Leitartikel

60 Jahre Stabilität

Der griechische Politiker, Gesetzgeber und Dichter Solon schuf im 6. Jahrhundert vor Christus eine neue Verfassung mit regierenden Archonten und einer beschlussfassenden Volksversammlung. Er musste die Missstände der aristokratischen Herrschaft beseitigen und den Bürgern neues Vertrauen in eine Politik geben, in der durch stabile politische Verhältnisse Sicherheit erzeugt wird. Denn das ist es doch, was den Menschen am meisten beunruhigt und verängstigt - Unsicherheit. Das Individuum strebt aus sich heraus nach Berechenbarkeit. Im Fortschritt der Entwicklung nahm dieses Bedürfnis keineswegs ab, auch wenn sich die Inhalte verändert haben. Vor allem die Bedeutung der wirtschaftlichen Verhältnisse scheint ständig größer zu werden. Und speziell: "Das Bemühen um ein stabiles Preisniveau steht an der Spitze der wirtschaftlichen Rangordnung", stellte Ludwig Erhard 1957 heraus.

Die Verpflichtung für das "stabile Geld" war die entscheidende Motivation für die Gründer dieser "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen" vor 60 Jahren, genau einem Monat nach Einführung der D-Mark, die "die Herrschaft des beseitigten schlechten Geldes" vergessen ließ. So schrieb der erste Chefredakteur Volkmar Muthesius im Leitartikel der Erstausgabe. Die Zeitschrift machte es sich zum Auftrag, zu analysieren, zu erklären und natürlich auch zu verbreiten, warum gutes Geld die entscheidende Grundlage für die Gesellschafts- und Staatsidee der modernen sozialen Marktwirtschaft sein muss. Ihre Grundauffassung, dass der freie Markt der staatlichen Lenkung stets vorzuziehen ist und die Freiheit des Individuums nicht durch Gesetze, sondern nur aus sich selbst heraus durch die persönliche Verantwortung begrenzt werden kann, hat sie in den vergangenen 60 Jahren stets mit allem Nachdruck vertreten. Sie schrie auf, wenn gezögert wurde, Zinsen und Wechselkurse zu deregulieren, kämpfte gegen die Wahrnehmung der freien Preisbildung als Unordnung, prangerte überflüssige Interventionen und Protektionen an und kritisierte jeden Versuch, die Unabhängigkeit der Notenbank in Frage zu stellen. Schnell, vielleicht sogar überraschend schnell, fanden sich all die Verteidiger dieser Gedankenhaltung in der ZfgK zusammen: Wissenschaftler und Wirtschaftler, Notenbanker und Geldpolitiker, Staatsminister und Präsidenten. Einige, wie die Redaktion meint, besonders typische Beispiele lesen Sie ab Seite 864.

So schrieb der in Frankfurt und später in New York lebende Bankier L. Albert Hahn 1951, angespornt durch die vor allem in Amerika einkehrende Geisteshaltung, die schleichende Inflation als Dauererscheinung zu akzeptieren und die Preissteigerungen gar im Voraus berechnen zu wollen: "Es ist keine neue Entdeckung, dass die Inflation unter bestimmten Umständen und für bestimmte Zeitspannen die Wirtschaft in einer ans Wunderbare grenzenden Weise zu verbessern in der Lage ist. [...] Aber seit den Tagen der Klassiker hat kein ernster Nationalökonom daran gezweifelt, dass diese günstigen Wirkungen vorübergehend sind: Sie halten nur so lange an, als die Bezahlung der Produktionsfaktoren nicht der verminderten Kaufkraft des Geldes angepasst wird. Sie treten deshalb dann nie ein, wenn die Inflation gleich zu Anfang als solche erkannt wird. Eine im Voraus geplante und von allen erwartete Inflation kann deshalb überhaupt keine günstigen Folgen haben. [...] Die Inflation ist nicht respek tabel, sie ist ein Verbrechen, schon deshalb, weil sie die Einkommens- und Vermögensverteilung in ungesetzlicher und sehr ungerechter Weise verändert".

