Vorübergehend?

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Kommentare von Außenstehenden zur Geldpolitik wollen höchst behutsam abgewogen werden. Das sollte eigentlich niemand besser wissen als Janet Yellen, ihres Zeichens immerhin ehemalige Präsidentin der mächtigsten Zentralbank der Welt. Und trotzdem hat die mittlerweile als US-Finanzministerin fungierende New Yorkerin Anfang Mai mit einer unbedachten Äußerung zum Kurs der Federal Reserve für Irritationen gesorgt: "Womöglich könnten moderat höhere Zinsen nötig werden, um ein Überhitzen der US-Wirtschaft zu verhindern." Die derzeit ohnehin hochsensiblen Kapitalmärkte versetzte das umgehend in Aufruhr und Yellen sah sich genötigt, nur wenige Stunden später zu Kreuze zu kriechen und klarzustellen, dass sie weder Zinserhöhungen prognostiziert noch empfohlen habe. Dass die Marktteilnehmer ihren Worten so große Bedeutung beimessen würden, hätte Yellen sicher erahnen können. Insofern ist das ein unglückliches Malheur, aus dem sie hoffentlich die richtige Lehre zieht und künftig grundsätzlich auf Äußerungen zur Geldpolitik verzichtet - damit sind Politiker erfahrungsgemäß immer noch am besten gefahren.

Gleichzeitig lässt sich natürlich nicht leugnen, dass Yellen in der Sache selbst einen extrem validen Punkt angesprochen hat: So sind die USA im ersten Quartal 2021 dank dreier staatlicher Hilfspakte um satte 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gewachsen. Und Volkswirte gehen davon aus, dass im zweiten Quartal gar die Marke von 7 Prozent geknackt werden dürfte. Solch hohe Wachstumsraten verbindet man wenn überhaupt mit den asiatischen "Tigerstaaten". Wie dem auch sei: Die USA scheinen das Corona-Tal jedenfalls mit sehr schnellen Schritten hinter sich zu lassen, die Gefahr einer Überhitzung ist also nicht aus der Luft gegriffen. Das legen auch die immer deutlicher zutage tretenden Inflationsrisiken nahe. Im April sind die US-Verbraucherpreise mit 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr so stark wie seit 13 Jahren nicht mehr gestiegen. Die Verunsicherung wegen anziehender Preise ist an den Finanzmärkten deshalb omnipräsent. Daran ändern können auch die anhaltenden Beteuerungen vonseiten der Notenbankvertreter nichts, wonach der inflationäre Schub auf rein vorübergehende Faktoren zurückzuführen sei. Stattdessen setzt sich offenbar zunehmend die Erkenntnis durch, dass eine zügellose Geldpolitik gepaart mit einer stark steigenden öffentlichen Verschuldung am Ende des Tages eben doch nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wer hätte das gedacht!

Unterdessen hinkt die Eurozone den USA bei der wirtschaftlichen Erholung noch deutlich hinterher. Aufgrund der anhaltenden pandemiebedingten Einschränkungen rutschte der europäische Währungsraum im ersten Quartal 2021 sogar zurück in die Rezession, denn nach einem Rückgang des BIP von 0,7 Prozent im vierten Quartal 2020 folgte nun ein Minus von 0,6 Prozent. Doch es wächst die Zuversicht, dass auch die 19 Euroländer zeitnah den Turnaround schaffen. Der Konjunkturindex von Sentix zum Beispiel kletterte für den gemeinsamen Währungsraum im Mai um 7,9 auf 21,0 Zähler und war damit so hoch wie seit mehr als drei Jahren nicht mehr.

Der Inflationsdruck dürfte somit auch in Europa hoch bleiben. Wie Bloomberg berichtet, erwartet die EZB deshalb eine schwierige Juni-Sitzung. So sollen unterschiedliche Ansichten über das weitere Vorgehen beim Pandemie-Notkaufprogramm PEPP den Rat zunehmend entzweien. Gerade die Stimmen der Falken, die eine zeitnahe Reduzierung der Anleihekäufe fordern, wurden zuletzt lauter. Wie das grundsätzlich aussehen könnte, hat Anfang Mai die Bank of England gezeigt. Die wöchentlich getätigten Käufe wurden von 4,4 auf 3,4 Milliarden Pfund reduziert. Auch wenn das Gesamtvolumen des Aufkaufprogramms bei 895 Milliarden Pfund vorerst unangetastet blieb, so kann es doch als erster, vorsichtiger Schritt in Richtung Tapering gewertet werden. Und wer weiß: Vielleicht wird es in der Rückschau ja den Startschuss einer allgemeinen Trendwende unter Notenbanken markieren. Die Zeit dafür scheint reif. ph

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