Leitartikel

Politischer Leerstand

Einfalt statt Einfallsreichtum kennzeichnet die derzeitige Bundespolitik. Zwar sollte angenommen werden, dass sich Regierung und Opposition ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl mit Visionen, Ideen und Entschlossenheit den Bürgern empfehlen, doch weit gefehlt. Statt mit zukunftsweisende Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu werben, verbrämt die Regierung ihre Taten- und Konzeptlosigkeit als "Politik der ruhigen Hand". Da sieht es die Familienministerin nicht als ihre Aufgabe an, die Wirtschaft frauen- und das Land kinderfreundlicher zu gestalten. Da fühlt sich die Verbraucherschutzministerin angesichts falsch deklarierter Lebensmittel nicht verpflicht, die Kontrollen zu verstärken. Da putzt der Verteidigungsminister seine mit Umstrukturierungen und Kampfeinsätzen traktierte Truppe als wehleidig herunter. Die Reihe der Kabinettsmitglieder, die sich ihre Überflüssigkeit selbst attestieren, ließe sich fortsetzen.

Da macht leider auch der Bundesbauminister keine Ausnahme. Ihm ist vorzuhalten, dass er der zunehmenden Wohnungsknappheit und den stark steigenden Mieten und Hauspreisen zu lange zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es musste sich erst die Opposition des Themas annehmen. Dabei waren die aktuelle Wohnungsnot und die damit einhergehenden Preissteigerungen vorhersehbar. Bausparkassen und die Verbände der Wohnungswirtschaft mahnen seit Jahren bessere Bedingungen für den Wohnungsneubau an. Sogar die ministeriumseigenen Forschungsinstitute beziffern den Neubaubedarf auf jährlich 183 000 bis 193 000 Wohnungen, nur um den Bestand stabil zu halten. Tatsächlich blieben die Fertigstellungszahlen jahrelang deutlich darunter, auch weil sich der Bund sukzessive aus der Wohnungsbauförderung zurückgezogen hatte. Länder und Kommunen ließen es im Rahmen der sogenannten Föderalismusreform geschehen und kassierten Kompensationsmittel, die aber entweder zu gering waren oder zu wenig effizient eingesetzt wurden. Stattdessen drängte der Bund mit Gesetzen, Fördermitteln und reichlich Propaganda die Vermieter und Hausbesitzer zu energetischen Modernisierungen. Über den ökologischen Nutzen des verklebten Styropors und der aufgesetzten Solarzellen mag man streiten, letztlich fehlen aber auch diese Mittel für den Neubau - zumal viele Investitionen nicht umlagefähig waren und zum Teil noch sind.

Um jetzt den Wohnungsbau anzukurbeln, werden längst beerdigt geglaubte Instru mente ausgebuddelt und als vermeintliche Innovationen präsentiert. So greifen die Sozialdemokraten tief in den Giftschrank des Dirigismus und offerieren Maßnahmen, die schon früher nutzlos oder mit reichlich unerwünschten Nebenwirkungen verbunden waren. Neuvertragsmieten zu deckeln, Kappungsgrenzen zu senken und die Umlagemöglichkeiten von Sanierungskosten auf die Mieter zu verringern, sind kaum geeignet, um den Mietwohnungsbau anzukurbeln. Dagegen hat Peter Ramsauer immerhin verstanden, dass einem Nachfrageüberhang am besten mit einer Ausweitung des Angebots zu begegnen ist. "Bauen, bauen, bauen - 250 000 neue Wohnungen pro Jahr mindestens", hat er als Ziel ausgegeben. Auf die Frage, wie er das schaffen will, fallen ihm allerdings auch nur die alten Rezepte ein.

Ein Vorschlag des Bundesbauministers: Wiedereinführung der Eigenheimzulage. Dabei war diese Subvention einst gestrichen worden, weil sie für den Bund zu teuer geworden war. Angesichts von Schuldenbremsen und Rettungsschirmen erscheint die Zulage anachronistisch. Zudem waren die privaten Haushalte in den zurückliegenden Jahrzehnten die Stütze des Wohnungsneubaus. Jährlich etwa 110 000 Wohnungen wurden in Ein- und Zweifamilienhäusern errichtetet - mehr als im Geschosswohnungsbau. Und wegen der historisch niedrigen Zinsen ist Wohneigentum trotz der nachfragebedingten Preissteigerungen sogar erschwinglicher geworden. Aufgrund dieser "Sonderkonstellation" wächst aus Sicht der Bundesbank die Gefahr von Fehlallokationen, die den Häusermarkt und die Gesamtwirtschaft zukünftig belasten könnten. Sollte die Entwicklung anhalten, müsste ihrer Meinung nach mit strikteren Beleihungsgrenzen oder höheren Tilgungsbeiträgen gegengesteuert werden. Eine neue Eigenheimzulage würde die Entwicklung noch verschärfen und käme dem Steuerzahler am Ende doppelt teuer zu stehen. Ein weiterer Vorschlag: Absenkung der Grunderwerbsteuer. Die jedoch ist Sache der Länder, die diese Abgabe zuletzt erst kräftig erhöht hatten. Auch der dritte Vorschlag, die Anhebung der Höchstgrenzen beim Wohngeld, wird kaum mehr Wohnraum schaffen, sondern nur Mieterhöhungen alimentieren. Wirklich wirksam im Sinne einer Ausweitung des Geschosswohnungsbaus wäre die von Wohnungswirtschaft und Mieterbund seit Langem geforderte Wiedereinführung der degressiven AfA. Dass diese jetzt auch auf der Agenda des Bundesbauministeriums steht, ist ein gutes Signal. Doch um den Bau bezahlbarer Wohnungen anzukurbeln, braucht es mehr als bloßer Absichtserklärungen.

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