Interview

Frage an ... Klaus Nieding - Transparenz für private Aktienanleger reicht sie aus?

In der aktuellen Diskussion über die Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verbesserung der Transparenz in den Wertpapiermärkten darf der Blick auf den Schutz des Privatanlegers nicht durch die angebliche "Überbetonung der regulatorischen Auflagen an kommerzielle Marktteilnehmer" verstellt werden. Gerade nämlich auf den Kleinanleger stellt die Transparenz-Richtlinie ab, wenn für ihn ein zu angemessenen Preisen zugängliches europäisches Informationsnetz aufgebaut werden soll.1) Der Europäische Gesetzgeber hat den Schutz des Kleinanlegers besonders betont und zu einem Grundsatz bei der Durchführung der Richtlinie erhoben,2) da Informationsnachteile und intransparente Märkte vor allem bei Verbrauchern und Kleinanlegern zu existenziellen Schäden führen können.

Die deutsche Umsetzung der im Verbund zu betrachtenden europäischen Richtlinien zu Publizität3) und Transparenz4) ist aus Sicht des Privatanlegers grundsätzlich zu begrüßen, birgt aber auch Gefahren einer teilweisen Verschlechterung der Informationsmöglichkeiten und hat Chancen zur Klarstellung in Fragen der Haftung versäumt.

Selbstinformation des Privatanlegers

Das zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Gesetz über das elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister, Partnerschaftsregister sowie Unternehmensregister (EHUG) ermöglicht es dem Privatanleger, sich schnell, zuverlässig und ortsunabhängig über die öffentlichen Register umfassend über deutsche Unternehmen zu informieren. Die Zersplitterung der Datenbanken wird überwunden, so dass dem Privatanleger eine Vielfalt von Unternehmensinformationen zur Verfügung steht.

Mit diesem System wird eine internetbasierte Plattform geschaffen, die zudem auf den geregelten Wertpapiermärkten das Publizitätsregime des zum 20. Januar 2007 in Kraft getretenen Transparenzrichtlinien-Umsetzungsgesetz (TUG) verwirklichen soll.

Für den Privatanleger bedeutet diese technologische Offensive zunächst eine grundsätzliche Verbesserung seiner Möglichkeiten, die für seine Investitionsentscheidung erheblichen Informationen zu erhalten. Bei näherer Betrachtung der spezifischen Bedürfnisse der Privatanleger kann die deutsche Umsetzung durch EHUG und TUG jedoch nicht nachhaltig überzeugen.

Abbau der Pflichtveröffentlichungen

Dem Ausbau der auf dem Internet basierenden Register- und Informationsdatenbank steht der Abbau der Pflichtveröffentlichung in den traditionellen Printmedien bis Ende 2008 gegenüber. Die neue elektronische Transparenz kann den Privatanleger jedoch nur erreichen, wenn die relevanten Informationen die Anteilseigner und die Öffentlichkeit objektiv verlässlich und inhaltlich zutreffend erreichen und subjektiv wahrgenommen und verarbeitet werden können. Das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre gehört zu den tragenden Grundsätzen des Aktienrechts. Dem stehen dramatische Unterschiede in der Internetkompetenz und -affinität zwischen institutionellen und privaten Anlegern gegenüber. Selbst innerhalb der Gruppe der Privatanleger ist die Nutzung des Mediums Internet, auch abhängig von demografischen Faktoren, höchst uneinheitlich und teilweise sogar rückläufig.5) Der papierfeindliche Ansatz der Regelungen, die Publizitätspflicht in den Börsenpflichtblättern nicht über die Übergangsfrist hinaus aufrechtzuerhalten, entspricht nicht dem Medienkonsumverhalten der Bevölkerung im Allgemeinen und des "typischen", nämlich älteren Privatanlegers im Besonderen.

