Aufsätze

Die Geldpolitik von EZB und Fed in Zeiten von Finanzmarktturbulenzen eine aktuelle Bewertung

Im Lauf der letzten zehn Jahre schien Geldpolitik eine ziemlich langweilige Sache geworden zu sein: Weltweit kam es zu einem bemerkenswerten Rückgang der Inflationsraten, ganz unabhängig davon, welche konkrete geldpolitische Strategie die einzelnen Zentralbanken jeweils verfolgten. Preisstabilität ließ sich offensichtlich mühelos erreichen, ganz egal ob - wie von der Fed mit ihrem dualen Mandat diskretionärer Handlungsspielraum explizit zur Stabilisierung realer Wirtschaftsschwankungen genutzt wurde oder ob, wie von der EZB, eine Zwei-Säulen-Strategie eingeschlagen wurde. Schlagartiger Wandel Seit August 2007 hat sich das beschauliche Leben der Zentralbanker jedoch schlagartig gewandelt: Finanzmarktturbulenzen stellten die Geldpolitiker vor ungeahnte Herausforderungen: Auf Teilmärkten trocknete die Liquidität plötzlich vollkommen aus. Die Spreads zwischen Zinssätzen, die zuvor eng miteinander korreliert waren, stiegen dramatisch an. Anfänglich verfolgten die Zentralbanken recht unterschiedliche Ansätze zur Krisenbewältigung: die EZB stellte zwar von Anfang an im Rahmen ihrer Standardoperationen kurzfristig massiv zusätzliche Liquidität bereit (Anfang August fast 100 Milliarden Euro, zum Jahresende 2007 dann in einem Tender sogar 350 Milliarden Euro). Sie hielt aber den Mindestrefinanzierungssatz bei vier Prozent und erhöhte ihn zur Jahresmitte 2008 sogar auf 4,25 Prozent, um angesichts stark gestiegener Inflationsraten ihre Entschlossenheit zur Sicherung der Preisstabilität unter Beweis zu stellen. Die Fed dagegen senkte aggressiv die Zinsen von 5,25 Prozent bis auf zwei Prozent Ende April 2008. Weil die Turbulenzen trotzdem anhielten, sah sie sich veranlasst, weitere Liquiditätsoperationen durchzuführen. Ihr traditionelles Instrumentarium erwies sich dafür als unzureichend. Sie richtete deshalb eine Vielzahl neuer spezieller Fazilitäten ein mit immer exotischeren Namen wie TAF, TSLF und PDCF. Bei vielen Beobachtern erweckte dies den Eindruck, die Fed betreibe eine stark diskretionäre Krisenpolitik. Getrieben vom Druck der Wall-Street-Banken, versuche sie alles, um den Zusammenbruch großer Finanzinstitute zu verhindern und sei dafür bereit, selbst das Ziel der Preisstabilität zu opfern. Manche werfen ihr sogar vor, sie habe in einer Art Panikreaktion drastische Zinssenkungen vorgenommen, nur um einen massiven Einbruch am Aktienmarkt in letzter Minute zu verhindern. Während das Image der Fed als souveräner Krisenmanager beschädigt erscheint, hat sich die EZB dagegen großen Respekt verschafft. Wie im Folgenden gezeigt wird, unterscheiden sich die Krisenstrategien aber keineswegs so dramatisch. Die Fed näherte sich mit ihren Liquiditätsoperationen vielmehr faktisch eher den Operationen der EZB an, weil sich ihr eigenes Instrumentarium als veraltet erwies. Der entscheidende Unterschied besteht vielmehr in der Geldpolitik vor der Krise. Geleitet vom Vertrauen in das heilsame Wirken unregulierter Finanzmärkte, hat die Politik der Fed mit dazu beigetragen, Bedingungen für das Entstehen von Finanzmarktturbulenzen zu schaffen. Liquiditäts- oder Kreditkrise? Ungefähr seit Mitte 2002 schien in den USA eine Periode unerschöpflicher Liquidität anzubrechen: Clever konstruierte Instrumente ermöglichten eine