Aufsätze

"Wirtschaftliches Handeln muss wieder stärker am gesellschaftlichen Nutzen orientiert sein"

Das Thema "Banken und Werte" ist nicht neu für unsere Branche, hat aber unter dem Eindruck der größten Finanzkrise seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine andere - weitaus größere und grundlegendere - Bedeutung gewonnen. Über das Thema "Banken und Werte" vor dem Hintergrund der ungeheuerlichen Finanzkrise zu sprechen beinhaltet zwei Gefahren: Die eine Gefahr ist, dass man eine Branche in Bausch und Bogen verteufelt, in der es zugegebenermaßen ungeheure Verfehlungen gegeben hat. Hierbei wird aber leichtfertig übersehen, dass nur ein Teil des Systems für die Verfehlungen verantwortlich ist. Die größten Verwerfungen gab es ohne Zweifel in der angelsächsischen Welt, von wo aus sich der Flächenbrand an den Finanzmärkten über den gesamten Globus ausbreitete.

Eine tief greifende Vertrauenskrise

Daher lässt sich auch mit Fug und Recht behaupten: "The American Way of Banking" war in diesem Fall ausnahmsweise mal kein Erfolgsmodell. Ausnahmsweise deshalb, weil viele segensreiche Innovationen für die Kapitalmärkte ihren Ursprung in diesem Kulturkreis haben. Die andere Gefahr besteht darin, sich selbst und sein eigenes Haus "heiliger" und möglicherweise "schein-heiliger" darzustellen als die Wettbewerber. Niemand ist vor Verlockungen und Hybris geschützt, und man sollte seine eigene charakterliche Festigkeit nicht zu hoch einschätzen. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall! Auch das sollte man sich immer wieder bewusst machen. Die nächste Krise kommt in jedem Fall.

Ich werde versuchen, unter Vermeidung beider Gefahren meine äußerst subjektive Sicht der Dinge nahe zu bringen. Die Ausführungen sind zweigeteilt. Zum einen werden einige Thesen zur aktuellen Finanzkrise und deren Bewältigung vorgetragen. Zum anderen werden einige Überlegungen zu unserem wichtigsten Asset zu Gehör, das sich allerdings in keiner Bankbilanz finden lässt: Vertrauen.

Zum Einstieg einige neuere Zitate: "Die Banken machen weiter wie gehabt, und es ändert sich nichts." Oder: "Das Monster Finanzmarkt" - so Bundespräsident Köhler auf einer Veranstaltung des DBG am 5. Oktober 2009 - "ist noch nicht gezähmt". Oder: "Die Krise war tatsächlich zu kurz, um fundamentale Änderungen zu erreichen", so Martin Blessing, Vorstandssprecher der Commerzbank auf einer Finanzplatzkonferenz in Frankfurt am 3. September 2009. Es hat also den Anschein, als sei das Casino nicht geschlossen, sondern nur neu gestrichen worden. Und dieser Eindruck hat sich nach meiner Beobachtung zuletzt bei vielen Menschen verfestigt.

Die wiederaufkommende Zahlung oder Bereitstellung immenser Bonussummen in London oder an der Wall Street verstärkt diese tief greifende Vertrauenskrise in Banken und Finanzdienstleister, aber auch in die Handlungsfähigkeit des Staates oder besser der internationalen Staatengemeinschaft. Sie werden entweder als willfährige Helfer der Finanzindustrie gesehen (London und Washington), die ihre Schlüsselindustrie schützen wollen, so wie es die Deutschen mit der Automobilbranche regelmäßig tun. Zur Erinnerung: In Großbritannien ist der Anteil der Finanzbranche am Bruttoinlandsprodukt mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Oder die Staaten werden als zu national denkend und agierend und damit ihre Initiativen als weitgehend wirkungslos angesehen.

