Gespräch des Tages

Refinanzierung - "Aus kurz mach lang" - Münemann ist wieder da

Prof. Dr. Jürgen Singer, Universität Leipzig, und Dr. Rüdiger Volk, Potsdam, schreiben der Redaktion: "Das Debakel der IKB, ein nach außen konservativ geführtes und in der Branche geschätztes Institut mit der Zielsetzung, den Mittelstand zu finanzieren, sowie die Schieflage der Sachsen-LB offenbaren gravierende Fehlentscheidungen, die - durch CDOs beziehungsweise ABS-Subprime-Kredite und LBO-Finanzierungen herbeigeführt - sich über viele Jahre hinzogen und erst jetzt in ihrer Tragweite erfasst worden sind. Offensichtlich hat man im Kreditgewerbe zuletzt nicht angemessen gewürdigt, was bereits Bankier Rudolf Münemann lernen durfte: nämlich bei der Transformation , aus-kurz-machlang' immer skeptisch zu sein. Die Fehlentwicklung ist vor allem auf eine Ursache zurückzuführen: Der Glaube an die Richtigkeit eigener Entscheidungsfindung wurde ersetzt durch vermeintlich unfehlbare Ratio und Wissen um die Kapitalmarktzusammenhänge.

Genau hier liegt der Fehler. Man glaubt zu sehr an das Götzenbild der Systeme und der Kapitalmärkte. Wie kann es sonst sein, dass bei unterstellt so tollen, von Top-Mathematikern ausgeklügelten Systemen trotzdem niemand gesehen hat oder sehen wollte, welches Risikopotenzial eingegangen wird. Man muss sich nach den jüngsten Marktturbulenzen ja schon fast fragen, ob die Risikosteuerung à la Basel II respektive IRBA eher der sachgerechten Beurteilung von Risiken schadet, als dass sie nutzt. Offensichtlich verstellt sie erstens - durch die Methodenfixiertheit der Akteure - den Entscheidern den Blick für das Wesentliche und lässt zweitens gegebenenfalls abweichende Einschätzungen nicht aufkommen, da diesen nicht der gleiche wissenschaftliche Rang zugeordnet wird wie den dominierenden systemgestützten Analysen. Konkret: Man muss schon ein hartgesottener , Querkopf' sein, um beispielsweise in Aufsichtsratssitzungen die herrschende Lehre des Kapitalmarktes sowie der modernen Risikoanalyse und die darauf zurückzuführenden Entscheidungen kritisch zu hinterfragen.

Aber wie sich zeigt: Ratio alleine, und sei sie noch so ausgefeilt angewendet und in Anwendungskorsette gekleidet, nutzt wohl gerade dann nichts oder nur wenig, wenn es um plötzliche, komplexe, unvorhergesehene oder unerwartete Risiken geht. Warum springen hier nicht mehr oder zu wenig die Banker-Ur-Instinkte an? Wenn Gefahr droht, muss man schnell und intuitiv richtig handeln, nicht zum hundertsten Mal die Iteration des Risikosystems durchspielen. Haben die führenden Kräfte im Management von Kreditinstituten und bei den Aufsichtsgremien und -behörden ihren eigenen (Sach-)Verstand - das heißt den Blick für das Ganze gegen den pseudowissenschaftlichen Zahlenglauben sowie die vermeintliche Sicherheit aufgrund von Methoden und Systemen getauscht?

Für all die Institute, die in den letzten Jahren hohe Investitionen in Systeme, Methoden sowie Menschen (Diplom-Mathematiker und Physiker im Risikomanagement) getätigt haben, müsste die jetzige Krise ein Schlag ins Gesicht sein, denn man hat nur suboptimale Ergebnisse erreicht: Wissenschaft und Praxis sollten sich hier nicht einreden, dass das vielleicht alles nur Ausrutscher sind, menschliches Versagen im Einzelfall. Nein, hier ist etwas in die falsche Richtung , gelaufen', nämlich die in den letzten 15 Jahren überhand nehmende Gläubigkeit an die Allmacht des Marktes und seiner Instrumente.

Wissenschaft und Praxis sollten im eigenen Interesse möglichst bald umsteuern und die jetzige Krise zur Chance machen, indem man ergänzend zu den eingeführten Systemen wieder mehr auf das setzt, was Bankgeschäft ausmacht, und dafür neue sinnvolle Instrumente finden. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass rechnergestützte Systeme zur Risiko(ausfall)-Analyse somit abgeschafft werden sollten. Auch sind die gerade für den deutschen Mittelstand so wichtigen neugewonnenen Finanzierungs-Freiheiten über die internationalen Kapitalmärkte mit ihrem diversifizierenden Einfluss zu bewahren.

Banker wie Wissenschaftler und Behörden müssen jetzt freilich schmerzhaft erkennen und lernen, dass das Vertrauen in die anonymen Märkte und in die Sicherheit der Risikomessung, nicht ausreichen. Hinzu treten müssen wieder die , alten Qualitäten' von Bankiers, vielleicht in modernerer Form und wissenschaftlich fundierter als früher. Es war wohl ein Irrtum zu glauben, mit modernen Systemen und durch Nutzung des Marktes genau diese menschlichen Fehler ausschalten zu können, man denke nur an die Selbstbeschäftigung des Kreditgewerbes mit Basel II und den operationellen Risiken.

Heute muss man erkennen, dass Risiken durch die genannten Instrumente lediglich , umgelagert' worden sind, weg sind sie dadurch aber noch lange nicht. Anders formuliert, man ersetzt Fehler in Form falscher Entscheidungen lediglich durch Irrtum, wenn man sich ausschließlich auf das verlässt, was anderswo programmiert (IRBA), beurteilt (S&P, Moody's, Fitch), kontrolliert (WPs) oder den Marktkräften überlassen wird."

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