Leitartikel

Ausgehungert

sb - Das jetzt so viel diskutierte Thema Transparenz ist für (Filial)banken nicht Neues. Schon vor rund zehn Jahren war es in aller Munde, wenngleich in ganz anderem Sinn als heute: ganz wörtlich nämlich und bezogen auf die Filialen. Weil sich schon damals das Problem stellte, dass viele Kunden kaum noch die Zweigstelle aufsuchten, wollte man das stationäre Vertriebsnetz einladender gestalten. Neben Ideen wie dem Vertrieb von Franchising-Artikeln oder Attraktionen wie riesigen Meerwasseraquarien ging es damals um Transparenz anstelle der zugezogenen Lamellenvorhänge in den "Schaufenstern". Der Passant sollte die Menschen im Inneren sehen und sich durch das Geschehen angezogen fühlen. Gleichzeitig sollten physische Barrieren zwischen Mitarbeitern und Kunden verschwinden und einem "Dialog auf Augenhöhe" Platz machen. Die Dialogtische hielten ihren Einzug.

Heute wissen wir, dass all diese Maßnahmen wenig gebracht haben. Nicht nur, dass die Konkurrenz durch das Internet immer stärker wurde. Kunden mochten auch die allzu große Transparenz nicht, die sich letztlich auch auf sie selbst erstreckte. Menschen möchten nicht beobachtet werden, wenn sie am Geldautomaten stehen. Ebenso wenig schätzen sie einen "ungeschützten" Raum mitten in der Filiale, um mit den Mitarbeitern zu sprechen. Beratungsgespräche - das menschliche Miteinander also, das man eigentlich von außen sichtbar machen wollte, um Kunden hereinzulocken - verschwand also mehr denn je aus der Kundenhalle in geschlossene, zumindest von intransparenten Glastüren abgeschlossene Räume. Das galt selbst für "Laufgeschäfte" wie die Eröffnung von Sparbüchern, Giro- oder Tagesgeldkonten, die heute vielerorts nicht mehr ohne vorherige Terminvereinbarung möglich ist. Die "Kundenhalle" war zwar licht, verwaiste aber mehr und mehr.

Die Herausforderung aktueller Filialkonzepte besteht also darin, den Dialog wieder in die Kundenhalle zurückzuholen, gleichzeitig aber dem Bedürfnis der Kunden nach mehr Diskretion Rechnung zu tragen. Auch eine Lösung für Standardabschlüsse, die der Kunde ohne Beratung sofort erledigen möchte, muss gefunden werden. Denn nicht jeder ist bereit, dafür ein andermal wiederzukommen. Und die Konkurrenz ist meist nicht weit. Während sich für diese Aufgabenstellungen Lösungen in der Innenarchitektur beziehungsweise Einrichtung finden lassen, muss auch der Personaleinsatz bedacht werden. Und hier hat sich ein unguter Trend eingeschlichen: Im Kundenerstkontakt befinden sich meist nur sehr junge Mitarbeiter, die zwar auf Freundlichkeit geschult sind, denen aber die Unerfahrenheit (und oft genug leider auch fehlendes Fachwissen) nur allzu deutlich anzumerken ist. Sie können auf die Anliegen der Kunden oft nur unzureichend eingehen - und damit wird Geschäftspotenzial verschenkt.

Bei allem Verständnis dafür, dass man die Kompetenz erfahrener Bankkaufleute nicht am "Schalter" verschwenden will (und dass diese Mitarbeiter sich dafür vielleicht auch zu schade sind): Vermittelt die Bank in der Kundenhalle ein schwaches Bild, sinkt damit auch die Bereitschaft, sich auf tiefergehende Beratung einzulassen, so kompetent die hinter den Kulissen oder gar im Kompetenzzentrum auch sein mag. Filialbanken, die beim Thema Beratung punkten wollen, sind deshalb gut beraten, die persönliche Schnittstelle zum Kunden nicht allzu sehr auszuhungern. Das gilt für die Filiale ebenso sehr wie fürs Call-Center. Wenn der Rückruf auf die Bitte nach einem Beratungstermin für eine Baufinanzierung erst dann erfolgt, wenn die Immobilie bereits steht, oder demjenigen, der den Wunsch nach einer ganzheitlichen Beratung äußert, ein vielsagendes "äääähhh" entgegentönt, dann hilft auch das beste Einrichtungskonzept und das feinste Kompetenzzentrum nichts mehr.

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