Aufsätze

Genossenschaftsorganisation der Zukunft

Die Genossenschaftsorganisation befindet sich im Jahre 2006 in einem Wandlungsprozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Im Jahr 2012 dürfte sie sich anders darstellen als heute. Allerdings ist der Wandel das sich immer wieder neu auf die wechselnden Herausforderungen einer sich stets wandelnden Umwelt einstellen - nichts Neues, sondern die eigentliche Konstante in der 150-jährigen Genossenschaftsgeschichte in Deutschland. Daher wird auch 2012 nicht das Ende dieser Entwicklung erreicht sein.

Neufassung des Genossenschaftsrechts

Die Basis der Genossenschaftsorganisation bilden die Primärgenossenschaften, die in allen Lebensbereichen vorzufinden sind. Hier wird in den Nichtbankensektoren der Wirtschaft - in der Landwirtschaft und im Handwerk, aber zunehmend auch bei den freien Berufen (vorzugsweise akademischen) - die Zahl der Genossenschaften durch Neugründungen weiter zunehmen, nachdem in den Handwerksberufen und in der Landwirtschaft die Konzentrationsprozesse der "alten" Genossenschaften abgeschlossen sind.

Durch die Erleichterungen der Neufassung des Genossenschaftsrechts, die derzeit im Werden sind, wird die Genossenschaft auch für Start-up-Unternehmen interessant werden. Dabei wird unterstellt, dass die Genossenschaftsverbände - und von ihnen angeregt die örtlichen Genossenschaftsbanken - in den ersten Jahren ideelle und materielle Hilfe leisten, um so den Start zu erleichtern. Das wären keine Wohltaten, sondern Investitionen in künftig ertragreiche "Kunden"- und Mitgliederbeziehungen.

Im Sektor "Kreditgenossenschaften" ist die große Fusionswelle abgeebbt. Es wird auch jetzt noch zu Fusionen kommen, etwa um eine Schieflage elegant zu bereinigen oder auch um eine bislang aus persönlichen Gründen nicht mögliche, sachlich aber gebotene Fusion (Altlast) zuwege zu bringen. Landkreisbanken werden aber in genossenschaftlich gut erschlossenen Gegenden Ausnahmen bleiben. Vereinzelte Fehlentwicklungen - Genossenschaftsbanken haben sich über weite Strecken, oft über das Gebiet dritter, nicht beteiligter Genossenschaftsbanken hinweg zusammengeschlossen, obwohl hierbei von "ein Markt, eine Bank" keine Rede sein kann, von genossenschaftlicher Binnenstruktur und Meinungsbildung ganz zu schweigen - werden nicht behoben sein. Nach wie vor werden hier Schwachstellen vorhanden sein, die der Wachsamkeit der Sicherungseinrichtung bedürfen. Diese Gebilde überfordern das Können und die Erfahrung genossenschaftlicher Bankmanager, aber auch die bewährte Mitgliederkontrolle durch die Aufsichtsräte mit hervorragender Orts- und Kundenkenntnis in überschaubaren Gebieten und Wirtschaftssektoren.

Überbau als stattlicher Turm

Auch die genossenschaftliche Prüfung findet hier ihre Grenzen - nicht so sehr wegen ihres Wissens und Könnens, sondern aus psychologisch-taktischen Gründen. Von solchen großen und - genossenschaftlich gesehen - amorphen Banken drohen immer dann Gefahren für die Solidargemeinschaft, wenn scheinbar charismatische, eloquente Personen im Vorstand "die Macht ergreifen", das rechte Augenmaß verlieren und weder von Aufsichtsräten, noch von der Prüfung oder der Bankenaufsicht rechtzeitig gestoppt werden können. Diese Gefahr ist für solche Banken aber immanent, da in der Genossenschaftsorganisation für Banken dieser Art nicht genug erfahrener und bewährter Führungsnachwuchs verfügbar ist und Bankmanager aus Konzernen in der Regel den genossenschaftlichen Besonderheiten nicht gewachsen sind.

