Aufsätze

Eigenkapitalanforderungen an deutsche Banken - Worauf kann die Aufsicht achten?

Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler, Vizepräsident, Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main / Die Höhe der Eigenkapitalausstattung, so wird vermutet, könnte im künftigen Bankenwettbewerb zu einem wichtigen Differenzierungs- und Erfolgsfaktor werden. Folglich gibt es Überlegungen, seitens der Aufsichtsbehörden höhere Quoten als bisher verbindlich vorzuschreiben. An den geltenden Vorschriften gemessen hält der Autor die deutschen Banken im Allgemeinen für gut kapitalisiert und erachtet es somit auch keineswegs von vornherein als sinnvoll, die Mindestkapitalvorschriften in Zeiten der Krise generell regulatorisch zu verschärfen. Im Rahmen von Prüfungen nach Säule 2 zusätzliche Eigenkapitalanforderungen auf die konkrete Risikolage zu stellen, hält er hingegen für überlegenswert. In der Diskussion um eine Einführung der sogenannten Leverage Ratio klingt er nach Abwägung diverser Vor- und Nachteile eher zurückhaltend und plädiert für den nachrichtlichen Ausweis im Rahmen der Darlegung der Geschäftspolitik. (Red.)Die Finanzkrise - mittlerweise greifen Bezeichnungen wie "Kreditkrise", "Subprime-Krise" oder "Krise des Verbriefungsmarktes" viel zu kurz - hat die reale Wirtschaft erreicht. Spätestens seit diesem Herbst sind die konjunkturellen Rückwirkungen nicht mehr zu übersehen. So hat zum Beispiel der Internationale Währungsfonds seine Prognose für das Weltwirtschaftswachstum von 3,0 Prozent im Oktober 2008 auf 2,2 Prozent im November 2008 zurückgenommen.1) Weitere Abwärtsrevisionen scheinen möglich. Die Regierungen weltweit reagieren mit Konjunkturprogrammen unterschiedlicher Prägung und Volumina. Austrocknen der Geldmärkte Als markantes Datum für die deutliche Zuspitzung der Krise gilt der 15. September 2008; der Tag, an dem die US-Investmentbank Lehman Brothers Antrag auf Gläubigerschutz stellte. Der einsetzende Vertrauensverlust der Geldhäuser untereinander führte zu einem weitgehenden Austrocknen der Geldmärkte und einem weiteren Verfall der Marktpreise für viele Anlageprodukte. Notenbanken und Regierung weltweit mussten zu umfangreichen Stützungsmaßnahmen greifen. Die Maßnahmen der Notenbanken reichen von Ausweitung des Sicherheitenrahmens über Festzinsrefinanzierung mit Vollzuteilung bis hin zu Zinsschritten in bislang ungesehenen Größenordnungen. Die Regierungen der G10-Staaten und der Eurostaaten haben in Summe ein Stützungsvolumen von 3,4 Billionen Euro an Garantie-, Kapital- und sonstigen Maßnahmen bereitgestellt. Nahezu parallel zur "Brandbekämpfung" laufen die Initiativen zur "Brandvorbeugung", zur Verhinderung solcher Vorkommnisse in Zukunft. Die Erklärung der G20-Staats- und Regierungschefs vom 15. November 2008 lässt sich unter drei Zielsetzungen subsumieren: "Nachhaltigkeit stärken", "Anreize richtig setzen" und "gleiche Regeln für gleiches Geschäft". Dieser Artikel untersucht die Frage, ob die Krise eine Folge zu geringen Eigenkapitals von Banken war und wie die Aufsicht die Mindesteigenkapitalvorschriften verbessern sollte. Sind deutsche Banken unterkapitalisiert? Zunächst einmal sind deutsche Institute gemessen an den Mindesteigenkapitalvorschriften - gut kapitalisiert. Per September 2008 stellte sich die Kernkapitalquote bei 8,8 Prozent und die Gesamtkennziffer bei 13,3 Prozent ein; die Ziffern liegen somit deutlich über den Mindestanforderungen von vier Prozent beziehungsweise acht Prozent. Zugleich wird jedoch eine offene Debatte über die Notwendigkeit von Rekapitalisierungsmaßnahmen und höheren Kapitalquoten geführt. Eigenkapitalziffern deutlich über den Mindestanforderungen Dies ist eine Debatte, der sich die Entscheidungsgremien