Aufsätze

Wie viel Dienstleistung braucht die Primärbank?

Die Ausgangssituation des genossenschaftlichen Finanzverbundes lässt sich anhand eines Vergleiches des konsolidierten Jahresabschlusses 2005 mit dem Konzernergebnis der Deutsche Bank AG beschreiben. Mit einem um 15 Prozent höheren Eigenkapital und dem rund 2,5-fachen Personalbestand wurde im Finanzverbund bei annähernd gleichem absolutem Steueraufwand ein Jahresüberschuss von 2,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dem steht ein Ergebnis der Deutschen Bank in Höhe von 3,5 Milliarden Euro gegenüber.

Durchaus effiziente Marktbearbeitung

Die mit dem genossenschaftlichen Förderprinzip im Einklang stehende niedrigere Eigenkapitalrendite wurde mit einer Auf-wand-Ertrag-Relation von 65,6 erzielt, während die entsprechende Quote der Deutschen Bank bei 74,7 lag. Unter Berücksichtigung der geringeren steuerlichen Gestaltungsspielräume, der wesentlich niedrigeren Auslandspräsenz und des vergleichsweise kleinen Anteils des Investmentbankings verdeutlichen die Fakten:

1. Der genossenschaftliche Verbund ist in seinem deutschen Kernmarkt gut aufgestellt.

2. Trotz der hohen Flächenpräsenz ist die Marktbearbeitung bei 30 Millionen Kunden und einem Marktanteil von zirka 20 Prozent durchaus effizient.

3. Hinsichtlich der Eigenkapitalverzinsung in Höhe von 13,3 Prozent vor Steuern ist noch Steigerungspotenzial vorhanden.

Diese gute Wettbewerbsposition ist bei fortwährender Optimierung des Zusammenspiels zwischen lokal ansässigen, unabhängigen Primärinstituten und zentral agierenden Verbunddienstleistern weiter zu festigen. Die Anforderungen an das Dienstleistungsangebot ergeben sich dabei aus den Geschäftsmodellen der Kreditgenossenschaften, die durchaus unterschiedlicher Natur sein können. So ist insbesondere zwischen in Ballungsgebieten und in der Fläche operierenden Instituten zu differenzieren, aus deren unterschiedlichen Kundenstrukturen sich zwangsläufig andere Geschäftsstrategien ergeben.

Der Kundenbedarf und die optimale Ausschöpfung des jeweiligen Marktpotenzials stehen damit am Anfang einer jeden Überlegung bezüglich der richtigen, das heißt Erfolg versprechenden Strategie. Hierbei muss der anhaltende Trend zur Zweiklassengesellschaft und die daraus resultierende Spreizung zwischen Retailkunden einerseits und Individualkunden andererseits ins Kalkül gezogen werden. Die Ansprüche und Bedürfnisse dieser Zielgruppen werden sich künftig sowohl in produktpolitischer als auch in abwicklungstechnischer Hinsicht immer weniger über ein quersubventioniertes Universalbankenangebot profitabel abdecken lassen.

Die Geschäftsmodelle einer wachsenden Zahl spezialisierter Wettbewerber greifen eben diese Entwicklung auf. Der Erfolg dieser Banken, als Beispiele seien die ING Diba auf der einen oder die Privatbanken auf der anderen Seite genannt, macht den Handlungsbedarf deutlich. Für die Kreditgenossenschaften gilt es, möglichst schnell auf diese Zangenbewegung zu reagieren, um den Verlust weiterer Marktanteile zu verhindern.

Zentrale Rolle des Vertriebs

Ein zielgruppenorientierter Marktauftritt bedingt ein differenziertes Leistungsangebot. Zur Umsetzung individueller Geschäftsstrategien, ist es daher erforderlich, die vom Verbund bereitgestellten Dienstleistungen möglichst modular auszugestalten. Die angebotenen Module sollten an den jeweiligen Schnittstellen entlang der Wertschöpfungskette ansetzen, um den Primärbanken jeweils strategiekonforme, komplementäre Problemlösungen nach dem Baukastenprinzip zu ermöglichen. Angesichts des mit dem steigenden Wettbewerbsdruck verbundenen Rückgangs der Margen stellt ein derartig strukturiertes Dienstleistungsangebot den besten Lösungsansatz zur Erreichung des gemeinsamen Ziels dar: dem Ausbau der Marktanteile sowie der Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und der Rentabilität des gesamten Verbundes.

