Aufsätze

Megabörsenfusion, Emittenten und die SEC-ein teuflisches Dreieck

Nach einigen gescheiterten Anläufen nimmt zwischenzeitlich ein weiteres Fusionsvorhaben der Deutschen Börse zunehmend konkrete Gestalt an. Der angedachte Fusionspartner ist die Nyse Euronext, mithin kein geringerer als die Wall Street. Soweit dies den bisherigen offiziellen Verlautbarungen zu entnehmen war, ist geplant, dass im Zuge der Fusion dieser beiden namhaften Börsenplätze zukünftig der klassische Handel mit Aktien börsennotierter Unternehmen generell in New York gebündelt wird, während der Markt für Derivate (Stichwort: "Eurex" et cetera) generell am Handelsplatz Frankfurt konzentriert werden soll.

Das Problem

Aus Sicht der deutschen Emittenten beziehungsweise börsennotierten Unternehmen mit Sitz in Deutschland führt diese Neugestaltung des Handels mit ihren Aktien zu einem nicht zu unterschätzenden Problem. Denn aufgrund dieser Verlagerung des Börsenhandels nach New York besteht die Gefahr, dass die US-amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) und das dortige Justizministerium die umfassende Zuständigkeit betreffend die kapitalmarktrechtliche Kontrolle, Überwachung und etwaige Bestrafung auch deutscher Emittenten erlangen. Hinzu tritt namentlich auch aus Sicht deutscher Unternehmen das zukünftig bestehende Risiko einer sehr weitgehenden Zuständigkeit der SEC im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen.

Spätestens im Zuge der Siemens-Korruptionsaffäre und dem aufsehenerregenden Agieren der SEC in diesem Komplex wurde deutlich, welche einschneidenden und teilweise sogar fatalen Folgen eine derartige Zuständigkeitsverlagerung hin zu den USamerikanischen Kontrollbehörden haben kann. In rechtlicher Hinsicht zeigte sich gerade im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Siemens-Affäre rasch, dass das deutsche beziehungsweise kontinentaleuropäische Recht mit den US-amerikanischen Rechtstraditionen im Zusammenhang mit dem Tätigwerden der SEC nur sehr beschränkt vereinbar ist. Unter anderem führte dies letztlich sogar dazu, dass deutsche Unternehmen entweder ein Delisting an der Wall Street anstrebten oder von einem geplanten Listing Abstand nahmen. Nunmehr soll jedoch gerade diese Verlagerung der Börsennotierung in die USA infolge der geplanten Megabörsenfusion durch die Hintertür erfolgen.

Vor diesem Hintergrund ist es kaum überraschend, dass zunächst eine nicht unbeträchtliche Unruhe unter den deutschen börsennotierten Unternehmen entstand. In Reaktion hierauf lancierten "mit dem Fusionsvorhaben vertraute Kreise" in der einschlägigen Wirtschaftspresse die Meldung, dass diese Problematik einer umfassenden und ausufernden Kontroll- und Ermittlungstätigkeit der SEC aus rechtlichen Gründen nicht bestünde. Im Wesentlichen wurde insoweit auf Folgendes hingewiesen: Zum einen sei geplant, den Zugriff der SEC durch die Gründung einer Stiftung zu verhindern, die im Falle einer Überregulierung durch die SEC der zukünftigen (Bör-sen-)Holding die Kontrolle über den jeweils betroffenen (Aktien-)Markt wieder entziehen kann.

Zum anderen stünden die deutschen völkerrechtlichen Souveränitätsrechte einem unkontrollierten Übergreifen der SEC-Befugnisse auf deutsche Unternehmen entgegen. Schließlich wird auch noch darauf verwiesen, dass bereits beim Zusammenschluss der Nyse und der Euronext im Jahr 2007 die zuständigen Aufsichtsbehörden der betroffenen europäischen Länder sowie die SEC ein Memorandum of Unterstanding unterzeichnet haben, das solche regulatorischen und ermittlungstechnischen Übergriffe ausschließe; ähnliche Vereinbarungen seien auch bereits zwischen der BaFin und der SEC abgeschlossen worden. Mit diesem Hinweis wird suggeriert, dass entsprechende Maßnahmen der SEC gegenüber deutschen beziehungsweise europäischen Unternehmen allein schon aufgrund dieser Memoranda rechtlich unmöglich seien.

