Aufsätze

Eine Neubewertung der geldpolitischen Reaktionen von EZB und Fed auf die Finanzkrise

Aufgrund der globalen Verflechtungen des internationalen Finanzsystems breitete sich die anfangs auf den amerikanischen Sub-prime-Markt konzentrierte Krise schnell zu einer internationalen Banken- und Finanzkrise aus, die eine weltweite Rezession auslöste.

Geldpolitische Reaktionen der Fed und der EZB

Zunächst versuchten Fed und EZB vor allem, die Geldmärkte zu beruhigen; sie konzentrierten sich auf die Stabilisierung der kurzfristigen (ungesicherten) Refinanzierungsmärkte der Banken untereinander. Die Zinsspreads auf diesem Markt signalisierten im Sommer 2007 gravierende Probleme der Banken. Die Zentralbanken traten zunächst als typischer Lender-of-last-resort auf, der kurzfristig Liquidität bereitstellt. (Die EZB intervenierte mit einer Feinsteuerungsoperation mittels Mengentender am 9. August 2007 in Höhe von 95 Milliarden Euro.) Schon in dieser frühen Phase der Finanzmarktkrise haben Fed und EZB aber auch über eine qualitative Umschichtung ihrer Vermögenswerte indirekt Einfluss auf den Kapitalmarkt genommen. So wurden verstärkt verbriefte Wertpapiere als Sicherheiten in den Offenmarktgeschäften mit den Geschäftsbanken angenommen.

Schnelle Zinssenkungen der Fed, erst späte Zinssenkungen der EZB: Die amerikanische Notenbank hat ähnlich wie nach dem Platzen der Dot-com-Blase im Jahr 2001 vom Sommer 2007 an die Leitzinsen von 5,25 auf einen Korridor von 0 bis 0,25 Prozent (Dezember 2008) gesenkt. Mit diesen Zinssenkungen, einer traditionellen monetären Lockerung, sollten sowohl die Geldmärkte beruhigt als auch über Weitergabe der Zinssenkungen an Unternehmen und Haushalte, die Konjunktur angekurbelt werden.

Anders als die Fed hat die EZB aufgrund von Befürchtungen von Inflationsrisiken durch hohe Ölpreise noch im Sommer 2008 die Leitzinsen leicht erhöht, um dann im Herbst 2008 bedingt durch die Lehman-Pleite die Leitzinsen sukzessive auf auch für die EZB historisch niedrige ein Prozent zu senken (seit 13. Mai 2009).

Seit Lehman Ausdehnung der Geldbasis - Quantitative Lockerung oder Rekapitalisierung des Bankensektors? Nach der Lehman-Pleite im September 2008 reagierten die Zentralbanken nicht nur mit drastischen Zinssenkungen, sondern weiteten auch ihre Bilanzen aus: Fed und EZB weiteten ihre Geldbasen weit aus. Die Fed sah sich gezwungen, die Märkte für riskante und illiquide gewordene Wertpapiere wie MBS, ABS und CDOs zu stützen und teilweise diese Risiken aus den Bilanzen der Banken zu übernehmen. Sie stützte speziell den Markt für sogenannte Commercial Paper, die von Banken und Unternehmen zur kurzfristigen Finanzierung benutzt werden, sowie den Markt für MBS. Auch die EZB stützte den Pfandbriefmarkt (Covered Bonds Programme mit 60 Milliarden Euro). Seit Mai 2010 stützt sie im Zuge der Griechenlandkrise durch direkte Käufe auch den Markt für Staatsanleihen (Security Markets Programme mit ebenfalls 60 Milliarden Euro Ende September 2010).

Ausdehnung der Geldbasis

Diese Ausdehnung der Geldbasis war aber bislang nicht gleichbedeutend mit einer sogenannten quantitativen Lockerung. Quantitative Easing (QE) wirkt über die Passivseite der Zentralbankbilanz, das heißt die Zentralbank erhöht durch den Aufkauf von Wertpapieren die Liquiditätsreserven der Banken. Das Ziel von QE besteht dabei darin, diese Reserven über neue Kredite der Banken an Haushalte und Unternehmen in Sichteinlagen umzuwandeln. Damit erhöht sich das M3-Wachstum, um die Realökonomie zu stimulieren. Die Bilanzausweitung von Fed und EZB verfolgte dieses Ziel zunächst allerdings wohl nicht: Durch die von der Fed neu eingeführten Zinszahlungen auf Überschussreserven und die Verzinsung von Guthaben auf der Einlagenfazilität der EZB haben Banken weniger Anreiz, ihre zusätzlichen Reserven über neue Kredite in den Wirtschaftskreislauf zu geben.

