Leitartikel

Allgemeine Verunsicherung als Normalzustand

Durfte die deutsche Fondsbranche ihre Halbjahreszahlen vor einem Jahr noch in einem Wohlfühlklima präsentieren, haben sich in der Zwischenzeit einige atmosphärische Störungen bemerkbar gemacht, und zuletzt sind sogar heftige Turbulenzen aufgetreten. Allein die Spezialfonds stützen im laufenden Jahr mit Nettomittelzuflüssen von knapp 17 Milliarden Euro das Neugeschäft der deutschen Investmentbranche, die Publikumsfonds hingegen mussten im ersten Halbjahr 2011 einen erheblichen Dämpfer verkraften. Den jüngsten Branchendaten der BVI-Statistik zufolge sind Letztere gegenüber dem Vergleichswert zum 30. Juni 2010 mit einem satten Minus von 3,6 Milliarden Euro in die zweite Jahreshälfte gegangen. Insgesamt lässt sich das laufende Fondsjahr 2011 auch unter Hinzurechnung des im ersten Halbjahr 2011 ebenfalls schwächelnden Neugeschäftes mit Vermögen außerhalb von Investmentfonds (minus 1,98 Milliarden Euro) keinesfalls an, die rund 87,5 Milliarden Euro an Mittelzufluss aus dem Jahre 2010 auch nur annähernd wieder zu erreichen.

Welche Ursache die derzeit verhaltene Entwicklung der Fondsbranche trotz der noch durchaus passablen gesamtwirtschaftlichen Lage in Deutschland hat, wird in nahezu allen Beiträgen dieses Heftes deutlich. Die anhaltende Schuldenkrise der europäischen Peripherieländer mit den ständigen politischen Debatten und nur schwer greifbaren konkreten Maßnahmen rund um verschiedene Rettungspakete, das unwürdige Gezerre zwischen Republikanern und Demokraten in den USA um die Anhebung der Verschuldungsgrenze, die nicht zuletzt daraus resultierende Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA, die kaum kalkulierbaren, teils widersprüchlichen Äußerungen aus China zu all diesen Entwicklungen, und nicht zuletzt die mit diesen Widrigkeiten einhergehende Befürchtung einer spürbar ansteigenden Inflation schüren Unsicherheit an den Märkten. Sie lassen auch in Zukunft sehr volatile Märkte befürchten - ganz so wie es die weltweiten Börsen in den ersten Augusttagen 2011 gezeigt haben und wie es die Investoren in den vergangenen Jahren schon mehrfach verkraften mussten. Die privaten Anleger flüchten im Zweifel in Bankeinlagen oder wenden sich vermeintlich sicheren Sachwerten zu. Und auch die Institutionellen mit all ihren Möglichkeiten einer professionellen Marktbeobachtung wissen nicht so recht, auf welche Anlagestrategien, Assetklassen und Risikomanagementansätze sie derzeit vertrauen sollen. Soweit sie sich das erlauben können, gehen auch sie im Zweifel keine großen Wagnisse ein und verzichten eher auf Rendite.

Genau das offenbart das Dilemma vieler institutioneller Investoren. Gerade die großen Altersvorsorgeeinrichtungen wie auch die Versicherungen und selbst die auf ein bestimmtes Ausschüttungsvolumen eingestellten Stiftungen können mit der derzeit am Markt erzielbaren risikofreien Rendite nicht einmal annähernd ihre Verpflichtungen beziehungsweise ihre selbst gestellten Ansprüche erfüllen. Als Ausweg bleibt ihnen meist nur das Ausweichen auf aussichtsreiche Assetklassen unter Inkaufnahme höherer Risiken bei gleichzeitiger Nutzung besserer Risikomanagementsysteme. So rücken nach den Erfahrungen mit der Verschuldungskrise in nahezu allen westlichen Industrieländern die Emerging Markets noch stärker in den Fokus, angefangen von reizvollen Aktienengagements bis hin zu Unternehmens- und Staatsanleihen. Deren Attraktivität steigt derzeit selbst unter den Gesichtspunkten der Widerstandsfähigkeit gegen Krisen, der wirtschaftlichen und politischen Stabilität sowie der Kreditwürdigkeit. Mehr als 40 dieser Länder dürfen sich mittlerweile mit dem Status Investment Grade schmücken (Abbildung). An konkreten Investments stehen derzeit zudem Infrastrukturprojekte, erneuerbare Energien oder auch Währungen hoch im Kurs.

