Leitartikel

Aufgabe und Gewinn: Deutschland braucht beides

Es gibt sie noch vereinzelt - diese Ansicht, dass die öffent-lich-rechtlichen Banken aufgabenorientiert und die privaten Institute gewinnorientiert seien, ja sogar sein müssten. Doch wie schon vor 26 Jahren fordert dieser Ansatz - heute noch mehr - Zweifel an seiner Gültigkeit heraus: "Ganz vordergründig schon in der Richtung, dass die privaten Banken überhaupt gar keinen Gewinn erzielen könnten, wenn sie nicht ihre Aufgaben erfüllen würden. Und wenn sich andererseits heute eine Landesbank an der langfristigen Finanzierung des Exports eines Kraftwerks beteiligt, so tut sie dies ausschließlich unter dem Aspekt, ihre Gelder und die der ihr angeschlossenen Sparkassen möglichst gewinnbringend anzulegen." So ist es nachzulesen in der 24. Ausgabe der ZfgK aus dem Jahre 1979. Um im Wettbewerb bestehen zu können, brauchen private, öffentlich-rechtliche wie auch genossenschaftliche Banken eine solide Grundlage, wenn sie nicht machtlos zusehen wollen, wie ihnen die Kunden verloren gehen. Denn auf andauernde Stützung durch Verbünde und Eigentümer kann niemand im Kreditwesen vertrauen.

Doch der deutsche Banker - der international orientierte mehr als der mit Lokalkolorit - hat es damit wahrlich nicht leicht. Macht sein Haus zu wenig Gewinn, wird ihm von Analysten, Politikern und der interessierten Öffentlichkeit vorgehalten, er sei nicht wettbewerbsfähig, seine Renditen liefen denen anderer Institute hinterher und überhaupt sei er nur ein Übernahmekandidat. Macht sein Haus dagegen hohe Gewinne, weil es durch Stellenstreichung, Verkäufe und Auslagerungen scharf auf Effizienz getrimmt wurde, schreien zumindest Politik und Öffentlichkeit: Verrat, Verrat! Laut und öffentlich wird der "offensichtliche pure Kapitalismus" beklagt. Zwischen dem "Versager" und dem "Gnadenlosen" liegt nur ein schmaler Grat.

Klar ist: Die Hausbank ist längst nicht mehr das, was sie noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren war. Der Bundesbürger hat allein in seinem privaten Bereich mittlerweile im Schnitt drei bis vier Bankverbindungen. Und die Wechselbereitschaft steigt von Tag zu Tag, was den Preiswettbewerb in einem weitgehend verteilten Markt nicht schwächer werden lässt. Gab es 1955 in der Bundesrepublik noch 13 359 Kreditinstitute mit 26 333 Bankstellen, waren es 1997 noch 3 577 Institute mit 63 186 Niederlassungen und sind es Ende 2005 noch 2 344 Banken mit 46 444 Stellen. An der flächendeckenden Versorgung kann es also nicht liegen, dass die Kunden immer untreuer werden. Im Gegenteil: Die Zahl der Anbieter ist auf ein überschaubares Maß geschrumpft, wobei diese aber noch präsenter sind als früher.

Gleichzeitig zeigt das Verhältnis von Teilbetriebsergebnis der Banken zum bundesdeutschen Bruttoinlandsprodukt ein stetiges Wachstum. Dass für diese Erfolge im Zeitalter der IT, der Prozessoptimierung und Arbeitsteilung weniger Menschen benötigt werden, mag von einzelnen - Betroffenen wie Kunden - zwar nicht schön gefunden werden, liegt aber auf der Hand. "Geh zur Bank, mein Junge, dann hast Du was für das Leben", wie es die Großmutter ehemals gerne riet, es gilt schon lange nicht mehr. Dieses Arbeitsplatzrisiko trifft die stets auf Sicherheit und Konstanz bedachte bundesdeutsche Seele tief. Der Wandel zeigt sich auch in der mitarbeiterbezogenen Produktivität - so erwirtschaftete jeder Beschäftigte der Deutschen Bank in den ersten neun Monaten einen Gewinn von knapp 62 000 Euro, bei der Citigroup sind es "lediglich" gut 48 000 Dollar.