So nahm die Reservehaltung der Geschäftsbanken bei den Zentralbanken stark zu - ohne dass diese in Kredite und Sichteinlagen umgewandelt wurden (vergleiche Abbildung III der Langversion). Dies wird auch deutlich, wenn man die unterschiedlichen Verläufe von Geldbasis und M2 beobachtet: Während die Geldbasis stark von den Zentralbanken aufgebläht wurde, ist M2 während der Finanzkrise bislang kaum gewachsen (vergleiche auch Abbildung 2).

Diese Art der Bilanzausdehnung muss effektiv als Rekapitalisierungsmaßnahme des Bankensektors betrachtet werden: Banken kommen aktuell zu sehr günstigen Konditionen zu Zentralbankgeld mit ungewöhnlich langer Laufzeit.1) Sofern diese niedrigen Zinsen nicht an Haushalte und Unternehmen weitergegeben werden, erhöhen die Banken ihre Margen und können sich über einbehaltene Gewinne leichter rekapitalisieren.

Transmissionsmechanismen und Auswirkungen der Geldpolitik

Bei einer Betrachtung der Auswirkungen der verschiedenen geldpolitischen Maßnahmen stellen sich mindestens zwei wesentliche Probleme: Zum einen haben Zentralbanken und Regierungen angesichts der Schwere der Krise gleich mehrere expansive Maßnahmen durchgeführt. Die Identifikation einer einzelnen Maßnahme wird dadurch erheblich erschwert. Zum anderen ist das Counterfactual nicht bekannt, das heißt, man weiß - ausgehend von der einzig beobachteten Realität - nicht, ob die Maßnahmen wirkten, in dem Sinne, dass ohne sie die Krise schlimmere Ausmaße angenommen hätte, oder ob sie nicht wirkten, in dem Sinne, dass ohne sie die Krise dieselben oder bessere Ausmaße angenommen hätte. Dennoch wird hier kurz auf drei mögliche Wirkungsmechanismen der Geldpolitik eingegangen.

Wichtigster Transmissionskanal der Geldpolitik ist der sogenannte Zinskanal. Die Leitzinssenkungen der Zentralbank werden von den Banken an Unternehmen und Haushalte weitergegeben. Seit Dezember 2008 befinden sich die Leitzinsen aber bereits bei knapp über null Prozent. Weil der Nominalzins nicht unter Null sinken kann, ist dieser Kanal momentan nicht mehr wirksam.

Derzeit funktionieren die kurzfristigen ungesicherten Geldmärkte immer noch nicht einwandfrei. Zum einen herrscht noch Unsicherheit bei den Banken über das Gegenparteirisiko, zum anderen agieren die Zentralbanken inzwischen als Intermediäre in vielen Märkten, und die Märkte wiederum scheinen stark segmentiert zu sein. Solvente Banken können sich relativ problemlos am Markt refinanzieren, angeschlagene Banken sind von den Zentralbanken abhängig.

Die Zinssenkungen der Zentralbanken wurden bislang nur bedingt an Haushalte und Unternehmen weitergegeben (vergleiche Abbildung 1). Im Euroraum fielen mit den Zinssenkungen der EZB zwar die Kreditzinsen der Banken, aber aufgrund einer Flucht in sichere Anleihen ("Flight-to-Safety") kam es auch zu verstärkter Nachfrage nach Bundesanleihen; mit dem Ergebnis, dass die Spreads für Haushalte und Unternehmen im Euroraum momentan immer noch deutlich höher sind als vor der Finanzkrise.

Ein zweiter wichtiger Transmissionsmechanismus der Geldpolitik, besonders in der aktuellen Nullzinsperiode, ist der sogenante Kreditkanal, der sich aufteilt in den Bilanzkanal und den Kreditvergabekanal (vergleiche Bernanke und Gertler, 1995).

Bilanz- und Kreditvergabekanal

Beim Bilanzkanal verbessert sich bei Zinssenkungen die Eigenkapitalposition von Unternehmen, da zum einen kurzfristige Verbindlichkeiten nun zu niedrigeren Zinsen für Refinanzierungszwecke genutzt werden können und zum anderen Vermögenswerte als Kollateral durch niedrigere Zinsen tendenziell an Wert gewinnen. Somit fällt die sogenannte Fremdfinanzierungsprämie; Unternehmen können durch verstärkte Kreditaufnahme mehr Investitionen tätigen. Dieser Mechanismus verstärkt also den traditionellen Zinskanal. Empirisch ist es aber schwierig nachzuweisen, aus welchen genauen Gründen sich Kreditvergabe und Investitionen verändern. Außerdem lagen die wesentlichen Probleme der Finanzkrise, bedingt durch Abschreibungen auf Vermögenswerte, bei den Banken, nicht bei den Unternehmen. Insofern war nicht die Eigenkapitalposition der Unternehmen geschwächt, sondern die der Banken. Diese galt es zu verbessern - hauptsächlich durch Übernahme von Risiken durch die Zentralbanken, sowie durch staatliche Rettungspakete für den Finanzsektor.

