Leitartikel

Wohin mit den guten Werten?

Eigentlich kann hierzulande doch alles gar nicht so schlimm sein - von wegen Krise und so. Im Großen und Ganzen sorgt der einst in Westeuropa so belächelte Spareifer der Deutschen dafür, dass im hiesigen Bankensystem noch eine vergleichsweise komfortable Liquidität herrscht. Zudem bewahrte die von den Verfechtern angelsächsischen Wirtschaftsgebarens oft bemäkelte kaufmännische Vorsicht hiesiger Mittelständler die finanzierenden Banken und mit ihnen die Volkswirtschaft vor einem Fall ins Bodenlose. Und nicht zuletzt steht dem Lande eine Regierung aus den beiden größten Parteien vor - lagerübergreifend sozusagen -, die verfassungsrechtliche Instrumente nutzen kann, wie kaum eine Regierung zuvor. Ja, dieses Land und seine Führung leisten sich sogar den Luxus, just zu jenem Zeitpunkt, als sich die Finanzmarkt- zu einer realwirtschaftlichen Krise ausweitet, den Wirtschaftsminister wegzuekeln. Gewiss erfordern andere Zeiten nicht selten neue Köpfe, doch stellt sich die Frage, wie es um das weitere ordnungspolitische Klima in der aktuellen Bundespolitik bestellt ist. "Verstaatlichung" und "Enteignung" gehen mittlerweile so locker über die Lippen der Spitzenpolitiker, dass sich die politisch Linke schon in Positionierungsnöten sieht, wenn sie sogar von Konservativen mit dem eigenen Vokabular links überholt wird.

Entsetzlich ist jedoch das fehlende Entsetzen darüber in Politik, Wirtschaft und Wahlvolk. Zwar erlaubt das Grundgesetz die Enteignung, wenn diese dem Wohle der Allgemeinheit dient, doch muss stets gefragt werden, wann dieser höhere Zweck tatsächlich gegeben ist und ob er schwerer wiegt als das Wohl des zu Enteignenden. Dass die Architekten des Grundgesetzes ausdrücklich ein entsprechendes Gesetz einfordern, ist daher durchaus berechtigt und rechtsstaatlich sogar gefordert. Gleichwohl die eine oder andere Bank den Staat mittlerweile ganz gerne als Mit-, Mehrheits- oder Alleineigentümer hätte, ist der ordnungspolitische Grat äußerst schmal. Wer enteignet und verstaatlicht, muss auch erklären, wann und wie er wieder reprivatisieren will. Ein Blick in die bundesdeutsche Geschichte ergibt eine allenfalls durchwachsene Bilanz, wenn es um die Privatisierung von Staatsunternehmen geht. Und wohin dann mit den Behörden, Beamten und Planstellen, die der inneren Dynamik folgend danach streben, ihre Bedeutsamkeit an Kompetenzen und Budgets zu messen und mit hoher Renitenz dazu neigen, ihre Unnötigkeit zu leugnen? Aber - und das lässt nun doch auf wirtschaftlichen Sachverstand in den politischen Führungsriegen hoffen - trotz vielerlei wahlkämpferischem Hufescharrens tun sich die Verantwortlichen mit der zügigen Umsetzung einer Enteignung schwer.

