Finanzkrise - Effekte und Perspektiven

Das Geschäftsmodell ist wieder ein Thema

2008 war das schlimmste Bankenjahr der Nachkriegsgeschichte. Es verändert die Strukturen der gesamten Finanzdienstleistungsbranche und ihr Verhältnis zum Staat grundlegend. Dass sich das Geschäftsmodell der Volksbanken und Raiffeisenbanken in diesem weltwirtschaftlichen Orkan so hervorragend bewährt hat, ist für uns mehr als zufriedenstellend. Diese Institute brauchen keinen Schirm, sie belasten den Landes- oder den Bundeshaushalt nicht und sie sind gute Steuerzahler geblieben.

Die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg konnten sich im Jahr 2008 über Bestandszuwächse freuen, die die Vorjahre weit übertrafen. So kletterten die Kundenkredite um 2,8 Prozent, die Kundeneinlagen um 4,8 Prozent. Treibende Kraft waren die Finanzkrise und das kreditgenossenschaftliche Geschäftsmodell.

Durch die Finanzkrise verbesserte sich die Liquiditätslage der genossenschaftlichen Primärbanken im Jahr 2008 sogar um 16 Prozent auf über 22 Milliarden Euro. Maßgeblich dafür war das Plus bei den Kundeneinlagen von 4,8 Prozent oder gut vier Milliarden Euro auf 88,7 Milliarden Euro. Der Zuwachs in dieser Höhe war vor allem auf einen massiven Zufluss von Kundengeldern im Oktober 2008 zurückzuführen, als die Vertrauenskrise mit der Lehman-Insolvenz und dem Scheitern der Hypo Real Estate ihren Höhepunkt erreichte.

Die Halbjahresbilanz der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg zum 30. Juni 2009 weist Kundeneinlagen von 88,8 Milliarden Euro aus, ein leichtes Plus von 0,1 Prozent. Mit dieser Entwicklung sind wir zufrieden, denn sie zeigt: Die Gelder, die diesen Kreditgenossenschaften auf der Suche nach Sicherheit im Oktober 2008 zugeflossen waren, stehen immer noch in ihren Büchern. Sie sind allerdings im ersten Halbjahr in erheblichem Umfang von Termineinlagen auf Geld-marktkonten und in Spareinlagen umgeschichtet worden.

Erwartungsgemäß ruhig und stabil ist im ersten Halbjahr 2009 das Kreditgeschäft ver-laufen. Das gesamte Kundenkreditvolumen der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg nahm um 0,4 Prozent auf 71,3 Milliarden Euro zu. Dies spiegelt wider, dass die Kreditnachfrage aufgrund der spürbar abgeschwächten Investitionsneigung in der Breite zurückgegangen ist.

Für wen gibt es eine Kreditklemme?

Im Fokus des öffentlichen Interesses steht zurzeit die Frage, ob es für die Unternehmen in Deutschland eine Kreditklemme gibt. Wir sehen durchaus, dass die Finanzierungsprobleme von Unternehmen desto größer werden, je näher sie am Kapitalmarkt agieren.

Für die Kreditgenossenschaften in Baden-Württemberg ist klar: Das System der Kreditvergabe läuft wie gewohnt, der Mittelstand hat bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken Kredit. Sie haben in der Vergangenheit keine Luftschlösser finanziert. Sie stehen deshalb der Realwirtschaft als stabiler Pfeiler des Finanzsystems zur

Verfügung, werden ihrer Verantwortung als Hausbanken des einheimischen Mittelstandes gerecht. Die Liquidität der Gruppe ist unverändert hoch, der Überschuss der Einlagen über die Ausleihungen beträgt auch per 30. Juni 2009 rund 22 Milliarden Euro. Die Stärke im Eigenkapital gibt den VR-Banken Spielraum für weitere Kredite im zweistelligen Milliardenbereich. Der inflationäre Umgang mit diesem Begriff Kreditklemme stört sie deshalb.