Durch die Nullzinsgrenze können Fed und EZB aktuell über den Bilanzkanal kaum weiter stimulierend auf Kreditvolumina und Investitionstätigkeit einwirken. Trotzdem könnte die Geldpolitik über den sogenannten Kreditvergabekanal versuchen, die Banken zur Kreditvergabe anzuregen. Der Kreditvergabekanal wirkt über die Erhöhung von Reserven der Geschäftsbanken durch Offenmarktgeschäfte bei Zinssenkungen. Da Fed und EZB Überschussreserven in der Vergangenheit nicht verzinst haben, waren die Opportunitätskosten der Reservehaltung hoch. Die zusätzlichen Reserven wurden von den Banken in Form von Krediten weiter an Haushalte und Unternehmen gegeben. Diese Weitergabe wiederum erhöhte die Sichteinlagen in der Ökonomie, sodass auch breitere Geldmengenaggregate wie M2 und M3 anstiegen. Wieder verstärkt dieser Effekt den traditionellen Zinskanal.

In der aktuellen Situation erschweren zwei Probleme die Wirkung dieses Kreditvergabekanals: Zum einen hat die Fed im Oktober 2008 angefangen, Überschussreserven zu verzinsen.2) Das senkte die Opportunitätskosten der Reservehaltung erheblich. Die Banken erhöhten daraufhin - anstelle ihre Reserven in Form von Krediten weiterzugeben - ihre Reservehaltung bei der Fed enorm. Darüber hinaus ist natürlich auch die Unsicherheit mancher Banken bezüglich ihrer Refinanzierungsbedingungen in der Krise deutlich gestiegen - ein weiterer Grund für die aktuell sehr hohe Reservehaltung.

Liquiditätsfalle

Das zweite Problem in der aktuellen Nullzinsphase hängt mit der Theorie der Liquiditätsfalle zusammen. In einer Liquiditätsfalle werden Geld und Staatsanleihen zu Substituten. Alle privaten Wirtschaftsakteure versuchen, nur Geld zu halten, da sie bei Wertpapierhaltung im Falle eines zukünftigen Zinsanstiegs über die Wertverluste der Anleihen Verluste erleiden würden. Das bedeutet wiederum, dass sowohl Banken als auch Haushalte bereit sind, ihre Reserven, beziehungsweise ihr Bargeld einfach zu horten - anstelle es in Form von Krediten oder Kauf von Wertpapieren oder Aktien zur Stimulierung der Wirtschaft zu verwenden. Traditionelle Geldpolitik ist in einer solchen Situation wirkungslos: Sie kann zwar die Geldbasis beliebig ausdehnen, hat aber keinen Einfluss mehr auf M2 oder M3.

Die Auswirkungen der beiden Probleme ist in den Daten gut zu erkennen: Abbildung 2 zeigt, dass obwohl Fed und EZB die Geldbasis enorm ausgeweitet haben (Fed 2,6 mal so hoch wie vor der Krise, EZB 1,6 mal so hoch), dies kaum einen Einfluss auf die Entwicklung von M2 hatte. Dies ist besonders im Euroraum interessant, da hier das M3-Wachstum vor der Krise bis zu zwölf Prozent pro Jahr betrug, die Geldbasis davor aber stetig langsam anstieg. Nun hat sich diese Relation umgedreht: Die Zentralbanken weiteten die Geldbasis enorm aus, doch hat sich dies noch nicht auf breitere Geldmengenaggregate ausgewirkt. Zu beobachten ist in Abbildung 2 auch, dass besonders die Kredite an Unternehmen in der Finanzkrise zurückgegangen sind.

Risikokanal

Worin lag die eigentliche Motivation von Fed und EZB für die Ausdehnung der Geldbasis? Die Fed bezeichnet diese Maßnahmen als sogenanntes "credit easing", um sich bewusst vom QE abzugrenzen. Beim credit easing sollen gezielt drei Institutionen gestärkt werden: Banken, einzelne Kredit- und Kapitalmärkte3) und die Märkte für längerfristige Anleihen wie längerfristige US-Staatsanleihen und MBS. Die Zentralbanken übernahmen also private Risiken und erhofften sich dadurch eine Verbesserung des Funktionierens von Banken und Finanzmärkten, sodass diese wieder ihr traditionelles Geschäft der Kreditintermediation verfolgen konnten. Gleichzeitig fürchten die Zentralbanken, dass die Ausdehnung der Geldbasen inflationär oder sogar hyperinflationär wirken könnte.