starke Ausweitung der Kreditvergabe mit Hilfe hochkomplexer neuer Finanzierungsformen. Zum großen Teil wurden diese neuen Instrumente von Finanzintermediären außerhalb des traditionellen, regulierten Bankensektors geschaffen. Viele dieser Konstruktionen (wie etwa der Markt für Auction Rate Securities) basierten allerdings darauf, dass am Markt jederzeit genügend Liquidität verfügbar ist, um die Weiterfinanzierung sicherzustellen. Viele Beobachter - auch der amerikanischen Zentralbank - sahen in diesen Innovationen den Trend zu immer effizienteren Finanzmärkten verwirklicht. Warnungen, dass diese Form von Liquidität sehr fragiler Natur ist und ganz plötzlich austrocknen kann (vergleiche Brunnermeier 2008), wurden ignoriert. Die Periode hoher Liquidität wurde zudem durch eine Politik ungewöhnlich niedriger Zinsen gestützt: Schätzungen von John Taylor (2007) zufolge lagen die Zinsen der Fed zwischen 2002 und 2006 weit unter dem Niveau, das gemäß der Taylor-Regel als angemessen erscheint (vergleiche auch Illing 2005). Ermuntert von niedrigen Zinsen und in Erwartung stetig weiter ansteigender Häuserpreise waren viele Käufer bereit, sich kräftig am amerikanischen Immobilienmarkt zu verschulden. Dank innovativer Verbriefungstechniken entstand dort sogar ein völlig neuer Sektor - der Subprime-Markt. Er erlaubte es selbst solchen Bevölkerungsgruppen, den Traum vom eigenen Heim zu verwirklichen, die früher niemals als kreditwürdig eingestuft worden wären. Die Verbriefung ermöglichte es den Kreditgebern wiederum, die damit verbundenen Risiken immer breiter zu streuen, sie weltweit zu diversifizieren. Für viele Immobilienfinanzierer war die Versuchung verlockend, immer mehr Kredite zu vergeben, um dabei an den Provisionen zu verdienen, ohne die Risiken ernsthaft prüfen zu müssen. Mit dem einsetzenden Rückgang der Häuserpreise kam es dann jedoch ab Februar 2007 in den USA allmählich zum Einbruch des Subprime-Marktes für Immobilien. Je stärker die Preise der verbrieften Wertpapiere verfielen, desto höher stieg der potenzielle Abschreibungsbedarf bei den Käufern dieser Papiere. Als Anfang August dann offenkundig wurde, mit welchen Problemen halbstaatliche deutsche und französische Staatsbanken zu kämpfen hatten, die erheblich in solchen Anleihen investiert hatten, drohte der gesamte Markt für Liquidität zwischen den Banken zusammenzubrechen. Vertrauenskrise zwischen den Banken Liquidität, vorher scheinbar in Überfluss vorhanden, trocknete nun ganz plötzlich völlig aus. Selbst die Banken, die direkt über Zentralbankliquidität verfügten, waren nicht mehr bereit, sie an andere Finanzinstitute weiterzugeben, weil sie die Bonität der als Sicherheiten hinterlegten Wertpapiere sowie die Risiken ihrer Geschäftspartner nicht zuverlässig einschätzen konnten. Der Markt für verbriefte Anleihen erwies sich als Musterbeispiel für Intransparenz. So waren die Risiken zwar breit gestreut; es blieb aber gerade deshalb völlig unklar, in welchem Umfang einzelne Finanzinstitute von den Risiken betroffen waren. Getrieben von gegenseitigem Misstrauen, weigerten sich viele Banken, die von den Zentralbanken bereitgestellte Liquidität an Konkurrenten auszuleihen. Die Vertrauenskrise zwischen den Banken schlug sich unmittelbar nieder in einem ungewöhnlich starken Anstieg des Spreads für ungesichertes Ein- beziehungsweise Drei-Monatsgeld