Im Blickfeld

Verborgene Standortfaktoren

Standortfaktoren haben meist zwei Wirkungsrichtungen - man spricht von "Push"- und "Pull"-Faktoren, also Aspekten, die einen Interessenten an einen Standort heranziehen oder aber von ihm abstoßen. Die Verkehrsanbindung ist ein anschauliches Beispiel. Sie kann gut sein oder schlecht. Auch bei Fragen, die die Architektur betreffen, gibt es Faktoren, die in beide Richtungen wirken können: Die Fassade kann als hässlich empfunden werden oder schön. Übersehen werden meiner Meinung nach aber Faktoren, die grundsätzlich nur negativ wirken können.

Denn es gibt Aspekte beim Immobilienkauf, die faktisch immer nur in eine Richtung wirken können: Negative "Push"-Faktoren, die Interessenten abstoßen. Dies trifft mehr oder weniger auf alles zu, das gemeinhin als gegeben hingenommen und als vermeintlich normal angesehen wird, ohne dass dies noch einen besonderen Reiz ausübt. Fehlt es jedoch daran, fällt dies besonders auf. Ein einfaches Beispiel sind Stellplätze. Sie werden von Wohnungskäufern vorausgesetzt. Wer einen Stellplatz anbietet, wird damit nur bedingt punkten können. Wer aber zugeben muss, dass es weder Carport noch Tiefgarage gibt, wird viele Interessenten abschrecken. Nun liegt die Frage nach einem Stellplatz noch auf der Hand.

Es gibt aber auch Aspekte, die leichter übersehen werden. Dazu gehört zum Beispiel der Standort der gemeinschaftlichen Mülltonnen in einem Wohnkomplex. In Mitteleuropa herrscht Westwind vor. Liegt der Standort westlich der Gebäude, weht der Müllgeruch in Richtung Wohnungen. Kein Interessent wird aktiv nach dem Standort der Mülltonnen fragen. Niemand wird den Punkt innerlich abhaken und den Bauherrn für eine gute Wahl des Müllplatzes beglückwünschen. Im Normalfall achtet der Interessent nicht auf den Punkt. Wenn er aber bei einer Besichtigung sprichwörtlich mit der Nase auf den Umstand gestoßen wird, kann eine Geruchsbelästigung Zünglein an der Waage sein.

Ein weiteres Beispiel kommt aus einem gänzlich anderen Feld: Wer Wohneigentum erwirbt, geht davon aus, dass bei der Errichtung des Gebäudes niemand zu Schaden gekommen ist. Er geht davon aus, dass das Thema Arbeitssicherheit auf der Baustelle ernst genommen wurde. Erneut gilt: Er zieht diesen Aspekt üblicherweise nicht in sein Kalkül und seine Abwägung über ein Objekt mit ein.

Anders verhält es sich, wenn er von einem Unfall auf "seiner" Baustelle erfährt - sei es, weil er die Baustelle zum "falschen" Zeitpunkt besichtigt hat oder aus den Medien von einem Unglück erfährt. Das Beispiel der WM-Baustellen in Katar zeigt, welche Wellen gefährliche Baustellen in der öffentlichen Diskussion (zu Recht) schlagen können. Das Wissen, dass Menschen zu Schaden kamen, kann eine Wohnimmobilie unverkäuflich oder zumindest schwer verkäuflich machen - ein schwer zu überwindender Push-Faktor.

Unabhängig davon, dass jeder Entwickler verantwortlich genug sein sollte, für ein Höchstmaß an Sicherheit auf seinen Baustellen zu sorgen, liegt im Falle des Versagens auch ein ökonomisches Risiko: Vermarktungsaufwand und -dauer steigen, wenn bekannt ist, dass eine Immobilie mit einem Unglücksfall in Verbindung steht. Von den Imageschäden für den Bauherrn ganz zu schweigen.

Immobilienentwickler unterschätzen die Gefahr solcher auf den ersten Blick verborgenen Negativfaktoren.

Andreas Fohrenkamm, Geschäftsführer, NCC Deutschland GmbH, Fürstenwalde

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