Aufsätze

Wertorientierte Steuerung in der unternehmerischen Praxis

Ziel der wertorientierten Steuerung ist die Darstellung einer risikoadjustierten Ergebnismessung und des daraus abgeleiteten optimalen Kapitaleinsatzes in Form von Investitionen in Produkte, Geschäftsfelder oder Beteiligungen. Die Ergebnismessung soll hierbei periodengerecht nur die Geschäftsaktivitäten der aktuellen Periode erfassen und somit eine Alternative zu dem von Vorperioden getriebenen bilanziellen Ergebnis bieten. Die Integration von Ergebnis- und Risikosteuerung ist dabei für Kreditinstitute und Finanzkonglomerate nicht nur betriebswirtschaftlich sinnvoll, sondern durch die weite Definition des Risikomanagements im Rahmen der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) auch aufsichtsrechtlich gefordert.

Zukünftige Cashflows vollständig berücksichtigen

Die wertorientierte Steuerung unterscheidet sich durch drei wesentliche Aspekte von herkömmlichen, bilanzgetriebenen Steuerungssystemen. Der erste Aspekt ist der Zeithorizont: Während bilanzielle Zielgrößen periodenbezogen definiert sind und andere Zeiträume nicht oder nur zeitanteilig betrachten, erfolgt in der wertorientieren Steuerung eine vollständige Projektion der gesamten zukünftigen Cashflows. Dies kann bei einem Unternehmen wie der Wüstenrot Bausparkasse bis zu 50 Jahre umfassen.

Der zweite Aspekt ist die Bewertungsmethodik: Die projizierten Cashflows werden konsistent zu am Kapitalmarkt beobachtbaren Finanzanlagen bewertet. Durch diese einheitliche Bezugsbasis wird ein größtmögliches Maß an Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Geschäftsmodellen erreicht. Der letzte Aspekt betrifft die Integration der Risikosteuerung. Die ökonomische Bewertungsmethodik ermöglicht die Quantifizierung der Risikokosten und darauf aufbauend die Abbildung einer risikoadjustierten Performancemessung. In der W&W Gruppe wird hierfür der RORAC (Return on Risk Adjusted Capital) verwendet, das Verhältnis aus ökonomischem Ergebnis und Risikolimit.

Aufgrund dieser konzeptionellen Unterschiede ergeben sich zwischen der bilanziellen und der wertorientierten Steuerung für viele Positionen unterschiedliche Wertansätze. Eine Überleitungsrechnung verdeutlicht die wesentlichen Abweichungen (siehe Abbildung 1). Alternativ zu einer Überleitungsrechnung auf Basis der Bilanz kann das ökonomische Ergebnis auch direkt in barwertigen Unternehmensmodellen ermittelt werden. In der W&W Gruppe wurde diese Ermittlungsvariante gewählt, da derartige Modelle im Risikomanagement bereits im Einsatz sind und somit eine vollständige Integration mit Risikosteuerung und Stresstesting gewährleistet ist.

In beiden Varianten kann die wertorientierte Steuerung verschiedene Fehlanreize der bilanziellen Steuerung vermeiden:

1. Bei Kostensenkungsmaßnahmen bildet die aktuelle GuV lediglich den Initialaufwand ab, während die ökonomische Betrachtung auch die langfristigen Einsparungen berücksichtigt.

2. Die Profitabilität des Neugeschäfts zeigt sich in der GuV erst nach mehreren Jahren. In der ökonomischen Betrachtung wird hingegen sofort sichtbar, ob das Neugeschäft auskömmlich tarifiert wurde.

3. Die GuV wird wesentlich durch den Bestand geprägt, insbesondere im Bausparen belasten die hochverzinslichen Altverträge. Über die ökonomische Betrachtung kann unabhängig von diesen "Altlasten" der Wertbeitrag des aktuellen Managements, beispielsweise durch entsprechende Bestandsmaßnahmen, gemessen werden.

