Internationale (Wirtschafts-) Beziehungen - auch eine Aufgabe der Landespolitik?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, MdL, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart - Protektionismus und populistische Parolen gegen den Welthandel werden vielerorts wieder zu Mitteln der Politik. Von dieser nüchternen Bestandsaufnahme der internationalen Wirtschaftsbeziehungen will sich die Autorin aber nicht entmutigen lassen und den Menschen in ihrem Bundesland besser die Chancen wie auch die Risiken der internationalen Verflechtung erläutern. Nicht zuletzt für den baden-württembergischen Mittelstand interpretiert sie die Internationalisierung als eine Art Immunkur und damit als Impuls für eine bessere Wettbewerbsfähigkeit. Die Aufgabe der Landespolitik sieht sie in besonderem Maße in einem offenen Dialog mit den mittelständischen Unternehmen vor Ort. Auf dieser Basis will sie Einblick in diverse Herausforderungen dieses wichtigen Segmentes und Anregungen für ein gezieltes Standortmarketing gewinnen. Als ein Beispiel für solche Aktivitäten nennt sie den Besuch und die Wirtschaftsgespräche einer Delegation im Iran schon kurz nach der Aufhebung der Sanktionen. (Red.)

Handel verbindet. Als einer der ersten Denker erkannte Immanuel Kant in seiner Schrift "Zum Ewigen Frieden" die friedensstiftende Wirkung des Handels. Sein Gedankengang zur "Garantie des Ewigen Friedens" wurde schließlich zu einer der Gründungsideen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zum Vorbild für zahlreiche Freihandels abkommen wie dem nordamerikanischen NAFTA oder dem transpazifischen TPP. Heute, acht Jahre nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, häufen sich weltweit die Hinweise auf wachsende Turbulenzen in den internationalen Handelsbeziehungen. Protektionismus und populistische Parolen gegen den Welthandel werden vielerorts wieder zu Mitteln der Politik, um enttäuschte Bürgerinnen und Bürger für kurzfristige politische Gewinne zu mobilisieren.

Chancen und Risiken besser aufzeigen

Die Beispiele hierfür sind schnell gefunden: Im Juni 2016 haben die Briten mehrheitlich für den Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der EU gestimmt und damit auch für den Austritt aus dem freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr des EU-Binnenmarkts. Mit Donald Trump wurde ein Kandidat zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt, der während des Wahlkampfs Schutzzölle gegen chinesische Produkte und die Auflösung der Freihandelsabkommen NAFTA und TPP androhte. Gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP regen sich in Deutschland zahlreiche Proteste. Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA wäre beinahe am innereuropäischen Widerstand der belgischen Region Wallonien gescheitert.

Schlussfolgerung daraus: Auch und gerade in einer vermeintlich "postfaktischen" Zeit müssen die Chancen, aber auch die Risiken einer weiteren internationalen Verflechtung noch besser als bisher aufgezeigt werden, und zwar nüchtern und realistisch - durch Fakten, Transparenz, Offenheit und Lernfähigkeit - auch gegenüber Kritik und Befürchtungen. Und es bedarf einer Außenwirtschafts- und Standortpolitik, die die Bedürfnisse der Betriebe und ihrer Beschäftigten kennt und deren Internationalisierung passgenau begleitet. Baden-Württemberg ist dafür das beste Erfolgsbeispiel.

Die Wirtschaft im deutschen Südwesten ist hochgradig mit der Weltwirtschaft verflochten. 2015 exportierten Unternehmen aus Baden-Württemberg Waren und Dienstleistungen im Wert von 195 Milliarden Euro. Das Land lag damit vor Nordrhein-Westfalen und Bayern bundesweit an der Spitze. Aufgrund der geografischen Lage im Herzen Europas nimmt die EU als Absatzmarkt eine besondere Stellung ein. Rund die Hälfte der Exporte "Made in Baden-Württemberg" gehen in die 27 EU-Partnerstaaten Deutschlands. Auf Abnehmer in Nordamerika und Asien entfällt zusammen ein weiteres Drittel der baden-württembergischen Ausfuhren.

