Banken-Software

EuroSIG verspricht internationale Synergien

Der Zusammenschluss von Unicredit und Hypovereinsbank (HVB) im Jahr 2005 schaffte die erste wahrhaft "europäische Bank". Im Verlauf der Integrationsprozesse konnten Synergiepotenziale gehoben werden, deren Realisierung eine der Kernaufgaben bei jedem Unternehmenszusammenschluss ist. Die Hauptanforderung in solchen Fusionsprozessen wird oft an die IT gestellt. Hier müssen oft unterschiedliche Systemwelten verschiedener Unternehmen erfolgreich verschmolzen werden, um geplante Wachstums- und Kostensynergien zu realisieren.1)

Als vor fünf Jahren die Integration der HVB in die Unicredit-Gruppe begann, herrschte eine für viele Großbanken typische Bankorganisation vor: Es gab in beiden Banken IT-Strukturen, die das Ergebnis einer Reihe von vergangenen Unternehmensintegrationen, Systemwechseln und Änderungen der Business- und regulatorischer Anforderungen waren. So war die HVB aus der Fusion der ehemaligen Vereinsbank mit der Hypo-Bank, der Vereins- und Westbank sowie des Bank Austria Creditanstalt-Konzerns hervorgegangen. Die Unicredit-Gruppe wiederum hat ihre Wurzeln im Zusammenschluss von sieben italienischen Regionalbanken und der anschließenden Expansion nach Osteuropa.

In diesem Umfeld hatte die Optimierung der IT-Architektur auf Gruppenebene von Anfang an oberste Priorität. Nach intensiver, aber kurzer Diskussion fiel die Entscheidung zugunsten einer zentralen IT-Plattformstrategie, basierend auf der in Italien bereits erfolgreich im Einsatz befindlichen Plattform EuroSIG, einer Eigenentwicklung innerhalb der Unicredit-Gruppe. Mit ihrer Hilfe sollen künftig alle Großbanken des Konzerns - der europaweit in 22 Staaten mit eigenen Banken agiert - basierend auf einer einheitlichen IT-Plattform betrieben werden. Im Zuge dessen werden die IT-Komplexität und die IT-Kosten im Konzern künftig grenzenüberschreitend und nachhaltig gesenkt sowie die IT-Effizienz und IT-Effektivität erheblich gesteigert. Ein wichtiger Effekt wird besonders für internationale Kunden eine über Ländergrenzen hinweg optimierte Betreuung sein.2)

Einheitliche Plattform mit lokalen Anpassungen

Die Umsetzung dieser zentralen Strategie bedeutet im Detail die Installation einer innerhalb der Unicredit-Gruppe grundsätzlich einheitlichen, aber jeweils eine an wesentliche lokale Bedürfnisse angepasste und individuell eingerichteten Plattform, die alle Konten, Kredite, Kundenstammdaten und den Vertrieb in den zugehörigen Zentralen und Filialen effizient unterstützen kann.

Die Kernbanksoftware EuroSIG wurde in einem intensiven Prozess seit Ende 2007 an die wesentlichen marktrelevanten und regulatorischen Erfordernisse in Deutschland angepasst. Mehr als 16 000 betroffene Mitarbeiter wurden seit 2009 informiert und geschult, und Anfang August 2010 wurde die neue Plattform bankweit an einem einzigen Wochenende eingeführt und die nun mehr redundanten Alt-Systeme abgeschaltet.

Schlüsselrolle der Mitarbeiter

Um den Nutzen der EuroSIG-Einführung für die HVB und die Unicredit-Gruppe zu realisieren, kam den Mitarbeitern eine Schlüsselrolle zu. Vor der Einführung von EuroSIG standen zunächst die eigentlichen Projektmitarbeiter im Fokus. Hauptherausforderung war die effiziente grenzüberschreitende Zusammenarbeit von über 1000 Mitarbeitern. Diese kamen sowohl aus den IT-Abteilungen und aus den Bankeinheiten, die Euro-SIG später nutzen sollten. Diese Mitarbeiter stammten aus über zehn Ländern und wurden in einer europaweiten Projektumgebung mit zwölf Projektlokationen organisiert.