Bei der Betrachtung der Zahlen ist es angebracht, einen Zwölf-Monats-Zeitraum heranzuziehen. Die Volks- und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg haben zum 30. Juni 2009 an Firmenkunden fast 27 Milliarden Euro ausgeliehen. Das entspricht einer Jahres-Wachstumsrate von 3,2 Prozent. Der größere Teil des Zuwachses entfällt dabei auf das zweite Halbjahr 2008; 2009 hat sich die Kreditnachfrage der Unternehmen abgeschwächt. Wichtigster Treiber ist zurzeit das Baugewerbe.

Keine Luftschlösser finanzieren

Eines ist allerdings auch klar: Es ist ein Teil der gegenwärtigen Krise, dass Unternehmen auch in Deutschland zu leichtfertig mit Schulden umgegangen sind und dass Wettbewerber die damit verbundenen Risiken nicht angemessen bepreist haben. Das ändert sich jetzt und das muss auch so sein.

Eine Kreditklemme muss dort sein, wo Luftschlösser auf den Weg gebracht und finanziert worden sind. Am Bau solcher Luftschlösser haben sich die Volks- und Raiffeisenbanken nicht beteiligt. Wo Schulden gemacht worden sind, die nicht durch reale Projekte finanziert werden können, muss sowohl bei den betroffenen Banken wie bei den betroffenen Kreditnehmern der Rückwärtsgang eingelegt werden. Das tut weh, aber nur so wird eine solide Grundlage für ein neues Wachstum unserer Wirtschaft geschaffen. Das gilt insbesondere auch für den Rückbau der Banken, die sich mit Kreditersatzgeschäften in Form von toxischen Wertpapieren verspekuliert haben.

Der risikogerechte Preis

Unredlich ist es aus meiner Sicht, von Kreditklemme zu sprechen, wenn der Kreditnehmer nicht bereit ist, den Preis zu zahlen, der dem Risiko des Kredits angemessen ist. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken verleihen nicht das Geld von Herrn Trichet oder von Herrn Steinbrück, sondern das Geld ihrer Sparer in der Region. Dafür tragen sie die Verantwortung.

Nicht Basel II ist das Problem für die Kreditvergabe sondern die weltweite Wirtschaftskrise, die die Risikosituation verändert hat. Das trifft diejenigen Unternehmen weniger, die zurückliegende gute Jahre genutzt haben, um Reserven zu schaffen. Wer keine Reserven hat, muss vor der Kreditvergabe anders befragt werden, denn Kredit bedeutet, auf die Zukunft zu vertrauen. Eine offene und vorausschauende Kommunikation zwischen Firmenkunde und Hausbank fördert das wechselseitige Verständnis und ist in Krisenzeiten besonders wichtig. Langfristige Verbindungen zur örtlichen Bank zahlen sich aus.

Refinanzierung über Kundeneinlagen

Der Blick auf die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Banken und Bankengruppen ist durch die Finanzkrise geschärft worden. Das ist gut so; dies wollen wir im Bewusstsein der Menschen halten. Unser Fundament ist die Mitgliedschaft. Sie bindet den genossenschaftlichen Finanzverbund an die Menschen und die mittelständischen Unternehmen ihrer Region, verankert sie fest in der regionalen Wirtschaft. Übernahmesicher.

Die genossenschaftlichen Primärbanken stehen im Dienste der Realwirtschaft, sie sind auf das Geschäft mit ihren Mitgliedern und Kunden in ihrem Geschäftsgebiet ausgerichtet. Daraus resultiert eine Refinanzierung dieser Institute aus vielen kleinteiligen Kundenanlagen, die fast drei Viertel der Bilanzsumme ausmachen. Mit diesen Einlagen finanzieren die Volks- und Raiffeisenbanken eine Vielfalt von Investitionen in der Region, deren Risiko sie aufgrund der Nähe zu den Kunden zuverlässig beurteilen können.