Trotzdem waren die Ergebnisse des letzten G20-Gipfels konkreter als erwartet. Wie weitreichend und konsequent die geplanten Schritte umgesetzt werden, wird man sehen. Falls es meist bei Absichtserklärungen bleiben sollte, würde dies - da bin ich mir sicher -, einen Linksrutsch in der politischen Landschaft auslösen, zumindest in Deutschland. Und in einem solchen Fall könnte der Schaden für die Finanzbranche weit größer sein.

Kritischere Prüfung durch die Aktionäre

Was muss also in der Branche geschehen, damit wir das Vertrauen der Menschen in unsere Integrität wieder herstellen können? Ungern widerspreche ich Bundespräsident Köhler. Er möchte das Monster Finanzindustrie gezähmt wissen. Meiner Meinung darf es ein solches Monster überhaupt nicht geben. Dafür müssen der Gesetzgeber und die Aufsichtsorgane sorgen, aber natürlich und in erster Linie die Institute selbst. Dazu zähle ich auch die Aktionäre und Eigentümer, die künftig andere Erwartungen an ihr Bankmanagement haben dürften als bisher. Die Pleiten von Lehman und Hypo Real Estate haben auch sie eine Menge Geld gekostet. Nach meiner Überzeugung werden die Aktionäre daher künftig sehr viel genauer prüfen, wo sie ihr Geld investieren. Ich bin auch sicher, dass die Kunden künftig die Häuser, mit denen sie eine geschäftliche Verbindung eingehen oder deren Produkte sie kaufen, genauer unter die Lupe nehmen.

Die Finanzindustrie dient in erster Linie der Finanzierung der Wirtschaft; sie ist aber kein Selbstzweck und darf es auch nicht sein. Und zu viel Regulierung bringt aktuell die Gefahr mit sich, dass die Kredit- und Finanzierungsspielräume der Banken eingeschränkt werden. Dies hätte zur Folge, dass der Weg aus der Wirtschaftskrise deutlich länger dauern würde oder gar nicht erst beschritten werden könnte. Allerdings erschrecke ich regelmäßig, wenn im Zusammenhang mit den Turbulenzen an den Finanzmärkten von einem Übergreifen der Krise auf die sogenannte "Realwirtschaft" gesprochen wird. Als ob es sich bei der Finanzindustrie nicht um eine reale Form der Wirtschaft handelt.

Regeln der Sozialen Marktwirtschaft

Gerne zitiere ich in diesem Zusammenhang Bundeskanzlerin Merkel, die sich regelmäßig mit diesem Thema auseinandersetzen musste: "Es gibt keine dauerhafte völlige Entkopplung von bestimmten Erscheinungen in Finanzmärkten und von Erscheinungen in der Realwirtschaft. Die Realwirtschaft hat gezeigt, dass man mit Maß und Mitte auf Dauer erfolgreich wirtschaften kann. Und genau das werden die Finanzmärkte jetzt, nach dieser Krise, auch lernen. Das ist meine feste Überzeugung. Das heißt, sie existieren nicht außerhalb der Sozialen Marktwirtschaft, sondern sie werden sich in die Regeln der Sozialen Marktwirtschaft hineinbegeben. Das heißt eben, dass es auch für die Finanzmärkte Regeln geben muss."

Eines steht fest: Die Finanzindustrie darf sich nicht zu einem Monster entwickeln. Denn Monster lassen sich nicht zähmen - und wenn doch, dann nur für eine bestimmte Zeit. Als Adam Smith Mitte des 18. Jahrhunderts die liberale Marktwirtschaft erfand, schrieb er gleichzeitig ein dickes Buch über "Die Theorie der ethischen Gefühle". Er war der Meinung, dass die egoistischen Antriebskräfte durch ein Gegengewicht von sozialen Gefühlen vor Maßlosigkeit bewahrt werden würden. Doch das funktioniert heute nicht mehr. Das Schwinden des sozialen Verantwortungsgefühls ist eine der Krankheiten des modernen Kapitalismus.