Oder der große Nationalökonom Wilhelm Röpke, der anlässlich der englischen Neuauflage von "Theorie des Geldes und der Umlaufmittel" 1954 nochmals das Loblied für die Gedanken Ludwig von Mises anstimmte: "Nichts könnte mir willkommener sein, als eine aktuelle Gelegenheit zu haben, aufs neue davon zu sprechen, [...] auch in sehr nachdrücklicher Hervorhebung der Bedeutung, die dieses Buch immer noch für uns besitzt. Ja, vielleicht heute in besonderem Maße, da eine neue Epoche geldtheoretischer Verwirrungen und geldpolitischer Irrtümer, ausgelöst, wenn auch nicht eindeutig verschuldet durch Keynes und seine Lehre, auf einen Abschluss drängt und in allem, was das Geld und den Kredit betrifft, die Rückkehr zur theoretischen Klarheit wie zur praktischen Vernunft nicht länger hinauszuschieben ist." Überhaupt Keynes reizte die Autoren immer wieder zum Widerspruch. Doch selbst das dauerhafte Bemühen so namhafter Gelehrten wie Ludwig von Mises, Friedrich A. von Hayek, Günter Schmölders, Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack und Friedrich Lutz reichte nicht aus, um "den Mythos Keynes" endgültig auszulöschen. Dabei zeigte sich immer wieder, dass das deficit spending der Finanzpolitik á la Keynes meistens viel zu spät kommt, dann prozyklisch wirkt und vor allem das Schuldenproblem aus den Augen verliert (siehe dazu auch das Interview mit Otmar Issing, der in seinem Buch "Der Euro" den keynesianischen Ansatz gar als illusionär bezeichnet).

In dem Maße, wie die turbulenten Nachkriegsjahre verklangen, die Deutsche Mark sich ihren Platz unter den Währungen dieser Welt souverän erkämpfte und Geldpolitik "langweiliger" wurde, ist "Kreditwesen" vielleicht etwas weniger grundsätzlich, dafür fachlicher geworden. Sie begleitete den Lebenslauf der D-Mark bis zu ihrem Höhepunkt 1999, als die deutsche Währung neun Jahre nach der Wiedervereinigung und 50 Jahre nach ihrer Geburt dem Euro Platz machte. Sie begleitet seitdem den Euro als nicht mehr umkehrbaren Versuch, eine einheitliche Währung für zunächst mehr als 300 Millionen Menschen in 15 Nationen mit unterschiedlichen Grund-, Arbeits- und Steuergesetzen und völlig unterschiedlichen fiskalischen Orientierungen zu schaffen. Wer hätte damals geglaubt (außer den Überzeugungstätern natürlich), dass der Euro nur zehn Jahre später die D-Mark im internationalen Währungsgefüge höchstens als Erinnerungsposten verbleiben lassen würde und mit Wechselkursen von 1,50 Dollar und mehr so stabil wie nie zuvor dasteht? Und das in einer Zeit, in der sich die Machtverhältnisse weg von Amerika und Europa immer weiter nach Asien verschieben. Dass der Euro trotzdem für die Menschen, vor allem die Bundesbürger, ein immer noch ungeliebtes Kind ist und dass er am Stammtisch für die Preisschübe der vergangenen Jahre (die wahrlich andere Ursachen haben) verantwortlich gemacht wird, darauf könnten EZB und Bundesbank gelegentlich noch etwas dezidierter antworten. Es ist aber doch schon ein gutes Zeichen, dass fast 80 Prozent der Bevölkerung den Euro langfristig als stabile Währung einschätzen.

Das ist ein Verdienst der EZB und ihrer Verantwortlichen, die die Herausforderung, für nahezu ganz Europa denken zu müssen, ordentlich meistern. Wer dabei heute immer noch die "deutschen Gedanken" im Eurotower und in der Geldpolitik geißelt, der irrt zum Glück. Denn es ist nicht etwa dem Einfluss Deutschlands oder der Deutschen Bundesbank zuzuschreiben, dass selbst der Franzose Jean-Claude Trichet innerhalb kürzester Zeit auf dem Präsidentenstuhl der EZB die Aufgabe der Preisstabilität so vernehmlich ernst nimmt, dass sich seine Landsleute verwundert die Augen reiben. Es ist vielmehr das höchste Lob auf das außerordentlich erfolgreiche Modell Bundesbank mit dem stets präsenten Primat der Preisstabilität, das in der EZB gekonnt weiterentwickelt wurde. Schon jetzt muss man von einer erfolgreichen EZB und einer erfolgreichen europäischen Geldpolitik sprechen. Sowohl das geldpolitische Instrumentarium als auch die Zwei-Säulen-Strategie haben sich in der aktuellen Finanzkrise wacker geschlagen. Mehr noch, die Annäherung der Bank of England und der Fed an Mindestreservepflicht und die Liquiditätsinstrumente der EZB zeigt die Beispielhaftigkeit der europäischen Notenbank.

