Wirtschaftspolitik

Mangel an sauberer Bewertung

"Notleidende Banken", das Unwort des Jahres 2008, hat mit seiner Kür durch eine Jury von Sprachwissenschaftlern im Januar 2009 endlich politische Korrektheit darüber hergestellt, wie im Diskurs des Bundestagswahljahres die Finanzmarktkrise und die - nach dem Befund der Philologen längst zu konstatierende - "Weltwirtschaftskrise" wahrzunehmen sind: "Schuld sind vor allem die, die sich verspekuliert haben auf der Suche nach dem großen Geld." Während Finanzmarktexperten noch immer ihre Zeit mit Analysen vergeuden und aus ihnen marktstabilisierende Korrekturmaßnahmen abzuleiten versuchen, beutet der Bundesverband deutscher Banken die neue Logik eines die Ungerechtigkeiten des Marktes omnipotent korrigierenden Staates bereits dialektisch geschickt aus. Er fordert staatliche Hilfe nicht nur beim Ausmisten von Toxic Waste der Subprime-Krise, für welche die Banker sowieso und schon lange genug harsche Kritik einstecken mussten, sondern gleich auch für solche Risiken, die sich für die Banken unvermutet und ohne deren Verschulden vermehrt ganz neu dadurch ergeben, dass zuvor solide Unternehmen plötzlich durch die Rezession gefährdet sind oder auch dadurch, dass sich Anlagen von Banken in früher doch sichere Staatsanleihen anderer EU-Mitgliedsländer wie Griechenland oder Italien auf einmal als zweifelhaft erweisen.

Zu nur kurz vergangenen marktwirtschaftlichen Zeiten wären solche Ansinnen postwendend und scharf als unverschämt und abwegig zurückgewiesen worden. Nicht so in der wundersamen Gegenwart der gleichzeitigen Rettung von Geldwertstabilität, Beschäftigung und Konjunktur durch bereits im Vorwahlkampf fiebernde Politiker. Man muss im Gegenteil befürchten, dass Forderungen dieser Art im staatlich-politischen Bereich auf unerwartet fruchtbaren Boden fallen werden. Deswegen wird hier ein Zwischenruf zur Sache erhoben, um das Thema der objektiv schwer bewertbaren Bankenaktiva auf seinen finanzmarktspezifischen Kern zurückzuführen. Die zusätzlichen, aber bankgeschäftsüblichen Risiken sind hiervon sauber zu unterscheiden. Von diesen versteht der Staat deutlich weniger als die Banken und würde sich außerdem überheben. Das nach wie vor anhaltende Misstrauen unter den Banken selbst und seitens der Kapitalsammelstellen (wie Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen), die im Wesentlichen für die langfristige Refinanzierung des Kreditgeschäfts der Banken als institutionelle Investoren zur Verfügung stehen sollten, ist weiter durch Unsicherheiten zur Bewertung von Bankenaktiva gekennzeichnet, die mit dem Kollaps des US-Subprime-Mortgagemarktes zu tun haben. Nach offiziösen Schätzungen handelt es sich bei deutschen Banken um einen aggregierten Nennwert von etwa 300 Milliarden Euro, von dem bisher lediglich ein Viertel wertberichtigt ist. Der Interbankenmarkt und der langfristige Kapitalmarkt können sich erst dann für die Banken wieder nachhaltig normalisieren, wenn diese Unsicherheiten transparent, nachvollziehbar und überzeugend ausgeräumt sind.

