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Finanzkrise und Risikomanagement

Über die Finanz-, Subprime-, Banken-, Staatsschulden- und Identitätskrise sind zahllose Bücher und Artikel verfasst worden. Bedauerlich erfolgen solche Publikationen erst dann, "wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist". Die Publikation von Lanchester hebt sich wohltuend ab von den technokratischen Darstellungen der Subprime-Blase, beispielsweise wie die Transmission der Subprime-Kredite metastasenartig in die Finanzsysteme anderer Länder abgelaufen ist. Sie lässt sich flüssig lesen, die Ausdrucksweise ähnelt der Belletristik.

Lanchester beschränkt sich nicht auf die Darstellung, wie die Subprime-Blase entstanden ist. Seine Zweifel an dem Finanzsystem und dessen Denke setzen wesentlich früher, beispielsweise am Betrug durch Enron oder Worldcom an. Kritisch beurteilt er einen Hauptpfeiler der Finanzkrise, die früher bejubelte Securitisation und die Tranchierung. Hier ist seine Einstellung konträr zur wissenschaftlichen Bewertung der Finanzinnovationen vor der Finanzkrise.

Lanchester sieht als Ursache der Finanzkrise nicht allein die Kredite an Subprime-Kreditnehmer. Stattdessen schließt er die menschliche Fehlbarkeit ein (Murphys Gesetz). Wenn ein Kreditgeber seine Kreditrisiken problemlos und ohne Garantieübernahme weitergeben kann, dann ist ihm die Bonität des Schuldners vollkommen egal. Dazu kommt noch die Naivität, mathematischen Gleichungen voll zu vertrauen. Mathematiker entwickelten Formeln, um die Risiken von verbrieften Forderungen anhand der Korrelation von Zahlungsausfällen erfassen zu können. Scheinbar gab es in der CDO-Euphorie nur Gewinner, was aber wirklichkeitsfremd ist. Lanchester führt aus, dass die "... Erfindung der Securitisation das Bankwesen ruinierte ...". Inzwischen haben sogar Bankaufsichten und Notenbanken gelernt, dass die Entwicklung des Kreditvolumens beobachtet werden muss, denn Asset-Inflation-Blasen hängen eng mit dem Wachstum des Kreditvolumens zusammen. Zum Fehldenken der Bankexperten kam noch Betrug durch Makler und Kreditvermittler hinzu - sozusagen perfekte Synergien.

Eine erhebliche Mitschuld weist Lanchester der Dominanz des mathematisch orientierten Risikomanagements zu: Das Valueat-Risk-Maß gab den Managern und Bankaufsichten "... die eigentlich gar nicht verstanden, worum es bei Derivaten ging, ein Mittel an die Hand, mit dem sie zumindest die dabei entstehenden Risiken vermittels einer ganz konkreten Zahl fassbar machen konnten ...". Zunehmend stellten Banken in den vergangenen Jahren "Quants" ein, das heißt Physiker, Statistiker und Mathematiker, die die von der Geschäftsleitung und den Aufsichten verlangten Zahlen berechnen konnten und sollten. Was war das Resultat dieser Ausrichtung des Risikocontrollings? Der Eintritt gewaltiger Systemrisiken, die man mittels verschiedener Basel-Konstruktionen, in G7-Treffen, in unzähligen Gremien von Notenbankern seit den achtziger Jahren verhindern wollte, offenbart das totale Versagen in der Politik, in den Zentralnotenbanken und in der Wissenschaft.

Besonders skeptisch äußert sich Lanchester zum Value-at-Risk-Maß: Nach seiner Auffassung lullte diese Konzeption lediglich ein, die "... scheinbare Präzision einer VaR-Kennzahl war von Haus aus irreführend ...". Ändern sich die Daten, dann ist die berechnete VaR-Kennzahl ohnehin falsch. Resignierend äußert Lanchester: "Die Spezies Mensch kann ums Verrecken nicht mit Risiken umgehen". Man kann seinen Äußerungen die Ab neigung gegen die "Quants" regelrecht herauslesen. Stattdessen stimmt er der Auffassung von Buffett zu, bei der Einstufung von Risiken den "... gesunden Menschenverstand ..." einzusetzen.

Amüsant ist seine Schilderung, Ökonomen hätten vorgerechnet, der Börsencrash vom Oktober 1987 hätte sich nach ihren Modellen nicht ereignen dürfen: "Ökonomen rechneten später vor, dass auf Grundlage der historischen Volatilität alles gegen einen derartigen Crash gesprochen hätte, selbst wenn die Börse jeden Tag seit Erschaffung der Welt geöffnet gewesen wäre". Lanchester verwirft diese Modellgläubigkeit, die in der Wissenschaft und in der Bankenaufsicht dominiert. "Wenn ein Rechenmodell behauptet, ein Ereignis sei unmöglich - und nichts anderes besagt dieses Maß an Unwahrscheinlichkeiten - und das Ereignis tritt trotzdem ein, dann weiß man doch mit hundertprozentiger Sicherheit, dass das Modell falsch ist".

Die Ausführungen von Lanchester, in teils amüsanter Diktion geschrieben, geben wertvolle Denkanstöße an Personen und Institutionen, die sich mit dem Risiko speziell von Banken befassen. Steuerzahler reagieren inzwischen allergisch wenn sie weitere Banken und Staaten retten müssen. Selbst in Deutschland kann man in Internetforen eine stark zunehmende Aversion gegenüber "Bankstern" und weiteren Rettungsschirmen feststellen. Deshalb muss das Kreditgewerbe im Risikomanagement im eigenen Interesse umdenken. Er schließt mit dem Wunsch, "die Finanzindustrie wieder zu etwas machen ..., das der übrigen Gesellschaft dient, statt sie auszurauben". Die Finanzbranche mutierte vom Dienen zum Verdienen, wozu auch das einstmals hoch bejubelte Shareholder-Value-Denken beigetragen hat, aber woraus gravierende Exzesse resultierten.

Ein gravierender Fehler beziehungsweise eine Unkorrektheit ist zu konstatieren: Lanchester schreibt mehrmals vom Wirtschafts-Nobelpreis. Alfred Nobel stiftete für die Ökonomie keinen Nobelpreis - vermutlich stufte er die Wissenschaft der Ökonomie als unwichtig ein - vielleicht kannte er sie nicht. In den sechziger Jahren stiftete die schwedische Notenbank den Preis für Wirtschaftswissenschaften in Erinnerung an Alfred Nobel.

Prof. Dr. Jürgen Singer, Universität Leipzig

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