Andere Steuerungsmechanismen

In Deutschland sind es zwei Aspekte die ursächlich sind für diese Entwicklung: Durch das Gefühl einer staatlichen Rundumversorgung ist die individuelle Verantwortung für den Mitmenschen und die Gemeinschaft stark zurückgegangen. Der Staat macht es schon und dafür bezahlt man ja auch seine Steuern ist die herrschende Vorstellung. Zudem ist das verantwortungslose Denken in eine pervertierte Form des Umlageverfahrens stark ausgeprägt: Im Rentensystem oder bei der Staatsverschuldung werden ungeheure Summen zulasten der kommenden Generation aufgehäuft. Der "Vertrag zulasten Dritter" ist im Zivilrecht nicht erlaubt; im gesellschaftspolitischen Umfeld bestimmt er die Denkweise vieler.

Ich gehöre traditionell nicht zu den Menschen, die der guten alten Zeit nachtrauern. In überschaubaren sozialen Strukturen gab es allerdings andere Regelungsmechanismen; die früheren funktionieren in der globalisierten Welt nicht mehr. Wir brauchen daher andere Steuerungsmechanismen. Meine Thesen:

1. Es darf kein Monster existieren. Damit wird es auch nicht notwendig, das Monster zu zähmen. Die Finanzindustrie darf sich nicht von der sogenannten "realen Wirtschaft" abkoppeln - weder bei den Vergütungsstrukturen, den Renditeerwartungen und dem Risikopotenzial; eingegangene Risiken müssen in adäquatem Umfang von Eigenkapital gedeckt sein. Außerbilanzielle Einheiten und Marktteilnehmer, die nicht einer geregelten Aufsicht unterliegen, dürfen an den Kapitalmärkten nicht agieren.

2. Ethik lässt sich nicht verordnen. Ethisches Verhalten wird sich nur durchsetzen, wenn es auch wirtschaftlich sinnvoll ist, das heißt, wenn es vom Kunden belohnt wird. Hier ist bereits ein Umdenkprozess in Gang gekommen. Die Kunden haben es in der Hand, mit wem sie Geschäfte abschließen und von wem sie sich beraten lassen. Auch sie sind Teil des Systems und sind aufgefordert, kurzfristiger Renditemaximierung zu widerstehen. Auch künftig wird es keine Überrendite ohne entsprechendes Risiko geben. Eine Erkenntnis, die leider alle paar Jahre in Vergessenheit gerät.

3. Gesetzliche Begrenzungen für Boni und Managergehälter halte ich nicht für sinnvoll - und ordnungspolitisch auch nicht für vertretbar und wünschenswert. Denn die Frage, wer und nach welchen Kriterien die Höchstgrenzen festlegen soll, lässt sich meines Erachtens kaum klären. Soll es dazu eine Rechtsverordnung geben? Das entspricht nicht meiner Vorstellung von Marktwirtschaft - schließlich ist die Vertragsfreiheit ein wichtiges Element unserer Wirtschaftsordnung und darf nicht punktuell infrage gestellt werden.

Ein gutes Umfeld als Erfolgsgrundlage

Erlauben Sie mir noch eine kurze Anmerkung zur Höhe der Boni: Wir sollten uns alle bewusst sein, dass wir unseren beruflichen Erfolg nicht nur der eigenen Leistung verdanken, sondern in erster Linie dem Umfeld in dem wir arbeiten und der Arbeit, die vor uns geleistet wurde. Das gilt nicht nur für einen Bankier, der das Privileg hat in 11. Generation ein Bankhaus zu führen, sondern auch für den Rohstoffhändler einer Investmentbank. Er ist nur in der Lage erfolgreich zu sein, weil ihm sein Arbeitgeber entsprechendes Kapital zur Verfügung stellt und er über das "Branding" seines Hauses verfügt. Die starke Marke ermöglicht ihm erst seinen geschäftlichen Erfolg. Lösen sollten wir uns auch von der Vorstellung, ein Händler oder Portfolio Manager hat die "goldene Hand" - auch der überaus erfolgreiche Warren Buffett hat keine goldene Hand. Hinter seinem Erfolg stehen hart erarbeitete langfristige Anlageentscheidungen! Viele sind nur in bestimmten Marktphasen erfolgreich. Und viele - siehe den Fall Madoff sind nur langfristig so konstant erfolgreich, weil sie betrügerisch vorgehen.