"Es ist in der Tat erst der angelsächsische Vergleich, der das Thema so richtig brisant macht und den viele beim Thema Aufgabe und Gewinn im Kopf haben. Es ist einerseits die Sicht Londons oder New Yorks, der Angelsachsen ganz allgemein, nach der die Bundesrepublik in Sachen Corporate Governance immer noch hinter den internationalen Standards der Gewinnorientierung hinterherhinkt. Andererseits ist es die deutsche Sicht, nach der wir keine so genannte Amerikanisierung unserer Wirtschaft wünschen." So sprach ein Wanderer zwischen den Welten, der gelernte Deutschbanker und frühere Investmentbanker an der Wallstreet, Kurt Viermetz, auf der 52. Kreditpolitischen Tagung dieser Zeitschrift. Hierbei ist sicherlich anzumerken, dass die nur zu gerne hochgespielten Unterschiede in der Wahrnehmung dieser beiden Begriffe dies- und jenseits des Atlantiks in den vergangenen Jahren bereits deutlich geringer geworden sind.

Die ehemals engen Kapitalverflechtungen der führenden deutschen Unternehmen, die im Nachkriegsdeutschland sicherlich notwendige, mittlerweile aber überholte Deutschland AG, sind weitestgehend aufgelöst. Das Geschacher um Aufsichtsratsposten ist erheblich geringer geworden. Hier mag der Mannesmann-Prozess eine heilende Wirkung gehabt haben, weil er - fernab von Sinn oder Unsinn - die Rolle des Aufsichtsrates in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestellt hat (siehe dazu auch Gespräch des Tages, Seite 1264). Überhaupt sind Aufsichtsräte dem Eindruck nach hierzulande deutlich aktiver geworden, was natürlich auch mit dem Einzug ausländischen Kapitals, nicht nur in Form von Private-Equity-Gesellschaften oder Hedgefonds, und mit der Shareholder-Value-Orientierung zusammenhängt. Im Zusammenspiel von Vorstand und Aufsichtsrat sind die Verantwortlichkeiten klarer geworden, vielleicht noch nicht immer klar genug; das Miteinander ist aber mehr und mehr durch wirklichen Rat und Kontrolle geprägt.

Aber die nahezu ausschließliche Orientierung an den Aktionären und damit den Eigentümern geht in der Bundesrepublik noch zu weit. Das deutsche Volk ist anders als in den USA kein Volk von Aktionären, was natürlich an der ausgeprägteren Kapitalmarktaffinität der Amerikaner wie auch an den unterschiedlichen Formen der Entlohnung liegen mag. Was in den USA längst gang und gäbe ist, nämlich die Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen als Incentive und zur stärkeren Identifikation einzusetzen, ist hierzulande eher die Ausnahme. Hinzu kommt die ambivalente Haltung zum Unternehmertum. Es ist in der Tat schon ein typisch deutsches Phänomen, dass hohe Gewinne beziehungsweise hohe Gehälter sofort Neid auf den Plan rufen. Das da Freude und Engagement verloren gehen können, wer mag es verdenken? Hierzulande gibt es lediglich 4,5 Prozent Unternehmer, in den USA dagegen 11,3 Prozent der Bevölkerung. Dabei ist gerade das Unternehmertum, wer weiß es nicht, durch Schöpfung und Zerstörung für die Weiterentwicklung einer Volkswirtschaft, und damit das Wohl vieler bis aller, so wichtig.

Und in der Praxis sollte kein Widerspruch zwischen einer mit der Suche nach individuellen Vorteilen verbundenen Gewinn- und einer dem Gemeinwohl eher zugetanen Aufgabenorientierung vorherrschen. Weder darf die Aufgabenerfüllung jedes Gewinnstreben ersticken, noch darf der Gewinn zur alleinigen Aufgabe erklärt werden. Wenn der Rekordgewinn mit neuen Entlassungen gleichzeitig verkündet wird, wenn mitten in einen Stellenabbau die Verdreifachung der Gehälter des Managements fällt oder wenn eine im Rahmen der Zukunftssicherung erfolgte Auslagerung eines ganzen Unternehmensbereichs wenige Zeit später zulasten der Arbeitnehmer insolvent wird, dann hat bei aller sicherlich vorhandenen wirtschaftlichen Notwendigkeit der Maßnahmen vor allem die Kommunikation versagt, das Fingerspitzengefühl gefehlt. Denn es ist der hier lebenden Bevölkerung nicht oder nur schwer vermittelbar, warum sie mit Verzicht auf Weihnachtsgeld oder "kostenloser" Mehrarbeit zwar zur

Zukunftssicherung des Unternehmens gleichzeitig aber auch zugunsten international vergleichbarer Managergehälter beitragen soll. Rentabilität kann und darf nicht das einzige Kriterium für den wirtschaftlichen Erfolg sein, so schreibt es BVR-Präsident Christopher Pleister.

