Leitartikel

Ausblicke

Es war fast wie in einer guten Ehe: Ein wenig Gleichgültigkeit hier und ein wenig Unachtsamkeit da, ein wenig zu viel Gewohnheit hüben und das Festhalten an Vertrautem drüben führten im vergangenen Jahr im weltweiten Finanzsystem zu erheblichen Unstimmigkeiten. Das verflixte 7. Jahr (dieses Jahrhunderts) eben, wie es nach dem Theaterstück "The Seven Year Itch" von George Axelrod im Jahre 1955 von Billy Wilder mit Marilyn Monroe ausgezeichnet verfilmt wurde. Auch wenn die Finanzdienstleistungsindustrie anders als Frischverliebte keineswegs von einem rosaroten Start in die 2000-Ära sprechen kann: Erst platzte die New-Economy/Neuer-Markt-Blase, zwei Jahre später folgten erhebliche Wertberichtigungen und eine kurze, aber umso heftigere Phase der Erholung, bis schließlich Subprime mit unerbitterter Härte zuschlug.

An den damit verbundenen Unsicherheiten wird sich auch 2008 so schnell nichts ändern. Noch sind zwar keine konkreten Auswirkungen auf die Realwirtschaft spürbar, doch wächst die Angst vor einer Rezession in den USA. Die Arbeitslosenquote jenseits des Atlantiks kletterte auf über fünf Prozent, den höchsten Stand seit zwei Jahren. Das liegt vor allem daran, dass die amerikanischen Unternehmen deutlich vorsichtiger werden: Sie schufen 2007 nur 18 000 neue Stellen. Und wenn selbst ein Branchenriese wie die Citigroup plant, ein Zehntel ihrer rund 330 000 Beschäftigten zu entlassen, dann kann das nicht ohne Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt und vor allem den privaten Konsum bleiben, der als Antreiber ausfallen wird. Trübe Aussichten also.

Wenn aber die Lokomotive ins Zuckeln gerät, hat das weitreichende Folgen: Auch in Deutschland trüben sich die Konjunkturaussichten ein. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle senkte seine Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes jüngst auf 1,7 Prozent, das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung glaubt nur noch an eine Zunahme um 1,5 Prozent. Belastende Faktoren sind vor allem die hohen Rohstoffpreise. Allein hier zeigt sich die anhaltende Verwirrung der Auguren. Während die einen einen Anstieg pro Barrel um mehr als 100 Prozent auf 200 Dollar prognostizieren, rechnen andere mit einem Rückgang des Preises. Zumindest an den Zapfsäulen wird es aber kaum zu einer nachhaltigen Entspannung kommen. Nicht mehr wegdiskutieren lassen sich demzufolge auch die deutlich gestiegenen Inflationssorgen. Selbst EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, der nach wie vor von einem robusten Wachstum in der Eurozone spricht, warnt angesichts der anziehenden Preise für Lebensmittel, Öl und andere Rohstoffe vor einer aufwärts gerichteten Lohn-Preis-Spirale. Auch historisch betrachtet sind drohende inflationäre Tendenzen durchaus vorstellbar. Zwischen dem September 1974 und dem September 1977 war der reale Zinssatz für Tagesgeld in den USA negativ - darauf folgte die schlimmste Inflation jenseits des Atlantiks! Negative Realzinssätze gab es auch von Oktober 2002 bis April 2005, einige der Folgen wurden in Form der Subprime-Krise am Wohnungsmarkt schon spürbar, andere lassen noch auf sich warten.

Doch was heißt das alles für die deutschen Banken und Sparkassen im tagtäglichen Geschäft? Zunächst: Auf der Zinsseite ist keine Entspannung in Sicht. Im Gegenteil. Zu Beginn dieses Jahres ist die Zinsstrukturkurve fast schon wieder invers: 4,25 Prozent für zehnjährige Nullkuponanleihen stehen am Geldmarkt, der Drei-Monats-Euribor mit 4,61 Prozent und der Monats-Euribor mit 4,21 Prozent gegenüber. Erträge aus der Fristentransformation fallen damit weitestgehend weg. Das setzt vor allem die in erheblichem Umfang vom Zinsgeschäft abhängigen Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken unter Druck. Rolf Hildner, Vorstandsvorsitzender der siebtgrößten "echten" Volksbank bundesweit aus Wiesbaden, sieht jedenfalls schwere Zeiten auf seinen Finanzverbund zukommen: "Wer seine Kostenstrukturen nicht in Ordnung gebracht hat, wird sehr unter dem anhaltenden Wettbewerb und der allgemeinen Marktlage leiden", sagte er jüngst - und prognostizierte gleichzeitig eine neue Welle an Zwangs-Zusammenschlüssen.

Bankbilanzen werden im laufenden Jahr auch verstärkt unter den steigenden Privatinsolvenzen leiden, was sicherlich nicht ohne Folgen für das in den vergangenen Jahren so wunderbar boomende Konsumentenfinanzierungsgeschäft bleiben wird. 2007 zeichnet sich dies zwar noch nicht ab: Per Ende September lag der Anteil der Ratenkredite am gesamten an inländische Unternehmen und Privatpersonen vergebenen Kreditvolumen laut Bankenstatistik der Deutschen Bundesbank mit 130,86 Milliarden Euro bei 5,74 Prozent. 2000 betrug der Anteil nur 4,97 Prozent, vor fünf Jahren schon 5,1 Prozent. Allerdings werden sich wiederum vor allem die beiden großen Verbünde angesichts explodierender Insolvenzzahlen bei privaten Haushalten sehr genau überlegen, wie intensiv sie dieses Geschäft auch 2008 noch betreiben wollen - sind doch die Sparkassen mit 31,9 Prozent des gesamten Ratenkreditvolumens zweitgrößter Finanzierer der Konsumenten hinter den Spezialisten der Teilzahlungsbanken, die es auf 36,5 Prozent bringen, und gefolgt von den Genossen mit 22,5 Prozent. Wer viel hat, hat viel zu verlieren, weiß schon der Volksmund.