Wie sehen die Anforderungen an ein adäquates Dienstleistungsangebot nun im

Einzelnen aus? Getreu dem Grundsatz "Am Anfang steht der Kunde" stellt ein an den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe orientierter Beratungs- und Betreuungsansatz die Leitlinie für sämtliche geschäftspolitische Aktivitäten dar. Der Prozess einer erfolgreichen Leistungserstellung beginnt mit dem Vertrieb. Hierbei spielen Image, Produktsortiment, Vertriebskanäle und Beratungsqualität eine zentrale Rolle.

Das Image der Volks- und Raiffeisenbanken ist trotz intensiver Bemühungen um eine Auffrischung des Markenauftritts noch etwas verstaubt. Hier stellt sich sowohl auf zentraler als auch auf regionaler Ebene die Aufgabe, das Kundenpotenzial in stärkerem Maße von der Attraktivität des Leistungsangebotes zu überzeugen. Die Kreditgenossenschaften sind dabei in aller Regel auf verbundinterne und externe Dienstleistungen angewiesen. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit ergeben sich Ansatzpunkte zu einer verstärkten Wahrnehmung des genossenschaftlichen Sektors. Flexiblere Reaktionen auf Veränderungen im Markt- beziehungsweise Wettbewerbsumfeld, beispielsweise auf Fusionen von Wettbewerbern, stellen ein probates Mittel zur Steigerung der Kundenbindung und zur Erhöhung der Marktausschöpfung dar.

Hinsichtlich des Produktsortiments rückt die Frage nach der Sortimentsbreite immer stärker in den Vordergrund. Dies ist auch im Zusammenhang mit den betriebswirtschaftlich notwendigen Mindest-Losgrößen zu sehen, die letztendlich den Ausschlag dafür geben, was das Kerngeschäft der Bank ausmacht. Zur bestmöglichen Ausschöpfung der vorhandenen Markt- und Ertragspotenziale sind die Kernprodukte um wettbewerbsfähige Angebote der Verbundpartner zu ergänzen. Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Wettbewerber profitieren die Genossenschaftsbanken bereits seit Jahrzehnten von dieser Symbiose. Dies spiegelt sich auch in den verbesserten Provisionsergebnissen wider.

Es sei hervorgehoben, dass eine faire, marktgerechte Preisstellung und ein zeitnahes Angebot innovativer Produkte den Grad der verbundinternen Zusammenarbeit positiv beeinflussen und damit Nutzen für den Gesamtverbund schaffen. Zuweilen kann sich jedoch auch ein maßvoller verbundübergreifender Wettbewerb durchaus geschäftsbelebend auswirken. Das Angebot an produktbezogenen Dienstleistungen der Verbundpartner konzentrierte sich in den vergangenen Jahren sehr stark auf das Privatkunden- und insbesondere auf das Retailgeschäft sowie auf Produkte zur Anlage der freien Bankliquidität. Wünschenswert wäre es, wenn die bereits angelaufenen Aktivitäten zur Erhöhung des unterproportionalen Marktanteils bei wachstumsträchtigen Firmen und Individualkunden weiter forciert würden.

Langfristig angelegte

Personalentwicklungspolitik

Betreuungsintensive Kunden mit hohem Geschäfts- und Ertragspotenzial stellen in aller Regel erhöhte Anforderungen an die Beratungsqualität und haben zudem aufgrund von Mehrfachbankverbindungen direkte Vergleichsmöglichkeiten. Um diesen Ansprüchen zu genügen, ist eine langfristig angelegte Personalentwicklungspolitik unerlässlich. Dabei müssen bankintern angebotene Maßnahmen mit den Dienstleistungen des Verbundes verzahnt werden. Die Unterstützung kann sich dabei auf die Weiterbildung und das Coaching von einzelnen Mitarbeitern bis hin zur Inanspruchnahme von Beratungsdienstleistungen zur Durchführung von Projekten erstrecken.