Wir stehen voll und ganz hinter dem Rettungsschirm, weil er dem deutschen Finanzsystem und der deutschen Wirtschaft insgesamt nutzt. Mit jedem staatlichen Eingriff in die Märkte sind wir aber mehr gefordert, die Wettbewerbsneutralität dieser Maßnahmen einzufordern. An der Arbeit des SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) vermissen wir nach wie vor den Blick auf das Wesentliche, nämlich den Blick auf das Geschäftsmodell. Eine Reihe großer Banken steht vor einem Totalschaden, ohne den SoFFin hätte auch in Deutschland die erste Insolvenz stattgefunden.

Gescheiterte Geschäftsmodelle nicht künstlich am Leben erhalten

Wir akzeptieren es deshalb nicht, dass sich die Welt in diesen Banken weiterdreht wie bisher. Es ist inakzeptabel, dass mit Steuergeldern gescheiterte Geschäftsmodelle künstlich am Leben gehalten und neue Risiken produziert werden. Dies geht zulasten der Volksbanken und Raiffeisenbanken, die diese Steuern nach wie vor miterwirtschaften. Wir rufen den SoFFin auf, bei allen Banken, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, die Geschäftsmodelle zu überprüfen und konkrete Sanierungskonzepte zu vereinbaren. Durch Auflagen muss sichergestellt werden, dass sich die Garantienehmer auf die Gesundung ihrer Strukturen konzentrieren und Unternehmensziele und Verantwortlichkeiten neu ordnen.

Zwei Jahre nach der IKB ist das wahre Ausmaß der Risiken immer noch nur schemenhaft zu erkennen, während weltweit bereits 1,2 Billionen Dollar abgeschrieben wurden. Das Vertrauen ist noch nicht wiederhergestellt. Die Aufsicht muss endlich bei der Finanzindustrie einfordern, dass sie bis an den Kern der kritischen Geschäfte durchschaut, dass sie erst Risiken und Verlustquellen analysiert und dann saniert. Wenn diese Hausaufgabe nicht gemacht ist, können Bad Banks das Problem nicht dauerhaft lösen.

Grundsatz der Risikoorientierung konsequent anwenden

Die internationalen Bilanzierungsregeln IFRS haben in der Finanzkrise versagt, sie müssen vom Grunde her auf den Prüfstand, und zwar weltweit. Wir müssen althergebrachte Grundsätze der Bilanzierung in Kontinentaleuropa, ehrbare Kaufmannsregeln, wieder international salonfähig machen. Es geht um Substanzerhaltung, um den Sicherheitspuffer von stillen Reserven, um Zukunftssicherung. Es muss jetzt Schluss sein mit der einseitigen Ausrichtung der Unternehmen an den Renditeinteressen der Kapitalgeber, wie sie die IFRS erzwingen. Nur ein nachhaltiges Wirtschaften führt zu sicheren Kunden- und Lieferantenbeziehungen, zu Arbeitsplatzsicherheit, zu verlässlichen Verhältnissen zwischen Unternehmen und Gläubigerbank sowie zu Steuereinnahmen. Dies hat die Politik in Deutschland und Europa bisher nicht zur Kenntnis genommen.

Dafür wurde eine Konsequenz gezogen, die sicher kein Beitrag zur Prophylaxe ist, aber die Volksbanken und Raiffeisenbanken massiv belastet, und damit gerade die Bankengruppe, die wesentlich zur Stabilität des deutschen Finanzsystems und zur Kreditversorgung des Mittelstandes beiträgt.

Es hat in der ganzen genossenschaftlichen Gruppe für Verdruss gesorgt, dass nun der Bereich der Aufsichtsräte reglementiert wird. Für über 10 000 Aufsichtsräte ein Dossier bei der BaFin anzulegen, verursacht einen unverantwortlichen Aufwand. Gerade jetzt muss die BaFin ihre Ressourcen dort einsetzen, wo es brennt. Risikoorientierte Bankenaufsicht verlangt, die Kräfte richtig zu bündeln. Und die Frage steht nach wie vor hart im Raum: Wer saß denn in den Aufsichtsräten derjenigen Banken, die die Hilfe des SoFFin beanspruchen mussten? In den Aufsichtsräten der Volksbanken und Raiffeisenbanken sitzen Männer und Frauen, die mit beiden Beinen mitten im Leben stehen.

