Aufsätze

Das Risikomanagement von Kapitalanlagegesellschaften in der Finanzmarktkrise

Die Komplexität von Produkten, Prozessen und Technologien in der Investmentbranche nimmt beständig zu. Gleichzeitig unterliegen branchenspezifische aufsichtsrechtliche Anforderungen einem steten Wandel. Zuletzt ist durch das Investmentänderungsgesetz der Bankenstatus von Kapitalanlagegesellschaften (KAGen) weggefallen und durch derzeit noch weitgehend unbestimmte Anforderungen an die Ausgestaltung eines angemessenen Risikomanagements ersetzt worden. Gleichzeitig unterstreicht die aktuelle Finanzmarktkrise die Notwendigkeit und Bedeutung eines funktionierenden und effektiven Risikomanagements.

Treuhänderische Stellung der KAG

Die Geschäftstätigkeit von KAGen ist darauf ausgerichtet, das Geld von Anlegern in Sondervermögen getrennt vom eigenen Vermögen der KAG zu verwalten. Der KAG kommt eine treuhänderische Stellung in Bezug auf die verwalteten Gelder zu. In der Vergangenheit waren die treuhänderischen Pflichten der KAG weitgehend durch quantitativ beziehungsweise formell rechtlich ausgerichtete gesetzliche Anforderungen konkretisiert.

Mit Umsetzung der Eligible Assets-Richtlinie zum 28. Dezember 2007 wurden jedoch quantitative Anlagegrenzen aufgeweicht, neue materielle und individuell zu beurteilende Kriterien an die Erwerbbarkeit von Vermögensgegenständen eingeführt und qualitative Anforderungen an die Ausgestaltung der Rolle der Kapitalanlagegesellschaft formuliert.

Während die neuen Freiheiten zu begrüßen sind, steigt gleichzeitig der Druck auf KAGen, ihre treuhänderischen Pflichten in dem neuen Umfeld angemessen neu zu definieren. Neben Anforderungen an die Ausgestaltung des Risikomanagements von Immobiliensondervermögen (§ 80b InvG) und Sonstigen Sondervermögen (§ 90 k InvG) gibt das InvG dazu qualitative Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation vor, die jedoch abstrakt und damit interpretationsbedürftig sind.

Dabei umfasst gemäß § 9a Satz 2 Nr. 1 InvG eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation unter anderem auch ein angemessenes Risikomanagement, das insbesondere gewährleistet, dass das mit den Anlagepositionen verbundene Risiko1) sowie deren jeweilige Wirkung auf das Gesamtprofil des Investmentvermögens jederzeit überwacht und gemessen werden kann.2)

Der BVI erarbeitet derzeit einen Vorschlag zur Interpretation der allgemeinen Anforderungen an das Risikomanagement von Sondervermögen. Ziel sind Standards, die als flexible und praxisnahe Grundlage für eine ordnungsmäßige Geschäftsorganisation und ein angemessenes Risikomanagement dienen.

Erkenntnisse für das Risikomanagement aus der Finanzmarktkrise

Eine Deloitte-Umfrage unter Risikomanagern und leitenden Angestellten führender internationaler Banken und Finanzdienstleistern hat ergeben: Über 91 Prozent der Teilnehmer sind der Meinung, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch das potenzielle Ausmaß von systemischen Krisen angestiegen ist.3)

Als bedeutsamste systemische Risiken wurden genannt:

- verstärkter Einsatz von Leverage, um Investitionen zu finanzieren (44 Prozent),

- Kreditrisikozyklen und Überbewertung von Vermögensgegenständen am Markt (40 Prozent),

- Schwierigkeiten bei der Identifizierung von übermäßigen Klumpenrisiken (39 Prozent) und

- Anstieg der Verbindungen zwischen Märkten und deren Interdependenzen, die auf die zunehmende Globalisierung zurückzuführen sind (30 Prozent).

Ein Ausgestaltungsmerkmal von Sondervermögen ist der begrenzte Einsatz von Leverage zur Renditeerzielung. Leverage wird aufsichtsrechtlich einerseits durch den maximalen Investitionsgrad beim Einsatz von Derivaten und andererseits durch eine Beschränkung der Kreditaufnahme limitiert.

