Unternehmen und Banken in der neuen Weltordnung

Dr. Katrin Suder, Foto: Bert Bostelmann

Verbot von Angriffskriegen, Respekt vor bestehenden Grenzen, volle Souveränität der Staaten - diese Grundordnung nach dem Kalten Krieg hat Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine radikal infrage gestellt. Und er hat die aufstrebende Supermacht China auf seiner Seite. Jetzt steht die große geopolitische Frage offen im Raum: Bekommen wir statt einer multipolaren Welt nun eine Zweiteilung in einen demokratischen und einen autoritären Block? Und was bedeutet diese neue Weltordnung für Unternehmen und die Banken? Parallel zu diesen Herausforderungen müssen die Megathemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit auch noch vorangetrieben werden, so die Autoren. Denn beispielsweise Menschenrechte rücken immer stärker in den Fokus von Investoren, Kunden und der Politik. Die deutsche Kreditwirtschaft sei in diesem neuen Umfeld besonders gefordert, eng mit Vorständen, Aufsichtsräten und dem Management der Industrie zusammenzuarbeiten. (Red.)

Wir leben in einer neuen Weltordnung: Russlands Krieg gegen die Ukraine macht dies erneut und schmerzlich überdeutlich. Der Krieg dürfte noch Monate oder Jahre weitergehen, wir werden weiterhin furchtbare Bilder, Kriegsverbrechen, Tausende von Opfern, Hundertausende von Flüchtlingen sehen. Aus Russland werden mittelfristig keine oder nur sehr geringe Mengen Energie- und Rohstoffe in die EU geliefert werden. Derweil ist die Corona-Krise keineswegs ausgestanden, China erlebt aktuell einen Wirtschaftseinbruch und der Lockdown der Millionenmetropole Schanghai belastet die Lieferketten weiter massiv. Dazu steigt die Inflation, weitere Zinserhöhungen auch im Euroraum sind absehbar, viele Volkswirte rechnen mit einer Stagflation.

Gleichzeitig müssen CEOs weiter die beiden Megathemen ESG und Digitalisierung oben auf der Agenda belassen und beschleunigt angehen: Denn die hohen Energiepreise erhöhen noch den Druck zur Dekarbonisierung und auch das "S" in ESG wird immer wichtiger: Das Lieferkettengesetz setzt neue Maßstäbe zur Sorgfaltspflicht. Menschenrechte rücken immer stärker in den Blickpunkt von Politik, Investoren, Kunden und Mitarbeitern und Geschäfte mit Autokratien werden kritischer gesehen. Ebenso steigt die Bedeutung von Technologie: Nur mit verstärkten Investitionen in Automatisierung, 5G, Künstliche Intelligenz und Datennutzung sowie Cybersecurity wird die Deutsche Industrie ihre führende globale Wettbewerbsposition verteidigen können.

Die deutsche Kreditwirtschaft ist in diesem neuen Umfeld besonders gefordert, eng mit Vorständen, Aufsichtsräten und dem Management der Industrie zusammenzuarbeiten. Denn wir müssen uns darauf einstellen: Das Zeitalter der Globalisierung und offener Märkte geht dem Ende entgegen und wir leben im Primat der Geopolitik. Diese sollte sich spätestens jetzt in der Unternehmensstrategie wie der Allokation des Kreditportfolios widerspiegeln.

Während die aktuelle Gemengelage schon schwierig genug ist, kommen noch zwei längerfristige geostrategische Variablen hinzu, deren Beleuchtung Teil jeder strategischen Planung von global agierenden Unternehmen ebenso wie der sie finanzierenden Banken sein sollte.

Die erste Frage lautet: Wie wird sich China zukünftig positionieren? Als Unterstützer Russlands, der eine Blockbildung der Autokratien aktiv betreibt mit dem Ziel ein Gegenmodell zum Westen aufzubauen? China ist zu einer merkantilistisch agierenden Cyber-Autokratie geworden und Menschenrechte werden unterdrückt. Xi Jinping ist ein erklärter Gegner der liberalen Weltordnung, stark antiamerikanisch und baut viele Schwellenländer als Verbündete auf. Gegenüber Moskau spricht er von einer "Partnerschaft ohne Grenzen".

Sanktionen gegen Russland

Sollte China die Sanktionen gegen Russland unterlaufen, würde dies in den USA, aber auch in Europa, zu scharfen Gegenreaktionen führen und die bereits laufende politische, wirtschaftliche, militärischen und technologische Entkopplung massiv verstärken. Oder stellt Peking geoökonomische vor geopolitische Interessen und kommt zum Schluss, dass das - zentrale - Wohlstandsversprechen der Kommunistischen Partei gegenüber der Bevölkerung nur aufrechterhalten werden kann, wenn China weiterhin vom Handel mit den USA und vor allem Europa profitiert? Zumal die negativen Auswirkungen von Xis Zero Covid Strategie das Wirtschaftswachstum schmälert. So oder so wird der chinesische Markt für deutsche Unternehmen schwieriger werden.