im Handel zwischen Banken, gemessen an der Differenz zwischen dem London Inter-Bank-Offered-Rate (Libor) für solche Kredite und dem für den gleichen Zeitpunkt erwarteten Zentralbankzins, berechnet anhand von Overnight Index Swaps (OIS). Gleichzeitig führte die Flucht in Qualität zu einem Rückgang der Zinsen auf kurzfristige Staatspapiere: Die Verzinsung von US-Treasuries mit ein- oder dreimonatiger Laufzeit fiel zeitweise stark unter den OIS für Fed-Funds. Das Krisenmanagement von Fed und EZB Die temporäre Zufuhr von Liquidität durch die Zentralbanken als Lender of Last Resort (die Bereitstellung zusätzlicher Geldbasis für die Banken) kann verhindern, dass eigentlich solvente Banken in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Diesem Rat von Bagehot folgend, stellten sowohl die Fed wie auch die Europäische Zentralbank seit August 2007 massiv zusätzliche Liquidität bereit, um den Geldmarkt wieder zu normalisieren. Liquidität ist freilich ein sehr schwammiges Konzept. Die Zentralbanken drehten keineswegs den Geldhahn auf. Sie ermöglichten den Geschäftsbanken zwar großzügigere längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte; im Gegenzug nahmen sie die zusätzliche Liquidität aber wieder aus dem Markt, indem sie im gleichen Umfang die kurz fristigen Refinanzierungsmöglichkeiten zurückfahren: sie "sterilisierten" so die Zufuhr an längerfristigen Mitteln. Netto stand den Geschäftsbanken damit kaum mehr Liquidität zur Verfügung. Die Geldbasis, die Menge an Zentralbankgeld, die in der Zentralbankbilanz ausgewiesen ist, hat sich nur unwesentlich erhöht. Obwohl die Fed zusätzlich zu den Sterilisierungsoperationen seit September 2007 bis April 2008 auch kräftig die Zinsen von 5,25 Prozent auf zwei Prozent gesenkt hat, blieb die Menge an Zentralbankgeld (die Geldbasis) selbst in den USA seit Juni letzten Jahres fast unverändert: Sie ist von 820 Milliarden US-Dollar im Juni 2007 nur auf 833 Milliarden US-Dollar Ende Juni dieses Jahres angestiegen. Was sich geändert hat, sind vor allem zwei Aspekte: Zum einen ermöglicht die Fed über neue Instrumente - etwa die neuen Term Auction Facilities (TAF) - einem größeren Kreis von Geschäftsbanken, sich Liquidität zu verschaffen; die Laufzeit der Liquiditätszufuhr wurde zudem von bislang maximal zwei Wochen auf 28 bis zu 90 Tagen erhöht. Zum Zweiten hat sich die Struktur von der Fed in ihrem Portfolio gehaltenen Vermögenswerte dramatisch verändert: Während die Fed bislang fast ausschließlich Wertpapiere des amerikanischen Staates gehalten hat, wurden nun in großem Umfang US-Treasuries gegen andere Wertpapiere (insbesondere Immobilienanleihen) getauscht. Im Grunde hat die amerikanische Notenbank mit diesem neuen Instrument letztlich das erfolgreiche Auktionsverfahren der EZB kopiert. Einwirkung auf die Risikoprämien Abbildung 1 verdeutlicht die Auswirkungen der neuen Fed-Fazilitäten auf die Aktivaseite der Fed-Bilanz. Mit der TAF können die Geschäftsbanken nicht nur US-Staatsanleihen als Kollateral bei der Fed hinterlegen, sondern auch Asset- und insbesondere Mortgage Backed Securties (MBS), die wiederum nicht unbedingt von einem der halbstaatlichen Institute wie Fannie Mae oder Freddie Mac abgesichert sein müssen. Der Rückgang des Anteils von US-Staatsanleihen am Fed-Bestand ist enorm. Die Fed tauscht also sehr liquide US-Staatsanleihen aus