Leitartikel

Einfach nebeneinander

Wie steht es um die deutsche Investmentbranche? Diese Frage lässt sich sehr früh im Jahr mit frischen Zahlen beantworten. Denn im Gegensatz zu der schleppenden Datenerhebung anderer Wirtschaftszweige ist die Branchenstatistik des BVI Bundesverband Investment und Asset Management traditionell zeitnah. Meist schon Ende Januar sind die neuen Daten für das abgelaufene Berichtsjahr verfügbar, die dann im Jahresverlauf demnächst wieder monatlich auf den neusten Stand gebracht werden. Neben den aktuellen Entwicklungen der Marktvolumina gibt es dabei regelmäßig wichtige Indikationen zum Wohlbefinden der Investmentgesellschaften. Das reicht traditionell vom Neugeschäft und dem Fondsvolumen insgesamt bis hin zur Entwicklung der einzelnen Fonds und umfasst künftig auch die ausländischen Fonds mit Absatz in Deutschland. Nebenbei bietet die Präsentation der Zahlen der BVI-Verbandsspitze die willkommene Gelegenheit, die Medien gleich zu Jahresbeginn mit Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf die dringlichsten Anliegen der Branche in Brüssel oder Berlin hinzuweisen.

Diesmal kamen zur reinen Erhebung der Marktdaten noch zwei aktuelle Ereignisse hinzu. Zum einen hat das BMF Mitte Januar seinen Konsultationsentwurf zur Novelle des Investmentgesetzes vorgelegt (erste Stellungnahmen Kreditwesen 3-2007). Zum anderen stand ziemlich kurzfristig ein Wechsel an der Spitze des BVI an. Denn Markus Rieß, der zuletzt für gut ein Jahr mit Bedacht und rhetorischem Geschick als BVI-Präsident für die Branche gesprochen hatte, tauschte innerhalb des Allianz-Konzerns seine Rolle. Ob es nun Zufall war oder doch ein wenig gesteuert, die damit ausgelöste Vakanz des Präsidentenpostens beim BVI bot den Medien keinerlei Zeit für allseits beliebte Nachfolgespekulationen. Nur einen Tag später tagte nämlich turnusgemäß der Vorstand des BVI und wählte Wolfgang Mansfeld von der Union Investment zum neuen Präsidenten. Bei der Kür des Neuen mag es hilfreich gewesen sein, dass beim BVI eine gewisse Abfolge im Amt vorgegeben und sanft abgesprochen ist. Und mit Wolfgang Mansfeld stand auch ein Kandidat bereit, für den eine solche Aufgabe kein Neuland ist. Schließlich war er von 2002 bis 2005 bereits Präsident der europäischen Investmentvereinigung Efama. So lief der Übergang an der BVI-Spitze im Gegensatz zu den jüngsten Trainerwechseln in der Fußballbundesliga sehr geräuschlos und ohne eine nervenstrapazierende Spekulationsfrist wie derzeit bei der Postbank ab.

Eher evolutorisch denn abrupt entwickeln sich in der Investmentbranche auch neue Denkmuster in der strategischen Ausrichtung und in der Zusammenarbeit mit den Muttergesellschaften. Viele der hiesigen KAGs verstehen sich längst nicht mehr als reine Fondsgesellschaften und Vermögensverwalter, sondern als Asset-Manager in einem viel weiteren Sinne. Ihr Angebot ist generell breiter geworden und wurde in den vergangenen Jahren oft durch spezielle Dienstleistungen rund um das freie Portfoliomanagement erweitert - von der zielgerichteten Strukturierung der Asset-Klassen unter Einsatz von Alternative Investments bis hin zum ausgefeilten Risikomanagement und umfassenden Reporting. Dabei entsteht zwar teilweise mehr oder weniger greifbare Konkurrenz zu den Aktivitäten der Muttergesellschaften. Es gibt aber andererseits auch deutlichere Berührungspunkte - etwa zwischen Asset Management und dem Investmentbanking bei der Konstruktion besonderer Anlagevehikel, nicht nur für die Bedürfnisse institutioneller Investoren.

