"Periodische versus wertorientierte Zinsbuchsteuerung" - eine Replik

Dr. Christian Sievi, Die Einfache Bank - Beratungsgesellschaft mbH, Hannover, und Olaf Wegner, Abteilungsdirektor Marktpreisrisikomanagement und -controlling, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Berlin - Ein Beitrag von Svend Reuse in Heft 3-2016 dieser Zeitschrift hat die Autoren zu einer Antwort angeregt, weil sie unter der Ausnahmesituation Niedrigzinsen zu Unrecht alle Steuerungsgrundsätze infrage gestellt sehen. Sie sind völlig einig mit ihm, dass eine isolierte Barwertberechnung ohne Betrachtung eines Planungshorizonts nicht ausreicht. Gleichzeitig geben sie aber auch zu Protokoll, dass diese Vorgehensweise von den Vertretern der Barwertmethode nie so vorgeschlagen wurde. Zudem kritisieren sie die Vermischung verschiedener Erfolgsgrößen in seiner Darstellung. Diese führt in ihren Augen zur Unübersichtlichkeit und am Ende zu falschen Steuerungsimpulsen. (Red.)

Für eine dezidierte Stellungnahme zum Artikel "Periodische versus wertorientierte Zinsbuchsteuerung im Kontext des Niedrigzinsumfeldes" von Svend Reuse in der Zeitschrift Kreditwesen 3-2016 ist es erforderlich, den grundsätzlichen Unterschied der wertorientierten beziehungsweise GuV-orientierten Steuerungsmechanismen zu erklären.

Bei der wertorientierten Betrachtung werden alle Vermögenspositionen der Bank zu Marktpreisen erfasst. In der bilanziellen Sicht dagegen wird nur ein geringer Teil der Vermögenspositionen mit Marktpreisen bewertet. Der überwiegende Teil wird mit Buchwerten abgebildet, wobei zum Teil vielschichtige Regeln festgesetzt sind, die es erlauben, auf der einen Seite stille Reserven zu bilden (Marktpreise höher als Buchwerte), auf der anderen Seite Verluste zu verbergen (Marktpreise niedriger als Buchwerte).

Steuerung auf Basis der Marktpreise

Diese Regeln sind im Handelsgesetzbuch (HGB) verankert, das sich im Wesentlichen seit seiner Einführung am 1. Januar 1900 nicht verändert hat. Für die Steuerung sind Regeln, die auf Wahlrechten und Buchwerten basieren, und Buchwerte unzweckmäßig. Nur Marktpreise sind für steuerungsrelevante unternehmerische und investive Entscheidungen geeignet, weil "Steuerung" auf Maßnahmen zur Veränderung von realen Positionen hinausläuft. Diese Maßnahmen erfolgen immer mit Marktpreisen, weil Kauf beziehungsweise Verkauf immer mit aktuellen Markt- beziehungsweise Tauschpreisen abgewickelt werden.

Dieser Unterschied in der Abbildung der Vermögenspositionen ist der wesentliche Unterschied und reicht vollständig aus zu erklären, warum nur die wertorientierte und damit ökonomische Sicht die einzig richtige Basis für die Bank- beziehungsweise Unternehmenssteuerung ist. Dies gilt völlig unabhängig von den aktuell herrschenden Umweltsituationen, also auch der Zinssituation und Zinsentwicklung. Wären in der Rechnungslegung nach HGB nicht äußerst seltsame Regeln festgelegt, die angeblich den Gläubiger schützen sollen, könnte man sich die gesamte Diskussion sparen, weil dann die wertorientierte Abbildung der Bank mit deren bilanzieller Darstellung übereinstimmen würde. Konkret sind in Bezug zum Aufsatz in der ZfgK 3-2016 folgende Feststellungen notwendig:

Barwert versus Performance

Es wird richtig festgestellt, dass eine reine Barwertbetrachtung in dem Sinn, dass nur der Wert zum aktuellen Zeitpunkt beobachtet wird, zu kurz greift. Die wertorientierte Steuerung ist aber von Beginn an nicht auf die isolierte Betrachtung dieses Wertes ausgerichtet und darf auch nicht derartig isoliert interpretiert werden. Vielmehr steht die Entwicklung des Barwertes auf einen Planungshorizont im Fokus. Deshalb wird dieses Verfahren auch Performancemethode genannt. Die Entscheidungsfindung im Rahmen der Steuerung zielt darauf ab, den aktuellen Barwert unter Berücksichtigung beziehungsweise Einschätzung des Risikos bis zu einem Planungshorizont1) möglichst zu vermehren.2) Wer am Planungshorizont ein höheres Vermögen erzielt hat, besitzt die bessere Voraussetzung für die folgende Periode.

Da dieser Steuerungsprozess kontinuierlich neu erfolgt, ist eine Sichtweise über den Planungshorizont hinaus zum Zwecke der Risikosteuerung nicht erforderlich. Im Gegenteil: Sie ist überflüssig und kann zu Fehlentscheidungen und Verwirrungen in der Erfolgsdarstellung eines Unternehmens beitragen.