ihrem Portfolio gegen illiquide private MBS und versucht damit, auf die Risikoprämien im Markt für diese MBS einzuwirken. Die Geldbasis bleibt bei dieser sterilisierten Intervention unverändert. Zeitgleich mit der Bear- Stearns-Krise von März 2008 hat die Fed eine weitere Fazilität eingeführt: die sogenannte Primary Dealer Credit Facility (PDCF), die auch den Investmentbanken direkten Zugang zu Zentralbankliquidität verschafft. Auch die EZB stellte ihre Liquiditätsversorgung immer stärker auf längerfristige Refinanzierungsgeschäfte um. Dies macht die Abbildung 2 deutlich: Zu sehen ist neben der Zunahme der längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte, mit gleichzeitiger Abnahme der zugeteilten Mengen bei den Hauptrefinanzierungsgeschäften, dass die EZB besonders zu Beginn der Liquiditätskrise mit Feinsteuerungsgeschäften aktiv in den Geldmarkt eingriff, um die Zinsen nahe am Leitzins zu halten. Zentralbanken als Retter vor einem Zusammenbruch der Anleihemärkte? Im Unterschied zur Fed konnte die EZB für ihr Krisenmanagement freilich die innerhalb des etablierten Rahmens gegebenen Möglichkeiten nutzen. Auch bei den kurzfristigen Hauptrefinanzierungsgeschäften erhöhte sie die effektive Fristigkeit durch "Frontloading": Es wurde jeweils am Anfang einer Mindestreserveperiode verstärkt Liquidität bereitgestellt. Am Ende wurde die Zuteilung dann aber wieder eingeschränkt. Um die Spannungen am Geldmarkt vor Jahresende 2007 zu verringern, stellte die EZB Mitte Dezember in einem Tender sogar 168 Milliarden Euro über den geschätzten Bedarf hinaus zur Verfügung. Durch Feinsteuerungsoperationen wurde die überschüssige Liquidität in den Folgetagen dann wieder abgeschöpft. Die Stützungsmaßnahmen waren darauf gerichtet, Illiquidität, nicht aber die Insolvenz von Finanzinstitutionen zu verhindern. Bei modernen Anleihemärkten kann sich freilich auch die Illiquidität von Anleihemärkten in der Insolvenz von Finanzintermediären niederschlagen. Sieht sich ein Finanzinstitut gezwungen, bestimmte Anleihen (etwa Subprime-Anleihen) zu liquidieren, besteht die akute Gefahr von Panikverkäufen (Fire Sales), die einen massiven Preisverfall auslösen können. Kernproblem ist das Über- (oder besser: Unter-)schießen der Preise: Im Fall drohender Illiquidität könnte der Preis der Papiere weit unter den Wert sinken, der als Fundamentalwert gerechtfertigt erscheint. Ein solcher Preisverfall könnte Ansteckungseffekte mit erheblichen systemischen Risiken auslösen, falls er auch die Eigenkapitalbasis bislang solventer Institute gefährdet und sie so zwingt, selbst wiederum einen Teil ihrer Papiere zu verkaufen. Damit beschleunigt sich der Verfall weiter. Dieser Effekt wird durch eine marktnahe Bewertung der Anleihen im Portfolio enorm verstärkt. (Adrian and Shin, 2008). In einem traditionellen Bankensystem genügt es, dass die Zentralbank als Lender of Last Resort kurzfristig genügend zusätzliche Liquidität in den Interbankenmarkt zuschießt, um zu verhindern, dass sich eine tödliche Abwärtsspirale in Gang setzt, die weitere Finanzinstitutionen mit in den Abgrund reißt. Kommt aber der Preisfindungsprozess auf Anleihemärkten in einer Liquiditätskrise zum Erliegen, würde dies allein nicht ausreichen. In solchen Situationen besteht die Gefahr multipler Gleichgewichte mit sich selbst erfüllenden Erwartungen. Wenn alle in Panik