Leverage und Instrumente mit inhärenten Risiken

Beispiele für Leverage beinhalten aber auch Tranchen der zuletzt vielbeachteten Asset Backed Securities (ABS): Diese übertragen idealtypisch ein Forderungsportfolio auf eine insolvenzgeschützte Zweckgesellschaft, die sich wiederum durch Wertpapiere refinanziert. Dabei werden eingehende Zins- und Tilgungszahlungen nach dem Wasserfallprinzip auf unterschiedliche Tranchen verteilt, sodass Anleger der höchstwertigen Tranchen zuerst bedient werden, während Anleger der subordinierten Tranchen nur dann bedient werden, wenn Erstere zurückgezahlt wurden. Subordinierte Tranchen haben eigenkapitalähnlichen Charakter und bergen ein erhebliches Maß an Leverage in sich.

Zumindest die CESR4) unterscheidet bei ABS nicht nach Tranchen und zählt auch die sogenannte "First Loss Pieces" nicht zu den strukturierten Produkten. Damit entfällt eine Zerlegung im Risikomanagement von Sondervermögen - im Unterschied zu Kreditinstituten, die den Hebeleffekt der "First Loss Pieces" mittlerweile aufgrund der Anforderungen von Basel II mit einbeziehen.5) Dabei wird die nicht ausreichende Berücksichtigung dieser Hebeleffekte von First Loss Pieces unter Basel I und die daraus folgende Aufsichtsarbitrage als einer der Auslöser für das ungebremste Wachstum des Verbriefungsmarktes und schließlich der Finanzmarktkrise angesehen.

In der Praxis stellen für Kapitalanlagegesellschaften die Überwachung der unmittelbaren Kreditaufnahme und die des einfachen Investitionsgrades von Fonds keine Herausforderung dar. Viel problematischer ist, das Risikoprofil von strukturierten Produkten adäquat zu erfassen und fortlaufend auf Einzelinstruments- und Gesamtportfolioebene zu überwachen.

Zurückzuführen ist dies unter anderem darauf, dass die KAG-Risikomanagementprozesse häufig darauf ausgerichtet sind, bei erstmaligem Erwerb einer neuen Produktart zu untersuchen, ob dieses durch die bestehenden Prozesse und Systeme vollständig abgebildet werden kann. Anschließend werden Instrumente, die den einmal genehmigten Produktarten zugehören, nicht weiter untersucht, sondern gelten als erwerbbar. In der Praxis kann es dadurch passieren, dass das Investitionsspektrum von Sondervermögen de facto ausgeweitet wird, wenn Produkte nur noch bedingt mit den ursprünglich genehmigten Produkten vergleichbar sind.

Das wahre Ausmaß der Subprime-Hypothekenkrise blieb lange verborgen, da weder der Umfang der zugrunde liegenden Kredite noch die risikotragenden Investoren transparent waren. Der überwiegende Teil der Kredite war über Zweckgesellschaften verbrieft und weitergereicht worden. Aufgrund der Vielzahl an Strukturen und der Anonymität des Verbriefungsmarktes war es nicht möglich, die Risikopositionen einzelner Institute festzustellen. Gleichzeitig waren Investoren häufig nicht in der Lage zu identifizieren, dass in den von verschiedenen Originatoren begründeten ABS häufig sehr ähnliche Risiken verbrieft wurden.

Identifizierung und Überwachung von Klumpenrisiken

Die mangelnde Identifizierung und Überwachung von Klumpenrisiken, insbesondere das übermäßige Exposure einzelner Banken und Versicherungen gegenüber der Entwicklung des amerikanischen Häusermarktes sowie der Abhängigkeit von der Liquidität des ABS- und CDS-Marktes, war zumindest mitverantwortlich für die derzeitige Finanzmarktkrise.6)

Traditionell waren Klumpenrisiken im Fondskontext aufgrund strenger Diversifikationsvorschriften verbunden mit der Beschränkung der Anlageinstrumente praktisch bedeutungslos. Erst durch neue Anlageformen, wie zum Beispiel Derivate und strukturierte Produkte (inklusive Verbriefungen von Risiken) und einer Erweiterung der Anlagemöglichkeiten, wie zuletzt durch die Eligible-Assets-Richtlinie (2007/ 16/EG), gewinnt dieses Thema für KAGen an Bedeutung.

