Aufsätze

2009: Jahr des Neubeginns

Für die Commerzbank war 2008 ein Jahr der Veränderung: Wir Banken haben uns weltweit den gravierenden Auswirkungen der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit vielen Jahrzehnten stellen müssen. Darüber hinaus hat die Commerzbank in diesem turbulenten und extrem herausfordernden Umfeld mit dem Erwerb der Dresdner Bank den bisher größten Zusammenschluss im privaten deutschen Bankensektor auf den Weg gebracht.

Verschärfte Krise im zweiten Halbjahr

Niemand konnte Ende August 2008 wissen, dass wenig später ein so großes und international vernetztes Finanzinstitut wie die US-Investmentbank Lehman Brothers ausfallen würde. Dieses bis dahin undenkbare Ereignis hat die Weltwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttert - gerade als sie sich anschickte, sich nach über einem Jahr schmerzhafter Anpassungen und milliardenschwerer Abschreibungen aus der Sub-prime-Krise zu stabilisieren. Nur die beherzte Reaktion der Notenbanken und das entschlossene Eingreifen der Regierungen in allen wichtigen Industriestaaten haben letztlich eine Zuspitzung der Lage an den Finanzmärkten mit nicht absehbaren Folgen für die Weltwirtschaft verhindert.

Nach wie vor kämpfen viele Institute mit den Folgen der Finanzmarktkrise, mit Kapital- und Liquiditätsknappheit, hohen Verlusten und - vor allem - einem beispiellosen Vertrauensschaden gegenüber und auch innerhalb der Finanzbranche, bei dem längst nicht mehr zwischen Geldhäusern unterschiedlichen Zuschnitts differenziert wird. Bis heute funktioniert der Interbankenhandel noch nicht wie früher. Die Verweigerung lang- und mittelfristiger Geldanlage bei Banken durch institutionelle Anleger ist sogar noch viel bedeutsamer. Denn deren Vertrauen ist notwendig, um lang- und mittelfristige Investitionsvorhaben der Wirtschaft fristenkongruent zu refinanzieren. Sonst würde ja der alte Fehler von zu viel kurzfristiger Finanzierung sehenden Auges wiederholt. Zudem erfasst die zunächst auf den Finanzsektor beschränkte Krise zunehmend auch noch weitere Sektoren. Das bewirkt, dass zum ersten Mal seit Langem ein Abschwung weltweit synchron einsetzt. Die Rezession wird über steigende Ausfallraten wiederum Rückwirkungen auf die Geschäfts- und Risikopolitik der Banken haben müssen. Für die gesamte Finanzwelt, aber auch für jede einzelne Bank heißt es nun, die Fehler der Vergangenheit kritisch zu analysieren und Schritt für Schritt das Vertrauen von Kunden und Investoren zu gewinnen. Alle Beteiligten - die öffentlichen Institutionen ebenso wie die Banken - stehen jetzt in der Pflicht, Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Bei der Diskussion um den richtigen internationalen regulatorischen Ordnungsrahmen für Finanzmärkte geht es jetzt vor allem um strenge Kapitalanforderungen, mehr Transparenz und effiziente Aufsichtssysteme, um künftige Krisen zu verhindern - oder zumindest deren Folgen in Grenzen zu halten. Eines muss allen klar sein: Die gegenwärtige Finanzmarktkrise ist zwar die mit Abstand schwerste seit dem Zweiten Weltkrieg, doch sie wird nicht die letzte sein. Für mehr Transparenz im Finanzsystem werden die Banken, die sich heute nicht im gewohnten Maße vertrauen, schon aus eigenem Interesse sorgen. Dazu werden aber auch die Aufsichtsbehörden, Notenbanken und Gremien internationaler Bilanzierung mit einer Überarbeitung der Regelwerke beitragen müssen. Aber es darf jetzt keinen Wettlauf um immer neue und immer schärfere Regelwerke geben. Wir brauchen nicht mehr, sondern eine bessere Aufsicht.

Auf der Ebene einzelner Institute kommt es darauf an, die Geschäftsmodelle an die veränderten Marktbedingungen anzupassen und ihre Krisenanfälligkeit zu verringern. Dieser Prozess hat erst begonnen. Und noch ist nicht klar, wie die Finanzwelt von morgen aussehen wird, welche Veränderungen von Dauer und welche nur temporärer Natur sind, wie sich die Wettbewerbsbedingungen in den nationalen und internationalen Banken verändern werden und welche strategischen und operativen Konsequenzen jedes Institut aus der Krise zu ziehen hat. Klar ist jedoch schon heute, dass sich ein Paradigmenwechsel vollzieht.