ihre Wertpapiere verkaufen, droht das gesamte Finanzsystem zusammenzubrechen. Gelingt es dagegen, die Märkte zu beruhigen, könnte sich ein gutes Gleichgewicht mit hohen Wertpapierkursen einstellen. Einführung spezieller Liquiditätsfazilitäten Wilem Buiter (2008) plädiert deshalb dafür, Zentralbanken sollten sich auf modernen Finanzmärkten auch als "Market Maker of Last Resort" betätigen. Die Zentralbank sollte bereit sein, illiquide Anlagen zu einem von ihr selbst bestimmten Preis zu akzeptieren. Der Aufkauf verbriefter Immobilienkredite könnte ein cleverer Schachzug sein, um diesen Markt wieder in Gang zu bringen und die Marktpreise zum guten Gleichgewicht zu lenken. Wenn alles gut geht, könnte die Zentralbank dabei sogar Gewinne erzielen, weil die Papiere ja zu niedrigen Kursen aufgekauft werden. Andererseits besteht das Risiko, dass sich die Papiere tatsächlich als wertloser "Giftmüll" erweisen. Um potenzielle Verluste zu minimieren, müsse die Zentralbank einen hinreichend starken Abschlag auf den von ihr geschätzten Marktpreis verlangen. Mit der Einführung der speziellen Liquiditätsfazilitäten ist die Fed Anfang 2008 faktisch dem Rat Buiters gefolgt. Eine solche Politik kann sicher dazu beitragen, kurzfristig Finanzmarktturbulenzen zu beruhigen, sie birgt aber ein gravierendes Moral-Ha-zard-Problem: Im Wissen darum, dass die Zentralbank bereit steht, im Krisenfall als Käufer einzuspringen, werden unregulierte Finanzintermediäre dazu ermuntert, verstärkt in Anlagen mit systemischem Risiko zu investieren; damit aber steigt die Wahrscheinlichkeit von systemischen Liquiditätskrisen. Diese Anreize sind eine Folge der asymmetrischen Auszahlungsstruktur bei beschränkter Haftung. Wie Cao/Illing (2008) zeigen, wäre eine Regulierung von Finanzintermediären ex ante (die Verpflichtung, hinreichend viel Liquidität zu halten) notwendig, um diese asymmetrischen Anreize zu korrigieren. Es könnte fatale Folgen haben, die Aktivitäten unregulierter Finanzintermediäre mit Stützungs-Interventionen der Zentralbank zu belohnen. Es wird sich zeigen, ob es gelingt, in Zukunft eine entsprechende Regulierung der Liquiditätshaltung auch außerhalb des traditionellen Bankensektors durchzusetzen. Zwar kauft die Europäische Zentralbank nicht direkt Wertpapiere, seit ihrer Gründung akzeptiert sie aber bereits ein breites Spektrum von Wertpapieren als Sicherheiten im Rahmen ihrer Offenmarktgeschäfte; die Qualitätsanforderungen sind vergleichsweise niedrig. (Als Bonitätsschwellenwert für notenbankfähige Sicherheiten hat das Eurosystem ein Rating von Single A festgelegt. Dies wiederum entspricht einem Rating von mindestens "A-" gemäß Fitch und Standard & Poor's, "A3" von Moody's beziehungsweise "AL" von DBRS.) Moral-Hazard-Problem Nicht unbedingt aufgrund expliziten Designs, sondern wohl eher dank glücklicher Umstände war die EZB institutionell deshalb bestens für die Finanzmarktkrise gerüstet. Aufgrund historisch begründeter Skepsis gegenüber dem Einsatz von Staatspapieren für Offenmarktgeschäfte hat sie schon immer einen hohen Anteil privater Anleihen als Sicherheit gegen einen entsprechenden Abschlag akzeptiert. Sie hat dabei einfach frühere Verfahren der Mitgliedstaaten übernommen. Allerdings hat sich der Anteil von Mortgage Backed Securities (hypothekengesicherten Wertpapieren von potenziell niedriger Qualität) im Lauf der