Genossenschaftliches Wohnen

Herausforderungen für die Wohnungsgenossenschaften im Freistaat Sachsen

Dr. Axel Viehweger, Vorstand, Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V., Dresden

Der vorliegende Beitrag thematisiert die Möglichkeit der Schaffung von genossenschaftlichem Wohnraum auch für betagte und sicherheitsbedürftige Menschen. Es wird ausführlich die Arbeit des Verbandes sächsischer Wohnungsgenossenschaften e.V. (VSWG) beleuchtet. Dieser hat den Lösungsansatz der "Mitalternden Wohnung" erarbeitet - ein Konzept, das durch seine modulare Gestaltung eine hohe Anpassungsfähigkeit an die sich verändernden Lebens- und Leistungsanforderungen der Menschen ermögliche, so der Autor. Notwendig sei die Einbindung der Mieter von Beginn an, damit zugleich eine Sensibilisierung geschaffen werden könne. Daraus resultierend entstünden in der Folge auch Akzeptanz sowie Aufgeschlossenheit der Bewohner gegenüber der für sie neuen Technik. Red.

Älteren und pflegebedürftigen Menschen so lange wie möglich ein Leben in der gewohnten und vertrauten Umgebung zu ermöglichen, gewinnt an gesellschaftlicher Bedeutung - vor allem in Bezug auf die Sicherung von anforderungsgerechtem und komfortablem Wohnraum. Mit zunehmendem Alter ändern sich die Bedürfnisse. Das wirkt sich auch auf die Anforderungen an die Ausstattung der Wohnung aus. Insbesondere das Bedürfnis nach persönlicher Sicherheit (Einbruch, Ausgehen bei Dunkelheit), nach Sicherheit bei körperlichen Gebrechen, nach bedarfsgerechter medizinischer Betreuung sowie nach einem Erhalt sozialer Kontakte stehen zunehmend im Vordergrund.

Daraus leiten sich bauliche, technische und soziale Gestaltungsanforderungen an den Wohnraum und das Wohnumfeld ab, die den Interessen und den sich verändernden Anforderungen der Mieter gerecht werden. Die Wohnungsbranche übernimmt hier die Funktion eines "Sozialbarometers", da sie als eine der ersten Branchen insbesondere auch die Folgen des demografischen Wandels bewältigen muss. In Sachsen ist bereits heute jeder vierte Einwohner 65 Jahre und älter. 2020 wird es jeder dritte sein. Dadurch ergeben sich neue Herausforderungen an die Wohnqualität, an Dienstleistungen und Unterstützungsformen speziell für ältere und pflegebedürftige Menschen.

Um diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu bewältigen, müssen Pflegedienstleistungen und Wohnungsangebote noch optimaler organisiert und vernetzt werden. Die eigene Wohnung und der eigene Haushalt werden von vielen Menschen im Alter als Ausdruck eigener Kompetenz verstanden, und zwar im Sinne einer Beibehaltung von Selbstbestimmung und Selbstständigkeit.

Genossenschaften bieten mehr als Wohnen

Wohnungsgenossenschaften bieten deshalb bereits seit langem ihren Mitgliedern weit mehr, als nur ein Dach über dem Kopf. Ihr Angebot umfasst Dienstleistungen wie Betreutes Wohnen für ältere und behinderte Bewohner, Nachbarschaftstreffs und Begegnungsstätten mit vielen sozialen Angeboten, Hauswirtschaftsdienste wie Einkaufshilfen, Mitgliederfeste oder geeignete Ansprechpartner, wie beispielsweise Sozialarbeiter.

Der GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.) veröffentlichte bereits im September 2008 eine Studie mit dem Titel "Wohntrends 2020", welche die Auswirkungen aktueller Lebensgewohnheiten und Lebensphasen aller Altersklassen auf das Wohnen beleuchtet. Dabei zeigte sich, dass die Wohnungsnachfrage auch von Senioren vielfältiger wird und elektronische Unterstützungssysteme an Bedeutung gewinnen.

Der Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V. (VSWG) beschäftigt sich seit 2009 intensiv mit diesem Thema im Rahmen des Konzeptes "Alter leben".

