Aufsätze

Renaissance traditioneller Werte im Bankgeschäft

"Tradition schützt vor Torheit nicht", so lautete die Schlagzeile zu einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem sich der ehemalige F. A. Z.-Herausgeber Jürgen Jeske Ende Februar dieses Jahres mit dem Schicksal des Bankhauses Sal. Oppenheim beschäftigte. Der Fall zeige einmal mehr, so Jeske, dass Unternehmensgeschichte keine Erfolgsrezepte für Gegenwart und Zukunft liefert. Die wirtschaftlichen, politischen und technologischen Gegebenheiten änderten sich zu schnell, als dass es genügte, sich allein mit dem Rückgriff auf die Unternehmensgeschichte künftigen Herausforderungen zu stellen. Zugleich besteht kein Zweifel daran, dass die historischen Wurzeln für das aktuelle Handeln natürlich bedeutsam sind, dass die Geschichte für Wertvorstellungen, Unternehmensprinzipien und Identität wichtig ist.

Lösungen für die Zukunft

Keine Frage: Sein Handeln stets nach dem Prinzip "Was früher gut war, kann heute nicht schlecht sein" auszurichten, kann rasch in die Irre führen. Es geht in der Regel nicht darum, die Lösungen für die Zukunft in der Vergangenheit zu suchen. Aber: Es geht sehr wohl darum, sein Handeln heute und morgen an Maximen auszurichten, die immer schon richtig waren. Und da ist, wie die Finanzkrise mehr als deutlich zeigt, in jüngerer Zeit mancherorts einiges durcheinander geraten.

Banken, deren Mitarbeiter und - nicht zu vergessen - auch viele Kunden haben sich verführen lassen vom schnellen Erfolg und vom schnellen Geld. Produkte wurden kreiert und verkauft, die weit überdurchschnittliche Renditen bei geringem Risiko versprachen. Überdurchschnittliche Renditen für den Käufer, aber auch überdurchschnittliche Renditen für den Emittenten (die Bank). Die Ergebnisse und Indices stiegen von Quartal zu Quartal, die erfolgsabhängigen Gehälter wuchsen überproportional. Irgendwann überstieg die Komplexität der Produkte die Fähigkeit der meisten Banker, diese Produkte in ihrem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu durchschauen. Bis die Risiken nicht mehr steuerbar waren und die Blase platzte.

Auch vermögende Kunden verlieren Vertrauen

Die Folgen sind allenthalben bekannt. Der Finanz-Tsunami ist an niemandem spurlos vorübergegangen - auch nicht an den vermögenden Privatkunden. Dem von Capgemini und Merrill Lynch herausgegebenen World Wealth Report 2009 zufolge ist das Vermögen* der sogenannten High Net Worth Individuals (HNWI) - das sind Personen mit einem Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar - weltweit von 40,7 Billionen US-Dollar im Jahr 2007 auf 32,8 Billionen US-Dollar im Jahr 2008 geschrumpft. Das ist immerhin ein beachtlicher Rückgang von 19,4 Prozent. Kein Wunder, wenn sich zahlreiche vermögende Privatkunden gefragt haben, ob sie bei ihrem aktuellen Berater oder Vermögensverwalter in guten Händen sind. Allein 2008 haben laut World Wealth Report 27 Prozent aller HNWI-Kunden weltweit Vermögenswerte ganz oder teilweise von ihren bestehenden Vermögensberatern abgezogen. Das sind in der Summe zig Billionen US-Dollar.

Die Frage ist nur, wohin? Richtet man den Blick auf den heimischen Markt, sieht man, wie ganz unterschiedliche Anbieter und Geschäftsmodelle um die Gunst der Kunden konkurrieren: Klassische, in der Regel kleinere Privatbanken, die von jeher in dem Ruf stehen, mit ihrer traditionell exklusiven Ausrichtung die "natürliche" Nummer eins zu sein, wenn es um die Anlage und Verwaltung von größeren und großen Vermögen geht. Die großen Universalbanken verfügen über spezialisierte Wealth-Ma-nagement-Einheiten. Darüber hinaus tummeln sich auf dem Markt vermögender Privatkunden viele Family Offices, Professional Service Firms, wie die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Großkanzleien, und eine Vielzahl unabhängiger Vermögensverwalter.

Klassische Privatbanken nicht obsolet

Einen Königsweg für die "perfekte" Betreuung vermögender Privatkunden gibt es wohl nicht - wie so oft haben alle Geschäftsmodelle ihre Vor- und Nachteile. Was aber spricht dafür, sich der Vermögens-management-Expertise einer Privatbank zu versichern? Aufgrund der Oppenheim-Krise melden sich zurzeit viele Kritiker, die die Privatbanken als zu traditionell und zu wenig professionell beschreiben. Wieso eigentlich? Wieso müssen sich die wenigen noch verbliebenen "klassischen" Privatbanken in eine Art Sippenhaft nehmen lassen für die Fehlleistungen einiger weniger? Ist ihr Geschäftsmodell etwa obsolet? Keineswegs! Vielmehr ist es mit gutem Grund genau anders herum, und die Privatbanken erleben eine langfristige Stärkung ihres Geschäfts. Was also spricht für die "klassischen" Privatbanken?