Zusätzlich war es der Bank und der Projektleitung klar, dass ein derartiges Mega-Projekt angesichts knapper Ressourcen eine IT- und Prozesslösung innerhalb eines zeitlich vertretbaren Rahmens nur mit engen zeitlichen Vorgaben liefern kann. Dies wirkte sich auf den Termindruck im Projekt und damit auf die beteiligten Mitarbeiter aus, die über drei Jahre intensiv - und teilweise auch an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit - arbeiteten. Es kam dabei wesentlich darauf an, das Bewusstsein und das Verständnis für unterschiedliche Vorgehensweisen bei Problemlösungen bei den einzelnen Mitarbeitern zu schärfen. Hierbei wurde besonderes Augenmerk auf die unterschiedlichen nationalen Kulturen und unterschiedlichen Projektrollen, zum Beispiel IT und Bank, gelegt. So konnte ein Teil der erwarteten Reibungsverluste reduziert werden. Einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Kernbanken-plattform-Einführung lieferte die interne gruppenweite IT-Einheit UGIS, die mit ihrem Erfahrungshintergrund zur Software EuroSIG und vor allem durch ihren starken Einsatz viele Funktionalitäten auch noch bis kurz vor Einführung sicherstellte.

Ein weiterer Fokus lag gleichzeitig bei den Mitarbeitern in den Vertriebs- und Backof-fice-Einheiten, die sich so gut wie möglich auf geänderte Prozesse und eine neue Systemwelt vorbereiten mussten - zu Beginn der Aktivität aber überhaupt erst über die anstehende Veränderung informiert werden mussten.

Interne Kommunikation über alle Medien

So stand bereits über zwei Jahre vor der Einführung von EuroSIG ein umfassendes Kommunikationskonzept fest, das anschließend schrittweise umgesetzt werden konnte. Dieses nutzte alle im Haus verfügbaren Medien: Von Management Conference Calls und Leadership-Meetings mit Vorstandsbeteiligung, über das Mitarbeitermagazin, die Intranetseiten der HVB und der Unicredit-Gruppe bis hin zu Kommunikationsevents mit Breitenwirkung sowie Beiträgen im Firmenfernsehen.

Die Kontrolle der Zielerreichung der Kommunikations- und der Motivationsmaßnahmen erfolgte durch zahlreiche Change-Implementation-Aktivitäten. Diese waren einerseits spezielle Mitarbeiter, die sogenannten Change-Agents: Sie sorgten vor Ort an allen Bankstandorten für einen funktionieren Informationsfluss direkt an die Mitarbeiter und gaben gleichzeitig Feedback zur Motivation der Mitarbeiter an die zentrale Projektsteuerung zurück.

Auf der anderen Seite wurde quartalsweise die Einstellung der Mitarbeiter zu EuroSIG und deren Informationsgrad ermittelt. Dafür beantworteten jeweils etwa 5000 Mitarbeiter online und anonym rund 20 Fragen zum aktuellen Projektstatus. So entstand ein eigenes, regelmäßiges sogenanntes EuroSIG-Barometer. Dieses Barometer erlaubte eine Aussage zu Informationsgrad und Commitment abhängig von geografischer Lage und der betroffenen Division. So wurde schnell und bedarfsorientiert ein gezieltes Gegensteuern durch Kommunikation und Motivation ermöglicht.