Renaissance für das Universalbankmodell

Die kurzfristige Renditemaximierung als oberste Richtschnur unternehmerischen Handelns ist nachhaltig infrage gestellt - und das ist gut so. Denn immer höhere Renditen sind untrennbar mit immer höheren Risiken verbunden. Jedes einzelne Institut sollte sich zudem fragen, ob sein Risiko- und Liquiditätsmanagement noch zeitgemäß ist. Es reicht nicht, ausgeklügelte Risikomodelle zu haben, die historische Datenreihen in die Zukunft extrapolieren. Wir müssen wieder mehr auf Expertenwissen, Erfahrung und gesunden Menschenverstand vertrauen. Bei der Beurteilung von Risiken und der Verantwortung dürfen Banken sich nicht zu stark auf das Urteil von anderen verlassen: Wer Risiken eingeht, muss dies sehenden Auges tun. Die Krise hat zum Beispiel klar gezeigt, dass die Bonitätsnoten der Ratingagenturen allein keine ausreichende Grundlage für Investitionsentscheidungen sind. Es waren vielfach mit Top-Noten versehene Papiere, bei denen es zu drastischen Wertberichtigungen kam.

Wirft man einen Blick auf die Banken, denen die Finanzmarktkrise am heftigsten zugesetzt hat, und auf jene, die sich relativ gut geschlagen haben, wird eine weitere Erkenntnis deutlich: Das Universalbankmodell, das in Kontinentaleuropa und speziell in Deutschland nie aus der Mode war, erlebt eine Renaissance. Die Universalbank, die Ertragschancen und Risiken durch ihr Engagement auf verschiedenen Feldern ausbalanciert, ist ein Modell mit Zukunft. Zum Beispiel erweist sich das von vielen lange als langweilig betrachtete Einlagengeschäft als Garant für Liquidität und Refinanzierung. Schließlich werden wir auch noch zusätzliche Konsolidierungsschritte nationale wie grenzüberschreitende Fusionen - brauchen, damit Europa gegenüber den USA und Asien nicht zu sehr zurückfällt. Diesen Prozess will die Commerzbank aktiv mitgestalten.

Risikopositionen abbauen

Die Commerzbank ist gut positioniert, um auf mittlere und lange Sicht aus der Finanzmarktkrise gestärkt hervorzugehen. Sie ist immer eine Universalbank gewesen und verfügt damit über ein ausbalanciertes, tragfähiges und erfolgreiches Geschäftsmodell. Dieses wird auch nach der Übernahme der Dresdner Bank weitgehend unverändert fortgeführt. Die neue Commerzbank wird allerdings viel effizienter arbeiten als das jedes der beiden Häuser für sich allein konnte. Ein Eckpfeiler ihrer Strategie ist die Nutzung von Skaleneffekten im Vertrieb und im Backoffice. In erheblichem Umfang wird zum Beispiel Eigenkapital für das operative Kerngeschäft frei, weil die Bilanz gezielt entschlackt und Risikopositionen abgebaut werden.

Der Markt verlangt heute allerdings deutlich höhere Kapitalquoten als in der Vergangenheit. Viele internationale Wettbewerber haben deshalb in den vergangenen Wochen und Monaten, oft mit Hilfe der Regierungen in ihren jeweiligen Ländern, ihre Kapitalbasis massiv gestärkt - teils freiwillig, teils unfreiwillig. Immerhin operiert mittlerweile die deutliche Mehrheit der 25 größten Banken der Welt mit staatlicher Beteiligung - über aktuelle, temporäre Stabilisierungsprogramme wie über Staatsfonds. Die Commerzbank hat sich auch vor diesem Hintergrund im vergangenen Herbst dazu entschlossen, das von der Deutschen Bundesregierung zur Stabilisierung des Finanzmarktes ins Leben gerufene Programm zu nutzen. Sie sichert dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihr Geschäftsmodell nachhaltig ab.