Hierzu bieten die Regionalverbände zahlreiche Alternativen an. Entscheidend für den Erfolg derartiger Maßnahmen ist, wie gut die Brücke zwischen Theorie und Praxis geschlagen werden kann. Dies hängt im Wesentlichen vom praktischen Erfahrungsschatz und der Kompetenz der beauftragten Dienstleister ab. Im gehobenen Individualkundensegment kann auch eine gemeinsame Kundenbetreuung mit den Spezialisten der Zentralinstitute zur Erschließung zusätzlicher Potenziale geeignet sein. Strategische Wettbewerbsvorteile lassen sich vor allem mit einer Kombination aus Beratungs-Know-how und langfristig konstanten Ansprechpartnern generieren.

Das Filialnetz der Volks- und Raiffeisenbanken wird trotz des unumkehrbaren Trends zum Multi-Kanal-Vertrieb auch künftig als Kernvertriebsweg fungieren. Eine effiziente Nutzung der unterschiedlichen Vertriebskanäle bedeutet für die Primärbanken, die von den Verbundpartnern angebotenen Dienstleistungen gezielt in Anspruch zu nehmen. Die bereits seit Jahren praktizierte Kooperation im Außendienst, beispielsweise mit der Bausparkasse Schwäbisch Hall oder der R+V Versicherung, hat sich gut bewährt und ist in Teilbereichen noch ausbaufähig.

Bei der Kooperation mit verbundfremden Unternehmen darf das hohe Risiko der Fremdnutzung sensibler Kundendaten nicht vernachlässigt werden. Die Bereitstellung der Architektur für das Internetbanking auf zentraler Ebene ist unter Kos-ten-Nutzen-Aspekten sinnvoll, sofern den Primärgenossenschaften genügend Spielräume zur individuellen Ausgestaltung ihrer Auftritte verbleiben. Bezüglich der Implementierung von Call-Centern ist abzuwägen, inwiefern Kostenvorteile nicht durch den Verlust von Kundenbindung aufgezehrt werden.

Unabhängigkeit der Rechenzentren

Eine kundenorientierte Vertriebsausrichtung setzt eine dementsprechende IT-Infrastruktur voraus. Sicherheit, Verfügbarkeit, Qualität, Service und alles bei möglichst geringen Kosten - das sind die Herausforderungen an ein modernes Datenmanagement, die von der einzelnen Bank nicht in Eigenregie bewältigt werden können. Die im Hinblick auf die möglichen Synergieeffekte wünschenswerte Fusion der beiden verbleibenden genossenschaftlichen Rechenzentren ermöglicht neue Spielräume zur Weitergabe von Kostensenkungen an die Kunden. Aus Sicht der Anwender gilt auch hier die Anforderung, die zur Verfügung gestellten IT-Lösungen möglichst modular anzubieten.

Zur Umsetzung individueller Vertriebsansätze ist die Einflussnahme der Primärbanken bei der Entwicklung der IT-Strategie unerlässlich. Voraussetzung hierfür ist die Unabhängigkeit des beziehungsweise der Rechenzentren von anderen Verbundunternehmen. Hinsichtlich der notwendigen Weiterentwicklungen sollten die verbundinterne Vernetzung und der Ausbau der vertriebsunterstützenden Anwendungen mit oberster Priorität behandelt werden.

Die dem Vertrieb nachgelagerte Bearbeitung der Geschäftsvorfälle in den Marktfolgebereichen der Kreditinstitute steht in zunehmendem Maße in der Diskussion. Die Frage nach der Vorteilhaftigkeit der Eigen- oder der Fremdproduktion lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres beantworten. Auch hier spielen Kriterien wie Qualität, Flexibilität und Kosten eine zentrale Rolle. Hinzu kommen der im Kreditgeschäft wichtige Aspekt der Risikosteuerung sowie die sich beim Outsourcing immer ergebende Abhängigkeit von Qualitätsstandard und Kostenentwicklung bei dem jeweiligen Dienstleister. Grundsätzlich ist das Auslagern von Prozessen in den meisten Fällen mit mehr Standardisierung und weniger Flexibilität verbunden. Gerade im Individualkundensegment stellt die Flexibilität jedoch häufig ein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal zu den Wettbewerbern dar.