Kernstück von Alter leben ist der Lösungsansatz der "Mitalternden Wohnung" - ein "mitwachsendes" Konzept, das durch seine modulare Gestaltung eine hohe Anpassungsfähigkeit an die sich verändernden Lebens- und Leistungsanforderungen der Menschen ermöglicht. Das Konzept geht von einem altersübergreifenden und kombinierten Ansatz, bestehend aus wirtschaftlich vertretbaren bautechnischen Maßnahmen in der Wohnung zur Reduktion von Barrieren im Wohnungsbestand, von der Einbindung technischer Unterstützungssysteme zur Assistenz im Wohnalltag sowie von angekoppelten Dienstleistungen für die Mieter, aus.

Diese Lösungen helfen, altersspezifische körperliche, funktionale Einschränkungen (beispielsweise sensorische Verluste wie Sehen und Hören) und kognitive Beeinträchtigungen ebenso wie altersspezifische Erkrankungen (Gelenke, Muskeln, Knochen/Skelettsystem) und körperlich-organische Erkrankungen (Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Schlaganfall) auszugleichen. Die Assistenzsysteme sollen den Nutzer in seinen alltäglichen Handlungen bestmöglich unterstützen und ihm Kontroll- und Steuerleistungen abnehmen.

Bündelung von Dienstleistungen

Durch Einbeziehung altersgerechter Erfahrungswerte aus der Gesundheitsvorsorge und -praxis wurden Lösungen modular konzipiert, um eine optimale Akzeptanz unter den Mietern zu erreichen. Schwerpunkt bildet dabei die Bündelung von Dienstleistungen in genossenschaftlich geprägten Wohn- und Lebensräumen zur Erhaltung der Selbstständigkeit, insbesondere von Senioren. Dienstleistungen unterschiedlicher Branchen und Lebensbereiche werden dazu in den Bereichen Komfort, Gesundheit, Sicherheit und Freizeit kombiniert und auf die spezifischen Interessen der Zielgruppen hin in Netzwerken entlang der Dienstleistungskette etabliert.

Bautechnisch wurden die Barrieren in den ausgewählten Bestandswohnungen (im Siedlungs- als auch Plattenbau) weitestgehend auf ein Minimum reduziert. Das bildet zugleich die Basis für eine "Mitalternde Wohnung". Für die Konzeption barrierearmer Wohnräume bedeutet dies vor allem, Stufen und Schwellen nach Möglichkeit zu vermeiden sowie durch veränderte Wohnungsgrundrisse ausreichend Bewegungsfläche zu schaffen. Die Vorzüge erfreuen Senioren mit Gehhilfen oder Rollstuhl ebenso wie Familien mit Kindern. Eine einfache, klar erkennbare Grundstruktur des Gebäudes und der Wohnung erleichtert allen Menschen die Orientierung. Da nicht alle Menschen dieselben Bedürfnisse haben, sieht das Konzept individuelle Anpassungsmöglichkeiten vor.

Mehrere wohnungsinterne Steuerungsstufen

Die "Mitalternde Wohnung" stellt eine Basisausstattung sowie verschiedene Ausbaustufen zur Integration technischer Assistenz bereit: Grundlage bildet eine bautechnisch ertüchtigte und mit ausreichend Anschlussmöglichkeiten ausgestattete Wohnung (Basisausstattung). Analog der heute üblichen Bereitstellung elektrischer Anschlüsse in allen Räumen werden erweiterte Anschlussmöglichkeiten für die Kommunikation und Vernetzung der Wohnung verlegt.

Im Grundmodul wird dann eine wohnungsinterne Steuerung ohne Zutun des Mieters gewährleistet. Sensoren erfassen spezifische Parameter und leiten diese an das "Herzstück", das technische Assistenzsystem weiter. Dieses ist "unsichtbar" in die Wohnung integriert, vernetzt die vorhandenen technischen Systeme miteinander und greift bei Bedarf steuernd beziehungsweise regelnd ein, wenn es seitens des Mieters nicht mehr möglich ist, selbst zu reagieren.

Eine grafische Nutzerschnittstelle (iPad, Fernseher oder Bedienpanel) eröffnet den Nutzern erweiterte Kontroll- und Einstellmöglichkeiten für die wohnungsinterne Steuerung in der ersten Ausbaustufe. Der Einbau eines Bedienpanels bietet neben der grafischen Bedienerschnittstelle erweiterte Möglichkeiten der Vernetzung von technischen Geräten und Funktionen innerhalb der Wohnung (Temperaturregelung) und schafft als zentrale Steuer- und Speichereinheit innerhalb der Wohnung zugleich erweiterte Möglichkeiten zur Vernetzung mit dem Außenfeld.

