Ulrich Weiss zum 70. Geburtstag

Kreditkarten in Deutschland - Gedanken und Erinnerungen

Vielleicht klingt es etwas übertrieben, aber in meiner Erinnerung ist
es einfach so gewesen: Bis in die achtziger Jahre hinein war die
Kreditkarte in Deutschland zumindest beim "typischen" Bankkunden eine
fast unbekannte Errungenschaft. Nur die Geschäftsreisenden, die
Frequent Travellers, benutzten schon öfter eine, weil es ihnen die
internationalen Gepflogenheiten so abverlangten. Die Ursachen der
langen deutschen Kartenabstinenz bündeln sich. Entscheidend war die
strategische Fokussierung einiger Banker auf den eurocheque und
vielleicht auch die ablehnende Einstellung der Kartenakzeptanten. Zu
teuer käme sie das ganze Kartenwesen im Vergleich zum Bargeld, zu
aufwendig seien die Kontroll- und Processingabläufe. "Nur Bares ist
Wahres" hieß das verbreitete Motto.
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Kunde, was willst du mehr?
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Auch den deutschen Kreditinstituten ist mancher meint dazu voller
Absicht - das Kreditkartengeschäft lange derart suspekt gewesen, dass
sie über die Ertragschancen der Sache nicht sonderlich nachdenken
wollten. Schließlich verfügte man höchstselbst mit dem
eurocheque-System über den am besten organisierten Zahlungsverkehr der
Welt: sicher, komfortabel und in ausreichendem Maße international.
Girokonto, Lastschrift, Dauerauftrag, Rahmenkredit, Dispo, eurocheque
- Kunde, was willst Du noch mehr?! Und falls wirklich jemand die Welt
auch außerhalb Europas bereisen wollte, dann bekam er eben die
"eigene" Eurocard.
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In Großbritannien, Spanien, Frankreich und Skandinavien dagegen sind
die Kreditkarten von Visa und Mastercard vor 20 Jahren bereits
offensiv im Bankangebot geführt worden. Die Banken konnten große
Kartenportfolios aufbauen, die Akzeptanznetze immer enger knüpfen und
Cross-Selling-Pakete schnüren, sehr wohl auch schon mit dem Handel
zusammen. Vor allem durch das überall "draußen" erfolgreiche
Instrument des Revolving Credits, wurde immer ausgezeichnet verdient.
Bei Übernahmen spielte die Bewertung des Kreditkartengeschäfts eine
wichtige Rolle.
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"Keine Amerikaner"
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In der Bundesrepublik dagegen beherrschten Schlagworte die Diskussion,
die ähnlich polemische Züge wie heute die
"Heu-schrecken"-Überschriften aufwiesen:
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- nur ja keine amerikanischen Einflüsse auf den deutsch-europäischen
Retailmarkt akzeptieren, nur ja keine Konsumentenverschuldung wie in
den USA,
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- nur ja kein Wettbewerb im kartengestützten
Privatkundenzahlungsverkehr.
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- Und in dieser spezifisch deutschen Szenerie erinnere ich mich noch
gut an eine fast utopische Strategie - an das Ziel einer einzigen
Universalkarte, die auf der Vorderseite das ec- und auf der Rückseite
das Eurocard-Emblem tragen sollte. Das muss aus nicht-deutscher Sicht
geradezu ein Marketing- und Kommunikationstrauma ausgelöst haben!
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Eckart van Hooven, der im Vorstand der Deutschen Bank das Ressort
Privatkunden verantwortete, hat auf einem "bank und markt"-Kongress
damals den Kampf gegen "amerikanische Kreditkarten" mit
Schreckensszenarien belebt: mit dem Bild von angeschlagenen US-Banken,
die sich über die Karten der gesamten deutschen Kontokundschaft
bemächtigen wollten, mit den hochgerechneten Zahlen zu Kartenbetrug
und Bonitätsrisiken. Den deutschen Weg dagegen schilderte van Hooven
als klar und gerade - eurocheque und Girokonto zum Nulltarif. In einem
solchen "Feindklima" hatten Mastercard und Visa tatsächlich kaum eine
Chance.
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Individuelle Interessen
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Ich habe mir bis heute den Eindruck bewahrt, dass die Deutsche Bank
bis in die achtziger Jahre hinein den Privatkundenzahlungsverkehr und
das Kartengeschäft ausbremste, wo es nur ging: Sie konnte damit
verdecken, wie gering ihr quantitativer Einfluss auf das
Marktgeschehen im Privatkundengeschäft war.
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Denn sie hielt in diesem Segment eben nur fünf Prozent Marktanteil,
während die Sparkassen um die 50 und die Genossenschaften um die 25
Prozent besaßen. Jeder Marketingansatz über den Zahlungsverkehr musste
zulasten der Deutschen Bank gehen - war also möglichst über passive
Gemeinschaftsdienstleistungen der gesamten Kreditwirtschaft zu
vermeiden.
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Zu den merkwürdigsten Blüten am Rande des deutschen Sonderweges
gehörte die aufwendig vorgestellte Entwicklung eines
Geldausgabeautomaten, der mit ec-Karte plus eurocheque zu bedienen
war. Der Automat, in Monte Carlo präsentiert, gab Bargeld aus - und
zerkleinerte einen eurocheque! Nur so meinte man im Kreditgewerbe, die
Kontrolle über das Kundenkonto zu behalten, weil ja der
Verfügungsrahmen des Kunden über die Anzahl der ihm zugeteilten
Scheckformulare definiert war. Ich habe diesen deutschen
Geldausgabeautomaten nie wieder irgendwo gesehen.
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Konspiration