letzten Jahre stetig erhöht. Wird der Abschlag dieser Papiere nicht an das gestiegene Risiko angepasst, bestehen starke Anreize für Banken, Wertpapiere niedriger Bonität genau so zu konstruieren, dass sie gerade noch die Qualitätsanforderungen der EZB erfüllen. Genau das scheint mit Anleihen aus Hypothekenkrediten am spanischen Immobilienmarkt der Fall zu sein. Die Gefahr, dass die EZB aus diesen Anlagen einen Wertverlust erleidet, dürfte wohl eher gering sein (selbst wenn sie wertlos würden, fällt der Verlust zunächst erst einmal bei der Bank an, die diese Anleihen der EZB übertragen hat). Die größere Gefahr liegt vielmehr im eben beschriebenen Moral-Hazard-Problem: So werden Anreize geschaffen, im Vertrauen auf die Unterstützung durch die Zentralbank eine exzessive Vergabe von Immobilienkrediten fortzusetzen. Eine vorläufige Bewertung der Fed und EZB Wie erfolgreich die gewählten Krisenstrategien sind, lässt sich heute noch nicht abschließend beurteilen. Dennoch wird hier schon eine vorläufige Bewertung der bisherigen Zentralbankaktionen gewagt. Betrachten werden dazu die Auswirkungen auf ausgewählte Zinsspreads, auf die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer sowie auf die langfristigen Marktzinsen. Kredit- oder Liquiditätskrise? - eine Analyse der Zinsspreads: Zinsspreads beinhalten gewisse Risikoprämien, auf die die Zentralbank Einfluss nehmen kann, um damit indirekt die Realwirtschaft zu beeinflussen. Dies geschieht zum einen durch Leitzinsänderungen, indem eine andere geldpolitische Ausrichtung der Zentralbank angekündigt wird, und zum anderen eben auch durch andere Arten der Zuteilung von Liquidität, wie dies bei der Fed durch die TAF und bei der EZB durch die vermehrte Benutzung von Langfristoperationen geschehen ist. Risikoprämien lassen sich unterteilen in Laufzeitprämien, Kreditrisikoprämien und Liquiditätsrisikoprämien. Ist der starke Anstieg der Spreads auf dem Interbankenmarkt ein Indiz für eine Liquiditätskrise (das Refinanzierungsrisiko der Banken) oder aber für eine Kreditkrise (das Ausfallrisiko der Banken)? Für die Beantwortung dieser Frage sind die letzten beiden Prämien ausschlaggebend. Im Folgenden wird untersucht, ob und inwieweit die Zentralbanken diese Risikoprämien mit ihren Aktionen beeinflussen konnten. Geldpolitische Ausrichtung und Kreditrisiko auf dem Interbankenmarkt Zwei Studien amerikanischer Ökonomen die Aufsätze von McAndrews et al (2008) und Taylor und Williams (2008) - haben die jüngsten Aktionen der Fed ökonometrisch analysiert. Beide Aufsätze zeigen deutlich, dass der Zinsspread hauptsächlich auf dem Kreditrisiko beruht, das Liquiditätsrisiko also keine so große Rolle zu spielen scheint. Dennoch kommen sie zu leicht unterschiedlichen Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der TAF. Während McAndrews et al kleine negative Effekte der TAF auf das Liquiditätsrisiko finden, können Taylor und Williams dies nicht bestätigen. Laut Taylor und Williams hat die Einführung der TAF somit keine Verbesserung der Krisensituation erreicht. Die Kernaussagen dieser ökonometrischen Analyse werden anhand der Abbildungen 3 und 4 verdeutlicht. Sie zeigen sowohl die Auswirkungen der Fed-Zinssenkungen, wie der TAF-Ankündigungen auf den Libor-OIS-Spread. Er kann als quantitatives Maß für die Risikoprämien betrachtet werden. Besonders bei den ersten