Die EZB macht (hoffentlich) Ernst

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

7,5 - 7,4 - 5,9 - 5,1 - 5,0 - 4,9 - 4,1: Auch wenn natürlich kein Drehbuch existiert, das den richtigen Zeitpunkt für das Anziehen der geldpolitischen Zügel festlegt, so kommt man beim Betrachten dieser Zahlenreihe doch um eine unumstößliche Tatsache nicht herum: Die Inflationsdaten für die Eurozone rechtfertigen längst eine Zinsanhebung.

Und nach vielen Monaten des Dementierens, Zauderns, Lavierens und vergeblichen Hoffens, dass all die inflationären Hiobsbotschaften nur temporärer Natur wären, scheint sich diese unbequeme Wahrheit letztlich doch auch noch ihren Weg in den EZB-Rat zu bahnen. "Jetzt reicht es nicht mehr zu reden, wir müssen handeln", brachte es etwa EZB-Direktorin Isabel Schnabel Anfang Mai im Handelsblatt-Interview mit bis dato nicht gekannter Vehemenz auf den Punkt.

Angesichts des sich verbreiternden Inflationsdrucks hält sie eine erste Zinserhöhung "im Juli für möglich", schließlich müsse die EZB "verhindern, dass sich die hohe Inflation in den Erwartungen festsetzt". Dass die EZB nun tatsächlich Ernst zu machen scheint, legen Äußerungen diverser weiterer EZB-Granden nahe, die in die exakt gleiche Kerbe schlagen. Ja selbst eine "Super-Taube" wie Olli Rehn spricht inzwischen von 50 Basispunkten höheren Zinsen bis September dieses Jahres.

So begrüßenswert dieser verbale Richtungswechsel auch ist - ein flüchtiger Blick auf die Aktivitäten sonstiger Notenbanken rund um den Globus genügt bereits, um zu erkennen, dass dies nur ein erster Minischritt in einem Marathon sein kann. Wie schwierig es für Notenbanker ist, wieder "vor die Kurve" zu kommen, sprich die Deutungshoheit im Kampf gegen die hohe Inflation zurückzugewinnen, zeigt das Beispiel USA: Mit der Anhebung des Leitzinses um 50 Basispunkte auf die Spanne von 0,75 bis 1,00 Prozent hat der Offenmarktausschuss (FOMC) der US-Notenbank Anfang Mai die kräftigste Zinserhöhung seit der Dotcom-Blase im Jahr 2000 beschlossen.

Nüchtern betrachtet ist man damit aber erst auf halbem Weg, wenn überhaupt. Denn Fed-Chef Jerome Powell selbst verortet den neutralen Leitzins, der inzwischen nötig wäre, um der außergewöhnlich hohen US-Inflation (8,3 Prozent im April) wirksam beizukommen, im Bereich von zwei bis drei Prozent.

Übertragen auf die Situation in der Eurozone rät beispielsweise Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zu entsprechend kräftigen Schritten: "Ich würde der EZB von Trippelschritten abraten. Stattdessen sollten sie ihren Leitzins so lange um halbe Prozentpunkte anheben, bis sie zumindest den neutralen Zins erreicht hat, den ich bei 2,5 Prozent sehe. Vielleicht muss sie aber auch darüber hinausgehen, um die Inflation in Zukunft wieder unter Kontrolle zu bringen", so Krämers durchaus beunruhigende Bestandsaufnahme.

Und nicht nur vor dem Hintergrund der hohen Inflation ist die EZB unter Zugzwang: Der Euro-Dollar-Wechselkurs leidet seit einigen Wochen spürbar unter dem immer größer werdenden Zinsgefälle dies- und jenseits des Atlantiks und war zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses auf den tiefsten Stand seit etwa fünf Jahren gefallen. Nicht viel besser sieht die jüngste Bilanz zum Schweizer Franken und chinesischem Renminbi aus.

Weiter keine Entspannung ist derweil bei den Bauzinsen in Sicht. Nach Angaben von Interhyp verteuerten sich Immobilienkredite im April nochmals um rund 0,5 Prozentpunkte. Darlehen mit zehnjähriger Zinsfestschreibung kosteten demnach Anfang Mai im Durchschnitt satte 2,6 Prozent - mehr als doppelt so viel wie zu Jahresbeginn, als die Zinsen noch bei rund einem Prozent lagen.

Eine Kaufzurückhaltung sei gleichwohl noch nicht feststellbar, wie die Kollegen von der Dr. Klein Privatkunden AG berichten: "Dafür sind Immobilien nach wie vor zu attraktiv, gerade in der jetzigen Phase." ph

Realkredite: Konditionen Stand 23. Mai 2022 Quelle: Interhyp AG
Realkredite: Konditionen Stand 23. Mai 2022 Quelle: Interhyp AG

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X