Hier ist nun schon mehrfach die Rolle der Genossenschaftsverbände erwähnt worden. Auf der Basis der Primärgenossenschaften bauen sich zwei Türme auf, einer für die Verbandsseite, einer für die Geschäfte. Es soll hier um die Banken gehen. Während man traditioneller Weise die Überbauten gut als Pyramiden beschreiben konnte, ist im Jahr 2012 der Bankensektor zu einem stattlichen Turm - Deutsche Genossenschaftszentralbank - mutiert (früher: eine Reihe von regionalen Zentralbanken und darüber als Spitzeninstitut die DG Bank).

Die DZ Bank hat die letzte Fusion mit der WGZ verdaut und bereits wieder Aktivitäten im Ausland entfaltet. Dabei konzentriert sie sich zusammen mit dem befreundeten Schwesterinstitut der österreichischen Volksbanken auf die Märkte im Osten. Im Fondsgeschäft hat man es mit Spitzeninstituten in Österreich, Frankreich und den Niederlanden zu schlagkräftigen, marktstarken Töchtern gebracht. Gleiches gilt für das Investmentbanking. Die Gruppe der Genossenschaftsbanken in der Europäischen Union wächst sichtlich zusammen. Noch immer ist es aber nicht gelungen, in den neuen Mitgliedsländern die vorhandenen genossenschaftlichen Banken zu leistungsfähigen Gruppen zu konsolidieren. Hier rächt es sich, dass die westeuropäischen genossenschaftlichen Zentralbanken in diesen Ländern Zentral- und Osteuropas - soweit sie sich überhaupt engagierten - nur als Geschäftsbanken auftraten, sich aber um die vorhandenen, sich auch neu bildenden örtlichen Kreditgenossenschaften kaum kümmerten.

Wettbewerb um die Zentralbankfunktion

Da es nur noch eine Genossenschaftszentralbank gibt, deren Spitzenmanagement fast ausschließlich aus dem Privatbanksektor rekrutiert werden muss und das die Betreuung der angeschlossenen Banken der zweiten und dritten Führungsebene überlässt - sei es aus Gründen der Zeitökonomie, sei es aus Neigung - haben sich von den Grenzen aus genossenschaftliche Zentralbanken der Nachbarländer zu Konkurrenten bei den deutschen Genossenschaftsbanken entwickelt. Österreichische Raiffeisenzentralbanken sind im süddeutschen Raum - vor allem in Bayern - aktiv. Die Rabobank verwöhnt Volks- und Raiffeisenbanken in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Auch der Crédit Agricole aus Paris ist in Deutschland als Geschäftsbank aktiv und versucht sich ab und an als Partner der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken.

Die zweite Pyramide, deren Basis seit Beginn der modernen deutschen Genossenschaftsbewegung, also seit Mitte des 19. Jahrhunderts, die deutschen Genossenschaftsbanken bilden, ist der Überbau der Genossenschaftsverbände. Konnte man hier Mitte des ersten Jahrzehnts des Jahrtausends noch von einer Pyramide sprechen (Basis: Volks- und Raiffeisenbanken, Spardas, Mittelbau: Regional- und Spezialverbände, Oberbau: BVR als Interessenvertretung der Banken und DGRV als zentraler Prüfungsverband und Interessenvertretung in allen Fragen des Genossenschafsrechts und der Genossenschaftsgesetzgebung), hat sich diese Struktur grundsätzlich auch bis 2012 gehalten. Allerdings ist die Zahl der Verbände geschrumpft.