Leitzinssenkungen der Fed ist ein starker Rückgang des Spreads zu beobachten. Die geldpolitische Ausrichtung der Zentralbank scheint also eine große Rolle für das Kreditrisiko auf dem Interbankenmarkt zu haben. Ganz anders dagegen die TAF-Ankündigungen: Obwohl sie bei ihrer Einführung Mitte Dezember den Spread durchaus kurzfristig senken konnten, scheint er sich inzwischen bei ungefähr 80 Basispunkten stabilisiert zu haben. Eine Anwendung dieser Methodik für die EZB führt zu ganz ähnlich Resultaten, wie die Abbildung 5 verdeutlicht. Untersucht wird wieder die Beziehung zwischen Libor-OIS-Spread (diesmal für Euribor und Eonia Swap Zins) und den Tagen, an denen die EZB Langfristoperationen durchgeführt hatte. Man kann gut erkennen, dass die Häufigkeit dieser Operationen seit Beginn der Krise zugenommen hat, ein Rückgang des Spreads lässt sich aber nur selten beobachten. Interessanterweise sind die beiden stärksten Reduktionen des Spreads genau zu Zeiten geschehen, in denen keine einzige EZB-Langfristoperation stattgefunden hat (vergleiche Oktober 2007 und Januar 2008). Eindeutig eine Kreditkrise Die Analyse der Auswirkungen von Fed-TAF und EZB-Langfristoperationen lässt also wenig Zweifel daran, dass sich diese Zentralbankaktionen kaum auf die relevanten Risikoprämien im Geldmarkt ausgeübt haben. Änderungen der Leitzinsen - und eine damit verbundene geldpolitische Ausrichtung - haben dagegen eine nicht zu vernachlässigende Wirkung auf den Spread, also auf die Risikoprämien und letztlich dann auch auf die Realwirtschaft. Diese Analyse ist ein klares Indiz dafür, dass es sich keineswegs nur um eine Liquiditäts-, sondern eindeutig um eine Kreditkrise handelt. Die Umstellung auf längerfristige Liquiditätsoperationen sowie der Versuch der Fed, durch Umschichtung der Aktiva den Anleihenmarkt wieder in Gang zu bringen, konnte allenfalls kurzfristige Erleichterung bringen. Dies lässt darauf schließen, dass die Turbulenzen länger anhalten werden. Inflationserwartungen: Die starken Zinssenkungen brachten der Fed den Vorwurf ein, damit ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Inflationsbekämpfung aufs Spiel zu setzen. Der lange anhaltende Trend steigender Rohstoff-und Nahrungsmittelpreise verstärkte diesen Eindruck. Angesichts der hohen Verschuldung der USA gegenüber dem Rest der Welt, die starke Anreize für höhere Inflation mit sich bringt, ist dieser Vorwurf von besonderer Brisanz. Das entscheidende Kriterium für die Glaubwürdigkeit sind letztlich die langfristigen Inflationserwartungen. Es gibt freilich ganz unterschiedliche Maße für diese Erwartungen, die durchaus widersprüchliche Signale liefern. Ein repräsentatives Maß für umfragebasierte Inflationserwartungen in den USA liefert der SPF forecast, der vom Survey of Professional Forecasters erstellt wird. Die Cleveland Fed ermittelt Inflationserwartungen dagegen aus der Differenz zwischen nominalen und inflationsindexierten US-Staatsanleihen (TIPS). Sie nimmt dabei aber einige Anpassungen vor, die für verschiedene Liquiditätsprämien korrigieren sollen. Die Abbildung 6 aus Kajuth und Watzka (2008) präsentiert diese beiden Zeitreihen und vergleicht sie zudem mit einem dritten Maß für Inflationserwartungen, das von Kajuth und Watzka erstellt wurde. Es folgt der Methode der Cleveland Fed, benutzt aber ein plausibleres Maß zur Messung der