In der zweiten Ausbaustufe werden ausgewählte externe Dienstleistungen an die wohnungsinterne Steuerung angebunden und die Wohnung dadurch mit dem Wohnumfeld vernetzt (beispielsweise Verbindung zur Begegnungsstätte, Essenslieferservice). Die in die Wohnung integrierbaren intelligenten technischen Systeme schlagen Brücken in das soziale Umfeld der Nutzer, die bei Bedarf schnelle und unkomplizierte Hilfe von außen ermöglichen. Das reicht vom einfachen Informationsaustausch über die Anbindung von Hilfen für den Wohnalltag bis hin zur Bewältigung von Notfällen. Voraussetzung hierfür ist ein funktionierendes Dienstleistungsnetzwerk vor Ort, welches neben sozialen Dienstleistern weitere relevante regional ansässige Anbieter wohnbegleitender und sonstiger Dienstleistungen einbindet.

Dabei steht die Technik immer hinter der Dienstleistung. Sie ist sozusagen Mittel zum Zweck. Die "warme Hand" bleibt dabei aber immer im Vordergrund. Denn die Technik soll unterstützen und nicht zur Vergreisung der Bewohner führen. Die meisten Assistenzlösungen sind so konzipiert, dass sie den Bedürfnissen und den Erfordernissen entsprechend "mitalternd" zum Einsatz kommen. Das verringert auch die Kosten. Dadurch ist zunächst nur eine Grundausstattung erforderlich, die heute schon über verschiedene Produkte hinweg mit maximal 2 500 Euro beziffert werden kann.

Wichtig bei der Konzeption und Umsetzung einer "Mitalternden Wohnung" ist die Einbindung der Mieter von Beginn an, dies schafft zugleich eine Sensibilisierung. Daraus resultierend entstehen auch Akzeptanz sowie eine Aufgeschlossenheit gegenüber neuer Technik in der Mieterschaft. Weitere Erfolgskriterien für eine hohe Akzeptanz der Technik (hinsichtlich des Designprozesses) betreffen die "Modularität" der Leistungen, deren "Nachrüstbarkeit", "Bedienfreundlichkeit" sowie die "Unaufdringlichkeit beziehungsweise Kontrollierbarkeit". Kriterien für eine Erhöhung der zielgruppenspezifischen Akzeptanz sind die "Barrierearmut", die "Leistungsunterstützung" sowie die "Finanzierbarkeit" der angebotenen Leistungen.

Technik steht hinter der Dienstleistung

Im Ergebnis der Sozialbefragung des VSWG (2016) gibt es bereits 298 Smarthome- und AAL-Wohnungen nach dem modularen Konzept der "Mitalternden Wohnung" in sächsischen Wohnungsgenossenschaften. Die Wohnung wird so verstärkt zum Pflege- und Gesundheitsstandort. Mehr und mehr kranke und pflegebedürftige Menschen, die vor einigen Jahren noch auf eine stationäre Behandlung angewiesen waren, werden heute schon im häuslichen Umfeld versorgt. Zukünftig wird sich dieser Trend im Zuge des Paradigmas "Ambulant vor Stationär" weiter verstärken.

Eine weitere zentrale Aufgabe besteht darin, mit zunehmend weniger Pflegekräften mehr und mehr Pflegebedürftige mit gleich guter Qualität zu versorgen. Die altersgerechte Quartiersentwicklung ist somit ein komplexes Querschnittsthema und bedarf in Zukunft vieler Gruppen, die bereichsübergreifend zusammenwirken und im Rahmen einer kontinuierlichen Gesamtstrategie an der bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Wohnstrukturen für das Alter mitwirken. Insbesondere auch der Politik, welche ihren Grundsatz "Ambulant vor Stationär" mit entsprechend gesetzlichen Rahmenbedingungen unterstützen muss.

Der VSWG hat deshalb zusammen mit Partnern 2015 die Studie "Städtebau der Zukunft - eine volkswirtschaftliche Analyse" im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums des Innern veröffentlicht, die fachlich durch den Barmer Landesverband unterstützt wurde. Hier konnte konstatiert werden, dass die kostenintensivsten Faktoren die Betreuung von Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz und die Berücksichtigung der Kosten für Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach SGB V darstellen.

