Leitartikel

Zähe Basisarbeit der Verbünde

Dass die deutschen Genossenschaftsbanken und Sparkassen im Herbst 2008 gleichermaßen mit Kundeneinlagen wie mit hohen Sympathiewerten überschüttet worden sind, ist kein Zufall. Dank ihres hausbackenen Image haben die Primären in der Krise von dem feinen Gespür und/oder der blanken Angst der breiten Bankkundschaft profitiert. Diese fühlt sich derzeit besser bei jenen Instituten aufgehoben, die mit ihrer Geschäftspolitik einschließlich der Mitarbeitervergütung während der (erst einmal jäh unterbrochenen) Blütezeit von Investment- und Kapitalmarkt-Banking auf dem Boden geblieben sind. Umgekehrt haben die Ortsbanken recht zügig begriffen, wie schnell sich das unverhoffte Glück der üppigen Einlagenschwemme wieder verflüchtigen kann, wenn nicht hart daran gearbeitet wird, es im Haus oder wenigstens in der eigenen Gruppe zu binden. Intensivere Marktbearbeitung steht deshalb in beiden Verbünden weit oben auf der Agenda. Von den Strategen lässt sich diese Notwendigkeit derzeit leicht vermitteln, denn speziell die Commerzbank bietet dafür einen hervorragenden Ansatzpunkt. Mit den Lockangeboten der staatlich gestärkten Privatbank lässt sich die neuerliche Gefährdung der Marktposition der Ortsbanken in den Kerngeschäftsfeldern sehr anschaulich verdeutlichen. Aber daneben sind es nach wie vor viele alte und neue Verdächtige, die auf dem klassischen Terrain der VR-Banken und Sparkassen ihre Chance suchen oder sich einen Ausgleich für sonstige wegbrechende Ertragspotenziale versprechen - von Deutsche/Postbank über ING-Diba und Autobanken bis hin zu allgemeinen Konsumentenfinanzierern.

Unbestreitbar zugute kommt den Ortsbanken der Verbünde bei der mühsamen Basisarbeit am Kunden die auch für Laien vergleichbar gute Durchschaubarkeit ihres Geschäftsmodells, ihre Verankerung und vielfach sichtbare Verbundenheit mit der Region sowie nicht zuletzt die vergleichsweise entspannte Refinanzierungslage. Dank ihrer starken Stellung im Einlagengeschäft sind sowohl die S- als auch die VR-Primären in der Aufrechterhaltung ihres Kreditgeschäftes nur vergleichsweise wenig von den schwierigen Refinanzierungsbedingungen über Kapitalmarktprodukte abhängig. An dieser Stelle wird die Kunst vor Ort eher darin bestehen, auch in der wirtschaftlichen Schwächephase vieler Branchen die Risiken aus einer absehbar schwieriger werdenden Kreditfinanzierung unter Kontrolle zu halten. Und mit Blick auf das Einlagen- und Wertpapiergeschäft haben die Ortsbanken bei allem unangenehmen Aufklärungsbedarf über die wirklich schlechte Wertentwicklung diverser Anlageformen gegenüber vielen Wettbewerbern immer noch einen beträchtlichen (Zeit-)Vorteil. Sie können im Wesentlichen an ihrer Geschäftsstrategie festhalten und müssen nur in Teilbereichen eine Neujustierung vornehmen.

Auf Sparkassenseite ist eine neue Hinwendung zum Markt Ende Januar dieses Jahres auf einer großen Strategietagung in Berlin in ein neues Konzept gegossen worden. Dabei bot die Zuspitzung der Finanzmarktkrise seit Oktober 2008 und der damit verbundene messbare Vertrauenszuwachs breiter Bevölkerungsschichten für die Sparkassen nur den günstigen Auslöser für die strategische Neuausrichtung. Die tiefere Ursache liegt in klar erkennbaren Marktanteilsverlusten. Schon seit Jahren kursieren in der Organisation eigene Auswertungen der als unverdächtig geltenden Bundesbankstatistik, die im langjährigen Trend Rückgänge der Sparkassenorganisation belegen. So gab es selbst in dem oft als Domäne gefeierten Kreditgeschäft mit Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Phasen, in denen die Großbanken das größere Bestandswachstum aufwiesen. Im Ratenkreditgeschäft hatte der Marktanteilsverlust gegenüber dem relativen Maximum Mitte der neunziger Jahre zeitweilig mehr als zwölf Prozentpunkte betragen. Und auch der stets hoch gehaltene Anteil an Girokonten hatte zuletzt oft den Anflug einer Selbsttäuschung. Bei weit über 90 Millionen Girokonten und nur rund 60 Millionen Bundesbürgern im bankgeschäftsfähigen Alter darf das Sparkassenlager selbst bei 45 Millionen S-Girokonten längst nicht mehr davon ausgehen, für etwa die Hälfte der Bevölkerung die Hauptbankverbindung darzustellen. Und genauso sind bei jeder Sparkasse vor Ort die üblicherweise an der Relation von Girokonten zu potenziellen Kunden gemessenen Reichweiten um einen kräftigen Korrekturfaktor zu bereinigen.