Sichtbar wurde das breitere Tätigkeitsspektrum der Investmentgesellschaften schon vor einigen Jahren am weiter gefassten Namen des Branchenverbandes und inzwischen auch an dessen Gesamtstatistik. Diese erfasst derzeit nicht nur die Publikums- und Spezialfonds, sondern listet auch die Mandate der freien Vermögensverwaltung auf. Zusätzlich differenziert wird im institutionellen Geschäft nach Administration (unter Ausschluss der Dachfonds) und nach Portfoliomanagement (unter Einschluss der Dachfonds). Damit dokumentiert die BVI-Statistik eine höchst unterschiedliche Ausrichtung der Anbieter: AMB Generali Asset Managers etwa hat mit weit über 90 Prozent seines zum Stichtag ausgewiesenen Vermögens den Schwerpunkt eindeutig in der freien Finanzportfolioverwaltung. Bei der Universal Investment dominiert hingegen klar die Dienstleistung der Administration. Umgekehrt sind die Gewichte bei der Cominvest-, der Dekabank-, der DWS- und der Union-Investment-Gruppe verteilt, wo das Volumen im Portfoliomanagement jeweils deutlich höher ausfällt als die Gelder unter Administration. Wie die Allianz Global Investors generieren jedoch auch diese vier weiteren Gründungsmitglieder des BVI daneben noch einen großen, teilweise sogar den größten Teil ihres Vermögensbestands aus dem Publikumsfondsgeschäft.

Unter den neueren Produktvarianten der Investmentgesellschaften stehen immer wieder die Hedgefonds und zuletzt mehr und mehr die Derivate im Blickpunkt. Gerade der deutsche Zertifikatemarkt hat sich in den vergangenen Jahren so sichtbar entwickelt, dass das Deutsche Aktieninstitut diese Anlageklasse als eigene Kategorie in die Untersuchungen zur Geldvermögensbildung der deutschen Bevölkerung aufgenommen hat und einen immerhin wahrnehmbaren Anteil von 0,6 Prozent der weiblichen und 1,0 Prozent der männlichen Bevölkerung über 14 Jahren als Zertifikatebesitzer registriert. Die jüngsten Marktdaten der Interessenverbände schätzen das investierte Volumen von Privatanlegern auf 110 Milliarden Euro (plus 30 Prozent), und das Handelsvolumen an derivativen Wertpapieren an deutschen Börsen wird auf 127,6 Milliarden Euro veranschlagt (siehe Marktstatistik in diesem Heft; Seite 166). Nur zum Vergleich: Die im BVI organisierte Investmentbranche hat für das Jahresultimo 2006 ein Fondsvolumen von rund 1 409 Milliarden Euro und ein Mittelaufkommen im Berichtsjahr von 59,6 Milliarden Euro gemeldet. Parallel dazu wird der Anteil von deutschen Haushalten, die Investmentfonds halten, für das erste Halbjahr 2006 mit 30,1 Prozent beziffert und der Anteil des Publikumfondsvermögens am privaten Geldvermögen per Ende 2006 auf 12,6 Prozent geschätzt (siehe Seite 194).

Zwar hat auch die Fondsbranche mit diesen Verbreitungsgraden noch erheblichen Nachholbedarf gegenüber anderen Ländern, doch - trotz beachtlicher Wachstumsraten - ist die Derivate-Szene von solcher Massenwirkung noch weit entfernt. Bislang nicht gelungen ist dieser jungen Branche zudem eine Bündelung ihrer Interessenvertretung, von der die Investmentbranche seit Anfang der siebziger Jahre stark profitiert. Mit dem Derivate Forum und dem Deutschen Derivate Institut mühen sich noch zwei Adressen um die Information der Öffentlichkeit, die Erstellung von Marktstatistiken und die Basisarbeit bei den gesetzgeberischen Instanzen. Dabei gehen die Mitgliederlisten quer durch die drei großen Bankengruppen. Nicht zuletzt des Derivate-Geschäfts ihrer Mütter wegen haben sich aber viele Fondsgesellschaften mit den zunächst als Reizwort geltenden Zertifikaten arrangieren gelernt und sehen diese mittlerweile mehr als Ergänzung denn als eindeutige Konkurrenz. Eine ganze Reihe von BVI-Gesellschaften haben in mehr oder weniger enger Feinabstimmung mit den Muttergesellschaften Produktvarianten mit Derivaten aufgelegt. Global agierende Finanzdienstleister, so die emotionslose Einsicht, können heute mit Derivaten gezielter und vor allen Dingen schneller auf Sonderentwicklungen - etwa in Ländern wie Vietnam oder die Preisbildung auf Rohstoffmärkten reagieren als mit der Auflegung von Fonds. So vertraut die Union Investment im Derivate-Geschäft ganz der Arbeitsteilung mit den Zentralbanken WGZ und DZ. Im Sparkassenlager gehören mit der WestLB und der LBBW gleich zwei große Landesbanken den Interessenvertretungen der Derivate-Branche an, die auch Anteilseigner der Deka sind. Und die DWS bewirbt ihre Derivateplattform offensiv und parallel zum Derivategeschäft der Deutschen Bank.