4. Die Vergütungssysteme der Manager müssen sich an der längerfristigen Entwicklung der Unternehmen orientieren. Boni sollten über drei bis fünf Jahre "eingefroren" werden, bis sich gezeigt hat, dass ihre Gewährung und Auszahlung wirklich berechtigt sind. Idealerweise sollten die Boni in eigenen Aktien des Unternehmens oder entsprechenden Beteiligungen gezahlt werden. Dabei muss auch klar sein: Regelungen können nur einheitlich und international erfolgen. Nationale Alleingänge würden die jeweilige heimische Bankenlandschaft isolieren und dem jeweiligen Finanzplatz schaden. Alle anderen Vorstellungen sind nationalromantisch und führen ins Abseits.

5. Regulierung muss sein, bringt aber die Gefahr mit sich, die Innovationsfähigkeit einer ohnehin schon stark regulierten Branche zu ersticken. Der Glaube, man könne mit einem immer stärker spezifizierten, jedes noch so kleine Detail erfassende Regelwerk die nächste Krise verhindern, suggeriert nur eine vermeintliche Sicherheit. Denn die nächste Krise kommt dann aus einer ganz anderen Ecke. Was das Finanzsystem wirklich in größte Gefahr gebracht hat, war der viel zu große Leverage bei Banken und ihre extreme globale Vernetzung bei Geschäften, die sie untereinander abgeschlossen hatten. Das erste Problem lässt sich mit erhöhter Eigenkapitalunterlegung in den Griff kriegen. Den zweiten Punkt kann man lösen, wenn möglichst viele Geschäfte über Börsen als zentraler Kontrahent abgewickelt werden.

6. Auch das ausgefeilteste mathematische Modell zur Messung von Risiken ist immer nur ein Teil eines gesamten Risikomanagementsystems. Es darf niemals die kaufmännische Vorsicht, den gesunden Menschenverstand, ersetzen. Denn nur weil ich ein Risiko möglichst genau quantifiziert habe, ist es ja als solches immer noch da! Und gerne zitiere ich Sir John Templeton, der den Satz "Diesmal ist alles anders" als die teuersten Worte der Geldanlage bezeichnet hat.

Abkehr vom "Shadow Banking"

Positiv überrascht haben mich die sehr konkreten Vorstellungen des neuen CEO der Citigroup, Vikram Pandit, die er seiner Rede im Center for Financial Studies am 8. Oktober 2009 in Frankfurt am Main darlegte. Bei dieser Gelegenheit sprach er sich - im Gegensatz zu vielen anderen Bankern dieser Tage - für mehr Regulierung aus. Und zwar international koordiniert, um systemische Risiken frühzeitig erkennen und verhindern zu können. Zumindest für sein Haus versprach er eine Abkehr vom "Shadow Banking" - damit bezog er sich auf das gesamte Spektrum des Verbriefungsgeschäfts, das es Marktteilnehmern, die der klassischen Regulierung nicht unterliegen, bisher die Gelegenheit gegeben hat, mit kurzfristigen Wholesale-Refinanzierungen die Kreditschöpfung anzukurbeln. Er sprach sich zudem für den Aufbau von Kapitalreserven aus. Eigentlich etwas Selbstverständliches für Banken.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Verbriefung und die damit mögliche Verteilung von Risiken beurteile ich äußerst positiv. Der Missbrauch, der damit betrieben wurde, ist das Problem. Auch die Securities and Exchange Commission (SEC) ist wohl aus ihrer Lethargie erwacht. SEC-Chairwoman Mary Schapiro hat eine ganze Reihe neuer Regulierungsansätze in Aussicht gestellt. Die SEC nimmt viele Entwicklungen der vergangenen Jahre ins Visier. So hat die Behörde bereits Vorschläge zu schärferen Regeln für Dark Pools veröffentlicht. Die SEC will nun unter Verweis auf die systemischen Risiken und die Zersplitterung des Marktes den Dark Pools erheblich mehr Transparenz verordnen. Auch der sogenannte "Naked Access", also die Tatsache, dass die Akteure einen von Brokern und Börsen völlig unkontrollierten Marktzugang haben, wird kritisch unter die Lupe genommen. Mit den neuen Initiativen könnte die SEC auf längere Sicht wieder jene Bedeutung erlangen, die sie bis in die neunziger Jahre hinein hatte. Den US-Kapitalmärkten würde dies guttun.