Operative Steuerung durch Veränderungsanalyse

Die beschriebenen Vorteile der wertorientierten Steuerung können erst durch eine Veränderungsanalyse - dem GuV-Äquivalent in der wertorientierten Steuerung - identifiziert und für die operative Steuerung verwendbar gemacht werden. Dabei müssen verschiedene Effekte berücksichtigt werden, die über Wertänderungen im klassischen Sinn hinausgehen und nur durch die ökonomische Perspektive resultieren.

a) Laufzeitverkürzung/Unwinding: In einer barwertigen Betrachtung kommt es allein durch das Fortschreiten der Zeit zu Wertänderungen. Zur Identifikation dieses Effekts sind Kapitalmarktparameter festzulegen, zu denen das Unwinding erfolgen soll - hier sind sowohl risikoneutrale als auch angemessene "real world"-Verzinsungen denkbar. Die Festlegung muss konsistent zu Punkt 2 erfolgen.

b) Freisetzen der Risikoprämie: Im Gegensatz zum klassischen Risikomanagement interessiert sich die wertorientierte Steuerung nicht für ein bestimmtes Moment oder Quantil des Risikoprofils. Stattdessen wird die Risikoprämie ermittelt, die ein risikoaverser Investor für das gesamte Risikoprofil verlangt. Die Bewertung berücksichtigt sowohl Schwankungen der zukünftigen Erträge als auch Schwankungen der zukünftigen Verluste. Die Risikoprämie ist teilweise implizit in Vermögensgegenständen enthalten (zum Beispiel als Teil der Credit Spreads), muss aber teilweise auch explizit modelliert werden (zum Beispiel bei der Bewertung des Kundengeschäfts oder der Modellierung zukünftiger Kosten). Das Freisetzen der Risikoprämie hat immer eine positive Auswirkung auf das ökonomische Ergebnis (die Realisierung von Risiken wird in 3. ausgewiesen). Trotzdem wäre es falsch, die Risikoprämie als "kostenlos" zu betrachten: Die Kompensation erfolgt stattdessen über die Kapitalkosten, da eine hohe Risikoprämie mit hohen Verzinsungsansprüchen einhergeht (vergleiche e)).

c) Erfahrungsabweichungen und Annahmeänderungen: Das ökonomische Ergebnis besteht aus zwei grundsätzlich verschiedenen Komponenten. Die Erfahrungsabweichungen stammen aus der aktuellen Periode und entstehen bei Differenzen zwischen prognostizierten und realisierten Cashflows, beispielsweise durch nicht antizipierte Einmalkosten. Die Annahmeänderungen betreffen hingegen neue Einschätzungen für prognostizierte Cashflows der Folgeperioden, beispielsweise wenn sich die Kreditwürdigkeit eines Baufinanzierungsvertrags ändert.

Bei beiden Komponenten ist hervorzuheben, dass ein ökonomisches Ergebnis nur bei einer Abweichung von ursprünglicher Projektion und Realisierung/neuer Projektion entsteht. Wie anfangs erläutert besteht hierin ein wichtiges Spezifikum der wertorientierten Steuerung: Das ökonomische Ergebnis ist nur das Resultat von Vorgängen, die in der aktuellen Periode stattfinden. In einer bilanzorientierten Steuerung ist das Periodenergebnis hingegen in hohem Maße abhängig von Vorgängen aus Vorperioden - dies kann insbesondere bei Produkten mit hohen Laufzeiten wie im Bausparen oder in der Baufinanzierung die Darstellung des Periodenerfolgs stark verzerren.

d) Wert des Neugeschäfts: Die Cashflows des Neugeschäfts sind nicht in den Cashflow-Projektionen der Vorperiode enthalten und werden daher separat identifiziert. Die Abbildung von zukünftigem Neugeschäft ist zwar grundsätzlich denkbar, wird aber aufgrund der hohen Komplexität in der W&W Gruppe nicht vorgenommen.

e) Verzinsungsanspruch: Der Verzinsungsanspruch basiert auch in der wertorientierten Steuerung auf der aus Kapitalmarktgleichgewichtsmodellen wie dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) bekannten Verknüpfung von risikoneutralem Basiszinssatz und Risikoprämie. Im Gegensatz zu einer bilanziellen Steuerung sind diese beiden Komponenten jedoch bereits direkt im Marktwert des Eigenkapitals enthalten und können aus der Veränderungsanalyse abgelesen werden.

