Leitartikel

Zeit für "Handels-Banken"?

sb - Die Readers Digest Studie European Trusted Brands bestätigt einmal mehr: 39 Prozent der Europäer vertrauen den Banken heute weniger als vor fünf Jahren. Trotz allem muss der Mensch aber seine finanziellen Angelegenheiten regeln und braucht dafür Dienstleister. Auf der Suche nach einem Vertrauensanker wenden sich die Verbraucher deshalb offenbar verstärkt den Nichtbanken zu. Unternehmen, die als vertrauenswürdig eingestuft werden, zieht der Kunde auch für den Abschluss von Finanzdienstleistungen in Betracht, wobei das Image der Vertriebsmarke auf den Produktgeber über tragen wird. Nur so lässt sich erklären, dass laut einer aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts Finaccord bei etlichen Unternehmen eine hohe Abschlussbereitschaft für Finanzprodukte selbst dann besteht, wenn diese gar nicht angeboten werden.

Ursprünglich branchenfremde Wettbewerber der Banken, bei denen der Imagetransfer trefflich funktioniert, sind längst die Finanzdienstleister der Autokonzerne. Primär zum Zweck der Absatzfinanzierung gegründet, sind etliche von ihnen in andere Bereiche des Privatkundengeschäfts vorgedrungen. So haben sie nicht nur bedeutende Marktanteile im Konsumentenkreditgeschäft erobert, sondern mischen auch im Konditionenwettbewerb um die Einlagen kräftig mit - auch (oder sogar gerade) in der Krise: BMW-Bank und Mercedes-Bank mussten in diesem Frühjahr dank hoher Zinsen die Neueröffnung von Tagesgeldkonten sogar temporär aussetzen, weil die Nachfrage die Kapazitäten des Back-Office überstieg. Der Einzelhandel in Deutschland dagegen hat sich den Finanzdienstleistungen bislang eher verhalten genähert. Große Händler-Banken, wie sie in anderen Märkten eingeführt sind - Beispiel Migros, Auchan oder Carrefour- gibt es in dieser Form hierzulande nicht. Dies muss jedoch nicht so bleiben. Die Edeka-Gruppe verfügt über eine eigene Bank, und auch Rewe besitzt seit 2008 eine Banklizenz. Ausgeschöpft hat der Einzelhandel sein Potenzial als Anbieter von Finanzdienstleistungen jedenfalls bislang nicht, so die Finaccord-Studie. Allein unter den ersten zehn Unternehmen mit der höchsten Anzahl an tatsächlichen oder realisierbaren Kunden für Verbraucherfinanzierungen finden sich sieben Einzelhändler. Etliche Unternehmen - darunter namentlich Aldi und Amazon und mit einigem Abstand Lidl und Rewe - haben der Studie zufolge hohes Erfolgspotenzial bei Finanzdienstleistungen in mehreren Produktsparten, obwohl sie nicht oder nur selektiv auf diesem Feld agieren. 5,6 Millionen Verbraucher sollen zum Beispiel starkes Interesse daran haben, über Aldi Kfz-Versicherungen abzuschließen, obwohl der Discounter diese gar nicht vertreibt. Bei Kreditkarten sind es rund sechs Millionen.

Der große Wettbewerb durch Händlerbanken bleibt also bislang aus. Als Vertriebspartner der Banken hingegen ist der Handel mittlerweile von hohem Wert. Die Volkswagen Bank direkt etwa hat 2008 den größeren Teil ihres Einlagenzuwachses über die Kooperation mit Lidl generiert. Der Wettbewerb um die Zusammenarbeit mit den großen Filialisten ist deshalb im Gange. Und weil diese sich der Attraktivität ihrer Vertriebsnetze für die Banken wohl bewusst sind, wird um die Vermittlungsprovisionen gefeilscht. Der Hypovereinsbank war die Partnerschaft mit Tchibo deshalb inoffiziellen Informationen zufolge zu teuer. Auch Santander Consumer verzichtete aus dem gleichen Grund auf die Fortsetzung der bisherigen Partnerschaft der Royal Bank of Scotland mit dem Kaffeeröster. Nachgerückt ist die Postbank. Eine Erfolgsgarantie bieten derartige Vertriebspartnerschaften ohnehin nicht: Das Kundeninteresse an einer Kreditkarte bei Lidl zum Beispiel ist - trotz der erfolgreichen Aktion mit Santander Consumer - eher gering. Manche Kooperation wurde auch schon mangels Erfolg beendet - oder (im Fall des Versicherungsvertriebs) per Gerichtsbeschluss gestoppt. Überdies gilt: Der Vertriebskanal eignet sich nur für wenige Produkte. Und auch hier können - dem Imagetransfer zum Trotz - Negativschlagzeilen den Anbieter einholen. Einen Ausweg aus der Vertrauenskrise bietet der Umweg über den Einzelhandel gewiss nicht.

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