Zu wünschen wäre ferner, dass der neue Elan der US-Wertpapieraufsicht auch auf Europa überschwappt. Wenn es die Gesetzgeber beziehungsweise Institute nicht schaffen, entsprechende Regelungen zeitnah zu etablieren und vor allem glaubhaft zu kommunizieren, sehe ich die Gefahr, dass entweder nationale Alleingänge die jeweils heimische Industrie ins Hintertreffen geraten lassen oder die Finanzbranche insgesamt geschwächt wird. Das würde sich - und darüber sind sich leider die meisten Menschen auch in unserem Lande nicht bewusst - gravierend negativ auf Wohlstand und Wachstum auswirken.

Wenn die Freiheit der Wirtschaft eingeschränkt wird, hat dies gewaltige negative Folgen für uns alle! Und aus einer Finanz- und Wirtschaftskrise könnte nur allzu leicht eine Sozialkrise entstehen, wie es der Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, befürchtet. Die Finanzindustrie mit ihrer Innovationskraft ist ja nicht nur des Teufels, wie es aktuell erscheinen mag, sondern entscheidend für die Dynamik und das Wachstum der Wirtschaft. Das sollte in der aktuellen Diskussion bei aller Kritik nicht vergessen werden. Einen großen Teil unseres Wohlstandes verdanken wir auch ganz real diesem Teil der Wirtschaft.

Banken sind Ein-Produkt-Unternehmen. Gerne schließe ich mich dieser Beurteilung von Bundesbankpräsident Weber an. Das Produkt heißt Vertrauen. Denn ohne Vertrauen sind Bankgeschäfte per se nicht denkbar. Das gilt für Privatbanken ebenso wie für andere Finanzinstitute. Neben gigantischen Geldsummen ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise sehr viel Vertrauen zerstört worden. Und es wird sehr, sehr lange dauern, bis wir uns dieses Vertrauen bei unseren Kunden wieder verdient haben. Der Wert der Aktie "Vertrauen" wird sich auf keinen Fall wieder so schnell erholen wie die realen Dividendentitel.

Verantwortung als Grundlage unternehmerischen Denkens

Vertrauen ist der feste Glaube, dass eine bestimmte Erwartung erfüllt wird und dass bestimmte Regeln freiwillig eingehalten werden. In diesem Sinne ist Vertrauen die Basis menschlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens. Die Gewissheit, dass man dem anderen vertrauen kann, speist sich aus der Erfahrung, dass die Versprechen in der Vergangenheit regelmäßig eingelöst - und somit die Erwartungen nicht enttäuscht wurden. In diesem Sinne beruht Vertrauen auf der unbedingten Verlässlichkeit des anderen und auf der Berechenbarkeit seiner Handlungen. Glaubhaft ist aber im Geschäftsleben auch nur, was wirtschaftlich sinnvoll und erklärbar ist. Träume und Wunschvorstellungen können nicht die Basis wirtschaftlicher Tätigkeit sein.

Vertrauen ist die Voraussetzung für fast jede wirtschaftliche Interaktion. Es ist umso wichtiger, je komplexer die jeweilige Ware ist und die damit verbundene Gefahr für ein Rechtsgut: Denn kaum ein Marktteilnehmer kann die Qualität der Produkte und Dienstleistungen ohne unverhältnismäßig hohen Aufwand beurteilen. Er ist also - in der auf Schnelligkeit und Effizienz bedachten Märkte generell - darauf angewiesen, dass er seinen Geschäftspartnern vertrauen kann. Vertrauen baut man auf und bewahrt es durch Wiederholung.