Die risikolose Komponente des Verzinsungsanspruches entspricht dem in a) beschriebenen "Unwinding", die Risikoprämie dem in b) beschriebenen "Freisetzen der Risikoprämie". Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Risikoprämie in einer marktkonsistenten Bewertung nur für den nicht diversifizierbaren Risikoanteil gezahlt wird; dementsprechend darf auch beim Verzinsungsanspruch keine Anerkennung von Diversifikationseffekten erfolgen. Der Bestand wurde aus Sicht des Marktes risikoadäquat verzinst, wenn die Komponente c) gleich Null ist (siehe Abbildung 2).

Handlungsmaßnahmen und Hilfsgrößen

Die Veränderungsanalyse steht aufgrund der systemimmanent hohen Komplexität in der W&W Gruppe primär im Fokus der Top-Management-Ebene. Um die wertorientierte Steuerung auch auf allen anderen Unternehmensebenen zu leben, werden daher praktikable Handlungsmaßnahmen und Hilfsgrößen benötigt. In der Neugeschäftssteuerung führen die Erkenntnisse über die Wertbeiträge der Produkte entweder zu wertorientierten Kennzahlen oder zur Neugewichtung bestehender Volumenkennzahlen. Zusätzlich werden die Provisionierungsmechanismen an die identifizierten Ertrags- und Risikohebel angepasst. So können in der Baufinanzierung höhere Provisionen gezahlt werden, wenn ein Vermittler Kunden mit überdurchschnittlicher Bonität akquiriert.

Parallel hierzu werden die Erkenntnisse über Ertrags- und Risikohebel auch beim Produktdesign verarbeitet. Neben Ertragsaspekten wie Ausfallwahrscheinlichkeiten oder Wiederanlageprämissen spielt hierbei auch die Wertänderung eines Produkts in adversen Kapitalmarktszenarien eine wichtige Rolle. Beispielhafte Produktinnovationen der Wüstenrot Bausparkasse in diesem Bereich sind sich gegenseitig hedgende Tarifvarianten im Bauspar-Portfolio. Idealerweise wird auch der Wertbeitrag des Bestandsgeschäfts disjunkt auf einzelne Produkte zerlegt. Im Vergleich zum Neugeschäft enthält der Bestand allerdings eine sehr hohe Anzahl an Tarifgenerationen sowie Kunden mit unterschiedlichsten Vertragszuständen, beispielsweise bezüglich Länge der Ansparphase bei Bausparverträgen. Insbesondere im Kollektivgeschäft ist die Ermittlung von Bestandsprofitabilitäten daher sehr herausfordernd und kann lediglich auf Basis stark verdichteter Modellpunkte vorgenommen werden.

Punktuelle Profitabilitätsanalysen im Bestand

Eine detaillierte Profitabilitätsanalyse wurde aus diesem Grund nur punktuell für bereits im Fokus von Bestandsmaßnahmen stehende Tarifvarianten eingesetzt, beispielsweise bei älteren Bausparverträgen mit komplexen Optionalitäten. Hierdurch konnten Zielgenauigkeit und Kosteneffizienz der Maßnahmen überprüft und verbessert werden.

1. Die ökonomische Perspektive führt zu Erkenntnissen über die Wertschöpfung im Konzern, die unabhängig von branchenspezifischen Bilanzvorschriften oder Kennzahlen sind.

2. Die wertorientierte Steuerung deckt die tatsächliche Wertschöpfung einer Periode auf und wird im Gegensatz zur IFRS-Steuerung nicht von Vorgängen aus Vorperioden überlagert. Hierdurch können Erfolg und Misserfolg von Managementhandlungen ökonomisch bewertet werden.

3. Ein wertorientiertes Steuerungssystem ist sehr komplex und aufgrund der ökonomischen Bewertung Schwankungen unterworfen. Die operative Umsetzung erfordert daher pragmatische Lösungen sowie einfachere und nachvollziehbare Kennzahlen und Ziele.

4. Auch nach Einführung einer wertorientierten Steuerung sind in der Praxis verschiedene harte Nebenbedingungen aus anderen Steuerungssystemen zu beachten. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die bilanzielle und aufsichtsrechtliche Steuerung.

5. Durch die wertorientierte Steuerung wird zum ersten Mal eine konsistente Sicht auf Wert- und Risikotreiber ermöglicht. Dies beeinflusst nicht nur die operative Unternehmenssteuerung, sondern auch die strategische Ausrichtung des Konzerns.

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