Bei seiner zukünftigen Verpflichtung zu einer ausschließlich Internet-basierten Veröffentlichung hat der deutsche Gesetzgeber jedenfalls nicht den ihm in der Transparenz-Richtlinie zugestandenen Umsetzungsspielraum ausgenutzt. Die Richtlinie sollte keine Auswirkungen auf das Recht des Herkunftmitgliedstaats haben, den Emittenten zusätzlich die Veröffentlichung der gesamten vorgeschriebenen Informationen oder von Teilen in Zeitungen vorzuschreiben.6)

Reduzierte redaktionelle Bearbeitung

Als gravierender Nachteil könnte es sich erweisen, dass sich die redaktionelle Bearbeitung der Pflichtmitteilungen in Börsenpflichtblättern reduzieren wird. Die etablierten Wirtschaftszeitungen konnten diese für den Privatanleger notwendige Übersetzung leisten und informative Stützen zur Interpretation der Pflichtmitteilung liefern. Sie übernahmen damit einen wichtigen Beitrag im Sinne einer nachhaltigen "Investment-Education" breiter Bevölkerungsschichten. Eine weitere Veröffentlichung der Informationen über Print-Medien könnte sich zudem als wirksame Bremse gegen eine dem Funktionieren des Transparenzmodells abträgliche, über den Privatanleger hereinbrechende "Informationsflut" erweisen.

Die Konzentrationswirkung des überschaubaren Raums des Börsenpflichtblattes, würde alle Beteiligten zur Gewichtung mitteilungswürdiger und mitteilungsbedürftiger Informationen zwingen. Diesen immensen finanziellen, technischen und personellen Aufwand könnten sich sonst nur institutionelle Anleger leisten. Die individuelle Verfügbarkeit der Informationen kann für den "typischen" Privatanleger kein redaktionelles Diskussionsforum ersetzen. Den Privatanleger aus dem Blick verloren haben die Stimmen, die von einem globalen Publikum sprechen, darunter aber nur Finanzpresse und Finanzintermediäre verstehen, die sich je nach Interesse bedienen.7)

Verteilung der Informationslast

Fraglich bleibt, welchen Medien die Emittenten nun ihre Informationen zuleiten müssen. § 3a Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach Wp HG (Wp AIV) liefert keine Präzisierung. Beachtlich ist zudem, dass § 3a Wp AVI den Emittenten lediglich dazu verpflichtet, die Informationen dem betreffenden Medium zuzusenden und deren Empfang sicherzustellen.

Über die Veröffentlichung entscheidet in der Folge nur noch der Informationsempfänger, das heißt, das vom Emittenten ausgewählte Medium entscheidet in eigener Regie. Sollte der Informationsempfänger die Bedeutung nicht richtig einschätzen können und sich gegen eine Veröffentlichung entscheiden, liegt ein Mangel im Publikationsregime vor. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, die Veröffentlichungslast dem Emittenten nur im Bereich der Insiderinformationen aufzuerlegen, widerspricht dem Ziel der Richtlinie, durch Erweiterung der Pflichten zur Regelpublizität das Vertrauen des Privatanlegers in die Transparenz der Wertpapiermärkte zu stärken.

Neue Haftungsgrundlagen zugunsten des Privatanlegers?

Die Kommission der EG hat im Gegensatz zum deutschen Gesetzgeber diesem Einwand der Privatanleger Rechnung getragen und in ihrer Durchführungsrichtlinie 2007/14/EG vom 8. März 2007 ausgeführt, dass die reine Verfügbarkeit von Informationen für die Zwecke der Transparenz-Richtlinie schon dann nicht mehr ausreicht, wenn die Anleger auf aktive Recherche angewiesen wären.8) Folglich sollen die Emittenten bei der aktiven Weiterleitung ihrer Informationen an die Medien dafür sorgen, dass die Anleger auch erreicht werden.

Neben den weitgehenden Änderungen des Publizitätsregimes durch das TUG ließ der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeiten der Transparenz-Richtlinie zur Klärung von Fragen zur Emittentenhaftung ungenutzt. In der neueren Literatur wurde eine Haftung börsennotierter Emittenten für fehlerhafte Regelpublizität entsprechend der Haftungsvorschriften für fehlerhafte Ad-hoc-Publizität analog §§ 37 b, 37 c Wp HG entwickelt.9) Sie sollte die Kohärenz des Haftungssytems der Vertrauenshaftung herstellen, da ein börsennotierter Emittent im Falle fehlerhafter Ad-hoc-Publizität schon bei grober Fahrlässigkeit haftet, eine Haftung für fehlerhafte Regelpublizität hingegen nur bei Vorsatz eingreift.

