Gespräch des Tages

Kreditrisiken - Draußen vor der Tür

Prof. Dr. Jürgen Singer, Universität Leipzig, schreibt der Redaktion: "Vielleicht klingelt es eines Tages an dem Eingangsportal eines pompösen Bankgebäudes. Wenn geöffnet wird, sagt der vor der Tür Stehende: , Guten Tag. Ich bin Dein Risiko. Du hast mich immer verkauft. Jetzt komme ich zurück. Du hast mich jetzt wieder.' Im Kreditgewerbe ist es heute nicht unüblich, die Risiken aus der Bilanz zu entfernen. Dies betrifft vor allem das Adressenausfallrisiko, das als das gefährlichste Risiko eines Kreditinstituts eingestuft wird. Es ist deshalb verständlich, dieses Risiko aus der Bilanz rauszudrücken. Instrumente sind vor allem Kreditderivate, der Kreditverkauf, die Auflegung von ABS und MBS. Im Gespräch mit einem leitenden Mitarbeiter einer Großbank erwiderte dieser auf Fragen: , Wo sind die Adressenausfallrisiken?' - , Weg! ', , Wer hat diese Risiken?' - , Weg! ' Anscheinend hat dieses Institut konsequent und systematisch seine Risiken aus der Bilanz entfernt und auf andere , Schultern' verlagert. Durch das Rausdrücken der Risiken werden diese aber nicht eliminiert. Jetzt hat sie lediglich ein anderer; ob dieser glücklich wird, zeigt erst die Zukunft.

Liest man die Veröffentlichungen zu dem Thema Risikoüberwälzung, dann kann man die Überzeugung gewinnen, die Risiken haben sich aufgelöst, sie existieren nicht mehr. Eine unterschätzte Gefahr durch den in letzter Zeit äußerst leichten Risikotransfer ist das Absinken der Kreditstandards. Warum sollte man noch intensiv die Bonität prüfen, wenn dessen Auslagerung so problemlos ist? Der entscheidende Aspekt der Kreditausreichung ist dann nicht mehr die Bonitätseinstufung, sondern die Analyse, ob das Risiko vom Markt abgenommen wird. Dann erst erfolgt die Zusage des Kredits. Ist die Verlagerung nicht möglich, so könnte ein negatives Votum das Resultat sein. Allerdings offenbaren die derzeitigen Friktionen in den USA, dass der Risikoverkauf im Zeitverlauf gravierende Probleme verursachen kann. Dort wurden von Investmentbanken manche Hypothekenkreditgeber des Subprime-Loan-Segments angehalten, die verkauften Kredite wieder zurückzunehmen. Einige dieser Institute begaben sich daraufhin unter den Schutz des Chapter 11 des US-Konkursgesetzes. Inzwischen wird manchen Investmentbanken vorgeworfen, diese Hypothekenkreditgeber regelrecht ermuntert zu haben, ihr Kreditgeschäft zu forcieren, denn die Investmentbanken verdienten gut an der Weiterleitung der Risiken und Ausplatzierung mittels MBS.

Auch die Bankenaufsichten der wirtschaftsstärksten Staaten sind sich anscheinend nicht bewusst, wer die Risiken derzeit hält. Wie sollten sie auch! Die Risiken werden verkauft, mit anderen Risiken gemischt, neu strukturiert, in Anleihen verbrieft und emittiert, an der Börse gehandelt, in Investmentfonds eingebracht, an Pensionsfonds und Hedgefonds veräußert. Wie sehr werden sich US-Pensionäre freuen, wenn sich das Vermögen ihrer Pensionsfonds zum erheblichen Teil aus solchen Risky Bonds zusammensetzt. Einzige sichere Erkenntnis heute: Die Risiken existieren weiter! Irgendwo müssen sie sein, auch wenn sie mehrmals über den Äquator gejagt, gestückelt, eingedampft, neu gemischt, weitergehandelt werden. Nur keiner weiß genau wo und in welcher Form.

Hedgefonds versuchen, durch hohes , Leveragen' und durch exzessive Risiken ihre Performance zu steigern. Die Honorierung der Hedgefonds-Manager hängt wesentlich vom Erfolg der von ihnen gemanagten Fonds ab. Allerdings gibt es nicht so viele erfahrene Hedgefonds-Manager: 1999 wollten die Abgänger von MBA-Akademien und Elite-Universitäten Venture-Capital-Manager werden, heute lautet der Berufswunsch: Hedgefonds-Manager. Geprägt sind diese , Neulinge' von Selbstüberschätzung, dem brennenden Wunsch, schnell reich zu werden, und Unerfahrenheit - eine gefährliche Mischung! Regierungen und Bankaufsichten Großbritanniens und der USA sind gegen die Einführung von Regularien für die Hedegefonds. Befürchtet wird von ihnen die Beeinträchtigung der Aktivitäten dieser Branche. Der Grund für die Ablehnung wird unter anderem in der Gefährdung der Hedge-fonds-Managervergütungen und des daraus fließenden Konsums gesehen. Ein weiteres Argument: Diese intransparenten und unregulierten Akteure würden die Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte sicherstellen. Warum in Gottes Namen sind dann die Börsen derart reguliert? Vielleicht steckt aber ein anderer Grund hinter der Ablehnung: Eventuell basiert sie auf dem Wissen oder zumindest der fundierten Ahnung, dass die Risikopotenziale in der Hedgefonds- und Private-Equity-Branche bereits , fürchterlich' sind. Geleitet werden könnte diese Haltung von dem Motto: Bloß keine Befürchtungen an die Öffentlichkeit bringen, damit keine negativen Auswirkungen daraus resultieren; solche , defätistischen' Äußerungen könnten eine Krise auslösen!

Irgendwann werden sich die exzessiven Kreditvergaben an die Private Equity- und Hedgefonds-Branche als gigantische und explodierende Risiken offenbaren. Auch die Aussage von Warren Buffet, Derivate seien finanzielle Massenvernichtungswaffen, dürfte sich dann bestätigen. Denkbar ist auch ein weiterer Grund: Die Hedgefonds und Private Equity-Fonds tragen mit ihren M&A-Aktivitäten zur weiteren Steigerung der Börsenkurse bei. Ein prosperierender Kapitalmarkt kann die Wertaufblähung von Aktien, die sogenannte Asset-Inflation, verursachen: Im Vertrauen auf den Vermögenszuwachs steigen Verschuldungs- und Konsumbereitschaft. Finanziert werden solche Fonds von unterschiedlichsten Kreditgebern. Da bleibt nur übrig, diesen Gläubigern viel Erfolg und noch mehr Glück zu wünschen! Vor einiger Zeit beklagten Bankaufsichten und auch Alan Greenspan, dass Verbuchung und Dokumentation im Derivategeschäft äußerst schlecht, das heißt schlampig, seien. Mitunter würden solche Geschäfte auf Schmierzetteln erfasst, so die Darstellung der Medien. Durch diese Instrumente wollen die Banken ihr Adressenausfallrisiko verlagern. Sie werden sich wundern. Sie dürften, sollte die von Pessimisten befürchtete Entwicklung eintreten, Kontrahentenrisiken, rechtliche Risiken und Reputationsrisiken en masse kennen lernen: Die Risiken sind dann zurückgekommen und warten vor der Tür."

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