat auf seiner Ostersitzung vom 14. April ein beherztes/klares Signal schuldig.

Zwar wurde die Erwartung, dass die billionenschweren APP-Nettoanleihekäufe im dritten Quartal 2022 beendet werden, bekräftigt. Ein konkretes Datum nannten die Eurohüter dafür aber nicht - es könnte am 1. Juli so weit sein, gegebenenfalls aber auch erst 30. September. Noch nebulöser ist der Fahrplan für die am Anschluss daran fälligen Zinserhöhungen. Laut der neuen Forward Guidance sollen diese "einige Zeit" nach dem Ende der APP-Käufe erfolgen. Das könne "eine Woche oder mehrere Monate" bedeuten, so EZB-Präsidentin Christine Lagarde ebenso nichtssagender wie symptomatischer Kommentar hierzu.

Keine Frage: Die EZB befindet sich in einer alles andere als einfachen Situation. Der Ukraine-Krieg impliziert beispiellose konjunkturelle Risiken, unter anderem der IWF hat deshalb unlängst seine Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft abermals von 4,4 auf 3,6 Prozent reduziert. Gepaart mit dem parallel anhaltenden Inflationsdruck müssen sich so manche Länder nun also auf das gefürchtete Szenario einer Stagflation einstellen.

Dass Largarde & Co. die Mitgliedsstaaten dabei bestmöglich unterstützen will, ist verständlich. Sie erreicht dies aber sicher nicht, indem sie tatenlos dabei zusieht, wie sich die hohe Inflation im Euroraum verfestigt. Im Gegenteil. Frei nach Schopenhauer lautet die Devise: "Preisstabilität ist nicht alles, aber ohne Preisstabilität ist alles nichts." Und leider ist die aktuell wirklich in akuter Gefahr. Selbst die mittelfristigen Inflationserwartungen liegen mit rund 2,4 Prozent inzwischen klar über der EZB-Zielmarke von 2,0 Prozent. Damit steigt nicht zuletzt das Risiko für Zweitrundeneffekte im Rahmen von Preis-Lohn-Spiralen, die bislang zum Glück noch nicht auf breiter Front im Euroraum zu beobachten sind.

Eine Rückbesinnung auf die Grundlage ihres Mandats, sprich der Gewährleistung von Preisstabilität, muss für die EZB also endlich Priorität haben. Vorbei sind die Zeiten des gemächlichen Abwiegens, Taktierens und Verschiebens von Maßnahmen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Während die EZB noch in der Vorbereitung der Zinswende steckt, ist sie am Baufinanzierungsmarkt längst Realität. Mit einem Plus von zirka 1,2 Prozentpunkten allein seit Jahresbeginn 2022 kosteten zehnjährige Baudarlehen laut Dr. Klein Privatkunden AG Mitte April mehr als doppelt so viel wie noch Ende 2021. "Zum Teil sehe ich aktuell eine Übertreibung des Marktes. Vor diesem Hintergrund wäre auch ein Zinsniveau von 3 Prozent für zehnjährige Baufinanzierungen in 2022 vorstellbar - aus heutiger Sicht allerdings nicht mit rationalen Gründen zu erklären", so die Einschätzung von Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG. ph

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