Der Autor zeigt über weite Strecken seines Artikels auf, dass eine isolierte Barwertberechnung ohne Betrachtung eines Planungshorizonts nicht ausreicht. Dies ist völlig korrekt. Wie erläutert, wurde diese Vorgehensweise von den Vertretern der Barwertmethode nie so vorgeschlagen. Es herrscht völlige Übereinstimmung darin, dass die Betrachtung auf einen Planungshorizont notwendig ist.

Zinsrisiko aus Sicht der Aufsicht

Der Zinsrisikokoeffizient der BaFin stellt im Zähler auf die reine Barwertveränderung aller Zinspositionen des Anlagebuches ab. Er widerspricht damit der oben schon dargestellten Vorgehensweise und ist daher für eine Einschätzung und Steuerung der Zinsänderungsrisiken ungeeignet.3) Die Aufsicht wäre gut beraten, wenn sie den Zinsrisikokoeffizienten auf einen definierten Planungshorizont (zum Beispiel drei Monate oder ein Jahr) umstellen und dabei die zu verwendenden Zinsänderungen auf ein realistisches Maß begrenzen würde.

Es gilt immer: Sinkende Zinsen führen zu steigenden Kursen und umgekehrt. In der Niedrigzinsphase ist somit bei gleicher Struktur des Summenzahlungsstroms der Bank der Barwert des Zinsgeschäfts gestiegen. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass die Rendite auf die Fälligkeitspositionen des Zahlungsstromes der aktuellen Rendite entspricht. Je nach Erwartung der Zinsen am Planungshorizont ergeben sich dabei unterschiedliche Performancewerte bis zum Planungshorizont. Sinkt der Zins weiter, liegt nach wie vor - wegen steigender Kurse - eine positive Performance vor. Dies gilt im eingeschränkten Maß auch bei gleichbleibenden Zinsen. Bei steigenden Zinsen ist - ab einem bestimmten Breakeven-Punkt - die Performance bis zum Planungshorizont negativ.

Besonderheiten der Vermögensanlage im Niedrigzinsumfeld

Die Steuerungsimpulse aus der Performanceberechnung sind eindeutig. Nur wer an eine Fortdauer des Niedrigzinsniveaus bis zum Planungshorizont glaubt und das Risiko steigender Zinsen tragen kann und tragen will, sollte "lange" Zinspositionen beziehungsweise gehebelte Positionen besitzen. Wer das Risiko steigender Zinsen nicht in Kauf nehmen will beziehungsweise die Risiko-Ertrags-Relation als zu schlecht empfindet, sollte auf Fristentransformation verzichten.

Die niedrigen Performancewerte in Zinstiteln sind auch ein starker Indikator dafür, in andere Vermögenspositionen zu investieren. Noch immer sind die Aktienanteile vieler Sparkassen und Genossenschaftsbanken kleiner als 5 Prozent des Gesamtvermögens. Das Immobilienengagement kann oft ausgebaut werden. Darüber hinaus sollten die Banken wieder verstärkt die unternehmerischen Investitionen im Kundengeschäft forcieren (Beratungssoftware, Ausbildung der Mitarbeiter, Optimierung der Produktpalette, Vereinfachung von Produktprozessen, Beratung und Vertrieb im Internet).

Marktzinsmethode

Ein wesentliches Element der wertorientierten Steuerung ist die Trennung der Erfolgsbeiträge aus Kundengeschäft und Vermögensanlage: Das Zinsänderungsrisiko wird bewusst ohne Neugeschäft gesteuert, weil das daraus resultierende Risiko durch Gegengeschäfte beseitigt werden kann. Im Kundengeschäft verbleibt der Margenbarwert (Barwert der zukünftigen Margen) als sofort entnehmbare Steuerungsgröße. Der Erfolg der Bank bis zum Planungshorizont ist gleich dem Erfolg aus der Anlage des Vermögens (Performance der Vermögensanlage) zuzüglich der Margenbarwerte des Kundengeschäfts abzüglich der anfallenden Kosten. Nur die getrennte Darstellung dieser Erfolgsgrößen - im Kundengeschäft aufgegliedert nach Geschäftsbereichen - ermöglicht eine verursachungsgerechte und verantwortungsgerechte Steuerung.

Die Vermischung der beiden Erfolgsgrößen, wie sie in den Beispielen von Svend Reuse vorgenommen wird, führt zur Unübersichtlichkeit und am Ende zu falschen Steuerungsimpulsen. Die Schwankungen der Erfolge aus dem Kundengeschäft dürfen nicht dem Zinsänderungsrisiko zugeordnet und mit diesen unzulässig vermischt werden (Postulat der Marktzinsmethode).