eines Instituts stellen müssen: Gewandelte internationale Praktiken, die Verhältnisse bei Wettbewerbern im In- und Ausland, die Messlatte von Ratingagenturen, die Anforderungen des Kapitalmarkts für die Refinanzierung, letztlich vor allem das jeweilige Geschäftsmodell bestimmen die ökonomisch und betriebswirtschaftlich notwendige Höhe des Kapitals. Eine gewisse Verknüpfung der aufsichtlichen und der Sichtweise der Eigentümer auf das Kapital kann sich ergeben, wenn durch Marktprozesse, zum Beispiel eine drohende Ratingabstufung, die Vitalität eines Instituts - trotz Erfüllung der regulatorischen Anforderungen - in Gefahr gerät. Sind die Mindesteigenkapitalvorschriften zu niedrig? Gleichwohl wäre es nicht anzuraten, in Zeiten der Krise die regulatorischen Mindestkapitalvorschriften generell zu erhöhen. Erstens beträfe eine generelle Erhöhung des Eigenkapitals auch die Institute, die durch kluge Anlage- und Geschäftspolitik von der Krise kaum oder gar nicht erfasst sind. Die Kreditvergabe ist nach den Statistiken und Umfragen in Deutschland jedenfalls bislang relativ robust - trotz eines Anziehens der Kreditstandards in einigen Bereichen. Eine generelle Erhöhung des regulatorischen Eigenkapitals als Reflex auf die Krise hätte prozyklische Wirkung, könnte die Kreditversorgung erschweren und den zu erwartenden Abschwung verschärfen. Liquiditätsprobleme als Ursache der Schieflagen Zweitens ist die Krise im Kern weniger ein Problem zu geringen Eigenkapitals; viele deutsche und ausländische Banken gerieten über Liquiditätsprobleme in Schieflagen: Liquiditätslinien wurden von Zweckgesellschaften gezogen, und die Banken konnten in der Kürze der Zeit die nötige Refinanzierung dieser Kredite nicht stemmen. Die Interbankenmärkte brachen zusammen und vor allem langfristige Refinanzierungen waren nicht mehr möglich. Verbriefungen und damit das Entlasten der eigenen Aktivseite um Forderungen war nicht mehr möglich; wider Erwarten mussten diese Positionen durch- oder zwischenfinanziert werden. Aus diesem Grund hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht seine Grundsätze für das Liquiditätsmanagement von Banken mit dem Schwerpunkt auf der Sicherstellung ausreichender Liquiditätspuffer und der Nutzung zukunftsgerichteter Risikomaße wie Stresstests überarbeitet. Im Laufe der bisher 18 Monate der Krise verloren jedoch auch viele Finanzaktiva an Wert. Ein beeindruckendes Beispiel sind die ABX. HE-Indizes, deren AAA-Tranche vor der Krise bei 99 notierte und die aktuell noch 30 wert ist. Diese enormen Wertverluste resultierten in hohen Abschreibungen, die zunächst stille Reserven, dann Gewinne und letztlich Eigenkapital verzehrten. Nach Recherchen des Währungsfonds haben Institute weltweit im Jahr zwischen den dritten Quartalen 2007 und 2008 knapp 600 Milliarden US-Dollar abgeschrieben und parallel ihr Kapital um gut 400 Milliarden US-Dollar erhöht; gut drei Viertel davon aus öffentlichen Quellen.2) Eigenkapitalanforderungen im Rahmen von Prüfungen nach Säule 2 Hieraus den Schluss zu ziehen, dass generell mehr Eigenkapital vorzuschreiben ist, ginge jedoch zu weit. Denn einerseits dürfen sich Mindestkapitalanforderungen nicht an historischen Spitzenbelastungen orientieren. Dann wären Banken kaum mehr im Stande, ihre Transformationsfunktion zu erfüllen. Auch zeigen "prominente" Beispiele von Instituten mit Schieflage in den USA wie in Deutschland, dass eine jedenfalls zu Beginn der Zuspitzung - weit über den Anforderungen liegende Solvenzsituation dem Institut das Marktvertrauen nicht sichern konnte. Allerdings kann die Aufsicht im Rahmen der Prüfungen nach Säule 2 zusätzliche Eigenkapitalanforderungen stellen. Diese beziehen sich aber jeweils auf die konkrete Risikolage