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Wenn deutsche Banken in dieser Zeit wissen wollten, wieweit die
Automatennetze "sonst in der Welt" gediehen waren, wie nahe man also
dem großen Ziel des elektronischen Kontozugangs von 24 Stunden am Tag
und 365 Tagen im Jahr schon näherrückte, mussten sie sich heimlich
informieren: Ich erinnere mich dazu an fast konspirative Treffen
zwischen deutschen Bankern und dem Visa-Management irgendwo in ferner
Welt.
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Hemmnisse
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Der erste, der gegen die volle Gemeinsamkeit im deutschen
Kartenzahlungsverkehr lautstark aufzumucken begann, war der damalige
DSGV-Geschäftsführer Wolfgang Starke. Ihm schwebte vor, das riesige
Sparkassennetz in der Bundesrepublik mit Mastercards oder Visa Karten
für das Massengeschäft einzusetzen, um auf diese Weise die
Zahlungsströme der gesamten Wirtschaft sparkassennäher zu lenken. Die
Sparkassenorganisation freilich traute sich nicht, Starkes
Vorstellungen zu folgen.
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Man blieb stattdessen dabei, in der "Gesellschaft für
Zahlungssysteme", der deutschen Gemeinschaftsgründung GZS, alles zu
bündeln: Strategie, Umsetzung, Kartenausgabe, Verarbeitung,
Kreditrisiko, Akzeptanz, Sicherheit, Marketing. Auf diese Weise
konnten über die Economies of Scale theoretisch die Kosten des
Kreditkartengeschäfts in Deutschland relativ niedrig gehalten werden.
Die einzelnen Kreditinstitute scheuten dementsprechend mit wenigen
Ausnahmen die Investitionen für Eigenentwicklungen und
Eigenengagement. Sie vergaben sich damit aber immer auch die
Möglichkeit, institutsspezifische Kartenerträge mit geschicktem
Produktmanagement zu erwirtschaften.
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- Zu den Ausnahmen gehörten vor allem die inzwischen in der LBBW
aufgegangene Landesgirokasse und die Berliner Bank.
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- Sie machten sich die Visa-Werbebotschaft "Die Freiheit nehm' ich
mir" zu eigen und entwickelten auch über das Vertriebsnetz des ADAC
das erste "eigene" (nicht gemeinsame) Kreditkartengeschäft in der
Bundesrepublik.
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- Das brachte Bewegung in den Markt. Visa wurde schnell zu einem guten
Begriff.
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Zu den fortgesetzten Merkwürdigkeiten in der deutschen Kartenszene
zählt auch die Entstehungsgeschichte von ELV. Erinnern wir uns: Als
die Kreditwirtschaft sich auch im elektronischen Zeitalter nur mühsam
vom eurocheque-Papier lösen mochte, entstand mit Dienstleistungen des
Münchener Systemhauses Alldata (jetzt die Intercard in Taufkirchen)
das Elektronische Lastschriftverfahren - ohne Papiertransfer.
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Mehr Transparenz
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Das war eine Neuentwicklung, die aber von der Bankengemeinschaft nicht
unbedingt begrüßt wurde. Die Innovation brachte das Bezahlen per Karte
"pur" endlich nach Deutschland. Aber auch eine Reihe von Nachteilen
traf: Zum einen drängten die niedrigeren ELV-Preise die Kreditkarten
zurück. Zum anderen gewöhnten sich alle Akzeptanten sofort daran, die
ec-Karte am POS neuerlich zum Nulltarif einsetzen zu können: wiederum
eine Erosion! Ein bisschen spät, aber immerhin doch hat die deutsche
Kreditwirtschaft ihre GZS ab 1997 "divisionalisiert". Allerdings fand
das nur statt, weil Visa die Aufteilung als Voraussetzung für eine
Processinglizenz verlangte. Man trennte Acquiring und Issuing, also
das marktnahe Geschäft vom Processing. Die eigentliche
Marktbearbeitung wurde Aufgabe der neuen "Euro Kartensysteme".
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Durch diese Aufspaltung kam endlich die nötige Transparenz in das
Geschehen. Quersubventionierungen zwischen Acquiring und Issuing wurde
schwieriger. (Dies ist inzwischen voll im Fokus der
Regulierungsbehörden im Inland, aber vor allem in Brüssel. ) Jetzt
konnte die einzelne Bank sehen, ob sie von den Gemeinschaftsbetrieben,
von deren Wettbewerbern oder in Eigenregie am besten bedient wurde.
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Und die Zukunft? Ich sehe zunächst eine sehr gute Zukunft für das
weiterentwickelte Electronic Cash und dementsprechend für den
Debit-Markt. Der Handel braucht ein geordnetes Verfahren im
Zahlungsverkehr. Das wird allerdings zulasten der Kreditkarten gehen,
für die ich deshalb nur ein verhaltenes Wachstum erwarte.
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Prepaid als Zukunft?
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Auch Revolving Credit wird in Deutschland vorerst keine Volksbewegung
werden. "Prepaid" sage ich allerdings eine Zukunft voraus. Die
Jugendlichen bewegen sich mit den Handys schon in dieser Richtung, und
die Konsumenten wollen zunehmend die Verwendung ihres verfügbaren
Einkommens laufend kontrollieren können. Und noch eines: Den
politischen Druck, vor allem aus Brüssel, sehe ich in den
Rahmenbedingungen für Kreditkarten weiter zunehmen.
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Ein Vierteljahrhundert (Kredit-)Karten in Deutschland: Ich erinnere
mich nur zu gerne an viele unglaublich spannende Gespräche. Manche
hätten aber durchaus "etwas anders" laufen können.

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