MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

FRAGE AN KATHARINA HEID: KÖNNEN ONLINE-IMMOBILIENBEWERTUNGEN SACHVERSTÄNDIGE ERSETZEN?

Katharina Heid, Foto: Heid Immobilien GmbH

Das im November 2020 an den Markt gegangene Proptech Scoperty hat im vergangenen Jahr für viel Aufsehen gesorgt. Die Plattform stellt Schätzwerte für über 35 Millionen Immobilien online zur Verfügung und will diese Zahl im kommenden Jahr auf über 40 Millionen erhöhen. Laut eigener Aussage des Startups sollen so mehr Transparenz und ein erleichterter Zugang zum Immobilienmarkt ermöglicht werden. Besonders optimistische Befürworter des Online-Dienstes sehen in ihm gar das Potenzial, die Arbeit von Immobiliensachverständigen in Zukunft vollständig zu ersetzen. Erste kritische Stimmen beanstanden jedoch die ungenauen und oberflächlichen Schätzungen. Ein Problem, das nicht nur Scoperty, sondern die gesamte Branche der Online-Bewertungstools hat. Zunächst einmal bieten Online-Immobilienbewertungen potenziellen Verkäufern einen ersten Überblick über den lokalen Markt. Dieser Ersteindruck kann bei der Markteinschätzung helfen und Orientierung bieten. Die Expertise eines zertifizierten Sachverständigen kann damit jedoch nicht ersetzt werden.

Um die Unterschiede zwischen Online-Plattformen und der Arbeit von Sachverständigen zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die jeweilige Vorgehensweise zur Preisermittlung. Zunächst einmal sind die angegebenen Immobilienwerte das Ergebnis eines Algorithmus, der mittels einer Mischung aus öffentlich zugänglichen und von privaten Immobilieneigentümern zur Verfügung gestellten Daten eine Preisspanne für das jeweilige Objekt errechnet. Als Berechnungsgrundlage werden unter anderem vorherige Transaktionsdaten, Angebotspreise, Lage sowie Objekttyp herangezogen. Aber auch Kooperationen wie die angekündigte Zusammenarbeit von Spreng netter und Scoperty bieten die Möglichkeit, die Datensätze zu erweitern. Die auf dieser Grundlage ermittelten Werte werden dann auf einer digitalen Landkarte frei zugänglich online angezeigt. Viele Sachverständige und Makler kritisieren diese Bewertungen als zu ungenau und weisen darauf hin, dass nur ein lokal agierender Akteur den regionalen Markt vollumfassend im Blick haben kann. Zudem nutzen viele Online-Bewertungstools als Datengrundlage Angebotspreise, die von den tatsächlichen Kaufpreisen mitunter erheblich abweichen. Es bestehen bis zu 30 Prozent Unterschied. Sachverständige hingegen können durch ihren Zugang zu nicht öffentlichen Datenbanken und ihre Beteiligung an Fachausschüssen die tatsächlichen Kaufpreise am Standort als Grundlage für ihre Bewertung hinzuziehen. Mit Blick auf Online-Bewertungstools werfen einige Kritiker den digitalen Konkurrenten sogar vor, nur Leads generieren zu wollen, die dann an Interessenten weiterverkauft werden. Die Lead-Generierung ist an sich nicht verwerflich, im Sinne der Transparenz muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Weitergabe an die Nutzer kommuniziert wird.

Immobilien miteinander zu vergleichen, gestaltet sich oft schwierig, weil deren Wert von einer Vielzahl an Faktoren abhängt, zu denen insbesondere Online-Dienstleister nur schwer Zugang haben. Können Variablen wie die Lage, Verkaufspreise in der Umgebung und andere öffentlich zugängliche Informationen eine erste grobe Einschätzung des Objektwertes geben, sind sie längst nicht ausreichend. Erst wenn das Objekt durch einen Sachverständigen vor Ort besichtigt und damit der aktuelle Zustand der Immobilie ermittelt wurde, kann eine valide Bewertung erfolgen. Der dabei veranschlagte Verkehrswert wird in der Regel aus einer Kombination verschiedener gesetzlich normierter Bewertungsverfahren ermittelt. Ziehen Online-Bewertungstools lediglich das Vergleichswert- oder Ertragswertverfahren heran, um den Wert einer Immobilie zu bestimmen, ergänzen zertifizierte Sachverständige diese Methoden zusätzlich um das Sachwert verfahren. Werden bei ersteren ähnliche Haustypen miteinander verglichen, beziehungsweise der marktübliche Mietertrag der Immobilie errechnet, ist es für das Sachwertverfahren unabdingbar, Faktoren wie die Bausubstanz und Herstellungskosten in die Berechnung einzubeziehen. Dies ist nur dann möglich, wenn der Gutachter die Immobilie vor Ort inspizieren konnte.

Das ambitionierte Vorhaben von Scoperty und ähnlichen Bewertungsplattformen, mehr Transparenz für Anbieter und Käufer zu schaffen, ist grundsätzlich als positive Entwicklung zu bewerten, steckt jedoch noch merklich in den Kinderschuhen. Ob es jemals eine echte Alternative zur analogen Schätzwertermittlung werden kann, bleibt abzuwarten. Bisher fällt vor allem auf, dass die Schätzungen extrem ungenau sind. Teilweise werden Preisspannen angegeben, die Unterschiede von bis zu einer halben Millionen Euro pro Immobilie umfassen und somit wohl kaum als transparenter Richtwert dienen können. Womöglich führen sie eher dazu, dass sich potenzielle Käufer und Verkäufer falsche Hoffnungen machen und der offiziell ermittelte Schätzwert stark vom erhofften Ergebnis abweicht. Die von Online-Plattformen zur Verfügung gestellten Werte können als grobe Richtschnur fungieren. Sollte jedoch der Verkauf oder Kauf einer Immobilie ernsthaft in Erwägung gezogen beziehungsweise initiiert werden, ist es unabdingbar für die Wertermittlung einen zertifizierten Sachverständigen zu Rate zu ziehen.

Neben den Bedenken, die professionelle Marktteilnehmer gegenüber Online- Bewertungstools hegen, werden auch zunehmend kritische Stimmen von Immobilieneigentümern laut. Sie bemängeln fehlende Datenschutzstandards, da die öffentlich einsehbaren Preise auf Online-Plattformen wie Scoperty eine indirekte Auskunft über das Vermögen der Besitzer geben würden. Eine rechtliche Prüfung der Sachlage ist momentan im Gange.

Katharina Heid , Geschäftsführerin , Heid Immobilien GmbH, Walldorf
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