Jeder dritte Arbeitsplatz im Land hängt direkt oder indirekt vom Außenhandel ab. Dies gilt umso mehr für die Industrie, wo jeder zweite Euro mit dem Export erwirtschaftet wird. Nicht verwunderlich ist, dass Baden-Württemberg als Wiege des Automobils im Fahrzeugbau die größten Exporterfolge erzielt - 70 Prozent des Umsatzes dieser Aushängebranche stammen aus dem Auslandsgeschäft, im Maschinenbau sind es über 60 Prozent.

Internationalisierung als Immunkur

Auslandsaktive Unternehmen in Baden-Württemberg sind gesünder als ausschließlich inländisch tätige Unternehmen. Ihre Internationalisierung wirkt wie eine Immunkur: So schätzen internationalisierte Unternehmen ihre Geschäftslage und -entwicklung im Schnitt positiver ein, haben eine höhere Investitionsquote innerhalb Baden-Württembergs und schaffen mehr Stellen im Land als die Unternehmen ohne Auslandsaktivitäten.

Ihre Fitness für den weltweiten Wettbewerb verdanken die baden-württembergischen Unternehmen auch Europa. Der europäische Binnenmarkt bietet mit seinen über 500 Millionen Konsumenten die größte und am weitesten entwickelte Freihandelszone der Welt. Der Euro beseitigt als gemeinsame Währung zudem das Risiko von Wechselkursschwankungen zwischen den 19 Mitgliedsstaaten der Eurozone. Dadurch ist es für die Unternehmen häufig einfacher, international zu wachsen und zu investieren, als für ihre Konkurrenten in anderen Teilen der Welt. Darüber hinaus ist das Land auch über politisch-institutionelle Kooperationen eng mit Europa verflochten.

Vor diesem Hintergrund sind Entwicklungen wie der "Brexit" von hoher Bedeutung für Baden-Württemberg. Für ein exportabhängiges Bundesland ist es entscheidend, sich an der Ausgestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu beteiligen. Denn gute Bedingungen in den Handelsbeziehungen helfen dabei, Arbeitsplätze, Fortschritt und Wohlstand für die Bürgerinnen und Bürger im eigenen Bundesland zu sichern.

Globales Wirtschaftswachstum von der Handelsentwicklung entkoppelt

Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht das: Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wuchs der baden-württembergische Warenexport um durchschnittlich rund sechs Prozent pro Jahr. In der ersten Jahreshälfte 2016 sanken die Exporte hingegen um knapp ein Prozent. Dabei stand einem Anstieg der europäischen Exporte ein Minus in anderen Weltregionen gegenüber. Es handelt sich um ein globales Phänomen: Seit der Weltwirtschaftskrise von 2008 gehen die Wachstumsraten des Welthandels zurück. Betrugen diese im Zeitraum von 1990 bis 2008 jährlich noch knapp sieben Prozent, so lag der weltweite Handelszuwachs im Zeitraum von 2011 bis 2015 bei nur noch knapp vier Prozent. Ebenfalls abgenommen hat das Verhältnis zwischen den Wachstumsraten des Welthandels und der Weltproduktion, das heißt, das globale Wirtschaftswachstum hat sich von der Handelsentwicklung entkoppelt.

Die erste Ursache hierfür liegt in der regionalen Verlagerung großer Anteile des Wirtschaftswachstums in weniger offene Schwellenländer, sodass sich das in diesen Ländern erzielte Wachstum in geringerem Maße in einem Wachstum des Handels widerspiegelt. Die zweite Ursache liegt in schwachen Investitionen seit der Krise. Da Investitionsgüter aber einen besonders hohen Importanteil aufweisen, führt deren Ausbleiben zu weniger Welthandel. Nimmt die internationale Arbeitsteilung infolge des geringeren Welthandels ab, so liegen noch ungenutzte Vorteile, die sich durch Spezialisierung und steigende Produktionsmengen ergeben können, für die produzierenden Unternehmen weiter brach. Ihre Produktivität sinkt, die Preise ihrer Produkte steigen.

Der Aufschwung des Welthandels, der mit dem Eintritt des Ostblocks und der Volksrepublik China in den Weltmarkt und mit der europäischen Einigung begann, scheint vorläufig gestoppt. Die unabhängige Forschergruppe Global Trade Alert verzeichnete einen scharfen Anstieg der Handelshemmnisse in den Mitgliedsländern der G20 seit Anfang 2016. Der designierte US-Präsident hat das Ende des geplanten TPP sowie eine Neuverhandlung von NAFTA angekündigt. Auch wird ein EU-Austritt Großbritanniens voraussichtlich zu höheren Handelsbarrieren zwischen der sechstgrößten Volkswirtschaft und dem größten Wirtschaftsblock der Welt führen. Der formale Rahmen für freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auf nationalstaatlicher Ebene würde dadurch kleiner.