Risikokanal und Gefahr von Niedrigzinspolitik: Schließlich soll hier noch kurz ein neuer Transmissionmechanismus der Geldpolitik angesprochen werden, der sogenannte "risk-taking channel".4) Beim Risikokanal werden Banken zum einen aufgrund der niedrigen Zentralbankzinsen indirekt angeregt, sich nach höheren Renditen umzusehen und in riskantere Projekte zu investieren. Zum anderen erhöhen niedrige Zinsen Vermögenswerte, Einkommen und Cash-Flows, sodass Banken unter Umständen ihre Risikomodelle oder zumindest ihre Risikowahrnehmung verändern. Gambacorta (2009) und Altunbas et al (2010) zeigen in empirischen Studien, dass ein länger anhaltendes niedriges Zinsniveau die Risikoaufnahme von Banken erhöht. Ähnlich warnen auch Rajan (2010) und Hamilton (2010), dass die aktuell sehr niedrigen Zinsen falsche Anreize setzen und sich die nächste Blase bereits bilden könnte. Illing (2004) argumentiert, dass durch die Zinssenkungen der Fed nach der Dot-com-Blase und die folgende, lang anhaltende Niedrigzinspolitik Banken, Unternehmen und Haushalte sich hoch verschuldeten, wodurch die US-Wirtschaft anfällig für Leitzinserhöhungen wurde. Insofern stand die Fed nun vor einem völlig gegensätzlichen Dilemma als dem der Liquiditätsfalle: Sie konnte die Zinsen nicht mehr beliebig erhöhen, ohne negative Effekte auf Finanzmärkten und bei Unternehmen und Haushalten auszulösen.

Verschuldungskrise, Deflationsgefahr und realwirtschaftliche Entwicklung

Ein Blick auf die Entwicklung der langfristigen Zinsen auf deutsche und US-Staatsanleihen und Hypotheken zeigt, dass sich diese momentan auf einem historischen Tiefstand befinden (vergleiche Abbildung VII in der Langversion). Es ist also durchaus möglich, dass diese historisch niedrigen Zinsen wieder zu exzessiver Verschuldung und neuer Risikoaufnahme seitens des Bankensektors führen könnten.

Nachdem die Auswirkungen der geldpolitischen Maßnahmen und ihre Wirkungsweisen besprochen wurden, geht es nun um die eigentlichen Besonderheiten und Gefahren der aktuellen Finanzkrise.

Wie eingangs erwähnt, ist die Verschuldung amerikanischer Haushalte ungefähr seit der Jahrhundertwende stark angestiegen. Die Verschuldung amerikanischer Haushalte - gemessen am verfügbaren Einkommen - stieg auf fast 140 Prozent. Im Bankensektor wurden zu dieser Zeit aufgrund eines extrem hohen Anteils von Fremdfinanzierung hohe Renditen erzielt. Dieser sich aufbauende Leverage führte zunächst zu einer sich selbst verstärkenden Spirale aus sich erhöhender Verschuldung, sich erhöhenden Vermögenspreisen (bei recht fixem Angebot), und der weiteren Verschuldung durch den höheren Kollateralwert. Als sich diese positive Spirale mit dem Fall der Immobilienpreise und dem damit einhergehenden Verfall von Wertpapierpreisen in einen Teufelskreis umkehrte, kam es zum sogenannten Deleveraging.

Dabei ist es interessant das Nettovermögen (Abbildung 3) mit der Verschuldungsquote (Abbildung I in der Langversion) zu vergleichen. Obwohl die amerikanischen Haushalte versuchen, ihre Schulden abzubauen und damit auch tatsächlich die Schuldenquote seit ungefähr 2008 zurückgegangen ist, ist der Einbruch des Nettovermögens der Haushalte seit dem zweiten Quartal 2007 doch noch viel stärker. Das bedeutet natürlich, dass die Haushalte nicht nur über Deleveraging versucht haben, ihre Schulden abzubauen, sondern dass sich auch ihre Vermögensposition verschlechterte, da ja Hauspreise und Wertpapierpreise weiterhin stark gefallen sind. Die Vermögensposition der Haushalte hat sich also stärker verschlechtert, als sich ihre Schuldenposition verbessert hat. Folglich ist das Nettovermögen der Haushalte bis zum ersten Quartal 2009 um 30 Prozent gefallen. Dieser Rückgang im Nettovermögen amerikanischer Haushalte ist der stärkste seit dem Zweiten Weltkrieg und sogar ähnlich stärk wie während der Großen Depression, als amerikanische Haushalte knapp über zehn Prozent ihres Nettovermögens verloren (vergleiche Mishkin, 1978). Er ist der Hauptgrund warum die wirtschaftliche Erholung in den USA auf wackeligen Beinen steht.

