Schmelzender Permafrost: Herausforderung für arktische Unternehmen und ihre Investoren

Willem Visser, Foto: T. Rowe Price

Als eine der Folgen des Klimawandels verschärft sich das Auftauen von Permafrostböden, was vor allem in Russland zu beobachten ist. Doch das Auftauen der über viele Jahre gefrorenen Böden kann nicht nur für das Klima mit seinen Rückkopplungseffekten, sondern auch für die in der Gegend operierenden Unternehmen erhebliche Risiken mit sich bringen. In erster Linie für die Bergbau- und Energie unternehmen kann das zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Insbesondere Investitionen zur Überwachung der Bedingungen und Stabilisierung der Anlagen könnten dabei zu Buche schlagen. Investoren sollten laut dem Autor entsprechend bei der Analyse der Risiken auch auf den Standort des Unternehmens, den Zustand seiner Anlagen und die Fähigkeit, nötige Investitionen in Zukunft zu stemmen, achten. Auf dieser Basis sollten Risikoprämien für Tauwetter in die Bewertung einer Anleihe einbezogen werden, um einen fairen, risikobereinigten Anleihepreis ermitteln zu können. (Red.)

Steigende globale Temperaturen lassen immer häufiger Permafrostböden auftauen. Das ist ein Boden, der üblicherweise über mindestens zwei aufeinander folgende Jahre ununterbrochen Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts aufweist. Für Bergbau- und Energieunternehmen, die in Permafrostgebieten tätig sind, stellt dieser Klimawandeleffekt ein wesentliches Risiko dar, denn er schwächt die Fundamente ihrer Anlagen und kann zudem Schäden an der Infrastruktur verursachen. Das macht zusätzliche Investitionen (Capex - capital expenditures) erforderlich, um die Bedingungen zu überwachen und wenn nötig Abhilfemaßnahmen zur Stabilisierung der Anlagen zu ergreifen.

Dieser spezielle Aspekt des Klimawandels und die mit ihm verbundenen Risiken sollten daher integraler Bestandteil einer fundamentalen Analyse derjenigen Unternehmen sein, die potenziell betroffen sind. Auf Anleiheseite bietet sich dabei an, eine Art Auftau-Risikoprämie einzuführen, die zusätzlich neben den klassischen unternehmensspezifischen Faktoren sowie der zunehmend wichtigen Bewertung nach Faktoren aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) zu berücksichtigen ist.

Abbildung 1: Der Rückkopplungseffekt durch auftauenden Permafrost Quelle: T. Rowe Price
Abbildung 1: Der Rückkopplungseffekt durch auftauenden Permafrost Quelle: T. Rowe Price

Überdurchschnittlicher Temperaturanstieg in Russland

Seit mehreren Jahrzehnten steigen die Temperaturen in Russland schneller als im globalen Durchschnitt, insbesondere in den Permafrostgebieten, die mehr als die Hälfte der Landmasse bedecken. Infolgedessen taut der Permafrost, eine Schicht unter der Erdoberfläche, die aus einer Kombination aus Erde, Gestein und Sand besteht und durch Eis zusammen gehalten wird, zunehmend auf. Dies ist aus zwei Gründen schädlich: Zum einen werden Treibhausgase, wie Methan und Kohlenmonoxid, in die Atmosphäre freigesetzt, wodurch eine Rückkopplungsschleife entsteht, die die globale Erderwärmung beschleunigt. Zum anderen werden die Tragfähigkeit von Fundamenten und die Stabilität der Infrastruktur geschwächt.

Das Auftauen des Permafrosts ist kein neues Phänomen in Russland, aber es wird erwartet, dass sich das Tempo in Zukunft angesichts des anhaltenden Temperaturanstiegs seit den 1970er-Jahren beschleunigen wird. Für Unternehmen, die in Permafrostgebieten tätig sind, werden die Investitionskosten wahrscheinlich entsprechend steigen, da die Anlagen jetzt regelmäßiger als in der Vergangenheit überwacht und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Zum Beispiel könnten in Zukunft Temperaturkontrollen von Fundamenten, Wärmedämmung und/oder Kühlsystemen erforderlich sein, die finanziert werden müssen. Stabilisatoren für die Instandhaltung der Infrastruktur und Ausgleichsmaßnahmen zur Verstärkung der Anlagen könnten ebenfalls erforderlich sein, was die Kosten für Unternehmen weiter in die Höhe treibt.

Die Risiken mangelnder Investitionen oder schlechter Überwachung und Wartung durch ein Unternehmen können potenziell enorm sein, da die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ihre Anlagen beschädigt oder undicht werden. Dies könnte nicht nur zu hohen Kosten für die Beseitigung von Schäden führen, wenn es zu einem Zwischenfall kommt. Es besteht auch die Gefahr, dass der Ruf und die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens nachhaltig geschädigt werden, da die Aufmerksamkeit der Investoren auf Klimawandel und Umweltrisiken gestiegen ist. Es erscheint daher entscheidend, diesen Umweltrisikofaktor zusammen mit der Wahrscheinlichkeit höherer zukünftiger Investitionskosten in die Analyse von Unternehmen zu integrieren, die in entsprechend gefährdeten Gegenden tätig sind.