Nachdem ein Weg gefunden wurde, die unterschiedlichen Vermögensausstattungen der Verbände den jeweiligen Genossenschaften zu erhalten (Aufspaltung in jeweils zwei Vereine, wobei das Vermögen bei einem Verein bleibt, dem alle bisherigen Verbandsmitglieder angehören, die sonstigen Funktionen der Verbände - Prüfung, Beratung, Bildung, Interessenvertretung aber gebündelt werden), bildeten sich Verbände in Süd, Mitte, West und Nord. Die beiden Bankenspezialverbände überlegen, ihr Prüfungsrecht vom DGRV beziehungsweise dessen WP-Tochter wahrnehmen zu lassen. Die Verbände haben - entsprechend den ursprünglichen Vorstellungen des einstigen Süd-Verbundes - wesentliche Aufgaben gebündelt, was weitgehend im DGRV geschieht, wo die Willensbildung jetzt sehr erleichtert ist, zum Teil wurden aber auch neue Einrichtungen der Verbände geschaffen.

Zentral geleiteten Konzernen überlegen

Dabei hat sich ein sehr wirksamer und leistungsfördernder Ideenwettbewerb zwischen den Fachabteilungen der einzelnen Verbände ergeben. Im Prüfungswesen, in der Bildung, in Marketing und PR, aber auch im Lobbying hat zwar jeweils ein Verband die Federführung, aber alle entwickeln auf den einzelnen Sektoren ihre Vorschläge, und gemeinsam wird dann entschieden, welcher realisiert werden soll. Es gibt auch nur noch ein Rechenzentrum. Insgesamt ist es der Genossenschaftsgruppe gelungen, den Versuchungen des Anfangs des Jahrhunderts zu widerstehen die darin bestand, zwar das Wort Konzern zu vermeiden, ja diesen Begriff verbal total abzulehnen, aber doch möglichst viel zu zentralisieren, praktisch also Konzernstrukturen zu schaffen.

Dazu haben auch Aktivitäten, die von Österreich herüberschwappten und zu einem Zusammenschluss kleinerer Banken führten wesentlich beigetragen, die auf diese Weise ihre Interessen besser zu Gehör brachten. So ist es den Genossenschaftsbanken gelungen, ihre eigentliche Stärke, die Nähe zum Kunden, und zwar die Nähe der Entscheidungsträger zum Kunden, nicht nur zu bewahren, sondern in Markterfolge umzusetzen. Das war möglich, weil die Vielzahl relativ kleiner Banken erhalten wurde. Diese haben es verstanden, in jeweils überschaubaren Marktgebieten durch ihre Organmitglieder, durch eine intelligente Mitgliederbetreuung undeinbindung, aber auch durch erstklassige Angebote der Verbundinstitute die Vorteile der Ortsverbundenheit und Kundennähe erlebbar zu machen - auch gegenüber den Direktbanken, ganz zu schweigen von den Filialen, die von fernen Konzernzentralen abhängen. Die Verbundinstitute sahen sich gezwungen, ihre internen Strukturen und Arbeitsabläufe laufend zu straffen und so ihre Produkte nicht nur durch Qualität für die Kunden attraktiv, sondern durch die Verdienstspannen auch für die Banken immer interessanter zu gestalten.

Rechtliche Selbstständigkeit erhalten

Im Jahre 2012 zeigt sich also in diesem Feldversuch größten Stils, was schon Ende des letzten Jahrhunderts in einzelnen Untersuchungen bewiesen wurde, dass eine intelligente Kombination selbstständiger Unternehmen vor Ort, in überschaubaren Marktgebieten, mit hochspezialisierten Partnern einem zentral geleiteten Konzern deutlich überlegen ist. Entscheidend allerdings ist dabei die wirkliche, faktische und nicht nur rechtliche Selbstständigkeit der örtlichen Einheiten. Nur wenn sie vor Ort die Verantwortung tragen, wenn sie entscheiden können, was sie für ihren Markt, für ihre Kunden jeweils anbieten wollen, dann kommen die Vorzüge dieses Modells voll zur Geltung. Dann werden auch Fehler und Fehlentscheidungen behebbar, ohne die ganze Organisation zu gefährden.

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