Schuldenproblematik und Preisniveau

Ein weiteres, mit der oben diskutierten Schuldenproblematik eng verwandtes Problem, ist die Entwicklung der Preisniveaus in den USA und im Euroraum. Ist die Inflation niedriger als erwartet, dann steigt die reale Schuldenlast; für Kreditnehmer wird es schwieriger werden, ihre Schulden zu bedienen und zu tilgen. Kommt es gar zu Deflation, würden auch Konsumentscheidungen von dauerhaften Gütern und Investitionen in die Zukunft verschoben. Die aktuell hohe reale Zinsbelastung für die Schuldner ist ein wesentlicher Faktor für die träge Wirtschaftsentwicklung in den USA: Die Fed ist derzeit bemüht, aktuelle Inflationsraten, auf die sie natürlich nur mit Verzögerung einwirken kann, sowie Inflationserwartungen möglichst stabil bei ungefähr zwei Prozent zu halten. Allerdings spricht manches dafür, die Inflationserwartungen temporär stärker steigen zu lassen, um einer drohenden Liquiditätsfalle zu begegnen.

Seit der Finanzkrise wird intensiv diskutiert, wie hoch die optimale Inflationsrate in modernen Ökonomien sein sollte. Blanchard et al (2010) argumentieren in einer IWF-Studie, dass die optimale Inflationsrate durchaus bei vier Prozent liegen könnte. Aufgrund von Nominallohnrigiditäten könnten etwa Reallohnsenkungen am Arbeitsmarkt bei einer etwas höheren Inflationsrate leichter durchgesetzt werden, die Zinsuntergrenze von Null würde bei negativen Schocks seltener bindend.

Die Steuerung des Preisniveaus wäre ein mögliches Instrument, um höhere Inflationserwartungen temporär, aber nicht dauerhaft zu erzeugen. Eine Preisniveausteuerung bedeutet die Ankündigung, nicht die Inflationsrate, sondern das Preisniveau auf einem stabilen Pfad zu halten. Sobald die Inflation (wie derzeit) temporär sinkt, würde sie dann später automatisch stärker steigen, um so wieder auf den ursprünglich angestrebten Preispfad zurückzukehren.

Outputlücken - signifikante Disinflation - schwache Arbeitsmarktentwicklung

Die Inflationsraten im Euroraum und den USA sind seit Beginn der Krise deutlich zurückgegangen (vergleiche Abbildung IX in der Langversion). Im Sommer 2008 kam es aufgrund der damaligen hohen Ölpreise vorübergehend zu einem Anstieg der Inflationsraten. Kerninflationsraten, die Preise für Energie und Nahrungsmittel nicht berücksichtigen, waren aber vom Ölpreisanstieg nicht betroffen. Aufgrund der wirtschaftlich schwachen Entwicklung und der resultierenden Outputlücke sind die Kerninflationsraten seitdem weiter gefallen. Sie liegen in den USA und im Euroraum momentan bei ungefähr einem Prozent, damit deutlich unter zwei Prozent.

In einer IWF-Studie (Meier, 2010) wird gezeigt, dass es in Episoden mit andauernd großen Outputlücken zu signifikanter Disinflation und schwacher Arbeitsmarktentwicklung kommt. Allerdings wird die resultierende Disinflation bei niedrigen Inflationsraten vermutlich aufgrund von Nominallohnrigiditäten und wohl-verankerten Inflationserwartungen leicht abgeschwächt, sodass die Gefahr einer negativen deflationären Spirale begrenzt ist. Sobald aber die Inflationserwartungen dauerhaft sinken, würde dieser stabilisierende Effekt außer Kraft gesetzt.

Die Zentralbanken sehen sich derzeit dem Problem ausgesetzt, dass sie auf der einen Seite leicht inflationäre Erwartungen schüren müssten, um den Realzins wegen der Nullzinsgrenze zu senken. Andererseits wollen sie ihre hart erworbene Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen und hohe Inflationsraten oder gar eine Hyperinflation um jeden Preis verhindern. Insofern steht Geldpolitik vor einer schwierigen Gratwanderung: Es gilt sowohl weitere Disinflation und Deflation als auch hohe Inflation und Hyperinflation zu vermeiden.