Präzedenzfall könnte die Hypo Real Estate werden. Hier zeigt sich die Ratlosigkeit in Politik und Kreditwirtschaft besonders deutlich. Trotz Eigenkapitalstärkung und Garantien in Milliardenhöhe wagt doch noch niemand den ultimativen Schritt. Zu wichtig ist die Bank für das System - vor allem für den Pfandbriefmarkt. Etwa 15 Prozent des umlaufenden Pfandbriefvolumens tragen die Label des HRE-Konzerns. Die rechtswirksame Insolvenz dieses international bekannten Großemittenten zuzulassen, wäre für alle Pfandbriefemittenten zwar nicht der Untergang des Pfandbriefs, aber doch eine extreme Belastungsprobe für dessen rechtliche Grundlage. Denn das Pfandbriefgesetz regelt klar, wie Pfandbriefe und Deckungswerte einer insolventen Pfandbriefbank zu separieren und durch einen Sachwalter fortzuführen sind. Die Treuhänderschaft über die Deckungsstöcke und die damit verbundenen Risiken kann selbstverständlich auch eine andere Pfandbriefbank übernehmen. Ein Praxistest, der ultimative Beweis, wie sicher Pfandbriefe tatsächlich sind, steht freilich noch aus. Der Preis wäre extrem hoch - möglicherweise zu hoch. Niemand will einen deutschen Fall Lehman Brother. Ohnehin ist die Lage am Pfandbriefmarkt angespannt. Zwar lassen die jüngsten Platzierungen von Pfandbriefen im Jumbo-Format durch LBBW und Postbank Zuversicht keimen, doch zeigen die geforderten Aufschläge, wie viel Vertrauen am Markt zurückgewonnen werden muss (siehe dazu Seiten 114 und 115).

Leider erwies sich der Münchener Immobilien- und Staatsfinanzierer bislang trotz aller zugeworfenen Rettungsringe als äußerst sanierungsresistent. Zwar verschafften die Staatshilfen und die Zinssenkungen der Notenbanken etwas Auftrieb und Luft, doch zwingen die Rating-Herabstufungen für Länder wie Irland, Spanien, Griechenland und Italien für deren Staatsanleihen zu zusätzlicher Eigenkapitalunterlegung. Einen Staatsfinanzierer wie die HRE-Tochter Depfa trifft das besonders hart. Der Zuschuss weiterer Milliarden würde die schleichende Verstaatlichung des Konzerns beschleunigen. Dass der Vorstand und wohl auch die verbliebenen Eigentümer diesem Szenario nicht abgeneigt sind, offenbart deren Verzweiflung. Dem Pfandbriefmarkt bekäme ein VEB (Volkseigener Betrieb) Hypo Real Estate freilich gar nicht gut. Gäbe es dann doch so etwas wie einen staatlich garantierten Pfandbrief. Der Beweis, dass die Qualität des Produktes keiner staatlichen Absicherung bedarf, würde damit im entscheidenden Moment nicht erbracht. Der Widerstand des vdp gegen eine implizite Staatsgarantie ist im Sinne des Produktes und des Wettbewerbs richtig und geboten.

Wohin also mit den guten Werten? Durchaus vielversprechend ist die Aschenputtel-Lösung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Doch wie soll man die "guten" HRE-/Depfa-Pfandbriefe und ihre Deckungsmassen separieren? Eine Bad Bank, in der nur der Schrott abgeladen wird, will die Politik nicht. Denn dem Wähler, der in diesem Jahr gleich mehrfach zu Stimme kommt, sind schon die Milliardenzuschüsse für Banken nur schwer erklärbar. Die Sozialisierung von Verlustreichem bei gleichzeitiger Privatisierung von Gewinnhaltigem wäre dagegen gar nicht zu vermitteln. Das gesellschaftliche Sprengpotenzial, die Gefahr einer Drift der Wähler an die extremen Ränder wäre zu groß. In diesem Sinne hat die Lösung der Krise nicht nur eine ordnungspolitische, sondern auch eine systempolitische Dimension. Die Alternative ist eine Good Bank, die die Pfandbriefe und ihre Deckungsmassen übernimmt. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob für diese Übertragung die vorhandenen Gesetze und begleitenden Verordnungen ausreichen. Eine neue Bank zu gründen, ist wegen des damit verbundenen technischen Aufwands nicht angeraten. Praktikabler wäre die Abspaltung. Immerhin haben HRE und Depfa mit Spaltprozessen schon wertvolle Erfahrungen gesammelt. Dass sich diese auch an andere Institute weitergeben lassen, davon ist auszugehen. L. H.

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