Leitartikel

Gute Aufsicht

Eigentlich möchten sie es nur haben wie die Seifensieder, Wurstkocher oder Pillendreher: Sie möchten nur Wohlriechendes, Wohlschmeckendes und furchtbar Gesundes nach allen Regeln der Kunst produzieren und einigermaßen einträglich unters Volk bringen. Uneigentlich jedoch sind die Kreditinstitute und die Finanzdienstleister aller Art aber doch stolz darauf, etwas Besonderes zu sein: Wenn's um Geld geht, versteht der moderne Staat so wenig Spaß wie die alten Duodezherrschaften - hoffentlich freilich aus etwas anderen Gründen. Bankenaufsicht, Finanzaufsicht wird als Staatsaufgabe gewertet, die deutlich über Verbraucherschutz hinausreicht. Bankenaufsicht gilt in der Welt des 21. Jahrhunderts als Staats-Schutz per se. Das Funktionieren von Gemeinwesen gilt als derartig eng mit der Stabilität des Geldwesens verknüpft, dass rasch zunehmend jeder noch nutzbare Spielraum der Bank- und Kapitalmärkte als Risiko für eine kontrollierbare "Ordnung" betrachtet wird. Die Regulierung nimmt immer nur zu.

Mehr noch: In die Bankenaufsicht werden fortlaufend fremde, nur scheinbar naheliegende Tatbestände hineingeschoben, die wie etwa die Geldwäsche zur puren Kriminalität gehören und mit der Qualität von Bankbetrieben und stabilitätsbewusster Währungspolitik (hoffentlich) nichts zu tun haben. Nicht minder ausschweifend entwickelt sich die Wertpapieraufsicht. Sie wird gezwungen, Aktien-, Börsen-, Handels- und Anlegerrecht und was sonst noch gerade passend erscheint zumindest punktuell zu verfolgen, damit der Staat ein Alibi seiner Sorgfaltspflicht vorweisen kann. Schlimm daran ist leider: Die hoheitlichen Sorgen sind berechtigt. "Unruhen an den Kapitalmärkten" wirken mindestens so destabilisierend auf die globalen Verhältnisse wie pure Bankenkrisen. Und seit das Investment Banking die Grenzen zwischen Kreditinstituten und Unternehmensentwicklungen derartig verwischt hat, wie einst in der Gründerzeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, sind Banken- und Kapitalmarktaufsicht ohnehin ganz nahe aneinandergerückt. Dass dabei nur mit besonderer Behutsamkeit gesteuert werden kann, nicht aber mit dröhnenden Hammerschlägen, zeigt die dümmliche deutsche Heuschrecken-Definition der Hinterbänkler.

Das Kreuz jeder Aufsicht liegt in der Schizophrenie der an sie gerichteten Erwartungen. Denn zweifellos müssen die der staatlichen Kontrolle unterworfenen Banken das inzwischen entsetzlich dicke Kreditwesengesetz und erst recht die Ausführungsbestimmungen dazu umso mehr als kaum noch zumutbare Bürde empfinden, je mehr die Einhaltung aller Regeln auch wirklich überwacht wird. Würde die Aufsichtspraxis jedoch stattdessen als lässig bis lasch apostrophiert werden können, wäre nicht nur die Wirkung dahin, sondern die öffentliche Kritik auf das Lebhafteste provoziert: Jedes Fallissement könnte unverzüglich als Konsequenz aus aufsichtlicher Großzügigkeit und Befangenheit bezeichnet werden. Just dieser Vorwurf ist ohnehin ein latenter. Jede Bankschließung und überhaupt jeder ernsthaft maßregelnde

Eingriff werden von unmittelbar Betroffenen in der Regel als "zu früh" klassifiziert, von mittelbar Berührten einschließlich Politik und Tagesschau jedoch als "zu spät" kritisiert - am liebsten beides gleichzeitig.

Die Effizienz von Aufsicht an der Anzahl von Bankschließungen oder auch nur Beanstandungen zu messen, etwa nach Muster der Kriminalstatistik für aufgeklärte Verbrechen, gilt glücklicherweise nicht ernsthaft als zielführend. Herrschende Meinung ist vielmehr, dass am besten weil am erfolgreichsten dort beaufsichtigt wird, wo "nichts passiert". Vielleicht kann man deshalb die starke Regulierung und Kontrolle des Kreditwesens nicht allein in Deutschland sogar als die vernünftigste Möglichkeit der Prävention entschuldigen. Zu den Verdiensten der deutschen Aufseher in Ba Fin wie Bundesbank gehört es dabei, dem genervten Gewerbe immer wieder zu erklären, welchen höheren Sinn die fortgesetzt renovierten Normen haben. Zumindest den Aufsichtsspitzen scheint es zuletzt gut gelungen zu sein, vor allem bei der Umsetzung von Basel II verständlich zu machen, dass es dabei nicht um die Erzwingung von Recht zu gehen hat, sondern um die Verbesserung von Betriebs- respektive Systemqualitäten. Ob sich dieses Lob auch schon auf die Alltäglichkeiten der Prüfung vor Ort beziehen darf, ist aber etwas unsicher. Da verstehen ältere Banker den Ehrgeiz jugendlicher Prüfer vielleicht nicht immer richtig.