Ausgestaltung der Haftung durch die Mitgliedstaaten

Dabei sieht Art. 7 Transparenz-Richtlinie ausdrücklich eine Haftung des Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane oder der beim Emittenten verantwortlichen Personen vor. Zwar überlässt Erwägungsgrund (17) die angemessene Ausgestaltung der Haftung den Mitgliedsstaaten. Angesichts einer schon jetzt vertretenen analogen Haftung nach §§ 37 b, 37c Wp HG wären die Umsetzungsanstrengungen gering gewesen und hätten sich auf tatbestandliche Ausgestaltung unter Berücksichtigung der neuen Mitteilungspflichten beschränkt. Gemäß Art. 28 Transparenz-Richtlinie hätte der deutsche Gesetzgeber die Sanktionsforderung nach abschreckenden Maßnahmen zivilrechtlich auf Haftungsebene lösen können.

Auch hier kommt wieder die Wertung des Gesetzgebers zum Vorschein, der Informationslast des Emittenten im Bereich der Insiderinformationen höhere Anforderungen aufzuerlegen, als in der Regelpublizität. Dies steht nicht im Einklang mit den Zielen der Richtlinie, durch Erweiterung der Pflichten zur Regelpublizität das Vertrauen des Privatanlegers in die Transparenz der Wertpapiermärkte zu stärken.

Stattdessen wurde ein strafrechtlich sanktionierter Bilanzeid eingeführt, §§ 264 Abs. 2 S. 3, 289 Abs. 1 S. 5, 297 Abs. 2 S. 3, 316 Abs. 1 S. 6 HGB. Hier ist die Frage, ob sich eine zivilrechtliche Haftung über § 823 II BGB ergeben kann, wenn die Vorschriften zum Bilanzeid den Charakter eines Schutzgesetzes haben. Angesichts zahlreicher, bloß ordnungsrechtlicher, Vorschriften käme insoweit dem Bilanzeid die Funktion der zentralen Umsetzung des Sanktionsgedankens in Art. 28 Transparenz-Richtlinie zu. Soweit der deutsche Gesetzgeber für eine strafrechtliche Abschreckung optiert hat, ist damit nicht sogleich eine zivilrechtliche Haftung ausgeschlossen. Der Regierungsentwurf bezieht sich ausdrücklich auf den US-amerikanischen Bilanzeid nach Section 302 des Sarbanes-Oxley Acts, und stellt den Bilanzeid als Reaktion auf die zahlreichen Finanzskandale der letzten Jahre dar.

Gegebenenfalls Nachbesserungen

Damit kommt dem Bilanzeid wohl doch ein auf dem Kapitalmarkt Vertrauen schaffendes Element zu. Jedoch scheint die Haftung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zum Bilanzeid nicht über die für den Privatanleger relevanten bisherigen Haftungsregelungen hinauszugehen. Den Interessen eines geschädigten Privatanlegers jedenfalls wäre eine ausdrückliche Regelung bezüglich der grobfahrlässig fehlerhaften Regelpublizität ebenso wichtig gewesen wie die general-präventiven Effekte des Bilanzeids.

Die Europäische Union hat sich mit ihren Richtlinien zu Publizität und Transparenz erneut als Motor eines am Anlegerschutz orientierten, modernen Wertpapiermarktes bewiesen. Der deutsche Gesetzgeber hat die Möglichkeiten des Anlegerschutzes in den neuen Richtlinien jedoch nur eingeschränkt nutzen wollen und zudem nicht widerspruchsfrei gehandelt. Insoweit bleibt abzuwarten, wie sich die Vorschriften in der Praxis bewähren. Gegebenenfalls muss nach einer gewissen Evaluierungszeit entsprechend nachgebessert werden.

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