Liquiditätsprämien, das das tatsächliche Transaktionsvolumen berücksichtigt. Abhängig vom Messverfahren Die Abbildung zeigt deutlich, dass die Art und Weise, wie Inflationserwartungen gemessen werden, ganz entscheidenden Einfluss hat. Vertraut man der Methode der Cleveland Fed, so sind die Inflationserwartungen in den USA mit der neuen geldpolitischen Ausrichtung der Fed tatsächlich stark angestiegen. Im Gegensatz dazu geben die Ergebnisse vom SPF und von Kajuth und Watzka keinen Anlass zur Sorge vor einer Loslösung der Inflationserwartungen vom "verankerten" niedrigen Niveau. Langfristzinsen und Hypothekenzinsen in den USA: Um die Einschätzung der Effekte der Maßnahmen der Fed auf die Realwirtschaft zu vervollständigen, wird abschließend noch die Entwicklung von Langfristzinsen und Hypothekenzinsen in den USA betrachtet. Die Abbildung 7 zeigt, dass mit dem Rückgang des US-Leitzinses anfangs zwar durchaus auch Langfrist- und Hypothekenzinsen in den USA fielen. Insofern wirkten die Zinssenkungen tatsächlich stimulierend auf die Güternachfrage. Allerdings verharren die besonders in Zeiten der Immobilienpreiskrise so wichtigen Hypothekenzinsen bei über sechs Prozent; sie sind seit dem zweiten Quartal dieses Jahres sogar wieder leicht angestiegen. Die realwirtschaftlichen Konsequenzen werden in den kommenden Quartalen sowohl an den Immobilieninvestitionen wie an Gesamtproduktion und Beschäftigung abzulesen sein. Aus heutiger Sicht scheint die Krise auf den Finanzmärkten noch in vollem Gang; die massive Erosion des Eigenkapitals vieler internationaler Banken macht eine Kreditklemme wahrscheinlich, die erst allmählich voll auf die Realwirtschaft durchschlagen wird, dann aber um so nachhaltige Spuren hinterlassen wird. Es wäre überraschend, wenn sich der Euroraum von dieser Entwicklung abkoppeln könnte. Wir danken Patrick Urbanke für die engagierte Bereitstellung und Bearbeitung der Daten aus Datastream sowie des Federal Reserve Statistical Release. Literatur Adrian, Tobias and Hyun Shin, (2008) Liquidity, Monetary Policy, and Financial Cycles, New York Fed Current Issues in Economics and Finance, Volume 14, 1, 1-7 Brunnermeier, Markus (2008), Deciphering the 2007-08 Liquidity and Credit Crunch, Journal of Economic Perspectives, forthcoming Buiter, Willem (2008), Lessons from the North Atlantic financial crisis, LSE London, mimeo Cao, Jin /Gerhard Illing (2008) Endogenous Systemic Liquidity Risk, Münchener Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge 2008-09 Illing, Gerhard (2005) How to escape contagion in the interest rate trap, in: R. König and H. Remsperger (eds.), Financial Stability and Globalisation, Deutsche Bundesbank, Frankfurt, 49 bis 62, 2005 Kajuth, Florian und Sebastian Watzka (2008), Inflation expectations from index-linked bonds: Correcting for liquidity and inflation risk premia, Münchener Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge 2008-13 McAndrews, James, Asani Sarkar and Zhenyu Wang, The Effect of the Term Auction Facility on the London Inter-Bank Offered Rate, Fed New York Staff Report no. 335, July 2008 Taylor, John B. (2007), Housing and Monetary Policy, NBER Working Paper 13682 Taylor, John B. and John Williams (2008) A Black Swan in the Money Market, Working Paper 2008-04, Federal Reserve Bank of San Francisco

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