Weltwirtschaft

Die alte Maschine läuft nicht mehr!

Prof. Dr. Jürgen Singer, Universität Leipzig, schreibt der Redaktion:

"Wenn ein altes Auto mit einem leistungsschwachen Motor auf der Autobahn den Berg herunter , voll getreten' wird, dann kann es die Kolbenringe zerbröseln. Das ist mir einmal mit meinem elf Jahre alten 1,2l Kadett bei einer Laufleistung von 184 000 km passiert. Danach hätte ich einen Austauschmotor benötigt! Ich habe das Auto aber entsorgt. Reparieren war unwirtschaftlich. Übertragen auf die US-Volkswirtschaft lässt sich daraus ein großes Dilemma für die Weltwirtschaft formulieren. Nachdem sich die Decoupling-These (Indien und China retten die Weltwirtschaft) als Märchen oder Fata Morgana entpuppt hat, ist die dominierende Rolle der US-Volkswirtschaft als Lokomotive wieder in den Fokus gerückt. Die Bedeutung des Konsumenten für die US-Volkswirtschaft wird auf 50 bis 70 Prozent geschätzt. Das heißt die weltwirtschaftliche Entwicklung hängt vom US-Verbraucher ab, oder sollte man nicht besser formulieren: Das Wohlergehen der Weltwirtschaft ruht in den Händen der US-Konsumentinnen.

Die Konsumfreude der US-Bürger konnte nicht ohne ausländische Importe befriedigt werden. Im Zusammenhang mit der Deindustrialisierung und der Auslagerung von Produktionsstätten aus den USA in Niedriglohnländer (beispielsweise Mexiko) resultierte ein steter Überhang der US-Importe über die Exporte. Seit 1991 wurde kein Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet. Ein Leistungsbilanzdefizit bedeutet, dass ein Staat auf Kosten anderer Nationen "lebt", was im Allgemeinen nicht ewig währen kann, außer die eigene Währung "spielt" die Rolle als Weltwährung. Das jährliche Leistungsbilanzdefizit belief sich 2007 bereits auf 800 Milliarden US-Dollar. Ein Leistungsbilanzdefizit erfordert zudem einen Kapitalimport in ähnlicher Höhe. Die Auslandsschulden der USA stiegen an, wohingegen sich vor allem in den asiatischen Staaten große Devisenreserven bildeten. Um diesen Kapitalstrom zu erhalten, waren attraktive Anlagemöglichkeiten für die ausländischen Geldgeber erforderlich. Asiatische Länder, insbesondere China, investieren die für ihre exportierten Güter erhaltenen Devisen vornehmlich in US-amerikanische Anleihen. Theoretisch wird ein Leistungsbilanzdefizit über einen sinkenden Dollar abgebaut. Durch die Reinvestition ihrer Dollarreserven in den USA und die Bindung des Yuan an den US-Dollar hielt China den Dollar-Wechselkurs hoch und stabilisierte den Export in die USA.

Jetzt kann man sich fragen, wie der US-Konsum finanziert worden ist und in Zukunft finanziert werden soll. Früher einmal durch Einkommen aus abhängiger Beschäftigung und aus unternehmerischer Tätigkeit, aus Kapitalerträgen und aus Transferzahlungen. Waren in den sechziger Jahren zirka 30 Prozent der Beschäftigten in der Industrie tätig, so wird heute diese Zahl auf zirka zehn Prozent geschätzt. Zugenommen hat dagegen der Dienstleistungssektor: Persönliche Dienstleistungen, im Unternehmenssektor durch Outsourcing und Konzentration auf den Kern der Wertschöpfungskette und durch den Aufstieg des EDV/E-Commerce-Sektors. Allerdings fallen darunter auch Mc-Jobs, das heißt gering bezahlte Tätigkeiten. Industriearbeitsplätze dagegen wurden Jahrzehnte lang exportiert nach Mexiko, nach China, Südkorea, Japan, das heißt durch Betriebsverlagerung, Auslagerung der Produktion oder durch Importe, vornehmlich aus Staaten mit hohen Exportüberschüssen. Finanziert wurde der Konsum zunehmend durch Kredite: Kreditkarten, Leasing, Ratenkredite. Im Rahmen der Immobilienblase nahmen die Aufstock-Kredite zu, beispielsweise die Pick-a-pay-Kredite der Bank Wachovia. Die eigene Immobilie wurde sozusagen als Geldausgabeautomat benutzt. Die US-Wirtschaft entwickelte sich zur Asset-Driven-Economy: Während der Aktienhausse 1995 bis 2001 wurden häufig die im Wert exzessiv angestiegenen Aktien/Investmentfonds beliehen und so nicht realisierte Buchgewinne in Konsum umgewandelt. Nach 2001 setzte sich dieses Spiel fort mit Homes and Condaminions.

Der Anteil der Finanzierung der US-Wirtschaft durch das Ausland hat im Verlauf dieser Entwicklung stark zugenommen, wovor beispielsweise Alan Greenspan und Bill Gross bereits vor einigen Jahren warnten. Inzwischen ist die Regierung in China anscheinend hypernervös, denn sie befindet sich in der US-Dollar-Falle. Misslingt ihr das , Umdrehen' der chinesischen Volkswirtschaft weg vom Export hin zur Binnenmarktorientierung, dann steht China vor gravierenden Problemen. In diesem Szenario dürfte die Finanzierung der USA durch das Ausland gefährdet sein, wenn der größte Gläubiger in die Rezession abrutscht. Zumindest eine Wachstumsabschwächung ist bereits zu konstatieren.

Die jetzige Regierung der USA wird mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, denn ihr Konzept besteht offenbar darin, die US-Konsummaschine wieder zum Laufen zu bringen. Die , Sanierung' der US-Bankenbranche reicht bedauerlicherweise nicht aus, denn dort wird dank Null-Prozent-Leitzins und hoher Rendite durch den Anleiheboom bei US-Staatsanleihen exzessiv verdient. Die Konsumenten sind aber überschuldet, bei neuen Krediten agieren Banken und Kartengesellschaften vorsichtiger als in der Vergangenheit. Verbriefungen solcher Kredite scheinen derzeit noch nicht zu gelingen. Das heißt: Die Asset-Driven-Economy ist beendet! Wenn jetzt Billionen Dollar in die Infrastruktur investiert werden, deren Investitionen nach der Auffassung eines Bundes-bank-Vorstands die rentabelsten sein sollen (beispielsweise der Ci-ty-Tunnel in Leipzig?), dann sollte an Japan erinnert werden: Seit dem Platzen der japanischen Bubble hat sich die Verschuldung des japanischen Staates exzessiv erhöht, zahlreiche Infrastrukturinvestitionen (etwa Brücken, Häfen, Straßen, Tunnel) wurden getätigt. Die japanische Volkswirtschaft befindet sich aber immer noch, trotz der , rentablen' Infrastrukturinvestitionen, in der Krise.

Die USA brauchen sozusagen ein neues Auto, sie müssen deshalb zurück zur Industrialisierung, was aber mit Handelsrestriktionen und höherer Inflationsrate verbunden sein wird. Darunter werden die heutigen Exportweltmeister leiden! Sollte diese pessimistische Entwicklung eintreten, dann kann man eine tektonische Verschiebung der Weltwirtschaft unterstellen. Ob man eine solche Entwicklung mittels mathematisch-statistisch-empirischer Forschung à la USA prognostizieren kann ist zu bezweifeln. Diese Forschungsrichtung war erst nach dem Platzen der Immobilienblase in der Lage, Working Papers zu der Thematik , am laufenden Band' zu produzieren. Hinterher kann es jeder! "

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