E-Learning mit Incentivierung des Lernerfolgs

Darüber hinaus wurden auch für die Wissensvermittlung in Bezug auf Vorbereitung der Lernaktivitäten und Intensität des Medienaufgebots neue Wege beschritten: Das Projektteam nutzte vielfältigste elektronische Medien in Verbindung mit flankierenden Präsenzveranstaltungen. So setzte die HVB als eine der ersten Banken WBTs (Web Based Trainings) und Online-Tutoring gezielt als das zentrale Lernmedium ein. Der Fortschritt der Lernaktivitäten wurde eng verfolgt und gegebenenfalls konnten gezielte Gegensteuerungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Zur Schaffung der Priorität der Lernaktivität wurde ein klares Erwartungsmanagement hinsichtlich des Lernumfangs durchgeführt. In diesem Prozess spielten die Einbindung der Mitarbeiter, die konkrete Verzielung und Incentivierung des Lernerfolges und die Motivation durch die Führungskräfte eine entscheidende Rolle. Auch der Betriebsrat war in allen Lernaktivitäten bereits in der Konzeptionsphase eingebunden.

Die Wirksamkeit dieser Changemanage-ment-Aktivitäten wurde auch bereits durch externe Einschätzung bestätigt: Es wurden sowohl der Deutsche E-Learning-Award 2010 sowie der dritte Platz bei den Europäischen Change Communication Awards an das Projekt verliehen.

Big Bang bei der Umstellung

Nach der Einführung standen vor allem die Nutzer im Projektmittelpunkt, die an den ersten Tagen und Wochen mit den bei derartigen Projekten üblichen "Kinderkrankheiten" zurechtkommen mussten - ohne negative Auswirkungen auf Kunden zuzulassen. In Einzelfällen war auch das Improvisationstalent der Mitarbeiter an der Schnittstelle zum Kunden gefragt.

Am Umstellungszeitpunkt Anfang August, als die Einführung als Big Bang bundesweit für alle Bankmitarbeiter zeitgleich erfolgte, gab es beispielsweise eine kurze geplante Auszeit der Onlinebanking-Funktionalitäten sowie der Self-Service-Infrastruktur, die jedoch nur vereinzelte Kundenanfragen nach sich zogen.

Außerdem führten die geänderten Prozesse in einzelnen Bereichen in den ersten Tagen trotz der umfangreichen Lernaktivitäten zu leicht verlängerten Bearbeitungszeiten.

Schließlich sind einige Prozesse durch die Umstellung auf einen höheren Gruppenstandard für den Mitarbeiter selbst standardisiert und etwas rigider geworden.

Synergiepotenziale: Mehr Flexibiltät

Diese Hürden wurden von den Mitarbeitern in Vertrieb und Back Office mit Bravour bestanden. Sie setzten alles daran, den Kunden stets zufriedenzustellen. Auch wenn Kunden es nicht merkten, waren etliche Überstunden von Mitarbeitern in der Fläche dafür notwendig. Diese Anstrengungen führten dazu, dass im Vertrieb und Back Office bereits nach einer Woche die Stabilisierung der wichtigen Kernprozesse erreicht wurde und nach einem Monat bereits für den Großteil der Prozesse. In der Regel haben die Kunden damit nichts von der Umstellung bemerkt und die Bank eines unserer Hauptziele erreicht.

Die Flexibilität für die Bank, aber auch unsere Kunden, wird durch die einheitliche IT-Plattform weiter gesteigert.

Ein gutes Beispiel für Kunden sind Vorteile bei grenzüberschreitenden Transaktionen. So stehen den Kunden der HVB nun 17000 Geldautomaten der Unicredit-Gruppe in 19 Ländern kostenfrei zur Verfügung.

Der Zeitraum für die Entwicklung neuer Produkte wird sich zukünftig reduzieren. Die Kunden werden daher künftig schneller als bisher von Produktneuerungen profitieren können.