Wenn jede Bank nur ihr spezielles, ganz individuelles Strickmuster von Staatshilfe und versteckter Subvention auf Bundes- oder Landesebene vorzeigen kann, muss das Misstrauen der institutionellen Investoren und Kapitalsammelstellen gegenüber den Banken nicht nur anhalten, sondern wieder größer werden und auch der Interbankenmarkt ausgetrocknet bleiben. Was dann nur noch gelingt, sind Wettbewerbsverzerrungen von staatlich mehr unterstützten zulasten der weniger gestützten Finanzinstitute, was die Erosion des Finanzmarktes nur weiter vorantreiben muss. Aber genau diese Marschrichtung hat sich mehr und mehr durchgesetzt. Dem heiklen Thema einer sauberen ökonomischen Bewertung der sub-prime-infizierten Bankenaktiva wird dagegen in Deutschland von der Mehrheit der Verantwortlichen ebenso ängstlich wie beharrlich ausgewichen. Es könnte dabei ja herauskommen, dass sich der Abschreibungsbedarf dieses oder jenes Institutes noch einmal deutlich erhöht. Außerdem stellen die zusätzlichen Abschreibungsrisiken, die aus dem durch die Finanzmarktkrise ausgelösten Konjunktureinbruch resultieren, die noch ungeklärten Finanzmarktrisiken zunehmend in den Schatten. Statt eine Klärung über marktorientierte Ansätze zu suchen, verengt sich die deutsche Diskussion infolgedessen zunehmend auf Verstaatlichungslösungen. Die hieraus sprechende Verächtlichkeit gegenüber Demokratie und Markt ist bemerkenswert. Die Verstaatlichung der Hypo Real Estate wird jedenfalls schon jetzt von der Bundeskanzlerin als "ohne Alternative" hingestellt, ohne dass auch nur die HRE Zahlen für das vierte Quartal 2008 bekannt gemacht worden wären. Erst aus deren detaillierter Kenntnis und Analyse könnten sich adäquate Abwägungen alternativer Lösungen und entsprechende Schlussfolgerungen ergeben. Der Bundestag duckt sich stattdessen vor dem Einschüchterungsgehabe von Peer Steinbrück. Aber diesmal sieht es nicht so aus, als ob das gutgehen könne.

Die US-Amerikaner, die dem Rest der Welt die Subprime-Krise eingebrockt haben und daher auch im Hinblick auf Einbrüche in der Realwirtschaft besonders betroffen sind, scheuen gleichwohl nicht die offene, öffentliche Diskussion zur Lage und ihrer Korrektur. Der neue US-Schatzminister Timothy Geithner hat denn auch sofort gehörig Prügel vom Markt und den Medien dafür bezogen, dass das am 10. Februar 2009 vorgestellte, gigantische Stabilitätspaket keine Detailregelungen zur Kernfrage der Bewertung und Ausräumung der Subprime-Aktiva vorsieht: Die Sehnsucht nach einer Zauberlösung durch den Staat ist natürlich auch in den USA weit verbreitet. Aber schon nach kurzem Atemholen zu der von Geithner eingestandenen Ungelöstheit der Gesamtproblematik setzte eine Flut konstruktiver Vorschläge zu einer möglichst marktorientierten, privatwirtschaftlichen Umsetzung der Rahmenzielsetzung ein. In Deutschland haben weder die Regierung noch die Parteien den Nerv für eine offene und kritische Diskus sion. Das sagt viel über deren Einschätzung der Wählermündigkeit. In Ermangelung einer Sachdiskussion projizieren die Medien in die zehn Vornamen des neuen Wirtschaftsministers Fachkompetenz. Zumindest vom Aufsichtsrat und Vorstand der Hypo Real Estate wird man jedenfalls mehr Aufklärungs- und Diskussionsbereitschaft wenn schon nicht erwarten dürfen, dann sicher einfordern können, wenn am Ende wieder der Steuerzahler mit zur Kasse gebeten werden soll. Bei der Schweizerischen Nationalbank stehen im Moment Überlegungen über privatwirtschaftliche Lösungen der Ausgabe von Pfandbriefen zur Stützung des Bankensystems im Vordergrund. Warum könnte das nicht auch in Deutschland eine Alternative zur Verstaatlichung der HRE sein? Michael Altenburg, Luzern

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