Dass die Aufgabe zulasten des Gewinns in den Hintergrund tritt, ist übrigens auch der Deutschen Bundesbank nicht fremd. Seit dem Übergang der geld- und währungspolitischen Verantwortung bei der Euro-Einführung schielen die interessierte Öffentlichkeit und vor allem der Finanzminister nur noch auf den Betrag, der Jahr für Jahr von Frankfurt nach Berlin überwiesen wird. Das zeigen auch die immer wiederkehrenden Forderungen nach Gold- oder Währungsverkäufen der Notenbank. Bundesbank-Präsident Axel Weber weist zu Recht darauf hin, dass diese Sichtweise ein wenig zu undifferenziert ist, denn "gemäß dem Subsidiaritätsprinzip ist die Umsetzung der geldpolitischen Entscheidungen, also das operative Geschäft, jedoch weitgehend Aufgabe der nationalen Zentralbanken". Die Sicherung der Preisstabilität sowie der Stabilität des Finanz- und Währungssystems spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Bankenaufsicht, der Zahlungsverkehr sowie die Bargeldversorgung. Der Gewinn der Bundesbank ist ohnehin lediglich das Residuum aus der Summe der geldpolitischen Entscheidungen.

Dass die Bundesbank bei ihren Aufgaben ebenso wettbewerbsneutral wie staatsunabhängig funktioniert, ist genauso laut zu loben, wie es anzuprangern ist, wenn an anderer Stelle mehr und mehr eine neue "Bundes-Bank" entsteht. Mitte kommenden Jahres, so steht es in einem noch vor Weihnachten zu veröffentlichenden Gesetzesentwurf, soll das aus dem deutschen Wiederaufbau resultierende ERP-Sondervermögen vollends auf die staatliche KfW Bankengruppe übertragen werden. Zwar nutzt diese das Geld bereits seit Jahren für ihre Mittelstandsförderung, doch ist nicht verständlich, warum das Institut nun auch von der Eigenkapitalseite in eine so viel komfortablere Situation gehoben werden soll. Die übrige Kreditwirtschaft in Form des Zentralen Kreditausschusses befürchtet, "dass die umfangreichen finanziellen Mittel von der KfW für Geschäftsfelder außerhalb ihres Förderauftrags genutzt werden". Diese Sorge ist durchaus berechtigt, zeichnet sich die Frankfurter Staatsbank - siehe Ipex-Bank, siehe Mittelstandsbank, siehe IKB, siehe Studienkredite - keineswegs durch Zurückhaltung aus. Von der eigentlichen Aufgabe der Beseitigung von Marktversagen kann hier keine Rede sein.

"Wir sollten die grundlegenden Unterschiede zwischen gewinn- und aufgabenorientierten Kreditinstituten sehen, respektieren und auch nicht verwischen. [...] Viel wichtiger ist, dass wir voneinander profitieren: die börsennotierten Banken von Sparkassen und Genossenschaftsbanken, weil diese ihnen Aufgaben abnehmen, die sie in ihrem globalen Wettbewerb eher behindern würden. Und Sparkassen und Genossenschaftsbanken von privaten Instituten, indem diese sie im Wettbewerb fordern und damit verhindern, dass man sich im wohligen Bewusstsein der Gemeinwohlorientierung ausruht", so lautet das Fazit des Beitrags von Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis. Der deutsche Bankenmarkt ist geprägt von einem harten Wettbewerb, und das ist gut so. Private und vor allem große Banken wären genauso schlecht beraten, das Heimatland und den Kunden hier zulasten einer international anerkannten Rendite zu vernachlässigen, wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken, wenn sie sich den internationalen Auguren folgend in eine sinnlose Konsolidierung stürzen würden. Die Vielfalt entscheidet, nein: sie garantiert das Cui Bono für Deutschland.

"Gewinn ist notwendig wie die Luft zum Atmen, aber es wäre schlimm, wenn wir nur wirtschaften würden, um Gewinn zu machen, wie es schlimm wäre, wenn wir nur leben würden, um zu atmen." Hermann-Josef Abs.P.O.

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