Voraussetzung für die Überwachung von Klumpenrisiken ist eine Detailkenntnis der eingesetzten Instrumente - bei Derivaten und strukturierten Produkten muss das Underlying identifiziert und analysiert werden, um Risikokonzentrationen aufzudecken. Grundlage ist eine effiziente Informationsbereitstellung und Verarbeitung. Dazu bedarf es fortschrittlicher Datenbanken und logischer Datenstrukturen, die Exposures auf unterschiedlichen Ebenen aggregieren können.

Auswirkungen der Internationalität auf Vermögenspositionen und Liquidität

Neu an der derzeitigen Finanzmarktkrise ist das Internationale Ausmaß der Krise. Durch die zuvor beschriebene Verbriefung und Weiterreichung von Risiken tauchten amerikanische Subprime-Kredite in den Bilanzen von Investoren auf praktisch der gesamten Welt auf. Aufgrund der geringen Transparenz von Bankbilanzen und dem Rückschlag von Special Purpose Vehicles und Conduits auf Bankbilanzen kam es zu einer weltumspannenden Vertrauenskrise mit enormen Wertverlusten an praktisch allen Aktienmärkten weltweit und dem grenzüberschreitenden Anstieg von Risikospreads.

Das zunehmende Aufbrechen von Wertschöpfungsketten, das mit dem unabhängigen Vertrieb von Krediten bis hin zur Risikoverbriefung und -abverkauf reicht, war mit Fehlanreizen auf allen Ebenen (Moral Hazard) und mangelnder Kontrollen gekennzeichnet. In der Folge entwickelten sich Risikoprofile von Produkten und Portfolios, die mit den ursprünglich in der Risikomodellierung unterstellten Gegebenheiten nicht mehr vergleichbar war.

Dabei haben die quantitative Risikomanagementmodelle von Banken - ohne diese grundsätzlich in Frage zu stellen, nicht gehalten, was man sich von ihnen versprochen hat. Moderne Risikomesssysteme versuchen, mit extrem hohem Konfidenzniveau den maximal möglichen Verlust zu bestimmen. Auf diese Art und Weise versuchen Banken und Versicherungen zu ermitteln, wie viel Kapital nötig ist, um auch für den Worst Case (zum Beispiel mit einem 99,95-Prozent-Konfidenzniveau) ausreichend Deckungskapital vorzuhalten. Die Berechnungsgrundlage wird dabei aus historischen Beobachtungen mittels statistischer Modelle abgeleitet.

Unberücksichtigt blieben einzelne, als irrelevant oder nicht modellierbar angesehene Risiken, wie das Liquiditätsrisiko einzelner Produkte oder ganzer Segmente sowie systemischer Marktveränderungen. Der mögliche maximale Verlust eines Sondervermögens wird mittels Stresstests ermittelt. Dadurch sollen Rückschlüsse für die Allokationsoptimierung und deren adäquate Berücksichtigung im Risikomanagement gezogen werden. Auch wenn massive Verluste für Sondervermögen vermieden werden konnten, haben aber auch die quantitativen Stresstests der KAGen versagt, was in der mangelnden Antizipationsmöglichkeit zuvor nicht beobachteter Risiken liegt. Die traditionellen, rein quantitativ ausgerichteten Systeme waren also nicht in der Lage tatsächlich beobachtete Verluste zu antizipieren.

Bewertungsblasen und Dispositionsfreiheit von Fondsverwaltern

Theoretische Bewertungsmodelle unterstellen, dass Investoren auf Basis vollständiger Informationen ökonomisch rationale Entscheidungen treffen. In der Praxis sind dagegen regelmäßig Bewertungsblasen und Wirtschaftszyklen zu beobachten.7) Auch 40 Prozent der Teilnehmer der Deloitte-Umfrage sehen Bewertungsblasen und Kreditrisikozyklen als bedeutsame systemische Risiken.

Für KAGen stellt sich aber zunächst nicht die Frage, wie sie Bewertungsblasen identifizieren kann, sondern die Frage, ob sie überhaupt die notwendigen Freiheitsgrade hat, um umfangreich auf Bewertungsrisiken zu reagieren.