Gute Aufsicht verlangt im Medienzeitalter, für das Geld und Macht zu den attraktivsten Schlagzeilen gehören, nicht allein innerhalb des Gewerbes nach Ansprechbarkeit und Information, sondern auch nach außen - hinein in die Öffentlichkeit. Das ist schon ein Grenzgang. Denn wer im Stillen regeln und regulieren will, damit nichts laut wird, kann darüber eben nicht plakativen Klartext reden. Aber - kommuniziert muss dennoch werden. Dass sowohl Jochen Sanio und Karl-Burkhard Caspari von der Ba Fin als auch Edgar Meister als zuständiger Vorstand der Bundesbank diese Kunst zwischen Sagen und Nichtsagen, zwischen Aufklärung, Andeutung und Schweigen beherrschen, ist ein Glücksfall.

Diese Sicht- und Hörbarkeit der Bankaufsicht mag gelegentlich den Rest von Behördenmentalität im der Ba Fin vorgesetzten BMF stören. Das ist aber falsch. Denn ohne die Aufseher könnte nur der Minister selbst oder höchstens sein Staatssekretär kreditwirtschaftliche Affären vor dem Publikum kommentieren - woraus dann sofort Staatsaffären in direkter Bedeutung des Begriffs entstünden. Freilich darf man den Sorgenden im Bundesfinanzministerium zugute halten, dass die Prozessrisiken der Bankenaufsicht inzwischen recht groß geworden sind. Und dass im Fall von Schadenersatz für Fehlentscheidungen der Aufseher - Gott Merkur verhüte solches - letztlich der Bund haften würde, ist wenig bestritten. Wie Basel II und Verwandtes via Brüssel in der Bundesrepublik umgesetzt werden, ist im Übrigen nicht Sache der Aufseher, sondern der Bundesregierung. Nur sie ist auf EU-Ebene der deutsche Verhandlungsführer.

Verantwortung für das Schicksal des nationalen Bankwesens inklusive aller heiligen Säulen trägt sie somit allemal schon "von vornherein".

"Seit es in Deutschland eine allgemeine staatliche Bankenaufsicht gibt, ist die deutsche Notenbank maßgeblich daran beteiligt." So leitet auf den folgenden Seiten Axel A. Weber seinen Kommentar zum Paragraph 7 des KWG von 2002 ein. Wie gut erinnerlich, war die Bundesbank mit der damals verfügten Aufteilung von "Supervision" auf die neue Ba Fin und die älteren Währungshüter nicht zufrieden. Sie wollte die Aufsicht als alleinige Zentralaufgabe der Bundesbank. Sie konnte - sie kann! - dieses Ansinnen wunderschön treffend begründen: die Verfassung des Bankwesens als zentraler Ansatz für Finanzstabilität und Wirkung der Geldpolitik; komparative Informationsvorteile aus der Präsenz vor Ort; intime Kenntnisse der Marktteilnehmer und Infrastruktur; Bonität des notenbankeigenen Kreditgeschäfts; Oversight-Funktion im Zahlungsverkehr. Der Bundesbankpräsident argumentiert selbstverständlich zweckdienlich. Aber er lässt etwas aus: Die Bundesbank ist seit Einbindung in das Eurosystem im Inland als Hoheitsträger nicht mehr üppig besetzt. Hätte sie sich die Bankenaufsicht vollständig einverleiben können, wäre dies einer Art von Machtkompensation doch schön nahegekommen. Und es hätte die Beschäftigung der Bank in der Fläche auf das Feinste gesichert.