Und die Bundesbank? Auch sie hat ihre neue Rolle inzwischen meistens gefunden, vielleicht besonders als Hüter der nationalen Financial Stability in einem internationalen Gefüge. Das hängt natürlich mit dem Verlust der geldpolitischen Hoheit zusammen. Aber diese neue (Kern-)Aufgabe ist vielleicht schon wichtiger geworden, als "nur" für stabiles Geld zu sorgen. Denn die Risiken, die in einem immer stärker vernetzten Finanzsystem mit immer neuen Innovationen und immer risikofreudigeren Produzenten liegen, sind erschreckend gefährlich. Das zeigt sich natürlich besonders in der seit mehr als einem Jahr immer wieder aufflammenden Finanzkrise, die mit keinem bislang erkannten Instrument auch nur ansatzweise wirksam bekämpft werden konnte.

Um an dieser Stelle nochmals auf die liberale Grundidee dieser Zeitschrift zurückzukommen: Natürlich würde der Markt auch diese Finanzkrise regeln, würde aussortieren und verenden lassen, was nicht nachhaltig überleben kann. Danach sähe die (Banken-)Welt wahrlich anders aus. Doch der Preis hierfür erscheint den Zeitgenossen viel zu hoch. Diesen Prozess der Bereinigung auszustehen, ist kaum einer bereit. Stattdessen bedient man sich lieber, weil weniger schmerzhaft, ordnungspolitisch verwerflicher, staatlicher Eingriffe, um die Folgewirkungen von Bankenpleiten und damit einen "Flächenbrand" so gut wie möglich abzumildern. Dabei ist zu dem bekannten "to big to fail" längst ein "to connected to fail" hinzugekommen. Dafür gibt es nicht zuletzt schlechte deutsche Beispiele:

Auch wenn der Markt eine IKB sicherlich nicht (mehr) braucht und es volkswirtschaftlich eindeutig besser gewesen wäre, dieses Institut schon vor einem Jahr sauber zu liquidieren, anstatt es mit Milliarden und Abermilliarden künstlich am Leben zu erhalten, man tat dies nicht. Unzählige Verquickungen mit der IKB und deren Verlust bei einer Pleite hätten die Sparkassen und Volksbanken und Raiffeisenbanken mit bis zu 20 Milliarden Euro belastet. Das hätten viele der unter der Zinsspanne leidenden Institute nicht mehr verkraftet - auch hier erschien der Preis den jeweiligen Präsidenten eindeutig zu hoch. Dass all dies natürlich völlig falsche Anreize an die verantwortlichen Banker setzt, man nimmt es hin.

Das Schicksal der beiden großen Verbünde liegt der "Kreditwesen" natürlich am Herzen, entfallen auf diese beiden Gruppierungen trotz aller Konsolidierung doch immer noch rund zwei Drittel der heimischen Banken. Doch auch hier nimmt die Zeitschrift ihren Namen ernst, und bietet als "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen" Großbanken und Privatbankiers, Leasinggesellschaften und KAGs, Private Wealth Managern wie Investmentbankern, Förderbanken und Finanzierern, Immobilienbanken und Bausparkassen, Börsen und Handelsplätzen eine Diskussionsplattform.

Die steten Brüsseler Bemühungen nach mehr Integration werden nicht ohne Folgen bleiben. Was all dies für das Finanzsystem und für die Stabilität in Deutschland, aber auch der Welt bedeutet, ist heute keineswegs absehbar: Kreditwesen wird weiterhin beobachten, analysieren, verbreiten - loben, wenn möglich, mahnen, wenn nötig. P. O.

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