Nobelpreis 2007

Erneute Würdigung des grundlegenden Beitrags der Spieltheorie zur Ökonomik

Dr. Hartmut Kliemt, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management e. V., Frankfurt am Main, und Prof. Dr. Werner Güth, Direktor am Max Planck Institut für Ökonomik, Jena, schreiben der Redaktion: "Die diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Leonid Hurwicz, Eric Maskin und Roger B. Meyerson trugen Wesentliches zur Lösung eines fundamentalen Problems jeglicher menschlicher Organisation bei. Dessen Hintergrund formulierte bereits Adam Smith in seiner Theory of Moral Sentiments, (par. VI. II.42) eindrucksvoll: '... in the great chessboard of human society, every single piece has a principle of motion of its own, altogether different from that which the legislature might chuse to impress upon it. If those two principles coincide and act in the same direction, the game of human society will go on easily and harmoniously, and is very likely to be happy and successful. If they are opposite or different, the game will go on miserably, and the society must be at all times in the highest degree of disorder.'

Die organisatorischen Mechanismen, die die Eigenbewegungen der Figuren auf den verschiedenen Schachbrettern des Lebens steuern, sollten in einem umfassenden Sinne so beschaffen sein, dass sie anreizkompatibel sind. Die Anreize individuell rationalen Handelns sollten erwünschte soziale Ergebnisse begünstigen. Dabei kann es im Übrigen um gesamtgesellschaftliche ebenso wie um einzelwirtschaftliche Organisation gehen. In jedem Falle muss man die eigenen Motive und das eigene Wissen der agierenden Indi viduen in der Organisation des Zusammenlebens in Rechnung stellen. Mit dem Mittel der Vertragsgestaltung kann beispielsweise ein Prinzipal das Verhalten der Agenten durch Anreize ebenso steuern, wie ihre Neigung, ihn über das, was nur sie 'privat' wissen, wahrheitsgemäß zu informieren. Bevor eine Interaktion, die man vertraglich gestalten will, beginnt, wissen die Beteiligten noch nicht, was sie einmal wissen werden. Sie haben aber unter Umständen ein gemeinsames Wissen darüber, was sie in der Interaktion je für sich oder 'privat' über den Zustand der Welt in Erfahrung bringen könnten. Sie wissen auch, dass die Beteiligten einen Anreiz haben können, statt ihrer 'wahren privaten Information' etwas zu behaupten, das ein für sie selbst besonders vorteilhaftes Ergebnis herbeiführt.

Wahrheitsmechanismus mit gleichen Ergebnissen

Sei der wahre Zustand eines Patienten beispielsweise t. Ferner soll der Arzt, der die Diagnose t 'privat' kennt, weit mehr verdienen, wenn er dem Patienten, der selbst nicht zwischen t und t' unterscheiden kann, t' berichtet. Man wird in einer solchen Situation nach einem Vertrag zwischen Arzt und Patient suchen, der dem Arzt zumindest keinen finanziellen Anreiz bietet, etwas Unwahres zu behaupten. Bezahlt man ihn deshalb beispielsweise nur solange man gesund ist, dann hat der Arzt keinen Anreiz, auf verfehlte Therapien zurückzugreifen. Er hat aber gleichwohl einen Anreiz, eine Heilung zu versuchen - jedenfalls solange man ihn, sobald man wieder gesund ist, so hoch weiterbezahlt, dass es für ihn attraktiver ist, einen Heilungsversuch zu unternehmen, als ganz aus dem Vertrag auszuscheiden.

Die Möglichkeiten der Lüge sind in vielen Interaktionen und den diese gestaltenden Verträgen unendlich, die Wahrheit ist nur eine. Es ist eines der bedeutenden Verdienste von insbesondere Maskin und Meyerson, das sogenannte Revelations-Prinzip auf sogenannte Bayessche Spiele, in denen die Information privat und in diesem Sinne auch dezentralisiert ist, angewandt zu haben. Nach diesem allgemeinen Prinzip gibt es zu jedem Vertrag, der einen Anreiz zur Lüge über wahre Weltzustände t bieten mag, einen alternativen Vertrag, der für jeden der wahren Zustände zu gleichen Ergebnissen führt, ohne einen Anreiz zur Lüge zu bieten.

Genauer formuliert gibt es für jedes Spiel und jedes Gleichgewicht einen allokationsäquivalenten Revelationsmechanismus, in dem die Spieler nur ihre '(Informations-)Typen' - also, was sie privat wissen - deklarieren und für den die allgemeine Typenoffen barung ein Gleichgewicht bildet. Die Gleichgewichtsergebnisse sind für die Beteiligten nicht besser als die, die sich zum Beispiel bei allgemeinem Lügen einstellen würden. Es ist aber hilfreich, dass man bei der Vertragsanalyse und -bewertung nicht immer alle Möglichkeiten der Sendung von Fehlsignalen betrachten muss. Man kann sich - weil es ja immer einen Wahrheitsmechanismus mit gleichen Ergebnissen gibt - auf jene, die anreizkompatibel sind und damit von der Offenbarung der Wahrheit wenigstens nicht abhalten, beschränken.

Wiederum zwei akademische Generationen geehrt

Wie der Nobelpreis des Jahres 1994, der in erster Würdigung des grundlegenden Beitrags der Spieltheorie zur Ökonomik an John Harsanyi, John Nash und Reinhard Selten vergeben wurde, so würdigt auch der Nobelpreis des Jahres 2007 einen Beitrag der Spieltheorie. Wie 1994 werden auch 2007 zwei akademische Generationen geehrt. Hurwicz (entsprechend zu Nash) wegen seiner frühen Pionierarbeiten und Maskin und Meyerson (entsprechend zu Harsanyi und Selten) wegen bahnbrechender Arbeiten auf der Basis des Revelationsprinzips.

Es verdient in einem deutschen Kontext Erwähnung, dass Roger Meyerson das Forschungsjahr 1978/79 am führenden deutschen Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld gemeinsam mit John Harsanyi und Reinhard Selten verbrachte. In dieser Zeit verfassten alle drei wesentliche Arbeiten. Wie die Nobelpreise des Jahres 1994 so dürften auch die diesen Jahres unter Fachleuten weitgehend unumstritten sein. Natürlich hätte man sich - wie fast immer - den Einschluss weiterer Forscher, wie zum Beispiel von Robert Wilson, denken oder wünschen können; aber es sind zweifellos Würdige geehrt worden."

Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt.

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