Ob die Bedenken gegenüber einer Verbindung von weisungsunabhängiger Geldpolitik und weisungsabhängiger Bankenaufsicht wirklich der entscheidende Grund dafür waren, der Bundesbank 2002 nur die Aufsichtsbeteiligung statt der Aufsichtshoheit zuzugestehen, oder ob den Kreditinstituten ebenso wie dem Bundesfinanzministerium eine Bundesbank mit voller Aufsicht schlicht als zu mächtig erschien, ist heute eine müßige Frage. Die herrschende Praxis ist für Jochen Sanio (siehe Interview) inzwischen jedoch eine angemessene. Überlegt man außerdem, wie sich das institutionalisierte Selbstbewusstsein der Notenbank wohl damit vertragen hätte, dem Finanzminister in der Aufsicht untertänig zu berichten, ergeben sich reibungsreiche Spielvorstellungen. Die heutige Arbeitsteilung dagegen lässt der Bundesbank ihre Freiheit in hohem Maße.

Die unterschiedlichen Kraft- und Interessenfelder zwischen Amt, Banken und Ministerium zu überprüfen, bleibt freilich in allen aktuellen Vorschlägen zu einem Vorstandsmodell für die Ba Fin - und ihrer Finanzierung - ein interessantes Unterfangen. Warum diese Modelle gerade in diesem Frühjahr 2007 auf den Markt gekommen sind, hat zu mancherlei Mutmaßungen geführt, Motto etwa: Wer will wen nicht mehr?

Edgar Meister, dem die "Kreditwesen"-Redaktion zum Ende seiner Dienstzeit die vorliegende Ausgabe widmet, konnte die Chancen deutlich werden lassen, die ein gut geführtes Banken- und Aufsichtsressort für seinen Inhaber enthält: Da der Bundesbank-Präsident durch seine Einbindung in die Europäische Zentralbank vorzugsweise in der Champions League spielt und seine öffentlichen Auftritte dementsprechend von den Themen der internationalen Währungspolitik dominiert sind, bleibt für die "gewöhnlichen" Vorstandsmitglieder ohne Zugang zum europäischen Zentralbankrat nur selten eine besondere Rolle. Nationales Interesse können sie nur noch beanspruchen, wenn sie hervorragende Dienstleistungen der neuen Bank vorstellen - etwa im Zahlungsverkehr, im Sicherheitsmanagement, in der Bargeldversorgung im Lande.

Das Bankenressort hebt sich von diesem Alltag aber dankbar ab. Erstens hat der Gesetzgeber der Bundesbank hier - siehe oben - hoheitliche Rechte bewahrt. Zweitens sind wichtige internationale Aufsichtsgremien oft Einrichtungen der europäischen Notenbanken. Drittens hat vor allem Basel II immer Anlass zu Stellungnahmen geliefert, weil das Ressort in die Arbeit heftig eingebunden war. Viertens wirkten die öffentlichen Positionen Edgar Meisters fachkundig, unprätentiös - und frei. Dementsprechend ist sein Ansehen hoch, und dass sein Nachfolge-Platz in der Bank deshalb jetzt ein begehrter sein muss, ist verständlich. Wer ihn erringt, darf sich als Aufsteiger sehen.

Auch wenn die Gegenwart "guter Aufsicht" in der Bundesrepublik durchaus etwas mit den Männern zu tun hat, die sie führen, erscheint dieses deutsche Modell als darüber hinaus zukunftsträchtig. Vielleicht kam die Zusammenfassung von Banken, Versicherungen und Kapitalmarkt in einem Amt ein wenig zu früh. Die Allfinanzeuphorie hat mittlerweile doch viele Dämpfer bekommen. Auch große Institute, Konzerne und Konglomerate behaupten, sich wieder mehr auf "Kerngeschäfte" besinnen zu wollen. Der Branchenaustausch innerhalb der Ba Fin hält sich deshalb noch in Grenzen. Vielleicht wird die Kapitalmarktaufsicht inzwischen mit immer neuen Auch-noch-darum-kümmern-Aufträgen überfrachtet. Vielleicht kommt eine gemeinsame europäische SEC auch deshalb noch eher als eine zentrale europäische Bankenaufsicht. Dass internationale Großbanken die Zentralität anmahnen, ist dennoch eine verständliche Pflichtübung. Jörgen Holmquist, der Generaldirektor Binnenmarkt und Wettbewerb der Europäischen Kommission, schreibt für die vielen Platzbanken in Deutschland: "Es wäre ein voreiliger Schluss, dass eine Zentralisierung der Aufsichtszuständigkeit die einzig zwingende Konsequenz aus der Forderung nach kosteneffizienterer Aufsichtstätigkeit ist." Nein, Optimierung der "gegebenen Strukturen" habe im Fokus zu stehen. Da ist schon wieder viel Raum für kluge Aufseher: Für "Freunde und Helfer", die sich gerne mit "guides" treffen. K. O.

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