Dagegen gewinnt die informelle und arbeitsteilige Vernetzung der Unternehmen umso mehr an Bedeutung. Hier setzt die Außenwirtschafts- und Standortpolitik des Landes Baden-Württemberg an. Es gilt, die Chancen der internationalen Zusammenarbeit konsequent zu nutzen und besonders mittelständische Unternehmen noch besser für das Auslandsgeschäft zu rüsten.

"Außen-Mittelstandspolitik"

Die soziale Marktwirtschaft ist eine große Errungenschaft des Gemeinwesens. Politische Eingriffe in das freie Unternehmertum sind in dieser Marktordnung nur dann angezeigt, wenn anderenfalls wettbewerbliche oder soziale Ungleichgewichte entstehen. Daran muss sich auch die Außenwirtschaftsund Standortpolitik messen lassen. Wesentlich öfter als Betriebe des Mittelstands wagen Großunternehmen mit über 1 000 Beschäftigten den Schritt auf den globalen Marktplatz. Sie sind mit einer durchschnittlichen Exportquote von 73 Prozent im wahrsten Sinne des Wortes Global Player und verfügen als solche über große Auslandsabteilungen, die sich mit den Chancen und Risiken des Auslandsgeschäfts auseinandersetzen.

Ihre Internationalisierung ermöglicht es ihnen, im Ausland zu wachsen. Dadurch eröffnen sich ihnen auch auf ihrem Heimatmarkt Vorteile im freien Wettbewerb etwa über sinkende Stückkosten und bessere Risikostreuung als Folge der erweiterten Absatzmärkte. Das kann sich in besseren Refinanzierungskonditionen für Inlandsinvestitionen solcher Großunternehmen niederschlagen. Dagegen verfügen die mittelständischen Unternehmen größenbedingt über keinen gleichwertigen Zugang zu den Auslandsmärkten. Sie sind strukturell nur eingeschränkt in der Lage, Internationalisierungsvorteile für sich zu nutzen. Die Außenwirtschafts- und Standortpolitik des Landes versteht sich darum im besten Sinne als "Außen-Mittelstandspolitik".

Finanzierung als wichtigste Aufgabe der Außenwirtschaftsförderung

Die Baden-Württemberg International GmbH (bw-i), zu deren Gesellschaftern neben dem Land auch die BWIHK, der BWHT, der LVI und die L-Bank gehören, ist die zentrale Einrichtung in Baden-Württemberg für die Internationalisierung der Wirtschaft, der Wissenschaft und für das internationale Standortmarketing. Außer bw-i sind auf Landesebene zudem die Industrie- und Handelskammern und Handwerk International mit eigenen Außenwirtschaftsmaßnahmen aktiv, ebenso andere Wirtschaftsorganisationen. Mittels internationalen Kontaktbörsen, Messebeteiligungen und Delegationsreisen können mittelständische Unternehmen sich im Ausland präsentieren und mit Partnern vernetzen. Dazu kommen Beratungsangebote der Kammern zum Beispiel für Zoll-, Versicherungs- oder andere Rechtsfragen.

Neben dem "Know-who" und Know-how ist die Finanzierung die wichtigste Aufgabe unserer Außenwirtschaftsförderung. Dafür können die baden-württembergischen Unternehmen zunächst auf eine leistungsfähige Finanzwirtschaft zurückgreifen:

- zahlreiche starke Kreditinstitute, unter anderem mit der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) als größte deutsche Landesbank, 52 Kreissparkassen, über 200 Volks- und Raiffeisenbanken, über 10 Privatbanken sowie zahlreiche Niederlassungen deutscher und internationaler Bankinstitute,

- über 60 Versicherungsinstitute und Pensionsfonds,

- auf die Börse Stuttgart, die führende Privatanlegerbörse Deutschlands (und unter den Top Ten der europäischen Börsen),

- Beteiligungs- und Wagniskapitalgesellschaften,

- Spezialanbieter wie zum Beispiel Leasing- und Factoring-Gesellschaften

- sowie schließlich die Förderbank des Landes - die L-Bank - sowie die Bürgschaftsbank Baden-Württemberg und Mittel ständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg als Selbsthilfeeinrichtungen der Wirtschaft.