Im Kern muss es doch darum gehen, den Grundsatz der Risikoorientierung endlich richtig und konsequent anzuwenden und damit den Weg von einer quantitativen zu einer qualitativen Bankenaufsicht zu gehen. Basel II hat bereits diesen Wegweiser aufgestellt und die BaFin ist ihm beispielsweise in den MaRisk auch gefolgt. Wie gut das innerhalb der Banken funktioniert, beweisen die MaRisk im Kreditgeschäft, die zwischen risikoarmen und risikorelevanten Vorgängen unterscheiden. Risikoarm geht schnell, wird dezentral entschieden und verursacht einen Bruchteil der Aufwendungen. Und so, wie die Bank ihre Kreditstrukturen nach ihrer Größe, ihrer Risikolage und ihrem Eigenkapital gestaltet, so müssen auch Umfang und Häufigkeit der bankaufsichtlichen Prüfungen an der Größe der Bank und an ihrem Risiko ausgerichtet werden.

Interne Konsequenzen

Natürlich zieht die Gruppe der Volks- und Raiffeisenbanken intern Konsequenzen aus der Finanzkrise. Wir haben gemeinsam mit dem BVR und der DZ Bank die Instrumente der Unternehmenssteuerung im Bereich der Eigenanlagen weiterentwickelt, zum Beispiel in einem bundesweiten Projekt "Zukunftsorientierte Zinsbuchsteuerung". Es geht darum, die Instrumente optimal in die Steuerungsphilosophie der einzelnen Bank einzubetten sowie die Entscheidungsalternativen hinsichtlich ihrer Chancen-, Risiko- und Kostenaspekte zu bewerten. Damit werden die Ablaufprozesse in der Bank optimiert und die Eigengeschäfte noch qualifizierter strukturiert. Der baden-württembergische Verband bietet seinen Mitgliedsbanken dazu eine umfängliche und mit der DZ Bank eng verzahnte Unterstützung an.

Unvermindert fortgeführt werden die Arbeiten, um die Ablaufprozesse in den Banken zu verbessern. Hier gilt es insbesondere, das ganze Potenzial auszuschöpfen, das die Fiducia IT AG durch ihre neue Plattform Agree den Volks- und Raiffeisenbanken zur Verfügung gestellt hat, gerade was den Vertrieb angeht, die gezielte Kundenansprache, die auf allen Vertriebskanälen jetzt noch besser vernetzt werden kann. Mit dem bundesweiten Projekt VR-Process haben wir aufgezeigt, wie unterschiedlich Prozessabläufe in den Banken strukturiert sind und welches Kostensenkungspotenzial darin verborgen liegt. Musterprozesse für die wesentlichen Geschäftsprozesse zeigen neue Wege auf und haben den VR-Banken einen wichtigen Impuls gegeben, ihre innere Stärke weiterzuentwickeln.

Besondere Rolle der Regionalverbände

Um solche Projekte in der Gruppe erfolgreich zu implementieren, ist ein gewaltiges Know-how erforderlich, das über Beratung, Bildung und Prüfung dem genossenschaftlichen Netzwerk zugänglich gemacht werden muss. Gerade in diesen Arbeitsfeldern kommt den Regionalverbänden in der Zukunft eine besondere Rolle zu, ihre Bedeutung in der Beratung gewinnt an Gewicht.

Auf diese Herausforderung hat sich der neue Baden-Württembergische Genossenschaftsverband e. V. eingestellt und sich darauf eingerichtet, seine Banken ganzheitlich zu beraten. Dazu zählt, die gesamte Bankenberatung in einer Abteilung zusammenzufassen und an der Struktur unserer Banken auszurichten, nämlich an den Säulen Markt/Vertrieb, Produktion und Steuerung. Als Verband stehen wir dabei für die enge Vernetzung der Beratungsleistungen mit Weiterbildung und Personalentwicklung in den Banken und natürlich stehen wir dafür, dass unsere Beratungen prüfungssicher sind.

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