Hilfreich ist ein Blick auf die Entwicklung der Inflationserwartungen. Abbildung X in der Langversion zeigt Inflationserwartungen im Euroraum und den USA. Für beide Währungsräume werden sowohl finanz-markt-basierte Inflationserwartungen, sogenannte BEIRs5) als auch umfragebasierte Inflationserwartungen des Survey of Professional Forecasters (SPF) benutzt. Die Interpretation der finanzmarkt-basierten Inflationserwartungen wird momentan etwas erschwert, da die aktuellen Verwerfungen auf einigen Finanzmärkten zu ungewöhnlich hohen Risikoprämien geführt haben (vergleiche Kajuth und Watzka, 2008).

Trotz dieser Einschränkungen ist die Botschaft der aktuellen BEIRs klar: Auch wenn es zur Lehman-Krise aufgrund der Verwerfungen zu turbulenten Entwicklungen der BEIRs kam, so zeigen die längerfristigen Entwicklungen besonders von den 5-Jah-res-Inflationserwartungen für den Euroraum und die USA einen Rückgang von knapp über 2,0 Prozent auf aktuell zirka 1,5 Prozent. Diese Botschaft wird von den umfragebasierten Inflationserwartungen des SPF gestützt: So sind die mittelfristigen Inflationserwartungen im Euroraum von zirka zwei Prozent auf ungefähr 1,6 bis 1,7 Prozent gefallen, die in den USA von 2,5 Prozent auf knapp über 2,0 Prozent (vergleiche Abbildung X in der Langversion).

Reale BIP-Entwicklung und Arbeitslosenquoten

Wenn auch das NBER Konjunktur-Komitee die Rezession in den USA schon 2009 für offiziell beendet erklärte, bleibt dort die realwirtschaftliche Entwicklung noch auf recht wackeligen Beinen. Angesichts anhaltender Probleme auf dem amerikanischen Immobilienmarkt, weiterhin hoher Arbeitslosigkeit, dem Rückgang von Haushaltvermögen und Einkommen sind die Risiken für eine sogenannte double-dip-Rezession durch frühzeitiges Beenden beziehungsweise Nicht-Verlängern der expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen in den letzten Wochen wieder leicht gestiegen.

Im Euroraum prägen heterogene Differenzen das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung. Länder wie Deutschland erholen sich derzeit gut, vor allem mit hohen Wachstumsraten bei den Exporten, die sich auch auf hohe BIP-Wachstumsraten durchschlagen und einer insgesamt positiven Stimmung in der Wirtschaft. Offensichtlich war der Exportrückgang, der die deutsche Wirtschaft 2008/2009 heftig traf, eher temporärer Natur. Die deutsche Wirtschaft scheint strukturell stabil. Insofern ist ein zügiger Rückgang zum Potenzialoutput nicht überraschend. Deutschland hatte keine Blase im Immobilienmarkt; der Arbeitsmarkt wurde mittels aktiver Konjunkturprogramme, insbesondere der Einführung von Kurzarbeit gut abgeschirmt. Allerdings könnten sich auch hierzulande noch Probleme durch den angeschlagenen Finanzsektor ergeben.

Für den Euroraum reicht aber ein enger Fokus auf Deutschland nicht aus: Länder wie Spanien, Irland, Griechenland und Portugal stehen weiterhin vor großen wirtschaftlichen Problemen. Wie die USA, so erlebten auch Spanien und Irland eine enorme Blase bei den Immobilienpreisen und dadurch exzessiven Konsum und Investitionen, die sich zu Beginn des Jahrzehnts in hohen BIP-Wachstumsraten niederschlugen. Seit dem Platzen der Blase leiden diese Länder unter wirtschaftlicher Stagnation, hoher Arbeitslosigkeit und einem Rückgange der Preisniveaus. Verglichen mit den USA ist das reale BIP im Euroraum sogar stärker eingebrochen. Obwohl sich beide Regionen bereits wieder erholen, sind sie doch noch von den Niveaus im Jahre 2007 entfernt. Die Arbeitslosenquote ist im Euroraum und den USA auf momentan zirka zehn Prozent angestiegen. Allerdings war das Niveau vor der Krise im Euroraum mit sieben bis acht Prozent deutlich höher als in den USA mit einer Arbeitslosenquote von zirka fünf Prozent vor der Krise.