Diese flächendeckende Vielfalt unterscheidet die baden-württembergische Finanzwirtschaft von derjenigen anderer Bundesländer oder Nachbarstaaten, wo zum Teil wenige Finanzinstitute den Markt unter sich auf teilen. Der ortsnahe Zugang zu Finanzinstituten ist gerade für mittelständische Unternehmen in der Fläche des Landes ein Vorteil, wenn diese bei ihren grenzüberschreitenden Geschäften begleitet werden wollen. Zu den gängigen Finanzdienstleistungen in diesem Bereich gehören zum Beispiel die Abwicklung des internationalen Zahlungsverkehrs, die Absicherung von Wechselkursschwankungen oder die Finanzierung von Investitionen auf ausländischen Märkten.

Zahlungsbedingungen als Wettbewerbsfaktor

Von zunehmender Bedeutung ist, dass der Wettbewerb auf internationalen Märkten, insbesondere in Schwellenländern, auch auf dem Gebiet der Zahlungsbedingungen ausgetragen wird. Aufgrund nicht voll ausgebildeter Kapitalmarktstrukturen sind Kunden in Schwellenländern bestrebt, Finanzierungslasten abzugeben. Infolgedessen können Exporteure das Potenzial vor Ort oft nur dann ausschöpfen, wenn sie einen geeigneten Finanzierungspartner einbinden. Hier spielen unter anderem Forderungsverkäufe (Forfaitierung) oder Bestellerkredite eine große Rolle, das heißt die regresslose Veräußerung von Auslandsforderungen beziehungsweise die Kreditfinanzierung für einen Auslandsabnehmer. Diese bietet auch die Landesbank LBBW ihren Unternehmenskunden in Baden-Württemberg an.

Darüber hinaus bilden acht German Centers, welche überwiegend von der LBBW und der Bayern-LB getragen werden, leistungsfähige Brücken in wichtige Schlüsselmärkte. Die L-Bank unterstützt als Landesförderbank wiederum die Auslandsgeschäfte mittelständischer Unternehmen mit dem Programm "Sonderfinanzierung Ausland". Dabei übernimmt sie bis zur Hälfte des Finanzierungsrisikos für Exportfinanzierungen oder Auslandsinvestitionen von der Hausbank des Unternehmens. Besonders in der Erholungsphase nach der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich diese Form der Außenwirtschaftsfinanzierung nach dem Hausbankprinzip bewährt. Internationalisierung und Finanzierung hängen für viele kleine und mittlere Unternehmen eng zusammen.

Unternehmen und politische Entscheidungsträger vor Ort im Dialog

Die Funktion der Politik geht über Förderinstrumente hinaus. Denn wenn es darum geht, auf ausländischen Märkten faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, braucht es den Dialog mit den dortigen politischen Entscheidungsträgern. Die Landespolitik kann als politisches Sprachrohr die Anliegen der mittelständischen Unternehmen dort vorbringen, wo diese aufgrund ihrer geringeren Größe sonst nicht gehört werden. Dabei kann es zum Beispiel darum gehen, schlichte bürokratische Blockaden auf politischer Ebene offen anzusprechen.

Durch Delegationsreisen, Partnerveranstaltungen und politische Gespräche bilden sich zwischenstaatliche Vertrauensbeziehungen, die auch langjährige politische Krisen überdauern: Kurz nach dem im Juli 2015 abgeschlossenen Atom-Abkommen besuchte Baden-Württemberg - als erstes Bundesland überhaupt - den Iran, um an alte Exporterfolge vor dem Sanktionsregime anzuknüpfen, als Deutschland noch der wichtigste Handelspartner des Iran war. Auch Kuba scheint nach zaghaften Wirtschaftsreformen und der jüngsten Annäherung an die USA allmählich an den Weltmarkt zurückzukehren. Hier kann der internationale Handel ganz im Sinne Kants zum politischen Tauwetter beitragen - Wandel durch Handel.

Trotz protektionistischer Signale mancher Staaten bleibt klar: viele Auslandsmärkte sind noch unerschlossen, viele Mittelständler noch nicht internationalisiert. Die Landespolitik tritt in beide Richtungen als Türöffner auf.

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