Leitartikel

Ausgebremst

Angela Merkel macht für ihre Wiederwahl alles richtig. So zumindest lassen sich die aktuellen Studienergebnisse der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung interpretieren. Demnach fällt es nämlich vor allem den Sozialdemokraten schwer, ihre Wähler dann an die Urnen zu bringen, wenn sich die Positionen der Parteien zu sehr ähneln. Während also Herausforderer Peer Steinbrück zu polarisieren versucht, meidet die Kanzlerin ideologische Grundsatzdebatten und bekennt sich offen zum Ideenklau. Da die Union später als andere Parteien ihr Wahlprogramm entwarf, war reichlich Zeit die politische Konkurrenz zu studieren und deren populäre Positionen - soweit sie mit konservativen Standpunkten vereinbar sind - zu übernehmen. Dabei werden zur Überraschung vieler sogar vermeintlich originär linke Forderungen zu denen der "Konservativen" gemacht. Dazu gehört zum Beispiel, dass jetzt auch die Christdemokraten bei Neuverträgen die Möglichkeiten von Mieterhöhungen deutlich beschneiden wollen. Zwar vermeidet es die Union, sich bei der sogenannten "Mietbremse" auf einen konkreten Deckel festzulegen, doch muss gefragt werden, wieweit politischer Opportunismus gehen darf. Gerechtfertig ist eine Preisobergrenze nur bei spekulationsgetriebenen Teuerungen. Doch dann steckt der Fiskus bekanntlich in einem Dilemma. Man kennt das von den Benzinpreisen: Je stärker sie steigen, desto mehr verdient der Staat mit. Eine Spekulationsblase ist an den hiesigen Wohnungsmärkten auch laut Bundesbank derzeit allenfalls lokal begrenzt und in kleinen Segmenten auszumachen.

Wohl aber gibt es in den Ballungsräumen und vielen Universitätsstädten - unabhängig von den jeweiligen Regierungskonstellationen vor Ort - einen eklatanten Wohnungsmangel. Dieser ist jedoch zuallererst durch politische Entscheidungen hervorgerufen worden. Nachfrageseitig führten doppelte Abiturjahrgänge und die gleichzeitige Aussetzung der Wehrpflicht zu einer regelrechten Studentenflut in den Hochschulstädten, ohne dass die lokalen Wohnungsmärkte darauf vorbereitet gewesen waren. Gleichzeitig lässt die zunehmende Singularisierung trotz rückläufiger Bevölkerung die Zahl der Haushalte - also der Wohnungsnachfrager - steigen, ohne dass die Politik bislang darauf reagiert hätte. Ebenso tatenlos wird die Migration vom Land in die Städte zur Kenntnis genommen, statt die Entwicklung zu gestalten. Im Gegenteil. Der Verknappung des Wohnungsangebots und den Mietsteigerungen wird sogar Vorschub geleistet. Wenn Kommunen neues Bauland ausweisen, sind sie in der Regel bestrebt, es an den Meistbietenden zu verkaufen. Darüber hinaus werden von vielen Gemeinden die Hebesätze der Grundsteuer B heraufgesetzt, mitunter sogar verdoppelt.

Auch die Anhebung der Grunderwerbsteuer durch die Bundesländer hat sich für den Mietwohnungsbau als Investitionshemmnis erster Ordnung erwiesen. Gleiches gilt für die Verschärfung der energetischen Anforderungen an neue Gebäude. Denn Mittel, die für die energetische Sanierung und Modernisierung des Bestands aufgewendet werden müssen, fehlen für den Neubau. Ein Übriges trug die Änderung der Abschreibungssätze (Afa) zur aktuellen Marktsituation bei. Denn die seit 2006 geltenden zwei Prozent Afa über 50 Jahr kompensiert den Wertverzehr der Immobilien von durchschnittlich vier Prozent pro Jahr nicht. Dadurch wird die Schaffung neuer Wohnungen für Private unattraktiv, es sei denn, ihnen gelingt es, die Differenz auf die Miete respektive den Verkaufspreis der Wohnungen umzulegen. Vielerorts ist das jedoch gar nicht im erforderlichen Maße möglich - aufgrund der Gesetzeslage oder weil der Markt es nicht hergibt. So findet Mietwohnungsneubau allenfalls noch im hochpreisigen Segment statt. Eine Mietpreisbremse wäre eine weitere Belastung für den Markt, weil durch sie keine einzige zusätzliche Wohnung entsteht, sondern potenzielle Investoren abgeschreckt werden. Es ist freilich absurd, dass man erst den Wohnungsmarkt mit reichlich Restriktionen überzieht und dann deren negativen Effekten einerseits mit zusätzlichen Regelungen und andererseits Förderanreizen entgegenwirken will. Um dem Mietwohnungsbau wieder Schwung zu geben, braucht es in erster Linie Bauland. Daran mangelt es jedoch vor allem in den prosperierenden Städten und Zuzugsregionen. Hier müssen mehr Möglichkeiten der Nachverdichtung zugelassen und genutzt werden. Dafür sind unter anderem effiziente und zügige Planungs- und Genehmigungsverfahren nötig.

Tatsächlich verwenden die Parteien im Wahlkampf viel Energie auf "Mietpreisbremse" und Afa, die jedoch nur für einen sehr kleinen Teil des deutschen Wohnungsmarktes relevant sind. Die Mehrheit der Städte und Kreise wird zukünftig mit Abwanderung und einer Zunahme der Seniorenhaushalte konfrontiert sein. Dort werden die Leerstände zunehmen und gleichzeitig altersgerechte Umbauten notwendig werden. Um diese Probleme zu lösen, bleiben die Wahlkämpfer bislang Konzepte schuldig.

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