Bleiben die HKP-Ausgaben - Kosten der häuslichen Krankenpflege - unberücksichtigt, da der Schwerpunkt auf den Leistungen des SGB XI liegt und die HKP-Leistungen in der Regel nur zeitlich begrenzt auftreten, ist eine stationäre Unterbringung nur in den Fällen minimal kostengünstiger, in denen die betreffenden Personen Pflegestufe zwei mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben und in einem Ein-Personen-Haushalt leben, unabhängig vom Anspruch auf Grundsicherung. Alle anderen Pflegestufen und Haushaltsformen zeigen eine vorteilhaftere häusliche Versorgung.

Ferner beziffert sich der heutige Mindestgesamtbedarf an barrierearmen Wohnungen in Sachsen - allein aus den Zahlen für pflegebedürftige Personen - auf rund 93000 Wohnungen. Die Forderung nach einem weiteren Sofortausbau zur Schaffung von etwa insgesamt 100000 barrierearmen Wohnungen in Sachsen scheint angesichts des Interesses auch jüngerer, noch nicht pflegebedürftiger Personen realistisch.

Langfristig ist mit einem weiter steigenden Bedarf an barrierearmen Wohnungen zu rechnen: denn bis 2050 wird gemäß Status-quo-Szenario die Anzahl der Personen, die pflegebedürftig sind und nicht stationär untergebracht werden können, um über 50 Prozent steigen.

Darüber hinaus haben auch Personen, die älter als 65 Jahre sind und keine Pflegebedürftigkeit aufweisen, den Wunsch, in einer barrierearmen Wohnung zu leben. Perspektivisch wird damit ein möglichst langer Verbleib in der eigenen Häuslichkeit auch bei Pflegebedürftigkeit gesichert, ohne dass ein Umzug nötig wird.

Optimale Versorgung durch Mischfinanzierungen

Beim Thema Wohnen kumuliert sehr viel. Die Wohnung soll das Klima retten, Gesundheitsstandort sein, Pflegeheime ersetzen und dies alles bei möglichst sinkenden Mieten. Um diese komplexe Pro blematik zu lösen, ist eine stärkere Vernetzung der einzelnen Ressorts und Akteure, eine ganzheitliche Betrachtung, um ressortübergreifend Kompromisse zu finden und Finanzströme optimaler auszurichten, nötig. Optimale Versorgungsmodelle werden nur im Sinne einer Mischfinanzierung funktionieren, an der sich die Wohnungswirtschaft, der Mieter und der Staat beziehungsweise das System "Sozialer Sicherung" beteiligen müssen.

Für das System "Soziale Sicherung" heißt dies insbesondere auch die Anpassung des SGB und der Hilfsmittelkataloge in verschiedenen inhaltlichen Bereichen durch Aufnahme alltags- und pflegeunterstützender Technik, die dem Zeitgeist entsprechen. Im Rahmen der Hightech-Strategie (ab 2006), der Demografie-Strategie (2012), der beschlossenen Digitalen Agenda (2014-2017) und des 7. Altenberichtes (2016) der Bundesregierung wurde dies bereits als Handlungsfeld definiert - jetzt ist es wichtig, dies umzusetzen!

Der VSWG arbeitet seit Ende 2014 weiter an vielen sozialen Themen im Rahmen des aktuellen Projektes Chemnitz+, insbesondere auch bei Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit. Dieses baut auf den Erkenntnissen der "Mitalternden Wohnung" auf. Ergebnis des vierjährigen Modellversuchs ist ein integratives Versorgungskonzept, in dessen Zentrum die Wohnung, das Quartier und letztlich die Region steht. Die Weiterentwicklung regionaler Kooperationsstrukturen und Allianzen der Wohnungswirtschaft sowie Akteuren der Gesundheits- und sozialen Dienstleistungsbereiche wird zu tragfähigen und finanzierbaren Serviceketten und Modellbausteinen für innovative Lösungen in der Region Mittelsachsen führen, die auch übertragbar auf andere Regionen Sachsens oder Deutschlands sein werden.

Erste umgesetzte Beispiele hierfür sind das Konzept des Sozialen Hausmeisters, Mobilitätstrainings, Schulungsmaßnahmen und vieles mehr. Eine praktische Umsetzung funktioniert also nur dann, wenn es aktive Kooperationen (regional und überregional) gibt und die Akteure schon in die Erarbeitung der Konzepte einbezogen sind. Beispielhaft haben die LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und der VSWG eine Kooperation in Sachsen geschlossen, um zukünftig gemeinsam bestehende Herausforderungen themenspezifisch zu bewältigen.

Der Autor Dr. Axel Viehweger Vorstand, Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V., Dresden
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