Doch wie passt das zusammen? Auf der einen Seite gibt es in Deutschland einen boomenden Zertifikate-Markt. Auf der anderen Seite muss die Fondsbranche ernüchtert registrieren, dass ein Aktienjahr wie 2006 an den hiesigen Anlegern fast spurlos vorübergeht und die Zahl der Direktanleger in Aktien und der Inhaber von Aktienfonds wider jede ökonomische Vernunft zurückgeht. Einerseits überbieten sich die Kommentare der Medien und gerade frisch wieder das "Schwarzbuch Börse" der Schutzgemeinschaft der Kleinanleger mit Hinweisen auf den spekulativen Charakter der Zertifikate. Andererseits sehen die beiden Interessenverbände der Derivatebranche die Anforderungen der SdK an die Produkt-, Handels- und Börsentransparenz bereits vollständig erfüllt. Detaillierter betrachtet gibt es freilich einen Erklärungsansatz. Die Übergänge zwischen beiden Branchen sind bei wichtigen Marktfaktoren durchaus fließend, bei anderen unterscheiden sie sich deutlich: Im Produktmarketing etwa setzen beide stark auf Neuerungen und aktuelle Anlagetrends. So lässt sich derzeit sowohl in der Investment- wie der Zertifikatebranche die allgemeine Stimmung der Risikovermeidung nutzen, die sich in einem Boom von Garantieprodukten niederschlägt. Dass letztere auch den Zertifikatemarkt eindeutig dominieren, geht freilich in den Medien inmitten der berechtigten Hinweise auf Fehlentwicklungen zuweilen unter. Größere Transparenz ist ein Merkmal, das die Fondsbranche für sich reklamiert, die Zertifikateanbieter locken mit Renditeversprechen bei teilweise höherem Risiko. Für Produktdesigner und letztlich auch für viele Anleger haben Derivate einfach den Charme der neuen Asset-Klasse. Aber auch die Fondsbranche hat seit Jahren nur eine vergleichsweise geringe Halbwertszeit für ihre Produkte und kürt mit aufwendigen Kampagnen immer wieder neue Favoriten (siehe Gespräch des Tages).

Produktinnovationen beschleunigen und neue Möglichkeiten der Kapitalmarktöffnung schaffen will erklärtermaßen auch das Investmentgesetz, dessen Novelle seit Mitte Januar in der Konsultationsphase ist (Kreditwesen 3-2007). Auf breiten Konsens stoßen dabei die Betrebungen zur Straffung des Genehmigungsverfahrens von Fonds und die Regelungen zur Investment-Aktiengesellschaft. Die vom BMF als Flexibilisierungsansatz gelobte Abschaffung der Kreditinstitutseigenschaft der KAGs wird jedoch insbesondere von der Deutschen Bundesbank als gefährlich abgelehnt. Als Aufsichtsinstanz sieht sie darin eine Gefährdung der Finanzmarktstabilität. Die Vorgaben zur Auswahl einer konzernfremden Depotbank halten BVI, IFD und Bundesbank übereinstimmend für verfehlt. Und als Ungleichbehandlung gegenüber den ausländischen Wettbewerbern bewerten sie die geplante Pflicht zum Ausweis einer Transaktionskostenquote.

Dass grundsätzlich nicht über eine Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer Vorgaben hinausgegangen werden sollte, macht der BVI an griffigen Zahlen fest. Demnach wurden von der Summe der 473 neuen BVI Fonds im Berichtsjahr 2006 lediglich 187 oder rund 40 Prozent in Deutschland aufgelegt, aber 286 oder rund 60 Prozent als ausländische Fonds deutscher Provenienz. Und noch bedenklicher: Das Nettomittelaufkommen von im Ausland aufgelegten Wertpapierfonds deutscher Anbieter betrug 2006 rund 26,2 Milliarden Euro, während das Mittelaufkommen von in Deutschland aufgelegten Wertpapierfonds um 7,5 Milliarden Euro abgenommen hat. Ist das in Zeiten der neu belebten Diskussion um den Sinn von Industriepolitik nicht ein geschicktes Signal an die verantwortlichen Politiker? Die Diskussion um Arbeitsplätze öffnet derzeit vergleichsweise leicht deren Ohr für die Argumente der Interessenvertreter bei der Förderung des (Investment-)Standorts Deutschland. Mo.

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