Die Verantwortlichen der Sparkassenorganisation kennen diese Entwicklung, und sie wissen auch um die gebräuchlichen Rituale der Selbstbeweihräucherung. In Berlin wurde deshalb der versammelten Vorstandsbasis der Sparkassen noch einmal eindringlich ins Gewissen geredet, nicht schon das knappe Behaupten einer Marktstellung als Erfolg zu feiern. Agieren statt reagieren heißt vielmehr die Devise, mit der die Sparkassenorganisation künftig aufwarten will. Nur als Problemlöser für die Kundenwünsche aufzutreten, wie das im Übrigen auch viele Mitwettbewerber propagieren, ist demnach nicht genug. Sondern sich mit neuen S-Produkt- und Dienstleistungsideen an die Spitze der Bewegung zu setzen, wäre eine Offensivleistung, wie sie den Vordenkern im DSGV vorschwebt - am besten noch verbunden mit einer weitgehenden Preisführerschaft. Künftig soll nun die Kundenzufriedenheit bei der Marktbearbeitung der S-Gruppe mehr in den Vordergrund rücken und gegenüber der (neu bemessenen) Zielgröße Eigenkapitalrendite ein stärkeres Gewicht erhalten. Folgerichtig soll der Verbesserung von Service und Qualität ein höherer Stellenwert eingeräumt werden wie es der DSGV-Präsident kürzlich an dieser Stelle erläutert hat (Kreditwesen 4-2009).

Gerade für die Marktführer vieler Branchen sind solche Ambitionen freilich typisch. Natürlich wollen die Großen möglichst selbst den Markt mit Innovationen bestimmen statt immer wieder aktuellen Tendenzen hinterherzulaufen. Aber bei der Umsetzung wirklich wichtiger Trends haben es Newcomer oft wesentlich einfacher, weil sie mit dem massiven Anschub einer Neuerung kaum oder wenigstens weniger Altgeschäft kannibalisieren. Bei der Sparkassen- wie auch der Genossenschaftsorganisation hingegen kommt an dieser Stelle im Unterschied zu Konzernorganisationen gar noch erschwerend die dezentrale Struktur hinzu. Zwar bewahrt die Selbstständigkeit der Ortsbanken und die damit verbundene Entscheidungsprozedur möglicherweise vor vielen Fehlern. Sie verzögert oft aber auch die rasche und massive Einführung von Neuerungen.

Ob die erhofften S-Innovationen dezentral "erfunden" werden sollen oder eine zentrale (Ideen-)Einheit eine größere Trefferwahrscheinlichkeit verspricht, um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben, wäre eine typische Fragestellung für deftige Konflikte. Ähnliche Grundmuster und zum Teil auch Widersprüchlichkeiten gibt es gerade in der S-Gruppe in der jüngeren Vergangenheit gleich mehrere. So wird einhellig das Versäumnis eingeräumt, die Altersvorsorge beziehungsweise die Vorsorgekompetenz nicht früh und konsequent genug als zentralen Anker für Geschäftsbeziehungen mit Privat- und Geschäftskunden etabliert zu haben. Auch der mobile Vertrieb hat geraume Jahre gebraucht, um in seine mittlerweile fortgeschrittene Bewährungsphase zu gelangen. Und die Frage der Notwendigkeit eines wie auch immer aufgestellten Internet-Vertriebs ist noch nicht einvernehmlich geklärt beziehungsweise wird nicht einmal ernsthaft angepackt. Parallel dazu gibt es freilich Belege für lohnende zentrale Aktivitäten. Dass im Jahre 2007 und in der gerade laufenden Berichtsperiode so schöne Zuwachsraten im S-Leasinggeschäft vermeldet werden dürfen, hängt beispielsweise maßgeblich an dem Beitrag des Verbundunternehmens Deutsche Leasing mittels S-Autokredit.