Wirkungsbeispiel bei gleichbleibend niedrigen Zinsen

Bei gleichbleibend niedrigen Zinsen entsprechen die Performancewerte der Zinspositionen bei gleitend 10 Jahren in etwa dem Durchschnitt der aktuell vorliegenden Zinsen. Sie sind somit - bezogen auf das hohe Vermögen - entsprechend niedrig. Bei Strukturen mit positiver Fristentransformation wird zusätzlich die Differenz zwischen den kurzen Zinsen und dem Durchschnitt der aktuell vorliegenden Zinsen erwirtschaftet. Insgesamt sind diese Erträge im Vergleich zu früheren Jahren wegen der flachen Zinsstruktur sehr gering. Wenn die Zinsen gleich bleiben, wird sich aus Performancesicht keine weitere Ertragssenkung ergeben. Sie ist bereits realisiert. Die Performancemethode ist damit ein hervorragender Frühwarnindikator im Gegensatz zur bilanziellen Sicht. Dort werden die Ertragsrückgänge nur Schritt für Schritt sichtbar.

Im Kundenpassivgeschäft konnten in den letzten beiden Jahren viele Banken die Kundenzinsen variabler Produkte stärker senken, als es den zugeordneten Gleitzinsmischungen entspricht. Dies ist eine Erklärung dafür, dass die Zinsspannen der Banken in den letzten Jahren zum Teil sogar gestiegen sind. Die aktuellen Kundenpassivzinsen nahe null Prozent können aber praktisch nicht weiter gesenkt werden, sodass die im Kundenpassivgeschäft erzielbaren Margen mit dem Absinken der Gleitzinsen deutlich zurückgehen werden.

Wie sich die Margen auf der Kundenaktivseite bei anhaltendem Niedrigzins entwickeln, ist schwer prognostizierbar. Einerseits werden viele Banken versuchen, ihr Kundenaktivgeschäft auszubauen. Dieser Wettbewerb kann zu sinkenden Margen führen. Andererseits kann der Zwang, Erträge im Kundengeschäft zu erzielen, zu stabilen oder sogar steigenden Margen führen.

Insgesamt wird eine anhaltende Niedrigzinsphase zu einem deutlichen Ertragsrückgang führen. Dieser hängt von der Bedeutung der genannten Faktoren in der Bank ab.4)

Wirkungsbeispiel bei steigenden Zinsen

Wenn die Zinsen steigen, werden die Performancewerte des im Zinsgeschäft gebundenen Vermögens bereits bei relativ geringer Zinssteigerung negativ. Dies umso mehr, je größer die Fristentransformation beziehungsweise der Zinsbuchhebel ist. In der GuV schlägt sich dieser Performanceverlust in einer zunächst weiter sinkenden Zinsspanne und in Abschreibungen im Depot A nieder. Die Margen im variabel verzinslichen Kundenpassivgeschäft werden - bei entsprechend hohem Anteil langer Gleitzinsen - ebenfalls zunächst weiter sinken und erst zeitlich verzögert ansteigen. Im Kundenaktivgeschäft gelten die Ausführungen wie beim Szenario gleichbleibender Zinsen. Auf mittlere Frist ist somit auch bei steigenden Zinsen von sinkenden Ergebnissen auszugehen. Auch hier ist die Performancemethode ein Frühwarnindikator für die GuV.

Die Vermischung von Wirkungen aus der Anlage des Vermögens und den Erfolgen im Kundengeschäft führen zu einer unklaren Erfolgsmessung. Dies ist für die Steuerung der Bank ungeeignet. Die Performance- und Barwertmethode sind unabhängig von der jeweiligen Zinssituation gültig und anwendbar. Es existieren weder scheinbare noch tatsächliche Widersprüche zwischen den Ansätzen, nur falsche Interpretationen der Performance- und Barwertmethode.

Die vom Autor vorgeschlagenen Erweiterungen sind in Sparkassen, die die Performancemethode eingeführt haben, von Beginn an gängige Praxis. Schon immer war das Optimierungskriterium der Barwert der Zukunft beziehungsweise der Barwert am Planungshorizont. Hinzu kommen die Erfolge im Kundengeschäft - abgebildet als Margenbarwert - als hiervon unabhängiger Steuerungskreis.

Fußnoten

1) Der Planungshorizont richtet sich nach dem Zeitraum, in dem die Bank einerseits in der Lage ist, ihre Positionen zu verändern. Andererseits ist wesentlich, wie "aktiv" die Bank sein will. Sinnvoll sind Planungshorizonte von drei Monaten, sechs Monaten oder einem Jahr. Banken, die in Ausrichtung auf Benchmarks steuern, verwenden häufig den Planungshorizont ein Jahr.

2) Siehe z. B. Sievi, Ch., Kalkulation und Disposition, Bretten 1995, S. 404 ff.; Goebel, R., Sievi, Ch., Schumacher, M., Wertorientiertes Management und Performancesteuerung, Stuttgart 1999, S. 137ff.

3) Eine ausführliche Kritik zum Zinsrisikokoeffizienten findet sich unter Wegner, O., Sievi, Ch., Goebel, R., Kritische Analyse des BaFin-Zinsrisikokoeffizienten, Betriebswirtschaftliche Blätter 09/2011.

4) Flesch, R., Gebauer, B. Nullzinspolitik der EZB - Existenzbedrohung für die Banken, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 12/2015, S. 603ff.

Dr. Christian Sievi , Geschäftsführer , Die Einfache Bank - Beratungsgesellschaft mbH, Stephanskirchen
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