Passiv verwaltete Sondervermögen sowie indexnahe Fonds haben wenig Spielraum zur kurzfristigen Allokationsanpassung. Auch bei aktiv gemanagten Fonds liegt die strategische Allokationsentscheidung nur insoweit im alleinigen Ermessen der KAG, wie die Vertragsbedingungen und der Verkaufsprospekt diese Freiheiten gewähren. Eine Netto-Investitionsquote von null Prozent könnte für Aktienfonds inakzeptabel sein, wenn Anleger gemäß Prospekt von einem deutlich höheren Exposure gegenüber Aktienkursentwicklungen ausgehen müssen. Andernfalls könnten sich Anleger, die von einer Erholung beziehungsweise einem Aktienkursanstieg profitieren wollen, getäuscht fühlen.

Dies stellt die KAGen vor ein nicht unerhebliches Dilemma beim strategischen Risikomanagement dieser Sondervermögen: Systemische Risiken können auf ganze Assetklassen durchschlagen, Umschichtungen innerhalb der Bestände reichen damit in der Regel nicht aus, um Risiken nachhaltig zu neutralisieren. KAGen sollten für diese Sondervermögen aber zumindest angemessene Ansätze zum Liquiditätsrisikomanagement umsetzen, die berücksichtigen, dass starke Marktschwankungen häufig zu überproportionalen Anteilscheinrückgaben führen.

Herausforderung: Implementierung eines strategischen Risikomanagements

Das Risikomanagement in KAGen ist traditionell darauf ausgerichtet, quantitative Anlagegrenzen zu überwachen. In Zeiten strukturierter Produkte und Verbriefungen, deren inhärentes Leverage nicht ohne Weiteres zu erfassen ist, greift diese starre Ausgestaltung zu kurz. Daher erscheint die Ergänzung um ein strategisches Risikomanagement geboten. Dieses soll dazu dienen, potenzielle Risiken frühzeitig zu identifizieren und die strategische Asset Allocation der Sondervermögen so anzupassen, dass diese auch für die realistisch erscheinenden Risikoszenarien angemessen positioniert sind. Dabei gilt, dass das Risikomanagement in guten Zeiten Geld kostet, aber in schlechten seine Qualität zeigt - nicht nur wegen der Personal- und Systemkosten, sondern primär dadurch, dass gewisse Anlagemöglichkeiten mit Extra-Rendite vermieden werden.

Strategisches Risikomanagement muss nicht notwendigerweise in einer eigenen Organisationseinheit erfolgen - vielmehr sollte vorhandenes Produkt- und Risiko-Know-how, das insbesondere im Fondsmanagement vorhanden ist, genutzt werden. Dies fördert auch die Risikosensibilisierung des Fondsmanagements und stellt sicher, dass Anlageentscheidungen unter vollständiger Berücksichtigung der Risikodimensionen getroffen werden.

Entwicklung von ökonomischen Stressszenarien

Regulatorisch werden für Immobilien- und Sonstige-Sondervermögen sowie Sondervermögen, die Derivate einsetzen, Stresstests gefordert. Dabei werden die Stressszenarien in der Regel aus historischen Krisen abgeleitet und um statistisch relevante Szenarien ergänzt. Untersucht wird, wie sich das jeweilige Fondsvermögen unter den simulierten Bedingungen entwickelt. Problematisch ist der geringe Aussagegehalt von einheitlichen Stresstests über alle Sondervermögen und Assetklassen hinweg. Wird beispielsweise simuliert, dass in einem Stresstest alle Aktienkurse um 25 Prozent zurückgehen, ist das Ergebnis des Stresstests für Aktienfonds vorprogrammiert und trivial.

Der Erkenntnisgewinn für Portfoliomanager ist daher äußerst begrenzt und führt nur dann zu Allokationsentscheidungen, wenn Wertuntergrenzen beziehungsweise Risikogrenzen verletzt würden. Dabei sind diese Allokationsentscheidungen sogar zu hinterfragen, wenn sie auf Stresstests basieren, die aktuelle Marktsituationen, die von historisch beobachteten Konstellationen abweichen, nicht ausreichend berücksichtigen.

Als wesentliche Komponente eines strategischen Risikomanagements gilt es damit, ökonomische Stressszenarien zu ergänzen, die ausgehend von den jeweils aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen realistische makroökonomische Szenarien berücksichtigen. Exemplarisch könnte beispielsweise untersucht werden, wie sich potenzielle politische Unruhen in osteuropäischen Ländern auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region, die internationalen Zahlungsströme und Fremdwährungsreserven sowie Wechselkurse, Assetpreise und auf die dort engagierten Banken und exportorientierten Unternehmen auswirken würden. Diese sollten dann in situative Stresstests übergeleitet werden.