Vergleich mit der Großen Wirtschaftskrise

Im Vergleich mit der Großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre hat sich die aktuelle Finanzkrise auf die realwirtschaftliche Entwicklung bislang relativ milde ausgewirkt. Offensichtlich haben die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen stabilisierend gewirkt. Dazu trägt auch bei, dass die meisten modernen Volkswirtschaften heute über weit mehr automatisch wirkende Stabilisatoren verfügen als die Volkswirtschaften zurzeit der Großen Wirtschaftskrise. So brach das reale BIP während der Großen Wirtschaftskrise in den USA um fast 30 Prozent ein, das BIP in Deutschland um 20 Prozent. Die Arbeitslosenquoten stiegen in den USA auf 25 Prozent, in Deutschland sogar auf 30 Prozent.

Aufgrund entsprechendem "Lender-of-last-Resort"-Verhalten von EZB und Fed kam es zudem nicht zu der hohen Anzahl von Bankenzusammenbrüchen, die in der Großen Wirtschaftskrise Länge und Tiefe dieser Krise enorm verstärkten (vergleiche Abbildung XIII in der Langversion, und Bernanke 1983). Während 1933 4000 Banken in den USA zusammenbrachen, waren es 2009 gerade mal 140, und damit auch noch weniger als während der Sa-vings-&-Loans-Krise Ende der achtziger Jahre. Fed und EZB ist es also - zumindest im Vergleich zur Großen Wirtschaftskrise bislang durchaus erfolgreich gelungen, die negativen Auswirkungen auf den Finanzsektor und darüber hinaus auf die Realwirtschaft einigermaßen abzufedern.

"Quantitative Lockerung 2" und Inflationserwartungen?

Da die Fed, anders als die EZB, als Ziel auch einen möglichst hohen und nachhaltigen Beschäftigungsstand hat, haben sich in den letzten Wochen mehrere Fed-Ökonomen für eine weitere Lockerung der Geldpolitik Anfang November 2010 ausgesprochen. In der Öffentlichkeit wird dies mit "Quantitative Easing 2" (QE2) bezeichnet. Letztlich geht es dabei um den Versuch, die langfristigen Zinsen auf Staatspapiere noch weiter zu senken. Schon nach den Äußerungen prominenter Fed-Ökonomen im September sind die Zinsen auf 10-jährige US-Staatsanleihen um 40 Basispunkte gefallen. Offensichtlich rechneten die Finanzmärkte bereits damit, dass die Fed verstärkt langfristige US-Staatsanleihen aufkaufen wird. In einer empirischen Studie zeigen Hamilton und Wu (2010), dass ein zusätzlicher Aufkauf von langfristigen US-Staatsanleihen durch die Fed im Wert von 400 Milliarden US-Dollar den 10-Jahres-Zins um etwa 14 Basispunkte senken würde. In einer ähnlichen Studie finden Gagnon et al (2010), dass ein solcher Aufkauf den 10-Jahres-Zins um 20 Basispunkte senken würde.

Interessanterweise ist aber gar nicht evident, ob ein weiterer Rückgang des Langfristzinses wirklich als Erfolg zu interpretieren wäre. Schließlich können sowohl der Realzins, als auch die Inflationserwartungen gefallen sein. Letzteres wäre jedoch momentan genau das Gegenteil von dem, was die Fed durch ihre Maßnahmen erreichen möchte. Gelingt es ihr dagegen, durch eine weitere Lockerung die Inflationserwartungen der privaten Akteure positiv zu beeinflussen, sollten die langfristigen Zinsen eher steigen. In der Tat sind die Zinsen auf 10-jährige US-Staatsanleihen seit Oktober wieder um 30 Basispunkte angestiegen. Dies scheint sich auch in den jüngst wieder leicht angestiegenen Break-Even Inflation Rates widerzuspiegeln.

Die Langfristzinsen in den USA sind bereits auf historisch niedrigem Niveau. Insofern verfügt die Fed nur noch über begrenzte Möglichkeiten, diese Zinsen noch weiter zu senken. Geldpolitik kann nicht alle wirtschaftlichen Probleme lösen. Eigentlich sollte die Fed momentan versuchen, die Inflationserwartungen zu erhöhen. Davor scheut sie derzeit aber noch zurück, um die hart erarbeitete Glaubwürdigkeit ihrer Geldpolitik nicht zu verspielen. Die Herausforderung besteht darin, unnötig hohe Inflationsraten oder gar Hyperinflation auf jeden Fall zu vermeiden. Es gibt nur wenige Optionen, um die Inflationserwartungen angemessen zu erhöhen: Die glaubwürdige Ankündigung eines höheren Inflationsziels ist eine Möglichkeit, Preisniveausteuerung eine andere. All diese Maßnahmen sind bislang unerprobt und mit hohen Risiken verbunden. Es bleibt abzuwarten, welchen Weg die amerikanische Geldpolitik einschlagen wird.