Außerdem wird es künftig nach Einführung von EuroSIG in weiteren Ländern der Unicredit-Gruppe Vorteile bei grenzüberschreitenden Transaktionen geben: Entsprechende Dienstleistungen werden für die Kunden schneller und günstiger. Niedrigere Betriebskosten

Aus Sicht der Gruppe werden ab der Einführung der EuroSIG-Plattform die IT-Betriebskosten im Software- und Hardware-Bereich deutlich und nachhaltig reduziert. Schon jetzt wird die Plattform für die Länder, die EuroSIG eingeführt haben, zum Beispiel in Italien und Deutschland, aus einem gemeinsamen Rechenzentrum betrieben und gesteuert. Das reduziert Infrastrukturkosten, aber auch Wartungsaufwände.

Zusätzlich wird ein effizienter Einsatz von IT-Ressourcen auf Seiten des Infrastrukturbetriebs, aber auch der weiteren Software-Entwicklung ermöglicht, da eine geringere Fragmentierung von IT-Know-how sowie eine deutliche Komplexitätsreduzierung durch eine homogenere Systemlandschaft geschaffen wurden. Schnellere Umsetzung regulatorischer Anforderungen

Die Anzahl europäischer Regulationen der Bankbranche wird in den kommenden Jahren weiter deutlich zunehmen. In den letzten Jahren waren MiFid, die Consumer Credit Directive (CCD) oder die Payment Service Directive (PSD) beispielhaft einige der Themen mit direktem Einfluss auf die Kernbankensysteme. Zukünftig wird neben dem Verbraucherschutz (zum Beispiel Sepa-Migration) der Schutz vor risikofreudigen Instituten (Einlagensicherungsschutz) im Vordergrund stehen.

Um diese europaweit zum Teil voll harmonisierten Themen umzusetzen, nutzt die Unicredit-Gruppe nun auch Skaleneffekte aus der einheitlichen Plattformstrategie: Die Umsetzung einer EU-weiten regulatorischen Anforderung muss in der Gruppe nur noch einmal konzeptioniert und umgesetzt werden - und kann dann entweder per "Copy-Paste" von einem Land auf die anderen EuroSIG-Länder 1:1 übertragen beziehungsweise um lokale Anpassungen erweitert, mit deutlich weniger Aufwand und schneller umgesetzt werden.

Als Fazit lässt sich festhalten: Die komplette Umstellung einer Kernbankenplattform wird von Großbanken aufgrund des Aufwandes, der Komplexität und des verbundenen Risikos nur sehr selten durchgeführt. Der Zusammenschluss von HVB und Unicredit hat beiden Banken die Chance geboten, hier wirklich Neues zu schaffen. Zur Förderung der Akzeptanz bei den Mitarbeitern war es wichtig, den Umstieg auch als strategischen Schritt mit Nutzen für die Gruppe deutlich zu machen.

Der Wechsel der Kernbankensoftware, des Herzstücks einer Bank, ist abhängig von der Initiierung und Aufrechterhaltung des Commitment aller am Projekt beteiligten Mitarbeiter in allen Bereichen der Bank. Eine frühzeitige Einbindung und offene Kommunikation mit allen Betroffenen sicherten die Zulässigkeit und Akzeptanz der umfangreichen Veränderungen. Die breite Unterstützung des Vorstands und der disziplinierte Fokus der Projektbeteiligten auf kosten- und ertragsoptimale Lösungen schafften zusätzliches Vertrauen. Mit der Einführung von EuroSIG wird die HVB nun auch im IT-Bereich ein voll integrierter Teil der europäischen Unicredit-Gruppe.

Anmerkungen:

1 Vgl. Seifert, Frank: Die Wettbewerbspotenziale von Bankmergern - Eine geschäftsfeldspezifische Untersuchung anhand des Resource-based View, Heidelberg 2002, S. 67-83, und A. T. Kearney: "Wie gut ist Ihre IT wirklich. IT-Fitness-Check im Unternehmen", Düsseldorf 2007.

2 Vgl. Unicredit/HVB (2005): Pressekonferenz Präsentation "Creating the first truly European Bank" vom 13.06.2005 in München.

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