Wichtige Erlösquellen und Wachstumstreiber waren und sind für die Bank die Segmente Privatkunden und Mittelstandsbank. Diese Bereiche werden nach der Zusammenführung mit der Dresdner Bank weiter gestärkt sein. Im Retail Banking, dem breiten Privatkundengeschäft, sind wir schon heute gemeinsam die klare Nummer eins in Deutschland. Im Private Banking, dem Geschäft mit vermögenden Privatkunden, machen wir zusammen einen großen Sprung nach vorne und werden zur Nummer zwei im deutschen Markt. Keine andere deutsche Bank wird ihren Kunden künftig so nah sein. Nach der vollständigen Integration werden wir über ungefähr 1 200 Filialen in Deutschland verfügen und damit das mit Abstand dichteste Filialnetz aller Banken haben. Insbesondere in den Großstädten, wo wir noch viel Wachstumspotenzial im Wettbewerb mit den lokalen Kreditinstituten sehen, wird die Commerzbank ihre Präsenz vergrößern und auf der Kundenseite kräftig wachsen können. In Hamburg etwa haben wir in 2008 zehn weitere Filialen eröffnet.

Die zweite tragende Säule des Geschäftsmodells ist die Mittelstandsbank. Mit der Dresdner wird die Spitzenposition in diesem Geschäft weiter deutlich ausgebaut. Ziel ist es, mehr profitable Kundenbeziehungen zu haben als jede andere Bank in Deutschland. Zahlreiche Unternehmen wollen eine zweite starke Bank in Deutschland, die in der Lage ist, die Ansprüche der Firmenkunden zu erfüllen - hierzulande wie überall in der Welt. Die Commerzbank finanziert bereits 17 Prozent des deutschen Außenhandels. Daher ist die kombinierte Expertise und Kapazität beider Häuser gerade in der Außenhandelsfinanzierung von großer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Großes Wachstumspotenzial besteht somit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Mittel- und Osteuropa. Dort haben wir bereits ein starkes Standbein und werden weiter sinnvolle Wachstumschancen nutzen, sei es organisch oder durch Wert schaffende Zukäufe. Auch im Investmentbanking bleibt die Commerzbank ihrer bisherigen Linie treu und konzentriert sich auf das kundengetriebene Geschäft.

Verantwortung für die Kreditversorgung

Zwar waren in den Statistiken bis in den Herbst 2008 hinein noch keine schrumpfenden oder rationierten Kreditmärkte für Unternehmen erkennbar - was den Begriff "Kreditklemme" rechtfertigen würde. In der Commerzbank sind die Kreditvolumina auch im vierten Quartal noch angestiegen. Aber es wäre blauäugig, die Gefahr einer Kreditklemme für die Zukunft auszuschließen, gerade weil sich manche Banken aus dem Markt zurückziehen. Für 2009 wird aber auch eine nachlassende Kreditnachfrage erwartet - das heißt im Ergebnis: niedrigere Volumina. Das ist in Rezessionen normal und gehört auch zur volkswirtschaftlichen Aufgabe von Banken: Sie sollen rentable Investitionsprojekte nach Risiko-/Renditekriterien beurteilen. Und sie übernehmen diese Filter- und Überwachungsaufgabe nicht zuletzt im Interesse ihrer Sparer und Anleger. Und wer als Unternehmer in der Vergangenheit eine Hausbankbeziehung gepflegt und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut hat, für den wird es jetzt auch nicht eng. Auch das gehört ähnlich wie die Rückkehr zu Universalbankprinzipien zur Besinnung auf bewährte Prinzipien und Grundsätze.

Mit der Stärkung der Kapitalbasis wollen wir als führende deutsche Mittelstandsbank auch der besonderen Verantwortung für die Kreditversorgung der Unternehmen gerecht werden. Die Commerzbank hat die finanziellen Mittel und den festen Willen, dem deutschen Mittelstand auch im neuen Jahr als Kreditgeber zur Verfügung zu stehen. Sie hat die strategischen Weichen für eine erfolgreiche Fortsetzung ihrer Wachstumsstrategie in den kommenden Jahren gestellt. Wir nutzen mit der Übernahme der Dresdner Bank eine einmalige Chance: eine Chance für den deutschen Bankensektor, international wettbewerbsfähiger zu werden und, was für uns noch wichtiger ist, eine große Chance für die Bank selbst und ihre Kunden, Mitarbeiter und alle Anteilseigner.

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