Leitartikel

Genossenes

Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung - dies sind die schon anno 1847 von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen formulierten Grundsätze des Genossenschaftswesens. Ein alter Hut möchte man meinen. Hatte doch der Genossenschaftsgedanke seinen Ursprung in der Armut westerwälder Bauern und sächsischer Handwerker. Selbst wenn auch hierzulande nach wie vor Armut exisitiert, so ist sie doch derzeit kein Massenphänomen. Vielmehr sei der Staat, so wird es propagiert, durch die Überdehnung der sozialen Netze an seine finanziellen Belastungsgrenzen gestoßen. Schuld daran sind nicht die Genossen, sondern die jahrzehntelange Hätschelei der jeweiligen Wählerklientel durch die regierenden Parteien - egal welcher Couleur. Alles zu Lasten des Staatshaushalts.

Heute nun muss darüber nachgedacht werden, wie die Menschen bewegt werden können, von ihrer gelernten Staatsgläubigkeit abzulassen. Dazu gehört unter anderem, selbst für den Erhalt des Lebensstandards im Alter vorzusorgen. Dabei hilft es jedoch kaum, die staatlich geförderten Angebote derart komplex zu gestalten, dass die Bürger sie nicht mehr verstehen.

Riester schleicht trotz medialer Unterstützung immer noch den hohen Erwartungen - und wohl auch dem Bedarf - hinterher. Wie viel greifbarer sind dagegen die eigenen vier Wände? Allerdings wird sich ein Großteil der Bevölkerung nie das Häuschen im Grünen leisten können - erst recht nicht, wenn staatliche Anreize der Sparwut anheimfallen. So droht nach der Eigenheimzulage in Kürze vielleicht auch der Wohnungsbauprämie das Aus - als Kompensation für Wohn-Riester, welcher die Kompensation der Eigenheimzulage sein soll.

Daher mag es nicht wundern, wenn Interessenvertreter wie Lutz Freitag (siehe Seite 806) das genossenschaftliche Wohnen als erschwingliche Alternative anpreisen, weil es die Flexibilität einer Mietwohnung und die Sicherheit des Eigentums verbinde. Immerhin zählen die 1 991 Wohnungsbaugenossenschaften 2,91 Millionen Mitglieder, die 3,2 Milliarden Euro Geschäftsguthaben als Genossenschaftsanteile eingezahlt haben. Insgesamt verwalten die Genossenschaften 2,288 Millionen Wohnungen, von denen sie 2,153 Millionen Einheiten besitzen. Gemessen am gesamten Wohnungsmarkt von 38,7 Millionen macht das zwar gerade einmal 5,6 Prozent, doch nimmt man nur den Mietwohnungsmarkt als Basis, kommen die Genossen immerhin auf einen Anteil von 9,1 Prozent. Exklusive der privaten Kleinvermieter ist sogar mehr als jede fünfte professionell vermietete Wohnung (22 Prozent) eine genossenschaftliche. Lediglich kommunale und privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen haben mit 28,1 Prozent beziehungsweise 26,6 Prozent höhere Marktanteile.

Doch nicht nur im Wohnungsbau, sondern auch bei dessen Finanzierung erreichen Genossenschaften eine beachtliche Marktpräsenz. Im Jahr 2005 entfiel rund ein Fünftel der Kredite, die dem Wohnungsbau dienen, auf die Kreditinstitute des genossenschaftlichen Finanzverbundes. Während die genossenschaftlichen Zentralbanken sich bei Wohnungsbaudarlehen noch nie sonderlich engagiert zeigten und derzeit gerade einmal auf einen Anteil von 0,05 Prozent am Gesamtmarkt erreichen, konnten die genossenschaftlichen Primärinstitute ihren Anteil von 4,7 Prozent im Jahre 1970 auf mittlerweile 15,7 Prozent (Stand Juni 2006) mehr als verdreifachen.

