Immobilienkonjunktur: Bremsspuren werden sichtbarer

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

Seit rund drei Monaten ist Krieg in der Ukraine. Und spätestens mit dem russischen Einmarsch in das westliche Nachbarland haben sich die Rahmenbedingungen für die Immobilienwirtschaft in Deutschland spürbar verändert: steigende Zinsen, Inflation, Knappheit an Baumaterialien sowie explodierende Energie- und Baukosten bilden eine Gemengelage, die die Immobilienkonjunktur langsam, aber sicher ausbremsen wird.

Erste Warnsignale gibt es bereits: Im Jahr 2021 wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 293 000 Wohnungen fertiggestellt. Das waren 4,2 Prozent oder gut 13 000 Einheiten weniger als im Vorjahr. Damit setzte sich der 2011 begonnene jährliche Anstieg der Zahl fertiggestellter Wohnungen erstmals nicht weiter fort. Und auch das Ziel der Ampelregierung von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr wird weit verfehlt. Dabei könnte mehr gebaut werden. Der Bauüberhang lag mit knapp 847 000 genehmigten, aber nicht fertiggestellten Wohnungen auf dem höchsten Stand seit 1996. Für GdW-Präsident Axel Gedaschko ist die deutlich gesunkene Zahl fertiggestellter Wohnungen ein Vorbote eines dramatischen Einbruchs beim Wohnungsbau in Deutschland. Das Nichterreichen der Bauziele infolge von Lieferkettenproblemen, Material- und Fachkräftemangel, Preisexplosionen und dem unsäglichen Förderchaos rund um die KfW-Mittel werde künftig zementiert.

Aufgrund der zunehmenden Unsicherheiten stürzte auch die Stimmung der deutschen Immobilienfinanzierer im zweiten Quartal 2022 ab: So fiel das BF-Quartalsbarometer von minus 1,45 im ersten Quartal auf minus 12,01 im zweiten Quartal. Einen vergleichbaren Einbruch gab es zuletzt nach Ausbruch der Corona-Pandemie im zweiten Quartal 2020. Kein Experte sieht mehr progressivere Finanzierungsbedingungen. Mit 68,1 Prozent gehen mehr als zwei Drittel von restriktiven Bedingungen bei der Finanzierung aus. Im ersten Quartal war davon indes noch wenig zu spüren: Die Deutsche Pfandbriefbank AG beispielsweise hat ein solides Neugeschäftsvolumen auf Vorjahresniveau in Höhe von 2,1 Milliarden Euro erzielt. Die Bruttoneugeschäftsmarge lag mit durchschnittlich 150 Basispunkten unter dem Vorjahreswert von durchschnittlich 170 Basispunkten, war aber von einzelnen, zum Teil großvolumigen Transaktionen mit niedrigen Beleihungsausläufen und unterdurchschnittlichen Margen beeinflusst. Im zweiten Quartal erwartet die pbb wieder eine höhere durchschnittliche Bruttomarge. Das Neugeschäft der Aareal Bank erreichte mit 3,3 Milliarden Euro in den ersten drei Monaten sogar den höchsten Stand seit 2018. Die durchschnittlichen Bruttomargen des Wiesbadener Immobilienfinanzierers im neu akquirierten Geschäft lagen im ersten Quartal mit rund 220 Basispunkten auf einem sehr guten Niveau und über dem Ziel von rund 205 Basispunkten.

Bremsspuren zeigen sich auch auf dem Transaktionsmarkt, wo sich vor allem große institutionelle Investoren derzeit zurückhalten. Sehr schwierig gestaltet sich die Lage für Projektentwickler, die vor großen Herausforderungen stehen. Peter Axmann, Leiter Immobilienkunden bei der Hamburg Commercial Bank, fasst die Marktlage wie folgt zusammen: "Preissteigerungen, Lieferengpässe, Bauverzögerungen und höhere Finanzierungskosten sind hier deutlich spürbar. Projektentwicklungen sind schwieriger zu kalkulieren oder potenziell unrentabel. Wir spüren eine deutliche Zurückhaltung bei den Developern, schon jetzt werden knapp ein Drittel der Projektentwicklungen verschoben. Dagegen sorgen Zinsanstieg und stagnierende Mieten bei Bestandsimmobilien dafür, dass, wenn überhaupt, nur noch sehr geringe Wertzuwächse möglich sind."

Nach Jahren des Aufschwungs müssen viele in der Immobilienwirtschaft nun ein langsamer wachsendes oder gar stagnierendes Marktumfeld neu lernen. P.O.

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