Bestehende Erwartungen werden Mal für Mal erfüllt - mit jedem Fall verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass mit unliebsamen Überraschungen zu rechnen ist. Personen und Institutionen schaffen Vertrauen durch ein langfristig konsistentes Verhalten. Entscheidend ist dabei der Gleichklang zwischen Reden und Tun. Versprechen, die eingehalten werden, sind die Basis und addieren sich. Vertrauen wächst. Der Faktor Zeit spielt dabei die entscheidende Rolle. Vertrauen braucht Zeit und das bedeutet Geduld. Es kann ebenso stark und mächtig wachsen wie ein Mammutbaum. Kommt der Baum allerdings ins Wanken, ist sein Sturz meist nicht mehr aufzuhalten (und er stürzt tief! ). Beim Vertrauen ist es ebenso. Vertrauen muss auch wirtschaftlich nützlich und damit rational sein. Vertrauen aufzubauen kostet materielle Ressourcen. Belohnt es der Markt nicht, werden Aufbau und Pflege vernachlässigt. Hat man Vertrauen einmal zerstört, so ist es äußerst schwer oder gar unmöglich, dieses wiederherzustellen. Das gilt für menschliche Beziehungen genauso wie für wirtschaftliche.

Seit Beginn der Finanzkrise ist Vertrauen die wichtigste Währung an den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten. Erinnert sei nur an die Tage, an denen der Geldhandel unter den Banken fast vollständig zum Erliegen kam; dabei spielte die Höhe des Zinssatzes gar keine Rolle mehr. Und die Währung "Vertrauen" ist auch heute noch äußerst knapp. Und lassen wir uns nicht von der Illusion blenden, dass wieder alles so sei wie früher, bloß weil wir in Teilbereichen unserer Industrie wieder Normalität erleben. Außerhalb der Bankbranche herrschen noch tiefes Misstrauen und Ängste, dass sich die Entwicklung, die zur Finanzkrise führte, recht schnell wiederholen könnte. Und dies können wir nur vermeiden, wenn wir die Fehler, die maßgeblich zur Finanzkrise geführt haben, nicht wiederholen: unzureichende Risikovorsorgemodelle, verfehlte Anreizsysteme, überkomplizierte und dann auch noch mehrfach voneinander abgeleitete, verschachtelte Produkte, unverantwortliche Hebelwirkungen und zweifelhafte, weil nicht tragfähige Geschäftsmodelle bis hin zu Investitionsentscheidungen, die nicht mehr dem Wirtschaftskalkül oder dem Verstand folgen, sondern nur noch dem Herdentrieb.

Diese erste wirklich weltweite Finanzkrise kam nicht ausschließlich, aber doch weitgehend aus dem Finanzsystem selbst, wenn auch die Politik und die Notenbanken ihren Teil dazu beigetragen haben. In der Krise haben beide dann allerdings hervorragend gehandelt.

Fehler einzugestehen ist das eine. Sie zu korrigieren und alles zu tun, damit sie sich nicht wiederholen, ist das andere - und es ist viel schwieriger. Aber es ist unabdingbar, um Vertrauen zurückzugewinnen. Und deshalb kann es jetzt im Kern doch nur darum gehen, die Teile der Finanzwirtschaft - und ich sage ganz bewusst: die Teile, die durch ihr Agieren den gesellschaftlichen Konsens verlassen haben - auf den richtigen Weg und in die Gemeinschaft der Wirtschaft zurückzuführen. Das geht nur, wenn man wirtschaftliche Tatsachen als Grundlage unternehmerischen Handelns anerkennt, wenn man Verantwortung als Grundlage unternehmerischen Denkens annimmt und wenn man Risiken, die unternehmerischem Planen immanent sind, jederzeit beherrscht.