Die zweite geostrategische Frage lautet: Wie lange hält die aktuelle transatlantische Einigkeit und zieht der Westen (G7 plus asiatische Demokratien) gegenüber Russland - und China - an einem Strang? Hier stehen Amerika und Europa vor einigen Stresstests.

In den USA würde eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps oder eines(r) sehr linken Präsidenten/-in die Polarisierung des Landes weiter anheizen. Eine fortgesetzte gesellschaftliche Spaltung der USA wird Auswirkungen auf ihre Fähigkeit haben, in Zukunft eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Wie groß wird die Bereitschaft der USA sein, Milliarden auszugeben, um Europa zu verteidigen oder andere strategische Ziele im Ausland zu verfolgen?

Fokus auf erneuerbare Energien für mehr Unabhängigkeit

Die EU wiederum muss neue Prioritäten setzen: Energieunabhängigkeit mit gemeinsamer Beschaffung und noch stärkerem Fokus auf erneuerbaren Energien, LNG, sowie neue Klimaschutztechniken. Und echte Verteidigungsfähigkeit in allen Dimensionen inklusive Cybersecurity. Beides erfordert Billionen öffentlicher Investitionen bei ohnehin angespannten Haushalten. Insgesamt wird die technologische Souveränität, die Vertiefung des Binnenmarktes und die Kapitalmarktunion dringender. Für all das braucht es Einigkeit und Führungsstärke. Ist diese vorhanden?

Diese beiden Fragen in ihrer Tiefe zu analysieren, daraus Szenarien abzuleiten und aus ihnen jeweils Konsequenzen für das Geschäftsmodell, Märkte, Lieferketten und die Stakeholder-Kommunikation zu ziehen, wird zur Pflicht für Vorstände und Aufsichtsräte. Aus diesen Szenarien sind dann möglichen strategischen Konsequenzen zu ziehen. Pars pro Toto: Gebot der Stunde ist es, Lieferketten und Beschaffungsmärkte zu diversifizieren mit möglichst nicht mehr als 25 Prozent Abhängigkeit von einem Land. Die Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu reduzieren ist bereits ein aufkommender Trend, insgesamt dürfte es ratsam sein, sich auf Märkte zu fokussieren, die Marktwirtschaft, Rechtssicherheit und Stabilität bieten und zugleich ein geringeres Risiko haben, bei geopolitischen Spannungen unzugänglich zu werden.

Hier bieten sich neben den G7 Staaten Korea, Australien, ASEAN und Teile Lateinamerikas an. Auch bei Produktportfolios ist zu erwägen, auf Klasse statt Masse zu setzen und auf Produkte und Lieferketten mit hoher Qualität und technologischer Exzellenz und ESG als USP. Damit würde das Geschäftsmodell bei einem möglicherweise schrumpfenden Weltmarkt robuster, die Produkte zwar teurer, aber die Margen höher werden. Bei der Finanzierung ist stärker darauf zu achten, dass diese von Investoren aus sicheren, großen und liquiden Märkten wie USA, EU, UK, Japan oder Singapur kommt. Bei M&A und Investments sind Marktrisiken unter geopolitischen und ESG-Aspekten noch genauer zu prüfen mit der Langfrist-Perspektive auf eine mögliche Entkoppelung der Weltwirtschaft.

Zunehmendes Risiko durch Cyberangriffe

Operativ sollten angesichts zu erwartender verstärkter Cyberangriffe durch Russland (und China) IT-Sicherheit massiv hochgefahren und zum Vorstandsthema werden. Dort sollte auch die Geopolitik aufgehängt sein. Wo noch nicht vorhanden, sollte ein systematisches Monitoring ebenso eingeführt werden wie regelmäßige Szenarioübungen. Innovativen Häusern raten wir, proaktiv ein "Political Risk Audit" einzuführen und im Lagebericht, in Investorenpräsentationen und im Wertpapierprospekten zu verankern.

Dies sind nur einige Beispiele, jede Strategie muss natürlich immer individuell an gepasst werden. Fest steht: Die kommenden Jahre werden herausfordernd. Doch die deutsche Wirtschaft und ihre Banken haben in den vergangenen 150 Jahren viele Krisen und Kriege überstanden und Umbrüche gemeistert. Mit dem richtigen Navigationssystem und Werkzeugkasten wird sie dies auch in der neuen Weltordnung schaffen.

Dr. Katrin Suder , Mitbegründerin und Co-Geschäftsführerin , TAE Advisory & Sparring GmbH, Hamburg
Jan Friedrich Kallmorgen , Founding Partner , Berlin Global Advisors, Berlin

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