eines speziellen Instituts und nicht auf den Bankensektor als ganzes. Mindestausstattung erhöhen? Man sollte auch nicht aus dem Blick verlieren, dass erst eine weitgehende Zeitwertbilanzierung in den letzten Jahren zu sehr hohen, nun rasch fallenden "Marktwerten" geführt hat. Sinnvoller als eine deutliche (und letztlich doch immer zu niedrige) Erhöhung des Puffers Eigenkapital wäre es also, die der Zeitwertbilanzierung innewohnende Volatilität zu mindern und etwa - wie auch der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat - zur Sicherung der Nachhaltigkeit der Gewinnermittlung Ausschüttungen auf den realisierten Gewinn beschränken.3) Drittens hätte eine frühere Umsetzung von Basel II in allen Jurisdiktionen die Krise zwar nicht verhindert, aber deutlich abgemildert. So wäre zum Beispiel eine Eigenkapitalunterlegung auch unterjähriger Kreditzusagen an Zweckgesellschaften obligatorisch gewesen. Leider ist Basel II in Deutschland faktisch erst Anfang 2008 in Kraft getreten, in Japan ein Jahr früher. In den USA gelten die Regelungen bis heute nicht, auch wenn sich jetzt die Bereitschaft zur Umsetzung erhöht haben dürfte. Japan hat demgegenüber mit seiner früheren Umsetzung von Basel II gute Erfahrungen gemacht. Mittelfristig wird allerdings im Baseler Komitee zu diskutieren sein, ob und inwieweit der sogenannte Multiplikator anzupassen ist. Als Basel II kalibriert worden ist, war es das erklärte Ziel, die Banken einerseits zu risikobewussterem Verhalten anzureizen, zum anderen aber das Kapitalniveau im Bankensystem als Ganzes unverändert zu halten. Die Auswertungen nach einem Jahr Basel-II-Erfahrung gehen in die Richtung, dass die Anwendung der fortgeschrittenen Ansätze in einzelnen Ländern zu einer nennenswerten Eigenkapitalentlastung führt. Die Ergebnisse sind nun international abzustimmen. Dann wird zu entscheiden sein, in welchem Zeitraum und um wieviel das Mindesteigenkapital gegebenenfalls zu erhöhen ist. Wo sind schnelle aufsichtliche Veränderungen notwendig? Unabhängig davon ist aufsichtlicher Handlungsbedarf in speziellen Positionen gegeben, deren Unterlegung nach den Erfahrungen der letzten Monate nicht risikogerecht war und zu Arbitragereaktionen geführt hat. Die Höhe der Eigenkapitalunterlegung von Verbriefungspositionen muss stärker an deren Risiken angepasst werden. Die Kalibrierung für den Baseler Akkord aus dem Jahre 2004 ist durch die neuen Erkenntnisse überholt. Auch die Einbeziehung von Kreditlinien an Zweckgesellschaften in die Großkredit- und die entsprechenden Konsolidierungsregeln werden zu Recht überarbeitet. Selbstbehalt bei Verbriefungen Wichtig und richtig zur Rückkehr des Vertrauens in den Verbriefungsmarkt ist auch der von der EU-Kommission geplante Selbstbehalt bei Verbriefungen; Investoren müssen davon ausgehen können, dass der Urheber einer Verbriefung ein fortdauerndes Eigeninteresse an der Bonitätsprüfung der Kreditnehmer hat. Um Arbitrage zwischen Handels- und Bankbuch zu vermeiden, ist eine stärkere Unterlegung der Handelsbuchrisiken notwendig. Letztlich kann über die Offenlegung, die Säule 3, mehr Transparenz geschaffen werden, zum Beispiel über die sogenannten Warehouse- oder Pipeline-Risiken. All diese Desiderata sind vonseiten der Aufsichtsbehörden, dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht, erkannt und zumeist abgearbeitet. Die Kommission hat parallel eine Richtlinie erarbeitet, die noch den Weg durch Europäischen Rat und EU-Parlament nehmen muss. Nach derzeitigem Stand ist die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten allerdings erst für einen ziemlich späten Zeitpunkt, für Ende 2010 vorgesehen. Diskussion um die Leverage Ratio Ist ein ergänzendes Maß für das Mindesteigenkapital notwendig? Über