Regionale Unterschiede im Euroraum

Im Euroraum erscheint die Situation momentan nicht ganz so dramatisch. Die Staatsschuldenkrise von Griechenland hat sich vorerst zumindest einigermaßen beruhigt. Die deutsche Wirtschaft wächst wieder stark und beeinflusst damit auch die Wachstumsraten im Euroraum insgesamt positiv. Die EZB erwägt schon den Ausstieg aus den Stützungsmaßnahmen. Aber gerade die Griechenland-Krise hat auch im Euroraum gezeigt, wie anfällig die Ökonomien momentan für Unsicherheiten und Schocks sind. Zudem sind die regionalen Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung im Euroraum eher größer als in den USA. Das stellt die einheitliche Geldpolitik der EZB vor enorme Herausforderungen. Es bleibt zu hoffen, dass es gelingt, diese Herausforderungen zu meistern.

Literatur

Altunbas, Gambacorta und Marques-Ibanez, Does Monetary Policy Affect Bank Risk-Taking, ECB Working Paper 1166, 2010.

Bernanke, Nonmonetary Effects of the Financial Crisis in the Propagation of the Great Depression, American Economic Review, 1983.

Bernanke und Gertler, Inside the Black Box: The Credit Channel of Monetary Policy Transmission, Journal of Economic Perspectives, 1995.

Blanchard, Dell'Ariccia und Mauro, Rethinking Macroeconomic Policy, IMF Staff Position Note, 2010. Gagnon, Raskin, Remache und Sack, Large-Scale Asset Purchases by the Federal Reserve: Did They Work, New York Fed Staff Report, März 2010.

Gambacorta, Monetary policy and the risk-taking channel, BIS Quarterly Review, Dezember 2009.

Hamilton, Arguments against QE2, Econbrowser-Blog, Oktober 2010.

Hamilton und Wu, The Effectiveness of Alternative Monetary Policy Tools in a Zero Lower Bound Environment, Working Paper, 2010.

Illing, Geldpolitik in den USA - die Fed in der Zinsfalle?, Ifo-Schnelldienst, 6/2004, 2004.

Illing und Watzka, Die Geldpolitik von EZB und Fed in Zeiten von Finanzmarktturbulenzen, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 17/2008, S. 852.

Kajuth und Watzka, Inflation expectations from in-dex-linked bonds: Correcting for liquidity and inflation risk premia, Munich Discussion Paper No. 2008-13, 2008.

Meier, Still Minding the Gap - Inflation Dynamics during Episodes of Persistent Large Output Gaps, IMF Working Paper, August 2010.

Mishkin, The Household Balance Sheet and the Great Depression, Journal of Economic History, Vol. 38(4),1978.

Mitchell, International historical statistics: Europe 1750-1988, Macmillan, 1992.

Rajan, Why we should exit ultra-low rates, Fault-lines-Blog, August 2010. Fußnoten

1) So teilte die EZB von Juni 2009 bis Dezember 2009 Liquidität auch mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr zu, mit zugesicherter Zuteilung an alle Bieter zum Hauptrefinanzierungszins. Bei der ersten Langfristoperation am 24. Juni 2009 haben sich 1121 Banken mit insgesamt 442 Milliarden Euro zum Zins von einem Prozent für ein Jahr refinanzieren können.

2)Bei der EZB ist es etwas komplizierter. Die EZB verzinst zwar Überschussreserven nicht, aber die Banken können ihre überschüssigen Reserven nach Belieben auf der Einlagefazilität zum Einlagezins verzinst hinterlegen. Der Einlagezins der EZB ist aktuell 0,25 Prozent. Der Marktzins für Tagesgelder im europäischen Interbankenmarkt, der Eonia tendiert zurzeit im Mittel um die 0,7 Prozent.

3)Beispiele für einige dieser Märkte sind der Markt für Asset-Backed Commercial Paper (ABCP) und der Money Market Mutual Fund (MMMF).

4)Hier einfach mit Risikokanal übersetzt.

5)Finanzmarkt-basierte Inflationserwartungen sind im Wesentlichen sogenannten Break-Even Inflation Rates oder BEIRs, die aus inflations-indexierten Staatsanleihen abgeleitet werden können und die Markteinschätzung bezüglich der zukünftigen Inflationsraten abbilden sollen.

Eine Langversion des Beitrags mit 13 erläuternden Grafiken und Übersichten ist unter www.kreditwesen.de wie auch auf der Homepage des Lehrstuhls abrufbar.

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