Allerdings ging das Wachstum der Kreditbestände auf 186,1 Milliarden Euro in den vergangenen Jahren in nicht unerheblichem Maße zulasten der Verbundunternehmen. Einerseits nahmen die Primärbanken einen Großteil der selbst vermittelten Baufinanzierungen auf die eigenen Bücher, weil die Kreditnachfrage insgesamt stagnierte, mit Baufinanzierungen derzeit mehr zu verdienen ist als mit Eigenanlagen, und Eigenheimbau doch erst recht unter Basel II so gut ins Risikoprofil passt. Andererseits behielten die Platzbanken einen erheblichen Teil der von Schwäbisch Hall vermittelten außerkollektiven Darlehen im eigenen Haus, statt sie an die drei Spezialbanken des Verbundes - DG Hyp, Münchener Hyp und WL Bank - weiterzureichen. Folglich ist die Luft für die drei Pfandbriefinstitute deutlich dünner geworden, denn jetzt konkurrieren sie noch intensiver um jede der gut 1200 Volksbanken und Raiffeisenbanken in diesem Lande. Dass bei dieser Kannibalisierung nicht jedes Haus erfolgreich sein kann, ist offensichtlich. Die Lösung: eine Fusion. Doch dazu müssen im Norden erst persönliche Animositäten in den jeweiligen Zentralbanken überwunden und unterschiedliche Vorstellungen über die Organisationsstrukturen in Einklang gebracht werden. Doch dem Vernehmen nach nähern sich Frankfurt und Düsseldorf und damit zwangsläufig auch Hamburg und Münster jetzt wieder an. Einzig die konzernunabhängigen Münchener verschließen sich bislang dem gemeinsamen Tänzchen. Und sie wollen gute Gründe dafür haben: So sind sie als einziges der drei Institute selbst eine Genossenschaft. Dies, so wird auf bayerisch argumentiert, verschaffe dem Verbund zusätzliche Refinanzierungsvorteile, weil internationale Investoren das Institut nicht den Limiten der beiden genossenschaftlichen Zentralbanken zurechneten (siehe Seite 811). Dieses exzellente Standing wolle man verständlicherweise nicht ohne Not aufgeben.

Somit bleibt fraglich, ob der Verbund seine Pfandbrief-Troika überhaupt unter eine einheitliche Lenkung bekommen kann. Doch solange dies nicht der Fall ist, und je weniger die Primären Darlehen weiterreichen, desto stärker müssen die drei Institute in das Direktgeschäft vor allem mit den Kommunen und der Wohnungswirtschaft einsteigen. So ist die WL Bank - vom WGZ-Bank-Konzern zum Kompetenzcenter für Öffentliche Finanzierungen geadelt - nicht nur im Bereich Public Private Partnership, sondern auch beim Schuldenmanagement für Kommunen aktiver geworden (siehe Seite 814). Und auch bei der DG Hyp konzentriert man sich wieder auf die spezielle Expertise im eigenen Haus und berät jetzt zusammen mit der Tochtergesellschaft Immofori bei der Ausplatzierung von Nonperforming Loans (siehe Seite 808). Dass die Bank dabei nicht selbst als Käufer auftritt, verwundert kaum, hat doch der Verbund mit der BAG Hamm bereits eine erfahrene "Bad-Bank" für die Übernahme notleidender Engagements.

Doch es gibt noch mehr Baustellen im genossenschaftlichen Verbund. So musste die DG Hyp nach gut sieben Jahren erkennen, dass im Hypothekenprocessing doch nicht alles so standardisierbar ist, wie es wünschenswert gewesen wäre. Und auch die Bereitschaft der Volksbanken und Raiffeisenbanken, ihre Prozesse in das VR Kreditwerk auszulagern, ist bislang gering. Um künftig mehr Platzbanken auf das System zu holen, mögen zwar die kürzlich mit den beiden genossenschaftlichen Rechenzentren GAD und Fiducia realisierten technischen Lösungen hilfreich sein, viel wichtiger scheint jedoch, vor Ort erst einmal von der Nützlichkeit des Outsourcing zu überzeugen. Dass die Kreditfabrik dabei zunächst bei der internen Prozessoptimierung hilft, macht deutlich, wie behutsam die Primären an das Outsourcing herangeführt werden müssen (siehe Seite 816). Technik ist eben nicht alles.

Schwierig ist die Situation auch im Bereich der Offenen Immobilienfonds, die im Verbund von der Difa Deutsche Immobilien Fonds AG, die ab 2007 in Union Investment Real Estate firmiert, gemanagt werden. Zwar bejubelte die Gesellschaft, dass ihre vier Offenen Immobilien-Publikumsfonds mit 12,8 Milliarden Euro ihren Marktanteil seit Ende 2005 von 16,4 Prozent auf 17,1 Prozent steigerte, doch flossen vor allem aus dem Difa-Fonds Nr. 1 und dem Difa-Grund erhebliche Mittel ab. Insgesamt gaben die Anleger allein bis Ende Oktober dieses Jahres Anteilscheine in Höhe von 1,24 Milliarden Euro zurück. Entsprechend mussten Objekte für 1,5 Milliarden Euro verkauft werden, denen aber nur 875 Millionen Euro Investitionen gegenüberstanden. Für November wurden nochmals erhebliche Mittelabflüsse gebucht, weil die Union Investment jene Anteile zurückgibt, die sie zu Jahresbeginn übernommen hatte, um eine Fondsschließung wegen hoher Anteilscheinrückgaben zu verhindern.

Genossenschaften vermögen eben auch nicht, alles besser zu machen als die anderen. Unmodern sind sie deswegen aber noch lange nicht. L.H.

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