Da weder im gehobenen Privatkundengeschäft noch im Kreditgeschäft mit großen und mittelständischen Unternehmen spürbare Margenverbesserungen durchsetzbar sein werden, bleibt der Druck auf die Ertragslage groß. Und: Auch wenn der gemeinwohlorientierte Förderauftrag bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken die Eigenkapitalrendite als vordringlichen Maßstab relativiert, wird diese Kennzahl sich neben der Cost Income Ratio weiter steigender Aufmerksamkeit erfreuen. Denn eine rentabel arbeitende Genossenschaftsbank kann nicht nur ihren Förderauftrag besser erfüllen, sie hat auch stichhaltige Argumente im Werben um neue Mitglieder. Die Volksbank Lahr beispielsweise zahlt seit Jahren eine stabile Dividende von sieben Prozent und konnte unter anderem damit ihren Mitgliederbestand in den vergangenen 18 Jahren mehr als verdreifachen. Und auch die weiterhin eher klammen Kommunen freuen sich über erfolgreiche und (außer)ordentlich ausschüttende Sparkassen.

Überhaupt die Öffentlich-Rechtlichen: Horst Köhler, der heutige Bundes- und frühere Sparkassenpräsident, sagte einst: "Die öffentliche Rechtsform ist kein Selbstzweck, sondern erhält ihre Rechtfertigung durch einen dauerhaften erhöhten Nutzen in den Regionen." Schön, schön. Leider nehmen das nur allzu viele Politiker allzu wörtlich und instrumentalisieren "ihre" Landesbanken erheblich, die einen mehr, die anderen weniger geschickt. Die Sorge, ohne das vermeintlich so wichtige und damit begehrte strukturpolitische Instrument eines dienstbaren Finanzinstituts dazustehen, ist gerade in der stattfindenden Konsolidierungsdiskussion bei jedem Politiker über alle Maßen spürbar. Das Karussell dreht sich bekanntermaßen munter: Hessens Koch will mit den Rheinländern und den Westfalen, die Bayern wollen erstmal lieber mit niemandem, die Hannoveraner bleiben vernünftigerweise ganz einfach still und die Württemberger wollen mit allen, nur will keiner mit ihnen. Doch ist nicht viel wichtiger, was die Sparkassen als der im wahrsten Sinne des Wortes tragen de Teil der S-Finanzgruppe wollen? Sie wollen sicherlich weniger Landesbanken mit weniger Problemen, denn das kostet nur Geld, und sicherlich nur in Ausnahmefällen vertikale Fusionen. Auch die Landesbanken können diese Option nicht wirklich für die Beste halten. Denn die Aufgabe als Girozentrale, das Sparkassengeschäft eben, hat sich in der Vergangenheit nie als besonders ertragreich erwiesen - wie auch, als nur andienende Funktion. Dies nun wieder zum ureigensten und vielleicht größten Geschäftzweck zu machen käme einem gewaltigen Schrumpfungsbeschluss gleich.

Aber was bleibt? Was bleibt, irgendwo zwischen den unabhängiger weil vielseitiger werdenden Großsparkassen und den privaten Großbanken? Wahrlich nicht viel und so gleichen manche Geschäftsmodelle immer noch mehr zaghaften "Trial-and-Error-Versuchen" denn nachhaltigen Überlebensstrukturen. Hat sich das Modell Landesbank vielleicht doch überlebt? Zumindest ist nirgendwo in dieser Republik eine ähnlich klare Rolle der Zentralbanken zu beobachten wie sie die DZ Bank bei den Kreditgenossen ausfüllt.

Dann die privaten Großbanken - die Deutsche Bank macht das, was ihr Vorstandsvorsitzender von einem Gewinner einfordert: "Sie zeigt dann Stärke, wenn andere Schwäche zeigen" und steht im Vergleich zu den amerikanischen und Schweizer Konkurrenten (noch) gut da. Die Commerzbank rennt derzeit erfolgreich vor dem dauerhaften Nimbus des ewigen Übernahmekandidaten weg, ist durch den anstehenden Führungswechsel und die erfolgversprechende Integration von Eurohypo und Essen Hyp aber auch noch ein bisschen mit sich selbst beschäftigt. Und die anderen? Auch sie taugen wahrlich nicht als Landesbanken-Vorbild. Die Zukunft der Dresdner im Hause Allianz gilt in der Vollkommenheit wieder mal als ungewiss. Etwas besser steht es zwar um die Hypovereinsbank, aber was genau die Italiener mit den Bayern vorhaben, ist nicht einwandfrei erkennbar. Und die Postbank? Hier weiß wohl nur der Post-Chef selbst, wohin der Dampfer fährt. Doch auch das wird sich bis zu dessen Ausscheiden im November dieses Jahres klären.

"Ach, dass der Mensch so häufig irrt und nie recht weiß, was kommen wird". Diesem Zitat von Wilhelm Busch, dessen Todestag sich am 9. Januar 2008 zum 100. Mal jährte, schließt sich der Chronist an. Einem anderen lieber nicht: "Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe." P.O.

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