Allgemein betrachtet bedeutet dies eine Fortsetzung der Tendenz zu einer kalkulierbaren Beimischung von geeigneten Alternative Investments wie sie schon seit einigen Jahren mit Hedgefonds und Private Equity Konjunktur hat. Die Prüfung des Portfolios darf sich dabei nicht auf einzelne Engagements erstrecken, sondern es bedarf eines Overlay Managements und damit verbunden des verstärkten Einsatzes ausgefeilter Risikomanagementsysteme. In Schwächephasen möglichst wenig Renditeeinbußen hinzunehmen und im Aufschwung ohne kostenträchtige Absicherung gleich dabei zu sein, gilt branchenweit als die wahre Kunst. So gut und vernünftig diese Grundausrichtung freilich klingen mag, begünstigt das allzu starke Schielen auf eine Mindestverzinsung zum Bilanzstichtag und das ständige Bestreben, am Jahresultimo - wenn überhaupt - dann nur möglichst geringe Verluste zu zeigen, auch im institutionellen Asset Management eine Kurzfristkultur. Langfristig Erfolg versprechende Trends wie den zur Nachhaltigkeit oder die dynamische Verschiebung der weltwirtschaftlichen Gewichte werden möglicherweise weniger genutzt als das sinnvoll wäre.

Auf längere Sicht betrachtet sind freilich die gedämpften Einschätzungen der hiesigen Investmentbranche und ihrer Beobachter zur Halbjahresbilanz 2011 immer noch ein Klagen auf recht hohem Niveau. Denn schließlich erreichten die insgesamt betreuten Vermögenswerte zum Jahresende 2010 das enorme Volumen von gut 1 830 Milliarden Euro und damit 92 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Sie lagen zudem fast 35 Prozent höher als zum Jahresende 2005 und haben auch das Jahresultimo 2007, das von der Finanzkrise noch einigermaßen verschont geblieben war, wieder um 7,8 Prozent übertroffen. Auch an der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte hat die Fondsbranche in den beiden vergangenen Jahrzehnten ihren Anteil deutlich erhöht. Geschafft hat sie das trotz aller Klagen über eine hierzulande noch völlig unzureichende kapitalgedeckte Altersvorsorge. Und genau das ist und bleibt auch ein Segment, das in den kommenden Jahren noch viel Potenzial mitbringt. Je mehr in der Bevölkerung die Bereitschaft zur Eigenvorsorge steigt und/oder aus dem politischen Bereich forciert wird, umso stärker wird das auch der Investmentbranche zugute kommen.

Selbst in einem eher durchwachsenen und an den Maßstäben des vergangenen Jahrzehnts sicher eher bescheidenen Fondsjahr 2011 haben die Altersvorsorgeeinrichtungen, die Versicherungsunternehmen sowie sonstige Unternehmen (einschließlich der Stiftungen) im ersten Halbjahr zusammen immerhin 18,4 Milliarden Euro neu in Spezialfonds angelegt. Zufrieden sein kann die Branche damit freilich nicht. Selbst wenn man die Halbjahresbilanz mit erheblichem Wohlwollen auf das Gesamtjahr hochrechnet, sind die für das Jahresende zu erwartenden Werte seit Mitte der neunziger Jahre meist übertroffen worden, mehrere Male sogar sehr deutlich. Solange sich die allgemeine Verunsicherung als Normalzustand einnistet, wird sich die Branche schwer tun.

Das institutionelle Asset Management mit seinem Anspruch an den gleichermaßen professionellen Sachverstand auf der Anbieter wie auf der Investorenseite wird sich den harten Bedingungen hochvolatiler Kapitalmärkte schwerlich entziehen können. Aber im Lichte der aktuellen Turbulenzen an den Börsen darf und sollte im Segment der Publikumsfonds offen und selbstkritisch diskutiert werden, inwieweit die Fondsbranche mit ihren vielen Spezialitäten überhaupt noch der einfachen Ursprungsidee nachkommen kann, breiten Anlegerschichten die Möglichkeiten des Kapitalmarktes zu erschließen. Vielleicht hilft an dieser Stelle ja eine Marktdifferenzierung mit Rückbesinnung auf ein wirklich leicht durch- und überschaubares Basisangebot.

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