Es gibt sie noch: Die Bankhäuser, in denen traditionelle Werte nicht nur ornamentales Beiwerk für Sonntagsreden sind, sondern das Fundament für die tägliche Arbeit. In den vergangenen zwei Jahren wurde die Bedeutung von vermeintlich weichen Faktoren wie Glaubwürdigkeit, Fairness, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit evident. Weitere lassen sich aufzählen: Charakterfestigkeit, Genügsamkeit, Demut, Sparsamkeit. Allesamt Werte, die den Bankkaufmann alter Schule ausgezeichnet haben. Werte, die nicht zuletzt den Ruf der privaten Banken begründet haben. Modernes Nach-Krisen-Banking gründet sich wieder in verstärktem Maße auf diesen traditionellen Werten. Es kommt wieder darauf an, Bankgeschäft mit Anstand zu betreiben. Dazu gehört dann auch die bewusste Entscheidung, bestimmte Geschäfte eben nicht zu machen. Die Aussage "Das tut man nicht" mag altmodisch klingen. Berücksichtigt man die gewaltigen Verluste durch die Finanzkrise - der Internationale Währungsfonds schätzt sie weltweit auf vier Billionen US-Dollar -, wird aus einer altmodisch klingenden Aussage eine hochaktuelle Forderung, sein Handeln an ethischen Maßstäben auszurichten, die über alle Zeitläufe hinweg dauerhafte Gültigkeit besitzen.

Natürlich sind diese Maßstäbe keine solchen, auf die die Privatbanken einen Alleinvertretungsanspruch anmelden könnten. Im Gegenteil: Es wäre wünschenswert, wenn man sich branchenweit an sie hielte. Allein, es sind Zweifel angebracht, ob das gelingen kann. Dort, wo quartalsweise den Erwartungen des Kapitalmarkts oder in etwas größeren Abständen den von Ratingagenturen genügt werden muss, gerät die Einhaltung traditioneller Werte schon einmal an Grenzen. Wer von derlei Zwängen frei ist - und die eigentümergeführten Privatbanken sind es -, tut sich hier naturgemäß leichter. Da sie nicht unter dem Druck stehen, alle drei Monate ihre Ertragslage rechtfertigen zu müssen, ist ihnen langfristiges Denken eher möglich als anderen. Das gilt nicht nur im eigenen Interesse, sondern vor allem auch im Interesse der Kunden. Schließlich geht es nicht zuletzt um ihr Geld.

Vermögensmanagement ist Risikomanagement

Aufgeweckt durch die Finanzkrise fragen sich viele Kunden heute: Wer berät mich objektiv? Wer handelt in meinem Interesse? Wer ist fair? Wer glaubwürdig? Viele Kunden entdecken jetzt den Wert einer eigentümergeführten Bank, die unabhängig entscheiden kann, der langfristige Stabilität nachweislich wichtiger ist als Gewinnmaximierung.

Diese Haltung hat auch Folgen für das Vermögensmanagement. Denn: Vermögensmanagement ist Risikomanagement. Zuletzt waren die Angebote vieler Institute weitgehend auf die Chancen der Anlage abgestellt - ausgedrückt durch die im besten Fall aus dem Track Record abgeleiteten Performance-Erwartungen. Inzwischen haben alle Beteiligten - Anbieter wie Abnehmer - leidvoll erfahren, dass erhöhten Chancen stets auch erhöhte Risiken gegenüberstehen. Das galt zwar schon immer, nur glaubten manche, dieses eherne Gesetz der Vermögensanlage in komplexen Produktkonstruktionen auflösen zu können.

Die Kunden haben gelernt: Im Zweifelsfall und bei objektiver Betrachtung ist den meisten von ihnen heute der Vermögenserhalt wichtiger als die Renditeerwartung jedenfalls bis zur nächsten Hausse. Kunden und Bank müssen gemeinsam den Weg von der reinen Renditebetrachtung hin zum Risikomanagement finden. Dazu dürfte in der Regel auch gehören, sich von kompliziert strukturierten Finanzprodukten zu verabschieden. Ein solider Berater setzt übrigens nach wie vor - nur transparente Produkte ein, die der Kunde versteht. Und die er selbst so gut versteht, dass er sie bei Bedarf dem Kunden im Detail erklären kann.

Nicht jedem Renditeversprechen und jeder Investment-Mode hinterherzulaufen setzt aber Unabhängigkeit und einen klaren moralischen Kompass voraus. Aspekte, die die vermögenden Privatkunden nicht zuletzt bei regional agierenden Banken mehr und mehr zu schätzen wissen. Diese Häuser stünden vor einem Aufschwung, schreibt der World Wealth Report in seiner Ausgabe von 2009. Die Umfragedaten haben ergeben, dass die Nutzung von regionalen Banken 2009 und darüber hinaus um 31 Prozent gegenüber dem Stand von 2008 zunehmen wird. Mindestens zeitweilig würden diese Banken als sicherere Alternativen angesehen, da sie deutlich weniger durch problematische Finanzprodukte belastet sind - der Report spricht bezeichnenderweise von "esoteric products" -, die den Untergang größerer Wettbewerber verursacht haben.

Persönliches Bankgeschäft

Alles in allem: Es sieht ganz danach aus, dass die "klassischen" Privatbanken künftig stärker denn je gefragt sind. Das gilt insbesondere, wenn wir uns die Erfordernisse vor Augen führen, die heute und morgen für ein kundenorientiertes Vermögensmanagement gelten, das seinen Namen verdient: Individualität, hohes Servicebewusstsein, niedrige Betreuungsspannen und ein tiefes Verständnis der Kundenbedürfnisse. Es ist wieder ein Wettbewerbsvorteil, das zu machen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Geschäfte, die man versteht, mit Menschen, die man kennt.

Fußnote

*) Gemeint ist das Finanzvermögen ohne Berücksichtigung selbstgenutzter Immobilien, Sammelobjekte und langlebiger Konsumgüter.

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