Gleichklang von Reden und Handeln

Nun hieße es, die Realitäten zu verdrängen, wenn man glauben würde, diese Erkenntnis wäre heute schon überall im Finanzsektor angekommen oder sogar flächendeckend beherzigt worden. Genauso verfehlt ist es aber, den Banken vorzuwerfen, sie seien kaltschnäuzig zum "business as usual" übergegangen. Das wird den Anstrengungen in den Häusern, aus Fehlern redlich zu lernen, in keiner Weise gerecht. Viele Lehren sind schon gezogen worden, vieles wird gerade umgesetzt - und anderes ist auf dem Weg. Aber gewiss muss und wird dieser Prozess noch weitergehen.

Aus meiner Sicht gab es bereits auf folgenden Gebieten deutliche und nachweisbare Fortschritte: bei der Verbesserung von Eigenkapitalausstattung und Liquiditätspuffer, bei der Neuausrichtung des Risikomanagements, bei der Standardisierung und Transparenz der Finanzprodukte sowie bei der Überprüfung und Anpassung der Vergütungsmodelle. Was müssen wir also tun, um das verspielte Vertrauen in die Bankenbranche zurückzugewinnen? Wie können wir damit auch das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem, in die soziale Marktwirtschaft wieder stärken - denn durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wurde auch unser Wirtschaftssystem grundlegend infrage gestellt. Dies gilt mehr für Europa als für die USA, die traditionell eher bereit und in der Lage sind, nach vorne zu blicken und nicht mehr nach hinten zu schauen. Eine teilweise wünschenswerte, in diesem speziellen Fall aber eine äußerst gefährliche Eigenschaft.

Aus Fehlern lernen

Nur wenn es uns gelingt, aus unseren Fehlern der Vergangenheit zu lernen und das Vertrauen in unsere Wirtschaftsordnung wieder herzustellen, kann unsere Volkswirtschaft auch langfristig wieder Tritt fassen - und wir können verhindern, dass sich die Finanzkrise zu einer nachhaltigen Systemkrise ausweitet. Dafür ist es aber aus meiner Sicht erforderlich, dass alle Verantwortung nehmen und dabei die Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen. Denn eine der Hauptursachen der Wirtschaftskrise ist für mich eine an zu kurzfristigen Zielen ausgerichtete Wirtschaftsordnung - mit Entscheidern, die für die Ergebnisse ihres Handelns nicht einstehen müssen. Dieses Auseinanderdriften von Handeln und Haftung oder Verantwortung verführt dazu, unüberschaubare Risiken einzugehen - mit den bekannten Folgen. Es hat sich also deutlich gezeigt, dass kurzfristige Gewinnmaximierung keine tragfähige Strategie für langfristig erfolgreiches Unternehmertum ist - und damit für wirtschaftliches Handeln, das Vertrauen verdient.

Erst die Komponenten einer nachhaltigen Entwicklung sichern den unternehmerischen Erfolg - und lassen langsam wieder Vertrauen entstehen. Ich verfalle nicht dem Glauben, dass wir wieder ausschließlich Unternehmer haben, die ein Unternehmen für mehrere Generationen aufbauen, nach dieser Maxime leiten und mit ihrem Namen für bestimmte Werte stehen. Ich gehe aber davon aus, dass viele Unternehmer verstanden haben, wie wichtig es für einen nachhaltigen Geschäftserfolg ist, sich strikt an transparenten und damit nachprüfbaren Grundsätzen der Unternehmensführung zu orientieren. Wirtschaftliches Handeln muss also wieder stärker am gesellschaftlichen Nutzen orientiert sein. Nur über dieses Leitbild einer nachhaltigen Unternehmensführung kann es aus meiner Sicht gelingen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Finanzindustrie zurückzugewinnen. Doch das braucht Zeit und vor allem einen Gleichklang von Reden und Handeln.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors bei der 55. Kreditpolitischen Tagung der ZfgK am 6. November 2009. Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X