Outsourcing und Kooperation

Prinzipiell sollte das Kerngeschäft, das wie bereits oben erwähnt mit betriebswirtschaftlich sinnvollen Mindest-Losgrößen betrieben wird, auch selbst abgewickelt werden. Die damit verbundenen Kosten sind regelmäßig zu evaluieren. Das Outsourcing von Prozessen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn notwendiges Spezialistenwissen nicht Kosten deckend aufgebaut oder Erfahrungskurveneffekte nicht ausreichend genutzt werden können. Beispielhaft seien hier die Begleitung von Unternehmen bei der Börseneinführung, die Verbriefung von Kreditrisiken oder die Bearbeitung von standardisierten Konsumentendarlehen genannt. Der Bedarf der Primärinstitute an derartigen Dienstleistungen reicht von der Unterstützung bei einzelnen Teilprozessen bis hin zur Abwicklung der Gesamtprozesse.

In Abhängigkeit von der Größe und der Geschäftsstruktur einer Genossenschaftsbank kann sich auch für deren Stabsabteilungen ein Bezug von externen Dienstleistungen als sinnvoll erweisen. Die Kooperation zwischen verschiedenen Banken stellt eine denkbare Alternative hierzu dar. Hinsichtlich der betroffenen Bereiche ist dabei zwischen steuerungsrelevanten und rein aus administrativen Anforderungen resultierenden Funktionen zu differenzieren. Für letztere kommt eine Auslagerung oder der Zukauf von Dienstleistungen eher in Betracht, da es sich um weitgehend standardisierte Prozesse handelt.

So bietet es sich für die einzelne Primärbank an, beispielsweise bei der Erstellung der Steuerbilanz, auf die Expertise des regionalen Genossenschaftsverbandes zurückzugreifen. Darüber hinaus erfüllen die Regionalverbände die Kernfunktion der gesetzlichen Prüfung. Zur Eindämmung der damit verbundenen - im Vergleich zu den Wettbewerbern überproportionalen - Kosten, müssen die Prüfungshandlungen künftig noch stärker an den Grundsätzen der Wesentlichkeit und der Risikoorientierung ausgerichtet werden. Zudem ist die Notwendigkeit des Bestehens regionaler Prüfungsverbände unter Effizienzgesichtspunkten kritisch zu hinterfragen.

Keine Überregulierung

Der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) nimmt für die angeschlossenen Mitgliedsbanken die wichtige Funktion der politischen Interessenbündelung undvertretung auf nationaler und internationaler Ebene wahr. Die derzeit dringendste Aufgabe ist es, dem von der aufsichtsrechtlichen Seite angestoßenen Prozess der Überregulierung der Kreditwirtschaft entschieden entgegenzuwirken, um Wettbewerbsverzerrungen zu unterbinden. Über die Konzeption und Einrichtung der Fachräte hat sich der BVR zudem als strategisches Kompetenzzentrum positioniert und damit die Ausgangslage zur zielgerichteten Behandlung verbundpolitischer Themenstellungen verbessert. Der Erfolg dieser Strategie und der damit verbundenen Weiterentwicklung des Dienstleistungsspektrums werden davon abhängen, inwieweit es gelingt, die mit dem dezentralen Unternehmertum untrennbar verbundene Entscheidungsfreiheit mit einem von der Basis getragenen Anteil an zentralen Strukturvorgaben zu verknüpfen.

Im Zuge der steigenden Wettbewerbsintensität und dem damit einhergehenden Rationalisierungsdruck werden die Prozesse der bankbetrieblichen Leistungserstellung analog der Entwicklung in der industriellen Fertigung in stärkerem Maße zergliedert. Die Vielfalt der angebotenen Dienstleistungen wird sich dementsprechend weiter erhöhen. Wie viele davon die einzelne Primärbank letztendlich braucht, wird von der Art des Geschäftsmodells und der Fähigkeit, die eigenen Prozesse effizient zu gestalten, determiniert. Die Verbundunternehmen sind darin zu bestärken, den zur Reduzierung von Angebotsüberschneidungen und Doppelarbeiten eingeschlagenen Weg konsequent weiter zu verfolgen. In dieser Hinsicht ist auch eine Verschmelzung der beiden genossenschaftlichen Zentralbanken positiv zu bewerten.

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