Notfallpläne

Der Vorteil dieser situativen Stresstests ist einerseits die mögliche Ergebnisverwertung seitens des Fondsmanagements. Andererseits könnten sehr viel eher Maßnahmen aus diesen abgeleitet werden. Aus einem Stresstest, der den Rückgang aller Aktienkurse um 20 Prozent simuliert, lassen sich für Aktienfonds naturgemäß keine Maßnahmen zur Risikoreduzierung ableiten. Situative Stresstests lassen hingegen die Simulation von Allokationsentscheidungen zu und dienen somit der Portfoliooptimierung. Wird bei der Identifizierung situativer Stressszenarien auch deren erwarteter Phasenverlauf modelliert, können Indikatoren (Trigger Events) für den Beginn der jeweiligen Phase abgeleitet werden, die Maßnahmen (zum Beispiel Treffen von Risikomanagementkomittee, Allokationsentscheidungen) auslösen. Wesentlicher Aspekt der Finanzmarktkrise war der Liquiditätsrückgang von börsengehandelten Instrumenten bis hin zur deren Illiquidität - einzelne Sondervermögen mussten die Anteilscheinrücknahme aussetzen.

Neben Instrumenten zur Früherkennung von Finanzmarktkrisen und zur Vermeidung überproportional negativer Auswirkungen sollten KAGen über Standards verfügen, wie auf Liquiditätskrisen reagiert werden soll. Richtlinien zum Management von Liquiditätsrisiken und der Ableitung von Notfallplänen enthalten beispielsweise die Empfehlungen des Baseler Komitees für Bankenaufsicht; diese sind in abgewandelter Form auch für Sondervermögen anwendbar.8)

Der Notfallplan regelt katalogartig Verantwortlichkeiten und mögliche Maßnahmen für den Krisenfall. Die Maßnahmen sollten bei einer Kapitalanlagegesellschaft sowohl solche zur Begrenzung von Mittelabflüssen, beispielsweise vertriebsorientierte Regelungen, umfassen als auch Hinweise vorsehen, wie im Rahmen der Liquiditätsbeschaffung das Portfolio reduziert wird. Dieser strukturierte Ansatz ist umso bedeutsamer, da KAGen ausschließlich dem Anlegerinteresse verpflichtet sind. Dabei unterscheidet das InvG nicht zwischen Anlegern, die ihre Anteilscheine zurückgeben wollen und jenen, die im Fonds investiert bleiben.

Eine Veräußerung der liquidesten - und häufig wertstabilsten - Vermögensgegenstände zur Bedienung von Anteilscheinrückgaben zu Beginn einer Krise könnte eine Benachteiligung der im Sondervermögen verbleibenden Anleger bedeuten. Andererseits kann der regelmäßige An- und Verkauf von illiquiden Vermögensgegenständen bei dem ersten Anzeichen von Krisen negative Auswirkungen auf die Performance eines Sondervermögens haben.

Analyse von Risikoprofilen einzelner Finanzinstrumente

Die Definition einer Richtlinie, die klare Vorgaben zur Identifizierung von Liquiditätskrisen und Handlungsanweisungen für den Krisenfall vorsehen, sind sinnvolle Bestandteile einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation einer Kapitalanlagegesellschaft.

In der Finanzkrise wurde wiederholt bemängelt, dass einzelne Institute Vermögensgegenstände erwarben, deren Risikoprofil sie nicht vollständig im Risikomanagement und Reporting erfassen konnten.

Die treuhänderische Sorgfaltspflicht einer KAG gebietet es, dass nachvollziehbar jedes Instruments daraufhin geprüft wird, ob der Erwerb für den Anleger beziehungsweise das Sondervermögen adäquat ist. Dies setzt voraus, dass das einzelne Instrument mit allen Risiken vor Erwerb generisch auf seine vollständige und ausreichend genaue Abbildbarkeit in den Prozessen und Systemen der KAG sowie auf Übereinstimmung mit den vertraglichen Kriterien untersucht wird.

Detaillierte Betrachtung der Produkte

Insbesondere bei strukturierten Produkten im weitesten Sinne ist dazu eine detaillierte Produktanalyse erforderlich. Folgende Punkte sollten Berücksichtigung finden:

- Die Ausgestaltung von Subordinierung beziehungsweise Leverage entspricht dem definierten Musterprodukt.