Das Dilemma

Schon die Art und Weise des Lancierens dieser Nachricht durch "mit dem Fusionsvorhaben vertraute Kreise" legte den Verdacht nahe, dass die von dortiger Seite schemenhaft angedeuteten Schutzmechanismen keineswegs geeignet sind, die aus Sicht der deutschen Unternehmen bestehenden Risiken zu beseitigen. Betrachtet man die einzelnen Argumente näher, so verdichtet sich dieser Verdacht praktisch zur Gewissheit. So ist nämlich im Hinblick auf die angeblich angedachte Stiftungslösung schon nicht klar, ab welcher Intensität eines Zugriffs der SEC auf deutsche Unternehmen die Stiftung tatsächlich zum Schutz der deutschen Unternehmen aktiv wird, oder eventuell sogar werden muss(?).

Gänzlich unklar ist auch, ob und inwieweit das einzelne von einem etwaigen Übergriff der SEC betroffene Unternehmen ein Recht auf ein Tätigwerden der Stiftung beziehungsweise ihrer Organe hat. Nicht nachvollziehbar ist des Weiteren, welche Personen konkret auf der Ebene der Stiftungsorgane die schwierigen Entscheidungen betreffend den Entzug der Kontrolle über den jeweiligen (Aktien-)Markt fällen und welche Kriterien hierbei gelten sollen.

Als bereits durch die Praxis widerlegt zu qualifizieren ist in diesem Zusammenhang das zweite Argument des Schutzes durch die völkerrechtliche Souveränität Deutschlands. Dies haben bereits mehrere Beispielsfälle im diesbezüglichen deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr eindrucksvoll belegt; genannt seien an dieser Stelle nur die Korruptionsaffären "Daimler" und, wiederum, "Siemens". So ist es nämlich der SEC gelungen, in diesen Sachverhalten, namentlich im Komplex "Siemens", deutsche rechtsstaatliche Mindeststandards mittels der von ihr erzwungenen Durchführung unternehmensinterner Privatermittlungen (internal investigations) durch eine ihr genehme Rechtsanwaltskanzlei faktisch ebenso zu umgehen wie die völkerrechtlich abgesicherte strafrechtliche Ermittlungshoheit deutscher Strafverfolgungsbehörden.

Interessant ist schließlich auch ein Blick in das angeblich eine ausufernde Ermittlungs- und Kontrolltätigkeit der SEC verhindernde Memorandum of Unterstanding zwischen verschiedenen Aufsichtsbehörden europäischer Länder und der SEC vom Januar 2007. Denn es wird in diesem ausdrücklich festgehalten, dass mit ihm gerade keinerlei rechtlich bindenden Verpflichtungen begründet werden und insbesondere auch keine Abänderung des jeweiligen innerstaatlichen Rechts verbunden ist. Dieser Befund ist aus Sicht der betroffenen deutschen Unternehmen beziehungsweise Emittenten höchst bedenklich und zeigt, dass ihre berechtigten Interessen bei Weitem noch nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Lieber zu spät als nie: Die Lösung

Wie könnte aber nun eine den Interessen der deutschen beziehungsweise europäischen Unternehmen gerecht werdende Lösung aussehen? Es versteht sich von selbst, dass ein derartiges Lösungsmodell an dieser Stelle nur in seinen Grundzügen skizziert werden kann. Festzuhalten ist zunächst, dass seit geraumer Zeit Handlungsbedarf auf zwei rechtlichen Ebenen besteht, nämlich der völkerrechtlichen im Verhältnis zu den USA zum einen und der innerstaatlichen deutschen, ja wohl sogar auch der europäischen, zum anderen.

So wäre es erforderlich, in einem völkerrechtlich bindenden Vertrag zwischen Deutschland beziehungsweise, weit wünschenswerter, der EU und den USA rechtlich verbindlich die Kompetenzen der jeweiligen europäischen beziehungsweise einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden und der SEC gegeneinander abzugrenzen und damit etwaige Doppelzuständigkeiten oder ein Tätigwerden der SEC mit Blickrichtung auf deutsche beziehungsweise europäische Unternehmen von vornherein zu verhindern.

Einen ersten gedanklichen Ansatzpunkt für ein derartiges völkerrechtliches Abkommen könnten beispielsweise die Bestimmungen des Schengener Abkommens zur Koordinierung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen in internationalen Sachverhalten darstellen. Insoweit rächt sich nun aber, dass im Bereich der Finanzmarktaufsicht keine der SEC vergleichbare und spätestens seit den Erfahrungen im Komplex "Siemens" vereinzelt geforderte gesamteuropäische Aufsichtsbehörde existiert, die als adäquater Gesprächs- und Verhandlungspartner der US-amerikanischen Seite fungieren könnte.