Abbildung 2: Bewertung der Risiken, denen das Unternehmen in Verbindung mit der Permafrostschmelze ausgesetzt ist Quelle: T. Rowe Price
Abbildung 2: Bewertung der Risiken, denen das Unternehmen in Verbindung mit der Permafrostschmelze ausgesetzt ist Quelle: T. Rowe Price

Massive Schäden durch Risse oder Lecks

In Russland findet ein erheblicher Teil der industriellen Aktivitäten in Permafrostregionen statt, wobei Vermögenswerte im Wert von fast 250 Milliarden US-Dollar potenziell dem Taurisiko ausgesetzt sind. Insbesondere die vorgelagerten Aktivitäten in der Öl- und Gasindustrie (upstream) sind gefährdet, da die Produktion von fast 90 Prozent bei Gas und 30 Prozent bei Öl in Permafrostgebieten stattfindet, die bereits eine Verschlechterung der Tragfähigkeit der Fundamente verzeichnen.

Die Risiken für die Gasindustrie werden noch dadurch erhöht, dass Gas, bevor es transportiert werden kann, in der Nähe der Produktionsbohrungen verarbeitet werden muss. Auch Unternehmen mit Midstream-Aktivitäten in der Öl- und Gasindustrie sind potenziell gefährdet, weil der Transport über Schienen und Pipelines erfolgt, die große Teile des Permafrosts durchqueren. In der Metall- und Bergbaubranche wird Tauwetter am ehesten die Stabilität von Produktionsanlagen, Lagerstätten und Stromversorgungsanlagen beeinträchtigen, unter anderem auch als Folge von Rissen in den Absetzbecken. Betreiber von Tagebauminen sind hier einem größeren Risiko ausgesetzt als Betreiber von Untertageminen, da letztere wahrscheinlich weiterhin unterhalb des Permafrostniveaus arbeiten.

Drei Schlüsselbereiche für fundamentale Analysen

Bei Unternehmen, die einem Taurisiko ausgesetzt sind, erscheinen bei der fundamentalen Analyse insbesondere drei Schlüsselbereiche relevant:

1. Standort der Anlagen. Dies ist wichtig, da einige Gebiete stärker gefährdet sind als andere. Zum Beispiel sind Unternehmen mit Anlagen in den Regionen Yamal Halbinsel, Pechora und Jakutien potenziell stärker gefährdet, weil der Permafrost in diesen Gebieten aus Eis und nicht aus Gesteinssediment besteht, das in der Regel leichter auftaut.

2. Zustand der Anlagen. Wesentlich ist, das Ausmaß der bereits eingetretenen Verschlechterung der Tragfähigkeit zu betrachten. Bei einigen Unternehmen kann sich diese bereits erheblich verschlechtert haben, bei anderen kann die Tragfähigkeit nur in sehr geringem Ausmaß. Das Alter der Anlagen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, da ein Unternehmen mit einem modernen Anlagenbestand voraussichtlich Taurisiken und Temperaturschwankungen besser widerstehen kann als Unternehmen mit älteren Anlagen.

3. Fähigkeit, höhere Investitionskosten aufzufangen. Nach der Beurteilung der ersten und zweiten Schlüsselbereiche gilt es, die Bilanz eines Unternehmens zu bewerten und zu prüfen, ob es den erwarteten Anstieg der Investitionskosten in der Zukunft absorbieren kann. Im Allgemeinen verfügen die meisten russischen Emittenten über ein solides Finanzprofil und sollten in der Lage sein, zusätzliche Investitionen zu stemmen. Doch in einigen Fällen könnten sie versuchen, die höheren Kosten durch Dividendenkürzungen oder die Aufnahme von Mitteln auszugleichen, beispielsweise durch die Ausgabe neuer Anleihen.

Einbeziehung einer Risikoprämie für Tauwetter

Es erscheint sinnvoll, diese speziellen Aspekte in eine umfassende ESG-Analyse einzubeziehen. Das hilft, erhöhte ökologische, soziale und ethische Risiken oder positive Merkmale auf Emittentenebene zu identifizieren und zu kennzeichnen. Dazu gehört auch eine Analyse von klimabezogenen Themen. Der duale Ansatz hilft dabei, Umweltrisiken zu identifizieren und die potenziellen Auswirkungen dieser Risiken auf das Unternehmen in der Zukunft abzuschätzen.

Die Bewertung dieser drei Hauptanliegen erlaubt es Investoren, Unternehmen nach dem Grad ihrer Anfälligkeit für die Risiken zu kategorisieren. Das kann dann als Grundlage für die Einbeziehung einer Risikoprämie für Tauwetter in eine Anleihenbewertung dienen. Ziel ist es, einen risikobereinigten, fairen Anleihepreis zu ermitteln, der eine angemessene Risikoprämie für den Grad der Anfälligkeit gegenüber dem Tauwetter beinhaltet. Die Auswirkungen des Klimawandels auf russische Bergbau- und Energieunter nehmen, die in Permafrostgebieten tätig sind, stellen dabei ein wesentliches Risiko dar, das in den Research Prozess in je dem Fall mit einbezogen werden sollte.

Willem Visser , Emerging Market Corporate Credit Analyst , T. Rowe Price, London

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