die bereits konkreten Vorschläge für Veränderungen im Aufsichtsrahmenwerk hinaus diskutieren der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und auch die EU-Kommission grundlegende Änderungen wie die Messung der Solvenz mit Hilfe der Leverage Ratio. Die Schweiz zum Beispiel hat kürzlich obligatorisch für große Institute eine Leverage Ratio eingeführt; in den USA gibt es dieses Maß schon seit Anfang der neunziger Jahre. Für die Leverage Ratio werden als Vorteile ins Feld geführt: Sie ist ein transparentes Maß über den (bilanziellen) Verschuldungsgrad eines Unternehmens und kann wirksam den bilanziellen Hebel, das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital beschränken. Sie ist - im Grundgedanken für Investoren, Aufseher und Management einfach nachzuvollziehen. Dem stehen jedoch erhebliche Nachteile gegenüber: Die Leverage Ratio liefert per Konstruktion Anreize zu ihrer Umgehung durch Ausbau des außerbilanziellen Geschäftes. Eine außerbilanzielle Ausdehnung des Nenners ist wegen der damit verbundenen Abgrenzungsprobleme (auf welche Geschäfte? zu welchem Wert?) wenig zielführend. Die Höhe des nach einer solchen Kennziffer vorzuhaltenden Eigenkapitals hängt maßgeblich vom Bilanzstandard ab. Nach US-GAAP bilanzierende Institute hätten einen Vorteil gegenüber IFRS-Banken, da unter US-GAAP zum Beispiel Net-ting-Vereinbarungen in größerem Umfang angewendet werden dürfen. Dies reduziert ceteris paribus die Bilanzsumme und somit die notwendige Höhe des Eigenkapitals bei ökonomisch gleichem Risiko. Die Leverage Ratio ist nicht risikosensitiv. Letztlich hätte eine Bank, deren Aktiva nur aus Staatskrediten besteht, die gleiche Ratio wie eine Bank gleicher Bilanzsumme und gleichen Eigenkapitals, deren Aktiva nur aus Subprime-ABS bestehen. Nicht zuletzt hat auch die Leverage Ratio in den USA Bankeninsolvenzen nicht verhindert. Eine Reihe von Banken dort beantragten trotz des Status "Well Capitalized" (Ratio > fünf Prozent) Gläubigerschutz: Denn auch die Leverage Ratio schützt nicht vor den bekannten Liquiditätsproblemen. Nachrichtlicher Ausweis Würde man versuchen, die genannten Probleme der Fehlanreize und bilanzspezifischen Ungleichheiten bei der Ausgestaltung einer Leverage Ratio zu berücksichtigen, bliebe sicherlich die "Einfachheit" dieser Regel auf der Strecke und man hätte - zusammen mit den Baseler Regeln zwei teilweise nicht nur parallele, sondern kontradiktorische Kapitalregime. Auch die gelegentlich vorgebrachte Behauptung, die Aufsicht könne die Leverage Ratio unschwer antizyklisch ausgestalten also die Ratio im Abschwung senken und im Aufschwung erhöhen - trägt bei Lichte besehen nicht. Einerseits müsste die Aufsicht die Wendepunkte im Zyklus prognostizieren können - was bei aller Wertschätzung für Konjunkturforschung sehr schwer ist. Andererseits müssten Änderungen an der Leverage Ratio bei transnational agierenden Instituten weltweit abgestimmt werden, was bereits daran scheitert, dass Konjunkturzyklen nicht parallel verlaufen. In Summe ist daher die Leverage Ratio für aufsichtliche Zwecke einem risikosensitiven Maß wie nach Basel II in vieler Hinsicht unterlegen ist. Denkbar ist ein nachrichtlicher Ausweis, zum Beispiel im Rahmen der Säule 3 von Basel II, den das Kreditinstitut zur Darlegung seiner Geschäftspolitik einer nachhaltigen Kreditkultur mit Verzicht auf unangemessene Fremdkapitalhebel nutzen kann. *Der Autor legt ausschließlich seine persönliche Auffassung dar. Fußnoten 1) IMF, WEO, update November 2008. 2) IMF, GFSR, 10/2008, Seiten 65 f. 3) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Die Finanzkrise meistern - Wachstumskräfte stärken, Jahresgutachten 2008/2009, Seite 118.

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