- Das Underlying ist bekannt beziehungsweise für den Fall der Wiederanlage hinreichend definiert und kann in den Risikomanagementsystemen abgebildet werden.

- Die Verfügbarkeit von Stammdaten und Überwachung von Corporate Actions ist sichergestellt.

- Es gibt Übereinstimmung mit dem jeweiligen Musterprodukt hinsichtlich Jurisdiktion und vertraglicher Gestaltung.

- Es sind keine sonstigen Merkmale enthalten, die nicht in den Systemen und Prozessen der KAG und Depotbank vollständig verarbeitet werden können.

Neben diesen Punkten sollte auch eine wirtschaftliche Beurteilung der einzelnen Instrumente erfolgen. Insbesondere sollte untersucht werden, ob die Risikofaktoren des Produktes vollständig mit denen des Musterproduktes übereinstimmen, ausreichende Bewertungsquellen existieren und das Produkt hinreichend liquide ist. Ferner ist zu beurteilen, ob durch den Instrumentenerwerb Klumpenrisiken in die KAG beziehungsweise in das jeweilige Sondervermögen hineingetragen werden. Es ist empfehlenswert, einen Produktkatalog auf Einzelinstrumentenebene zu führen, der Merkmale, die die wirtschaftliche Angemessenheit für unterschiedliche Fondsbeziehungsweise Anlegertypen indiziert, enthält.

Unbenommen bleiben die Verpflichtungen zur Analyse der Angemessenheit des Instruments im individuellen Fondskontext. Danach sind Kriterien wie ausreichende Liquidität des Instrumentes oder die Übereinstimmung mit den Anlagezielen des Sondervermögens jeweils fondsindividuell zu überprüfen und zu überwachen.9)

Mit dem Wegfall der Kreditinstitutseigenschaft für KAGen und der aufsichtsrechtlichen Neugestaltung stellt sich für diese Gesellschaften die Frage, was unter einer ordnungsgemäßen Ausgestaltung des Risikomanagements und der Geschäftsorganisation unter Berücksichtigung der treuhänderischen Verantwortung der KAG zu verstehen ist. Eine Interpretation der diesbezüglichen Anforderungen befindet sich derzeit in der Diskussion.

Unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise wurden Aspekte aufgeführt, die dazu geeignet sein können, das Risikomanagement anforderungsgerecht auszugestalten und gegenüber dem Status quo zu verbessern.

Strategisches Risikomanagement

Bei aktiv verwalteten Sondervermögen mit Handlungsspielraum muss die Kapitalanlagegesellschaft, ausgehend von ihrer Einschätzung der Anlageziele und Risikoneigung der Anleger, angemessene Allokationen unter Berücksichtigung von Risiko-Rendite-Erwartungen treffen - auch in einer Finanzmarktkrise. Zusammen mit qualitativem Know-how führt die dokumentierte Verzahnung von Risiko- und Renditeerwägungen zu einem strategischen Risikomanagement. Dieses ermöglicht relevante Informationen für Investitionsentscheidung zu generieren und daraus Handlungsmöglichkeiten abzuleiten. Dazu sind makroökonomische Szenarien, Risikofrüherkennungssysteme und geeignete Notfallpläne zu entwickeln.

Die Qualität der Risikomessung und Risikobeurteilung muss dabei durch Produkttransparenz auch in den Systemen der KAG sichergestellt werden. Dabei müssen standardisiert vorgehaltene Stammdaten um Risikokennziffern und Informationen zum Underlying bei Derivaten, strukturierten Produkten und Verbriefungen ergänzt werden.

Kosten-/Nutzen-Erwägungen

Generell gilt: Risikomanagement kostet, nicht nur unmittelbar, sondern auch durch die Vermeidung potenziell renditeträchtiger Investitionsmöglichkeiten. Ein Festhalten an Risikomanagementstandards in Zeiten sehr positiver Renditen kann somit aufgrund der möglichen kurzfristigen Underperformance herausfordernd sein. Gleichzeitig führt ein adäquates Risikomanagement zu einer erheblichen Outperformance in Krisenzeiten und hat das Potenzial, Auswirkungen von Finanzmarktkrisen zu reduzieren.

Andreas Koch , Partner , Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
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