Aus nationaler deutscher Sicht wäre es zudem insbesondere erforderlich, für die nach wie vor nach US-amerikanischen Rechtstraditionen durchgeführten unternehmensinternen Privatermittlungen endlich einen einheitlichen und die Individualrechte der betroffenen Personen, aber auch des jeweiligen Unternehmens, berücksichtigenden Rechtsrahmen zu schaffen. Der diesbezügliche Regelungsbedarf reicht von der Frage der Zulässigkeit der Weitergabe anlässlich derartiger Privatermittlungen gewonnener Erkenntnisse an staatliche, auch ausländische, Ermittlungsbehörden bis hin zu Fragen des Datenschutzes sowie des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Denn auf diesem Wege könnte eine Umgehung rechtsstaatlicher Mindeststandards und völkerrechtlicher Souveränitätsrechte durch die SEC, wenn auch nicht mit einer annähernd vergleichbaren Rechtssicherheit, die gegebenenfalls mit dem Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags verbunden wäre, so doch zumindest teilweise vermieden werden.

Was nun aber bleibt, ist die desillusionierende Feststellung, dass die hier skizzierten und aus Sicht der deutschen beziehungsweise europäischen Unternehmen dringend gebotenen Lösungsansätze nicht mehr rechtzeitig realisierbar sein werden. Andererseits wird man die geplante Fusion der Deutschen Börse und der Nyse Euronext an diesem Gesichtspunkt wohl kaum scheitern lassen; dies allein schon aufgrund der vielfältigen, mit diesem Fusionsvorhaben aus Sicht der betroffenen Börsenplätze verbundenen Vorteile.

Dies ändert aber nichts daran, dass man nunmehr endlich damit beginnen muss, die vorstehend skizzierte rechtliche Lösung der aus Sicht der deutschen beziehungsweise europäischen Unternehmen nicht hinnehmbaren Rechtskonflikte infolge des Agierens der SEC außerhalb der eigenen Landesgrenzen mit Nachdruck und schnellstmöglich voranzutreiben. Es gilt jetzt das Motto: Lieber zu spät als nie!

Lehren für die Zukunft

Aufgrund der hier dargestellten Problematik sind zusammenfassend die folgenden generellen Leitlinien festzuhalten:

- Die Finanzmärkte begreifen sich zunehmend nicht mehr im ausreichenden Maße als Dienstleister auch der Emittenten beziehungsweise Unternehmen. Die besonderen Interessen der Emittenten finden daher, wie die vorliegend behandelte Gefahr des weitestgehend unregulierten Übergriffs der SEC auf deutsche Unternehmen exemplarisch zeigt, von vornherein keine ausreichende Berücksichtigung mehr; gleichzeitig werden die Handlungsalternativen der Emittenten aufgrund der fortschreitenden Konzentration im, zumal im internationalen, Börsensektor zunehmend eingeschränkt. Mit anderen Worten: Den Emittenten bleibt oftmals keine andere Wahl, als die aus ihrer Sicht negativen Konsequenzen der Neustrukturierung eines Börsenplatzes nolens volens zu akzeptieren.

- Umso mehr sind gerade im vorliegenden Kontext Gesetzgeber und Exekutive auf nationaler deutscher und europäischer Ebene gefordert, die zum Schutz der Unternehmen, aber auch betroffener Individuen erforderlichen völkerrechtlichen, europarechtlichen und deutschen (Rechts-) Grundlagen zu schaffen.

- Bislang wurde, wie ebenfalls die vorliegend behandelte Thematik exemplarisch belegt, die fortschreitende Globalisierung der Finanzmärkte nicht hinreichend berücksichtigt; namentlich wurde es versäumt, die entsprechenden und flankierend unerlässlichen völkerrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

- Um endlich einen adäquaten Gesprächs- und Verhandlungspartner für die US-amerikanische Seite im Hinblick auf die völkerrechtliche Regulierung internationaler Kapitalmärkte zu implementieren, ist die Schaffung einer europäischen Kapitalmarkt- beziehungsweise Wertpapieraufsichtsbehörde notwendiger denn je. Mit anderen Worten: Es bedarf der Etablierung einer "europäischen SEC" auf der Grundlage kontinentaleuropäischer Rechtstraditionen.

- Geboten ist aber auch die schnellstmögliche adäquate Reaktion des nationalen deutschen beziehungsweise europäischen Gesetzgebers auf die faktische Umgehung völkerrechtlicher Souveränitätsansprüche durch die SEC sowie auf die Einführung an US-amerikanischen Rechtstraditionen orientierter Ermittlungsmethoden in der Form sogenannter "internal investigations".

- Um es in der Form einer Quintessenz zusammenzufassen: Es bedarf der Rückbesinnung darauf, dass die Finanzmärkte auch den Unternehmen beziehungsweise Emittenten gegenüber zur Wahrung ihrer Interessen als Marktteilnehmer verpflichtet sind!

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