Wie die Beiträge dieses Heftes zeigen, haben es die Genossenschaftsbanken bei Festlegung ihrer Marktbearbeitungsstrategie insofern ein gutes Stück einfacher, als die gewählte Rechtsform ihnen eine eindeutige Richtung weist. Dem Geist des Genossenschaftsgesetzes würde es jedenfalls entsprechen, eine besondere Kultur der Mitgliederförderung zu entwickeln und sich mit diesem unbestreitbaren Alleinstellungsmerkmal offensiv gegenüber den Wettbewerbern zu positionieren. Aber die Praxis sieht derzeit noch anders aus. Weder bei den Instituten noch aufseiten der Mitglieder ist dieses Prinzip gebührend verankert. Zwar schmücken sich die einzelnen Genossenschaftsregionen gerne mit erfolgreichen Einzelbeispielen. Und selbstverständlich wird dabei auch auf die strategische Bedeutung dieses Instrumentariums für die Zukunftsfähigkeit der Gruppe verwiesen. Aber trotz aller Sympathiebekundungen - beispielsweise auch vonseiten der BVR-Fachräte gilt die Weiterentwicklung zur Mitgliederbank längst noch nicht als gemeinsames Ziel für die Primären.

Die Autoren hingegen wollen die Mitgliederförderung wesentlich offensiver positioniert sehen. Sie halten deren besonderes Potenzial bei den genossenschaftlichen Primärbanken noch für sehr entwicklungsfähig und in der Breite nicht einmal ansatzweise für ausgeschöpft. Zu stark ist ihnen vor Ort die Betonung der guten Dividende als Instrument der Mitgliederbeglückung, und zu ängstlich wird auf die Gleichbehandlung der "Nichtmitgliederkunden" geachtet. Nicht zuletzt mit Blick auf den Erfolg von Bonussystemen und Kundenbindungsprogrammen außerhalb des Bankensektors wird gerade dieser wichtige Punkt der Erlebbarkeit der Mitgliedschaft hervorgehoben. Exklusivleistungen für Genossenschaftsmitglieder werden nicht nur für möglich erachtet, sondern es wird sogar die Frage aufgeworfen, ob die Genossen nicht sogar einen Anspruch darauf haben - dem besonderen Gesellschaftszweck der eG wegen. Steuerrechtliche Vorbehalte oder zumindest Interpretationsspielräume einer offensiven Mitgliederföderung wie sie gleich mehrfach anklingen, werden hingegen für überwindbar gehalten. Sie zeugen zwar in der Tat von einem Konflikt zwischen Steuer- und Gesellschaftsrecht. Aber mit Blick auf ein klares Profil des Genossenschaftssektors sollte es im Interesse aller sein, dringlich auf eine Klärung dieses Widerspruchs seitens der Finanzverwaltung beziehungsweise des Gesetzgebers hinzuwirken.

Dass die Genossenschaftsverbände eine Mitgliederförderung nicht so zielstrebig forcieren können, wie das vielen Verantwortlichen vorschweben mag, liegt nicht zuletzt an dem konstituierenden Prinzip der Subsidiarität. Nach genossenschaftlichem Selbstverständnis ist auch die Begünstigung der Mitglieder Teil der praktizierten Wirtschaftsdemokratie und das Miteinander beziehungsweise die Kooperation ein Beleg für selbstbestimmtes Handeln vor Ort. Insofern mag der BVR zwar die Rolle als Kompetenzzentrum in Strategiefragen für sich reklamieren und prinzipiell das Instrument der Mitgliederförderung hochhalten und loben. Aber bei der Umsetzung muss er genau wie die Regionalverbände sorgsam die Stimmungslage und die Vielfalt der Lösungsansätze an der Basis prüfen. Kurzum, die Primären müssen - wie in der S-Gruppe - das Gefühl haben, sie hätten selbst über ihr Konzept der Marktbearbeitung entschieden. Ob solche weichen Mechanismen zur Kundenbindung für den erhofften Auftrieb der Verbünde reichen? Zurzeit genießen sie einen Vertrauensvorschuss bei den Verbrauchern. Und die angepeilte ganzheitliche, individuelle Marktbearbeitung passt gut zum Geschäftsmodell beider Dezentralen. Denn sie lässt Raum für selbstständige Entscheidungen vor Ort, und in der Breite umgesetzt ist sie sogar ein klarer Gegenentwurf zur selektiven Kundenansprache vieler Wettbewerber.

Aber auf Dauer zählen eben auch Effizienz und Konditionen. Die richtige Mischung ist gesucht. Mo.

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