Leitartikel

Heftiger Stress für Wohnungsmärkte

Eine zu erwartende Binnenwanderung in Deutschland, einhergehend mit einem generellen Bevölkerungsrückgang aufgrund der Demografieentwicklung, wird die regionalen Verhältnisse in unserem Land in den nächsten Jahren erheblich durcheinander schütteln: Die rund 34 Millionen Einwohner in Wachstumsgebieten werden sich nach den vorliegenden Prognosen in den nächsten 20 Jahren auf über 38 Millionen Einwohner erhöhen; demgegenüber vermindert sich die Bewohnerzahl bis 2030 in den Schrumpfungsregionen um drastische 20 Prozent von 48 Millionen auf 39 Millionen Einwohner. Die geschilderten Entwicklungen beinhalten übrigens keine möglichen Zuwanderungseffekte. Der Bevölkerungsrückgang erfordert in den Schrumpfungsgebieten völlig veränderte Stadtentwicklungsstrategien - geordneten Rückbau, Zentralisierung, kreative Versorgungskonzepte. In den Wachstumsregionen sind demgegenüber offensive Maßnahmen zur Infrastrukturverbesserung, zur Förderung des Wohnungsbaus und zur qualitativen Quartierssicherung gefragt.

Hinzu kommt, dass gleichzeitig in den nächsten 20 Jahren weitere große Herausforderungen auf den Wohnimmobilienmärkten warten: Sollen bis 2030 rund 30 Prozent des Wohnungsbestandes energetisch umgerüstet werden, um die Klimaziele zu erreichen, so sind rund zwölf Millionen Wohneinheiten betroffen. Wird vorsichtig einmal ein durchschnittlicher Aufwand von 30 000 Euro angesetzt, so macht das einen Aufwand von 360 Milliarden Euro aus. Dabei geht es um so unterschiedliche Aufgabenstellungen wie Heizungsumrüstungen, Fassadendämmungen und Nutzung alternativer Energietechniken. In diesem Zusammenhang sei auch auf die erheblichen Herausforderungen verwiesen, die sich mit dem Thema verbinden: technische, architektonische und städtebauliche Probleme der Fassadengestaltung im Bestand, Tragbarkeit der Kosten auf Investorenseite und Kostenbeteiligungsfähigkeit/-willigkeit von Mietern.

In 20 Jahren werden in Deutschland in 25 Prozent aller Haushalte Bewohner älter als 70 Jahre sein. Demgegenüber ist derzeit nicht einmal ein Prozent des Bestandes von 40 Millionen Wohnungen altengerecht beziehungsweise barrierearm ausgebaut. Da die Deutschen - das gilt für Mieter wie für Eigentümer - nach übereinstimmenden Untersuchungen ganz überwiegend möglichst lange selbstbestimmt in ihrer angestammten Umgebung wohnen bleiben wollen, sind 20 Prozent umzurüstender Wohnungen eher als Untergrenze des Bestandsumbaus anzusehen. Wird als durchschnittliche Investitionssumme ein Betrag von 20000 Euro angenommen, der sich in vielen Fällen deutlich erhöhen dürfte (nachträglicher Aufzugseinbau, erheblich veränderte Wohnungsausstattung), bedeutet das Kosten von rund 160 Milliarden Euro. Auch bei dieser Thematik stellt sich die Frage der Finanzierungsfähigkeit (Alter der Eigentümer) und Belastbarkeit von Mietern und Eigentümern. Schon heute sind etwa 50 Prozent der privaten Haus- und Wohnungsvermietungen nicht rentabel. Das gleiche dürfte für selbst nutzende Eigentümer gelten.

Dabei sind die Wohnungsbestände in Deutschland zu mehr als 75 Prozent im Eigentum von Privatleuten. Selbstnutzer besitzen 16 Millionen Wohnungen, 15 Millionen Wohnungen entfallen auf Kleinvermieter (mit bis zu jeweils fünf Wohneinheiten) und nur rund neun Millionen Wohnungen gehören den privaten und öffentlich-rechtlichen Wohnungsgesellschaften. Hinzu kommt: Mehr und mehr ziehen sich die "professionellen" Wohnungsgesellschaften mit ihren Beständen aus den Schrumpfungsgebieten zurück und konzentrieren sich auf die lukrativen Wachstumsregionen. Zurück bleiben die "privaten" Haus- und Wohnungseigentümer mit ihrem Bestand, der in vielen Regionen zunehmend und nachhaltig an Wert verliert.

Bilanzieren wir: Aufgrund der Binnenwanderung in die Wachstumsgebiete ist dort ein Neubaubedarf von über zwei Millionen Wohnungen zu erwarten. Hinzu kommt ein altersbedingter Ersatzbedarf - nahezu ausschließlich auch in diesen Regionen - von über einer Million Wohnungen, was sich dann auf ein Neubauvolumen von insgesamt rund 3,5 Millionen Wohneinheiten summiert. Mit durchschnittlich angesetzten 160000 Euro ergibt sich ein Investitionsvolumen von 560 Milliarden Euro. Die Maßnahmen der energetischen Umrüstung und des altengerechten Bestandsumbaus hinzugenommen, errechnen sich bis 2030 insgesamt Investitionen von etwa 1,1 Billionen Euro. Darin sind dann nicht einmal die "normalen" Erhaltungsinvestitionen im Bestand eingerechnet, die noch - gegebenenfalls anteilig, da zum Teil integriert in die Bestandsmaßnahmen - addiert werden müssen. Haben wir uns in Politik und Wirtschaft auf diese Herausforderungen und deren Konsequenzen schon hinreichend eingestellt?

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