Ökonomie vor Ökologie

Nachhaltigkeit ist en vogue. Es gibt kaum noch ein Unternehmen, das sich nicht nachhaltiges Wirtschaften und Handeln auf die Fahne geschrieben hat. Doch zwischen Absicht und Wirklichkeit können Welten liegen.

Die Studie "Nachhaltigkeit in der Assekuranz" des Netzwerks AMC und Better Relations aus dem vergangenen Jahr attestiert Versicherungen einigen Nachholbedarf in puncto Nachhaltigkeit. So ergriffen Versicherungsunternehmen zwar durchaus Einzelmaßnahmen. Es fehle allerdings zumeist das strategische Gesamtkonzept. Darin müssen zunehmend auch Immobilienanlagen berücksichtigt werden, da sie einen immer größeren Stellenwert in den Portfolios von Versicherungen einnehmen: Der Immobilienstudie von Feri Eurorating Services 2014 zufolge stieg die Immobilienquote institutioneller Investoren zwischen 2012 und 2014 von 7,3 Prozent auf 8,3 Prozent. Das Plus bei Versicherungen war noch deutlicher. Hier kletterte die Quote um 1,6 Prozentpunkte auf 7,6 Prozent - und damit um mehr als ein Viertel.

Nach der grundsätzlichen Bedeutung von Nachhaltigkeit im Rahmen von Immobilienanlagen befragt, gaben 51,6 Prozent der Institutionellen an, dass diese eher gering sei. Dieses Ergebnis überrascht auf den ersten Blick - insbesondere im Vergleich zur Erhebung im Jahr 2008. Seinerzeit sprachen lediglich 34,6 Prozent dem Aspekt der Nachhaltigkeit eine geringe Relevanz zu. Dafür maß damals knapp die Hälfte der Befragten nachhaltigen Immobilieninvestments einen großen Stellenwert bei. Heute sind nur noch 34,1 Prozent dieser Ansicht. Das Antwortverhältnis hat sich also umgekehrt. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, institutionellen Investoren ein schwindendes Verantwortungsgefühl gegenüber der Umwelt zu unterstellen - ganz im Gegenteil. Vielmehr lassen sich die aktuellen Antworten dadurch erklären, dass nachhaltige Immobilien im Neubausegment inzwischen zum Standard geworden sind, diesem Aspekt also weniger gezielte Aufmerksamkeit geschenkt wird.

So erklärt sich auch der Umstand, dass üblicherweise mit Nachhaltigkeit gleichgesetzte Umweltzertifikate in der Studie als vergleichsweise unwichtig eingeschätzt werden. Zeigte ein Umweltlabel noch vor einigen Jahren an, dass ein Objekt bestimmten Nachhaltigkeitskriterien entspricht, erfüllen Neubauten in Deutschland, dem favorisierten Anlageziel der Investoren, heute in der Regel ohnehin höchste Nachhaltigkeitsstandards. Ein Zertifikat stellt also kein Unterscheidungsmerkmal mehr bei der Vermietung oder beim Verkauf dar.

Dabei steht bei institutionellen Immobilieninvestments - wenig verwunderlich - nach wie vor der Aspekt der Ökonomie über dem der Ökologie. Bei der Auswahl achten die Investoren auf gute Wiedervermietungsmöglichkeiten und eine energieeffiziente Bewirtschaftung, insbesondere im Sinne niedriger Nebenkosten, sowie auf gute Wiederverkaufsmöglichkeiten. Die Schonung der Umwelt, eine längere Lebens- beziehungsweise Nutzungsdauer sowie eine ressourcensparende Bauweise und Steigerung der Rendite finden bereits weit weniger Zuspruch. Kurzum: Die Nachhaltigkeitsgedanken institutioneller Investoren wie Versicherungen werden in erster Linie von der Objektattraktivität geprägt und nur zweitrangig von "grünen" Faktoren.

Dass das Thema Nachhaltigkeit aber durchaus bei den Versicherern angekommen ist, zeigt ein Blick auf Sachwertanlagen neben Immobilien. So gaben in der Befragung von Feri 30,4 Prozent der Versicherungen an, in erneuerbare Energien zu investieren - der höchste Anteil unter den befragten institutionellen Anlegergruppen. Spitzenreiter ist die Assekuranz auch bei der Frage, ob dieser Anteil bis 2017 ausgebaut werden soll. Dies beabsichtigen 39,1 Prozent der Versicherer. Im Durchschnitt aller befragten Anleger planen nur 16,3 Prozent, den Anteil an Investments in erneuerbare Energien zu erhöhen.

Das Thema Nachhaltigkeit in Unternehmen im Allgemeinen und Versicherungsunternehmen im Speziellen geht weit über die Frage nach "grünen" Immobilienbeziehungsweise Sachwertinvestments hinaus. Nichtsdestotrotz kommt ihnen eine enorme Bedeutung zu, wenn die Branche in den - laut AMC-Studie "längst überfälligen" - Strategieprozess zur Nachhaltigkeit einsteigen will.

Wolfgang Kubatzki, Mitglied der Geschäftsleitung, Feri Eurorating Services AG, Bad Homburg

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